Tichys Einblick
Dialog zwischen der Vernunft und der Linken

Mitarakis in Delphi: Stehen für strikte Migrationspolitik, sind aber offen für Menschen in Not

Migrationsminister Mitarakis und Frontex-Chef Leggeri sprachen im griechischen Delphi über Migration, Asyl und Grenzschutz in der EU. Die Positionen bleiben widersprüchlich. Die Frage scheint, wie lange jeder bei seiner Position bleiben kann. Frontex will seine Präsenz im östlichen Mittelmeer ausbauen, nun durch Drohnen.

Bild: twitter/nmitarakis

Im Interview mit der griechischen Tageszeitung To Vima sprach Frontex-Chef Fabrice Leggeri einmal mehr Klartext in der Frage der Zurückweisungen illegaler Migranten in der Ägäis. Angesprochen auf das leidlich bekannte Thema, stellt er fest, dass die nationale Transparenzbehörde des Landes die Vorwürfe gegen die Küstenwache nicht verifizieren konnte. Das Prinzip des Non-Refoulement sei dabei in den internationalen Verträgen eindeutig formuliert: „Menschen, die um internationalen Schutz bitten, dürfen nicht in ein Land zurückgeschickt werden, in dem ihr Leben bedroht wird.“ Das ist für Leggeri bei Zurückweisungen in die Türkei offenbar nicht der Fall.

Ganz allgemein hat Leggeri keine Beschwerden, was die Zusammenarbeit mit Athen angeht. Griechenland habe ein Verzeichnis sämtlicher Schiffe der eigenen Küstenwache an Frontex übergeben. Das scheint nicht bei allen Mitgliedsstaaten der Fall zu sein. Auch seine eigene Agentur sieht er durch interne Untersuchungen und solche des EU-Parlaments entlastet.

Der Frontex-Einsatz in Griechenland scheint derweil im Wachsen begriffen, wie Leggeri der Zeitung To Vima daneben berichtete. So stehen auch an der Grenze zu Nordmazedonien und Albanien inzwischen Frontex-Mitarbeiter den griechischen Grenzbeamten zur Seite. Als nächstes will man Drohnen ins östliche Mittelmeer schicken, um die Fahrten türkischer Schlepperboote in Richtung Italien, vorbei an den Inseln der Ägäis, besser im Blick zu haben. In der letzten Zeit mussten immer wieder schiffbrüchige Migranten auf der Peloponnes und rund um Kreta gerettet und meist in Griechenland aufgenommen werden. Zum Teil gelang es aber auch, die illegal Reisenden zur Rückkehr in türkische Gewässer zu bewegen.

Natürlich könnten die Drohnen genauso gut vom griechischen Staat angeschafft werden. Aber bestimmt kann eine bessere Aufklärung hier manches Unglück abwenden und manch illegale Fahrt in einem frühen Stadium unterbinden. Noch besser wäre es freilich, wenn die griechische Küstenwache die eigenen Seegrenzen mit der Türkei noch stärker bewacht, verdächtige Boote kontrolliert und so früh wie möglich zurückschickt. Denn jede zurückgelegte Seemeile birgt Gefahren für Leib und Leben der Bootsinsassen.

Griechenland ohne IWF-Schulden, doch mit immer höheren EU-Schulden

Anfang April war der Frontex-Chef im griechischen Delphi, um an dem dort jährlich stattfindenden Ökonomischen Forum teilzunehmen. Dieses Jahr traf man sich wieder physisch in der Stadt des antiken Orakels, die zugleich so etwas wie die hellenische Zentralbank war. In den Schatzhäusern der verschiedenen Stadtstaaten lagerten große Mengen an Edelmetallen. Der Missbrauch dieser Reserven war auch damals nicht ausgeschlossen. Im Notfall hatten die Priester etwas, auf das sie zurückgreifen konnten.

