Tichys Einblick
Tatsachenbasierte Politik?

Dänische Ministerin: Es gibt nur zwei Geschlechter – aber man kann es wechseln

Die dänische Gleichstellungsministerin im Parlament: Das biologische Geschlecht kann man nicht verändern. Beim „Geschlechtswechsel für Kinder“ hat ihre Regierung noch keine klare Linie. Hier spielen auch internationale Verpflichtungen hinein wie die Rechtsprechung des EGMR in Straßburg.

IMAGO

In Dänemark hat sich eine lange erwartete Wende im Umgang mit Geschlechtsidentitäten vollzogen. Im Parlament wurde Gleichstellungsministerin Marie Bjerre nach offiziellen Antworten der dänischen Regierung zum heute oft weit gespannten Feld der Geschlechtsidentitäten befragt. Die Fragen stellte der Abgeordnete Mikkel Bjørn von der Dänischen Volkspartei (DF). Fragesteller und Ministerin zeigten sich dabei fast gleichermaßen bemüht, das „weite Feld“ wieder einzuengen und ein wenig „common sense“ in die Debatte einfließen zu lassen. Nicht ganz einig wurden sich die beiden aber darüber, ob die Ministerin das auch wirklich bis zum Letzten wollte.

In der parlamentarischen Frage ging es konkret darum, welche Geschlechter es gibt und welche Rolle diese Tatsache im öffentlichen Leben Dänemarks spielen soll. Bjørn hatte gefragt, ob die Ministerin der Meinung ist, dass das Geschlecht in erster Linie ein soziales Konstrukt oder biologisch bedingt ist. In der Folge ging es um die Sprache öffentlicher Institutionen in dieser Hinsicht und darum, wie sinnvoll der Begriff „bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht“ ist. Schließlich eine weitere Kernfrage der Debatte: Verändert „eine mögliche Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Geschlecht und der empfundenen Geschlechtsidentität unser Geschlecht“? Auch die Definition des Begriffs „Frau“ wollte Bjørn von der Ministerin hören.

Soweit die Fragen. Bjerre schnaufte mehrmals tief und antwortete: Meine Auffassung ist, dass das Geschlecht biologisch fundiert ist. Es gebe folglich zwei Geschlechter, Mann und Frau. Diese biologischen Geschlechter seien außerdem „mit gesellschaftlich und kulturell festgelegten Geschlechterrollen, Normen und Erwartungen an Mädchen und Jungen, Frauen und Männer verbunden“. Und weiter: „Ich stimme auch zu, dass eine Frau als weibliches erwachsenes menschliches Wesen definiert ist.“

Man kann sein biologisches Geschlecht nicht verändern

Schließlich war die Frage nach der Diskrepanz zwischen biologischem Geschlecht und eigenen Empfinden. Das betreffe laut einer dänischen Umfrage etwa 0,5 Prozent der Bevölkerung. Bjerre glaubt nicht, dass „eine mögliche Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Geschlecht und der selbst empfundenen Geschlechtsidentität unser biologisches Geschlecht verändert“. Das bedeutet, im Widerspruch zum woken Dogma: Transmänner sind keine biologischen Männer, Transfrauen sind keine biologischen Frauen. Vielmehr bleiben jene Frauen und diese Männer, was auch immer sie äußerlich an sich und ihren Körpern verändern. Dem stimmen auch Wortführer der breiteren „Transgemeinde“ inzwischen zu – also Individuen, die selbst eine Geschlechtsdysphorie haben oder hatten und daraus teils Schritte abgeleitet haben, die manche von ihnen heute bereuen mögen.

Interessant war auch Bjerres Kommentar zu dem Kunstwort „bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht“. Die Ministerin widerspricht dem Begriff und sagt: „Im Allgemeinen sagen die Dänen, dass das Geschlecht eines Mädchens oder Jungen bei der Geburt festgestellt wird, und ich sehe keinen Grund, dies zu ändern.“

In Dänemark erhält jedes Neugeborene eine CPR-Nummer, die es sein Leben lang behält und in allen Verwaltungsdingen benutzt. Viele Dänen kennen diese Nummer auswendig. Und diese Nummer gibt auch Auskunft über das biologische Geschlecht, wie es von der Hebamme bei der Geburt festgestellt wurde. Diese Nummer kann man aber ändern, was das dänische Äquivalent zum veränderten Geschlechtseintrag in Deutschland ist.

Was ist ein Mann mit geändertem Geschlechtseintrag?

Doch abseits dieser klaren Aussagen bleibt das Thema auch in Dänemark ein begriffliches Minenfeld. So werde der Begriff „zugewiesenes Geschlecht“ vor allem im Gesundheitswesen verwendet, so Bjerre einschränkend. Sie gab sich zugleich optimistisch, dass „die Mitarbeiter des öffentlichen Sektors über das notwendige Fachwissen verfügen, um zu beurteilen, welche Begriffe in jeder einzelnen Situation am besten verwendet werden“. Das ist schon etwas vage ausgedrückt.

