Tichys Einblick
Wie 1945

Demolierung des Mahnmals von Katyn: Putins späte Legitimation des Stalinismus

Russland bricht die letzten Brücken zur Zivilisation ab: Soll nun auch das Mahnmal von Katyn für das stalinistische Massaker an 22.000 polnischen Offizieren demoliert werden?

Gedenkstätte für das Katy-Massaker in der Nähe von Smolensk, hier ein Bild von 2019.

IMAGO / ITAR-TASS

Putin macht es sogar den „Russlandverstehern“ alles andere als einfach, selbst ein Mindestmaß an Verständnis oder Sympathie für die russische Sache zu erwecken. Ob es nun um das offen eingestandene Kriegsziel einer völligen Annektion der Ukraine geht, die Ankündigung von blutigen Säuberungen und generationenlanger politischer Umerziehung, die bedenkliche Idealisierung des Stalinismus, die Massaker und Plünderungen in den besetzten Gebieten, die Auszeichnung der Soldaten von Butscha mit einem eigenen Orden oder das brutale Drohen mit Atomwaffen – seit Beginn des Einfalls in die Ukraine scheint es, als würden der russische Staatschef und seine Mitarbeiter alles in ihrer Macht Stehende tun, um die ihnen entgegengebrachten Vorurteile nicht etwa zu entkräften, sondern zu bestätigen, ja gar noch zu übertreffen.

Das neueste Beispiel für diesen Hang, nicht etwa die eigenen Verbrechen zu verschleiern, sondern mit ihnen auch noch aufzutrumpfen, ist das Projekt, die Gedenkstätte von Katyn zu zerstören; einen der vielen Orte, an denen das stalinistische Russland 1940 kaltblütig Massenmorde an polnischen kriegsgefangenen Offizieren verübt hatte, denen insgesamt 22.000 Menschen zum Opfer fielen.

Medienwirksam ließen russische „Aktivisten“ nun drohend Baumaschinen an das Mahnmal heranfahren und richteten eine Petition an die Duma, um die Zerstörung der Gedenkstätte zu erwirken:

Die russischen Aktivisten verweisen zur Begründung ihrer Forderung auf angeblich analoge Vorgänge in Polen, das in Anbetracht der gegenwärtig von Putin betriebenen Legitimation des deutsch-sowjetischen Einfalls 1939, der brutalen antipolnischen Ausschreitungen des sowjetischen „Brudervolks“ und der Errichtung einer kommunistischen Satellitendiktatur in Polen endlich die Demontage sowjetischer „Siegesmale“ erwogen habe. Auch greifen die Aktivisten auf die bis zum Fall des Kommunismus offiziell gültige Lüge zurück, die Massaker in Katyn und anderswo seien in Wirklichkeit von den deutschen Truppen verübt worden, und Putin habe nur unter dem Druck des Westens eine russische Verantwortung eingestanden.

In der Tat hatten sich 2010 Putin und sein damaliger polnischer Kollege Donald Tusk in Katyn die Hand gereicht, wobei der russische Präsident in heute nahezu unvorstellbarer Kritik an den sowjetischen Verbrechen erklärt hatte:

„Es kann keine Rechtfertigung für diese Verbrechen geben. Unser Volk, das die Schrecken des Bürgerkriegs, der Zwangskollektivierung und des Massenterrors der 1930er ertragen hat, versteht gut – vielleicht besser als jedes andere -, was Stätten wie Katyn, Mednaya, Pyatikhatka für die polnischen Familien bedeuten, denn diese traurige Liste schließt auch Orte ein, an denen Massenexekutionen an sowjetischen Bürgern stattfanden.“

Die gegenwärtige russische Relativierung des Massakers von Katyn ist dabei umso schmerzlicher für die polnische Öffentlichkeit, als es eben aus Anlass jener Zeremonie von 2010 war, dass fast die gesamte polnische Regierungselite einem Flugzeugabsturz bei Smoleńsk zum Opfer gefallen war, darunter der damalige polnische Präsident Lech Kaczyński, Zwillingsbruder des gegenwärtigen Chefs der polnischen Regierungspartei. Dieser hatte daraufhin wie so viele andere eine russische Sabotage vermutet und war oft genug – selbst in Polen – der Paranoia bezichtigt worden. Seitdem aber am 15. März 2022 der ehemalige russische Regierungschef, Dmitri Rogozin, Jarosław Kaczyński in einem (mittlerweile gelöschten) Tweet hämisch eingeladen hatte, doch bald selbst zu Gesprächen nach Smoleńsk zu reisen („Przyjedź do Smoleńska, porozmawiamy“), hat sich die öffentliche Meinung stark gewandelt, denn wenn man diese geschmacklose Provokation nicht als implizites russisches Eingeständnis deuten will, liest sie sich doch wenigstens wie eine rückwirkende Gutheißung des Vorfalls.

Man darf also gespannt sein, wie die Entscheidung der Duma ausfallen wird. Der Schaden, der gerade in den diplomatischen Beziehungen zwischen Russland und Polen angerichtet wird, ist jedenfalls immens und auf Generationen hinweg nicht mehr gutzumachen, da Russland auf die polnische Kritik am Einfall in die Ukraine und die Sorge um die Sicherheit Osteuropas nicht etwa mit einer rhetorischen Schadensbegrenzung antwortet, sondern im Gegenteil mit immer neuen, ebenso sinnlosen wie provozierenden rückwirkenden Legitimationen selbst der schlimmsten vergangenen Greuel. Was noch vor wenigen Wochen wie ein fernes Ziel schien, nämlich der enge politische wie militärische Zusammenschluss aller Länder zwischen Baltikum und Schwarzem Meer, rückt nun immer mehr in den Bereich des Möglichen – und zwar paradoxerweise gerade aufgrund von Putins zunehmender Enthemmung, welche alle Russland entgegengebrachten Vorurteile eher bestätigt, anstatt sie zu entkräften.

Professor Dr. David Engels ist Senior Analyst am Instytut Zachodni in Poznań.

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