Griechenland hat gerade erst seine IWF-Kredite aus der Staatsschuldenkrise von 2010 zurückgezahlt und vermeidet so Zinszahlungen in Höhe von 230 Millionen Euro. Eine Win-win-Situation für das Land und seine europäischen Gläubiger, könnte man meinen. Klaus Regling vom EU-Stabilitätsmechanismus, der eigens für Fälle wie Griechenland gegründet wurde, sagte in Delphi: „Die griechische Schuldenlast ist tragbar.“ Die innere Struktur dieser Schulden sei besser als bei anderen Staaten. Kein Wunder, man hatte diese Schulden ja auch stark umstrukturiert, um nicht zu sagen: Man hatte sie vor allem auf die Schultern der europäischen Partner verteilt.

Erst im kommenden Jahr beginnt Griechenland, Zinsen auf einige der EU-Kredite zu zahlen. Die Rückzahlfristen der europäischen Kredite sind ebenfalls so sehr gedehnt, dass die Inflation einen Teil des Geldes zu jener Zeit schon aufgefressen haben wird. Die griechischen Staatsschulden werden auch in den kommenden Jahren steigen, aber dabei nicht unbedingt an Wert zunehmen. Der Gesamtschuldenstand im Verhältnis zum BIP ist derzeit im Sinken begriffen, obwohl auch Griechenland durch die selbstauferlegten Corona-Maßnahmen stark belastet ist. In Erinnerung blieb der Ausspruch eines Leitartiklers: „Die Wirtschaft kann man wiederherstellen, Menschenleben nicht.“ Dieses Jahr hofft man, unter die 190-Prozent-Marke zu sinken. In früheren Jahren waren Verhältnisse von mehr als 200 Prozent zwischen Staatsschulden und BIP erreicht worden. Der Schuldenstand dürfte sich in den kommenden Jahren den 400 Millionen Euro nähern. Für EU-Begriffe sind das freilich Pistazien.

Mitarakis zur illegalen Migration: „Intensive Diskussion zwischen der Vernunft und der europäischen Linken“

Auf dem Ökonomischen Forum diskutierte Leggeri daneben Fragen des Asyls, der Migration und des Grenzschutzes mit dem griechischen Migrationsminister Panajotis „Notis“ Mitarakis. Man kann davon ausgehen, dass beide sich gut verstanden haben.

Die europäische Diskussion zum Thema illegale Migration bezeichnete Mitarakis als „intensive Diskussion zwischen der Vernunft und der europäischen Linken“. Die Syriza-linke Tageszeitung Avgi merkte darauf an, dass die Regierung Mitsotakis durchaus Kritik von Sozialdemokraten, Grünen, aber auch von der liberalen Fraktion im EU-Parlament einstecken muss. Mitarakis scheint sich dessen bewusst, wenn er die linken Parteien, zu denen ja auch seine Gesprächspartner Ylva Johansson und Nancy Faeser gehören, in dieser Offenheit anspricht.

Seine eigene Position klingt nach „Ordnung und Menschlichkeit“, auch wenn Mitarakis vielleicht eine Spur weiter rechts steht als Seehofer: „Wir sprechen von einer strikten Politik und von einem Europa, das seine Tore für Menschen öffnen wird, die wirklich in Not sind. Andere glauben, dass Europa (also die EU, Anm. d. Red.) keine Grenzen brauche und dass jeder ein- und ausgehen solle, wie er will.“ Da gebe es je nach Land verschiedene Ansichten: „Andere wollen mehr Kontrolle und weniger Solidarität. Andere wollen eine offenere Migrationspolitik. Und wieder andere wünschen sich offene Grenzen, solange diese sie nicht betreffen.“

Das Knäuel der EU-Interessen ist so sinnvoll umschrieben. Die konservative Regierung in Athen ist irgendwo zwischen diesen Forderungen einzuordnen: Sie ist für strikten Grenzschutz, aber in Maßen auch für (illegale) Migration zu haben, wünscht sich Solidarität und weist die, die sich noch offenere Grenzen wünschen, darauf hin, dass die einströmenden Migranten irgendwann auch bei ihnen ankommen könnten.

