Tichys Einblick
Migranten auf Lesbos

Brand im Lager Moria: Dorfbewohner berichten von planvollem Vorgehen

Nach mehreren Corona-Fällen im Migrantenlager von Moria hatte die Athener Regierung einen lokalen Lockdown verhängt und plante die Errichtung eines Zauns um das Lager. Doch das wollten die Bewohner offenbar nicht hinnehmen. Die Einheimischen von Lesbos haben nun das Nachsehen.

imago images / ANE Edition

Das Lager Moria existiert nicht mehr. Verschont blieben nur einige Verwaltungsgebäude und eventuell die medizinische Einrichtung, die kürzlich mit der Hilfe der niederländischen Regierung errichtet worden war. Es ist also das passiert, was Linksbewegte in Berlin, Hannover und anderen Städten auf Aufklebern und Schmierereien forderten: »Free Lesbos!« oder auch »Moria evakuieren«.

Das war auch der Wunsch der griechischen Insulaner. Der Regionalgouverneur Kostas Moutzouris forderte seit Jahr und Tag die Evakuierung des Lagers Moria sowie der entsprechenden Lager auf den anderen Inseln der östlichen Ägäis. Diesem Ziel ist er nun zwar nähergekommen, aber sicher nicht in der von ihm erhofften Art. Denn die Insel ist einstweilen noch keineswegs befriedet. Vielmehr wurde Lesbos für vier Monate unter ein Notstandsregime gestellt. Hunderte Migranten lagern an der Autostraße zur Inselhauptstadt Mytilini. Polizisten bewachen das provisorische Lager, das die Migranten dort in der Nähe des örtlichen Elektrizitätswerks aufgeschlagen haben. Die regierungsnahe Tageszeitung Kathimerini spricht von 3.500 Obdachlosen. Ein großer Teil der Migranten könne auch weiterhin in dem ›Dschungel‹ wohnen, der um das Lager herum errichtet wurde. Andere, angeblich an die 1.000, haben sich derweil in die umliegenden Berge und Felder geschlagen.

In dem auf Ausmerzung des Virus versessenen Griechenland bereiten vor allem die dokumentierten Corona-Fälle unter den Migranten Sorgen. Im Lager hatte es zuletzt in rascher Folge 35 Infizierte gegeben. Keiner weiß nun, wo sie sind. Lokale Medien mahnen eine sofortige Lösung für eine neue Unterbringung an, andernfalls könnte sich das Virus auf der gesamten Insel verbreiten. Eltern plädieren dafür, die Schulen einstweilen geschlossen zu halten.

Laut Kathimerini gab es keine Verletzten

Die Feuer waren am Dienstagabend ausgebrochen, als starke Winde über das Lager wehten. Ein Einwohner des Dorfes Moria berichtet von ersten Versuchen der Brandstiftung schon abends um sieben Uhr: »Das Feuer begann am Olivenhain, auf der Windseite des Lagers. Wir haben die Flüchtlinge mit Fackeln gesehen, wie sie an einen Ort gingen, und sofort brach von dort eine Front aus.« Bald war verständlicherweise das ganze Dorf Moria auf den Beinen und beobachtete das Feuer mit Sorge, Fassungslosigkeit und wachsender Wut. Um 22 Uhr rückte die Feuerwehr aus.

Die Gründe für die offenkundige Brandstiftung durch die Lagerbewohner werden unterschiedlich angegeben. Auf der Website des Fernsehsenders Skai liest man von den jüngst festgestellten Corona-Fällen als Auslöser. In der Folge wollte die Regierung das Lager durch einen Zaun absperren und es so unter einen lokalen Lockdown stellen. Das dürfte der Anlass der Tat gewesen sein.

Die beiden ersten ankommenden Feuerwehrfahrzeuge wurden laut der Zeitung Ethnos mit Steinen und Holzscheiten beworfen. Das Feuer sollte weiterbrennen. Auch die Insel-Website Sto Nisi berichtet, dass die Feuerwehrleute von Asylbewerbern in Mannschaftsstärke angegriffen worden seien, um sie an ihrer Arbeit zu hindern. Die Türkei verfolgte das Geschehen derweil sehr aufmerksam mit mehreren Drohnen.

Auf einem Video hört man den Jubelgesang eines der Bewohner: »Burn, burn, Moria, bye-bye!« Andere Videos zeigen, wie die Migranten das brennende Lager mit Koffern verlassen. Es hat nicht den Anschein, als wären sie von dem Feuer überrascht worden.

Man ist sich noch nicht sicher, ob es Tote gab. Laut der konservativen Kathimerini gibt es aber bisher keine Hinweise darauf, auch von Verletzten ist bislang nichts bekannt. Dieser Satz dürfte der Schlüssel für das Geschehen sein. Er deutet darauf hin, dass die Migranten hier keineswegs die Opfer eines Unglücks geworden sind, das vielleicht nur wenige unter ihnen ausgelöst haben. Ihr Vorgehen ähnelt eher jener Kriegstaktik der »verbrannten Erde«, die hier als asymmetrische Taktik zum Einsatz kommt, um den Gegner – in diesem Fall die griechischen Behörden – in die Knie zu zwingen.

Im griechischen Twitter trendete #ABSCHIEBUNG

Dagegen dürfte die Furcht vor der neuen Krankheit am Ende nur als Katalysator der Tat gewirkt haben. Auch von griechischen Regierungsmitgliedern ist zu hören, dass dem Feuer Streitigkeiten um die Isolation Infizierter vorausgegangen seien, die bald auch einen »ethnischen« Charakter angenommen hätten. Aber erst am 6. September hatten die Lagerbewohner demonstriert – unter anderem mit einem Stück Karton, auf dem zu lesen stand: »We will destroy the island.«

Der Mutwille, der sich in diesem Plakat ebenso ausdrückt wie in der dann tatsächlich geschehenen Brandstiftung, führte im griechischen Twitter zum Trenden des Hashtags #ΑΠΕΛΑΣΗ, zu deutsch #ABSCHIEBUNG. Es wird darauf hingewiesen, dass die Mehrheit der Lagerbewohner Afghanen sind, die teilweise auch von deutschen Bundesländern abgeschoben wurden. Auf Lesbos wird man jedenfalls keinen Platz mehr für die obdachlosen Asylbewerber finden, sagte der Bürgermeister der Inselhauptstadt Mytilini.

In Deutschland trendete unterdessen »Europa du Stück Scheiße«, eine Wortverbindung, mit der nach Deutschland auch die EU, wenn nicht ganz Europa in die Haftung genommen werden soll. Auch Carola Rackete fühlte sich bemüßigt, von ihrem Latte Macchiato aus das Elend der Welt zu beklagen – und es den Europäern aufzubürden.