An genau dieser Stelle fragt Mikkel Bjørn nach: Wird ein Mann mit Geschlechtsdysphorie, der sich für eine Frau hält (= etwa 0,25 Prozent der Bevölkerung), nun zur Frau oder nicht? „Mit anderen Worten, es ist ein Mann mit einer anderen Geschlechtsidentität und einem anderen Selbstverständnis. Das stimmt, aber das macht diese Person nicht unbedingt zu dem Geschlecht, für das sie sich hält.“

Bjerre behauptet, keine Meinungsverschiedenheit an der Stelle zu sehen: „Ich glaube, dass es zwei biologische Geschlechter gibt, Mann und Frau. Ja, man kann eine Diskrepanz zwischen seinem biologischen Geschlecht und dem Geschlecht, als das man sich empfindet, haben und deshalb zum Beispiel seine CPR-Nummer ändern. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass Sie mit einem bestimmten biologischen Geschlecht geboren wurden. So.“ Geboren wurden – aha, hier gibt es nur eine Vergangenheitsform. Bjerre möchte „eine gute Debatte anerkennen“ und stellt fest, dass es keinen Meinungsunterschied zwischen Venstre-Liberalen und Dänischer Volkspartei gibt. Das ist wohl dieses bemerkenswerte Meinungsklima in Dänemark.

Die Regierung weiß um die geringe Popularität des Themas

Daneben will die Gleichstellungsministerin „Freiraum für Vielfalt“ lassen und „die Bevölkerung in solchen Fragen vereinen, anstatt sie zu spalten“ – unausgefüllte Leerformeln. Denn Bjerre will weiterhin auf trans-freundliche Pride-Umzüge gehen und an dieser Stelle irgendwie offen bleiben. Aber, und das ist wohl auch typisch Dänemark: Am Ende brauche man hier „ein Gleichgewicht zwischen der Rücksichtnahme auf die Minderheit und der Rücksichtnahme auf die Mehrheit“.

Auch Ministerpräsidentin Mette Frederiksen vermied bei öffentlichen Auftritten bisher eine Festlegung zur Frage, wie viele Geschlechter es möglicherweise geben könnte. Das konnte man so oder so auslegen, maximal offen oder ablehnend-verschlossen, und das scheint derzeit ein wenig das Dilemma auch der großen dänischen Parteien zu sein: Dass sie um die sehr geringe Popularität des Themas wissen, die populäre Meinung zum Thema aber wegen der beteiligten Lobby-Gruppen nicht immer klar aussprechen. Auch Frederiksen marschierte auf der Kopenhagener Pride mit, gab sich aber zugeknöpft, was ihre eigene Gender-Politik anging. Die meisten Teilnehmer waren dann doch ziemlich „langweilige“ Frauen und Männer.

Aber Mikkel Bjørn sah sich noch nicht ultimativ von der Ministerin ins Boot geholt, bemerkte eher eine Spaltung als Einigkeit im Parlament. So stellte er in den Raum, dass Bjerre den Mitarbeitern im öffentlichen Sektor zu viel Freiheit gibt, „eine Sprache zu verwenden, die offensichtlich von linken politischen Dogmen infiziert ist“. Er verwies auf die oppositionellen Moderaten (Links-Abweichler aus der rechtsliberalen Venstre), deren Sprecherin der Meinung sei, dass es auch „Frauen mit Penissen“ gibt. Subtext: Solche Menschen arbeiten auch in dänischen Behörden und öffentlichen Diensten. Werden sie immer die richtigen Entscheidungen treffen? Bjørn insistiert: „Warum sollte der öffentliche Sektor solche merkwürdigen, eigenartigen Begriffe verwenden, wenn das Geschlecht etwas ist, mit dem wir geboren werden?“ Soviel zu „bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht“.

Bjerre lässt ein Scheunentor für die Trans-Ideologie offen

Der Abgeordnete möchte außerdem von Bjerre hören, dass ein Mann, der sich als Frau identifiziert, nicht zu einer Frau wird und daher das Recht hätte, als Frau behandelt zu werden, zum Beispiel auch in Gefängnissen. „Es ist ein Unterschied, ob man sich als ein Geschlecht identifiziert oder ein Geschlecht ist. Stimmt die Ministerin zu?“

Am Ende rückte Bjerre mit der Sprache heraus. Sie glaubt immer noch nicht an Differenzen, nicht einmal mit den Moderaten. Am Ende bekennt sie einen Teil ihrer Beliebigkeit: Es kann demnach „durchaus eine biologische Frau“ geben, „die eine männliche CPR-Nummer hat, und dann finde ich es eigentlich völlig in Ordnung, diese Person ‚er‘ zu nennen“. Wohlgemerkt, Bjerre spricht von aktuell 0,5 Prozent der Bevölkerung, auf die dieser abweichende Sprachgebrauch überhaupt Anwendung fände. Und doch bleibt unklar, welche Folgen eine Liberalisierung an dieser Stelle hätte. Ein Dokumentarfilm aus Schweden macht hier nicht unbedingt Mut: Eltern ermuntern ihre Kinder zu einem unentschiedenen „Gender-Ausdruck“ und verunsichern sie dadurch sehr. Kein Wort Bjerres auch zu Frauengefängnissen, weiblichen Umziehräumen und Toiletten. Wie will sie dort mit den biologischen Männern mit weiblicher CPR-Nummer umgehen? Einfach „sie/ihr“ sagen und den Rest dem gesunden Menschenverstand überlassen? Das würde wohl nicht reichen.