„Keine Extrawurst für Flüchtlinge“ in Griechenland

Und so entfaltete Mitarakis auch erneut sein Verständnis vom einheitlichen Schutzraum EU, ein Seitenhieb auf die deutsche Regierung, die Zweit-Asylantragsteller aus Griechenland gerne wieder an die Ägäis fliegen und dafür sogar Kost und Logis bezahlen würde. Doch der Orakelspruch von Mitarakis blieb auch in Delphi negativ: In Griechenland werde es keine Extrawurst für Flüchtlinge geben. „Wer internationalen Schutz genießt, erhält ihn, ebenso die gleichen Sozialleistungen wie die griechischen Bürger auch.“ Dagegen würde die Einrichtung eines Extra-Sozialsystems nur für Flüchtlinge – von Gnaden der deutschen Steuerzahler – ein System der Doppelstandards in Griechenland errichten. Dem könnte wohl keine griechische Regierung zustimmen.

Daneben begrüßte Mitarakis die automatische Anerkennung der ukrainischen Flüchtlinge oder auch „displaced persons“, wie er im Jargon des letzten Weltkriegs sagte. Auch in dieser Frage besitzt die EU, so Mitarakis, keine inneren Grenzen. Genauer konnte eine Parallele zu den ‚griechischen‘ Sekundärmigranten kaum treffen. Und Mitarakis hat Argumente auf seiner Seite: Wenn man einen einheitlichen Schengenraum besitzt und Nationalstaaten in diesem Asyl und andere Schutztitel vergeben, dann werden auch die anerkannten Migranten oder „Flüchtlinge“ langfristig von derselben Freizügigkeit profitieren. Das kann man wohl kaum verhindern. Sie gehen folglich in die Länder, die ihnen am gewogensten sind oder in denen sie sich die besten wirtschaftlichen oder sozialstaatlichen Chancen ausrechnen.

Auch Griechenland hat derweil 17.000 Ukrainer aufgenommen, die laut dem Minister bereits Zugang zum Arbeitsmarkt haben und für deren Unterkunft und Ernährung gesorgt sei. Obwohl die Ukrainer sozusagen mit dem Grenzübertritt anerkannte Asylbewerber sind, ist das kein Widerspruch. Als echte Kriegsflüchtlinge sind sie bedürftig und auf zeitweilige Unterstützung angewiesen. In der Tat hatten sogar Gemeinden am Evros nach ihnen gerufen, als die ukrainische Fluchtkrise begann. Auch Angehörige der griechischen Minderheit, vor allem aus Mariupol, konnten nach Griechenland fliehen und dürften sich dort leicht integrieren.

Leggeri: Schmuggel und Menschenhandel rund um die Ukraine

Fabrice Leggeri sprach in Delphi einmal mehr warnende Worte zur Lage an den Grenzen der Ukraine, die man allgemein aus Sicherheitskreisen hört: Der Krieg schaffe immer Möglichkeiten zum Schmuggeln von Waffen, so wie einst in Jugoslawien. Derzeit sei das Problem aber eher, dass sich Menschenhändler an den Aufnahmezentren der Flüchtlinge aufhalten, um sich „verletzlicher Personen“, also wohl Kindern und junger Frauen, zu bemächtigen. Viele der Flüchtlinge wüssten nicht, dass sie in der EU Rechte besitzen. Diese Worte beleuchten auch den Mangel an Koordination, der trotz oder wegen der Aktivierung der Massenzustromrichtlinie durch Johansson, Faeser & Co. weiterhin im Staatenbund herrscht.

Kann Frontex am Ende doch zu einem funktionierenden EU-Grenzschutz heranwachsen und so die von Mitarakis angesprochenen „Werte der Vernunft“ im Geflecht der EU-Behörden verankern? Zweifel sind erlaubt. Dazu müssten jedenfalls die EU-Regeln zum Grenzschutz endlich zweifelsfrei formuliert werden bzw. die bestehenden Leitlinien auch von der Politik beachtet werden. Wie immer bildet die (von Mitarakis analysierte) Uneinigkeit der Mitgliedsländer das Haupthindernis dafür.

Vielleicht könnte ein erster Schritt sein, dass man sich darüber einig wird, dass die Türkei sehr wohl ein schwieriger Nachbar ist und bleibt, dass sie aber für die meisten Migranten, die durch sie nach Griechenland sowie auch nach Zypern strömen, ein sicheres Land ist. Ob die deutschen Grünen sich für eine solche öffentlich eingenommene Haltung erwärmen könnten? Die Freundschaft mit der Regierung Erdogan pflegt man ja auch recht öffentlich.

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