An dieser Stelle endet die Befragung durch den DF-Abgeordneten Mikkel Bjørn, und eine Abgeordnete der Dänemarkdemokraten, Susie Jessen, übernimmt. Jessen fragt nach der „legalen Geschlechtsumwandlung für Kinder unter 18 Jahren“. Die oppositionelle Sozialistische Volkspartei (SF) habe vor der Wahl ein solches Recht für alle Kinder ab null Jahren gefordert. Bjerre spricht von „internationalen Verpflichtungen“, die vorsähen, dass „Minderjährige Zugang zu einer legalen Geschlechtsumwandlung haben“. Diese Überlegungen fallen allerdings in die Verantwortung der Ministerien für Justiz und Gesundheit, nicht in Bjerres Gleichstellungs- und Digitalisierungsressort. Die dänische Regierung hat hierzu noch nicht Stellung genommen.

Unentschieden bleibt: Was ist mit den Minderjährigen?

Die Fragerin bestätigt Bjerres Einlassungen: Man könne sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (in Straßburg, ein Gerichtshof des Europarats, nicht der EU) wenden und bekomme dort auch die Möglichkeit auf ein Verfahren, das nicht Individuen, sondern nur Körperschaften zusteht. Laut Antwort der Ministerin ist die Regierung noch dabei, ihre Haltung zu klären: „Verstößt es gegen die internationalen Verpflichtungen Dänemarks, wenn Minderjährige ihr rechtliches Geschlecht überhaupt nicht ändern dürfen? Das Ministerium für Gesundheit und Inneres ist dabei, ein entsprechendes Modell zu finden.“ Darin kann man das Bemühen erkennen, solche Schritte nicht zu ermöglichen. Die Zeitschrift der dänischen Ärztekammer Ugeskrift for Læger berichtet, dass die zentrale Genderklinik Dänemarks 2022 noch sechs Prozent ihrer minderjährigen Patienten mit Pubertätsblockern oder Umwandlungs-Hormonen behandelte. 2018 waren es noch 65 Prozent gewesen. Das waren zweifellos Konsequenzen aus dem britischen Tavistock-Skandal.

Das Recht auf einen Geschlechtswechsel, wie es anscheinend der EGMR in Straßburg vertritt, hat offenbar grundlegende Auswirkungen auch auf die biologische Realität von Minderjährigen. Hat ein Kind oder Jugendlicher erst einmal das Geschlecht offiziell gewechselt, liegt es nahe, dass er oder es auch die Möglichkeit zu medizinischen Eingriffen aller Art gegeben wird. Und hier kommt das Thema der Gefährdung auf, denn die gemachten Erfahrungen haben gezeigt, dass Jugendliche und junge Erwachsene eben nicht „sicher“ sind, wenn sie diese Prozeduren durchlaufen, vielleicht sogar bewusst ansteuern. Das Thema der Detransitioner zeigt, wie gefahrvoll ihr Weg war und bleibt.

Eine Debatte, die auf Tatsachen aufbaut, kann beginnen

Im dänischen Parlament wurde diese Diskussion gleichwohl sehr zivilisiert geführt. Der zurückbleibende Eindruck ist, dass die drei diskutierenden Parteien relativ ähnliche Vorstellung von der Biologie und vom menschlichen Körper haben, was in der heutigen Lage schon beruhigend wirkt: Politiker haben eine periphere Ahnung von ihrem Gegenstand.

Es bleibt aber eine Abweichung bei der rechtsliberalen Venstre, was die Möglichkeit des Geschlechtswechsels angeht. Laut Bjerre soll es eben doch einen Geschlechtswechsel geben, was CPR-Nummer und gesellschaftliche Praxis angeht – und der müsste dann weitreichend definiert werden. Mikkel Bjørn hat die Festlegung der Ministerin zur Kenntnis genommen und genau an dieser Stelle zu fragen aufgehört. Das war der Meinungsunterschied, den er deutlich machen wollte.

Und natürlich war das keine harmlose Meinungsäußerung der Ministerin. Eine solche Aussage, zumal im Parlament ausgesprochen, hat immer einen normativen Kern und Gehalt, sinnt anderen die gleiche Rede- und Handlungsweise an. Und ob dieselben dann problematisch sind oder nicht, entscheidet sich in der Praxis. Die Beispiele der straffälligen Transitioner, die sich eine leichtere Haft unter Frauen erschleichen wollten, sind noch nicht Legion, sie mehren sich aber. Dass Bjerre eindeutige Worte an den Anfang ihrer Auskunft stellt, kann man vielleicht trotzdem als Beginn einer rationalen Debatte nehmen, die irgendwann nur noch von Tatsachen, nicht von Luftschlössern ausgehen wird.

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