Tichys Einblick
Zerbricht Spanien?

Bei Demo in Barcelona demonstriert Katalonien Unabhängigkeit

Eine deutsche Touristin ist das 16. Todesopfer der jüngsten Terror-Anschläge in Spanien. Die katalanischen Separatisten nutzen diese, um sich vom spanischen Staat abzugrenzen. Das gelingt vor allem mit ihrer Polizei, den Mossos. Ihr Chef ist der neue Held der Bewegung.

© David Ramos/Getty Images

Eine deutsche Touristin, die bei den jüngsten islamistischen Anschlägen in Spanien schwer verletzt wurde, ist an ihren Verletzungen gestorben. Die Zahl der Todesopfer erhöhte sich damit auf 16. Spanien trauert – und gleichzeitig verschärfen sich die innenpolitischen Gegensätze: Auf der Demonstration in Barcelona gegen den Terror am Samstag erschien ein Meer von katalanischen Nationalzeichen und Unabhängigkeitsflaggen auf den Fernsehbildschirmen – Bilder, die um die ganze Welt gehen. Spanische Flaggen sieht man in dem Menschenmeer von Millionen von Personen am Samstag kaum. Fast alle Nachrichten gegen Terror der Demonstranten sind auf Katalanisch zu lesen oder auf Englisch. Auch der spanische Regierungschef Mariano Rajoy wird streckenweise ausgepfiffen, vor allen vor laufenden Fernseh-Kameras. Auf einem Plakat der Demonstranten ist zu lesen: „Mariano wir wollen Frieden.“ Die Demonstration wurde buchstäblich umgedreht – in eine Manifestation der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung, die Spanien spalten könnte.

Alles sollte ganz anders kommen. In Madrider Regierungskreisen hatte man gehofft, dass die Anschläge in Barcelona die Katalanen abbringen würden von ihren seit 2012 immer ernster werdenden Unabhängigkeitsplänen. Die spanische Regierung hatte darauf gesetzt, dass der katalanische Amtskollege Carles Puigdemont das gewünschte politische Feingefühl zeigen und wieder die Nähe zu den nationalen Sicherheitskräften suchen würde. Aber das Gegenteil ist der Fall.

Katalanen provozieren auch bei der Demo  

Dabei hatte die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, gebeten, nicht mit Flaggen bei der Versammlung aufzutreten, aus Respekt vor den 15 Todesopfern und Hunderten von Verletzten. Wenige haben sich daran gehalten. Das Motto „Ich habe keine Angst“ (No tinc por Katalanisch) wurde plötzlich fast zum Statement für „Ich habe keine Angst vor Spanien.“

Eine der in Katalonien mitregierenden Separatisten-Parteien, CUP, hatte im Vorfeld angekündigt, dass sie bei der Demo nicht dabei sein werden, da der spanische König ebenfalls präsent sein werde und sie eine Republik anstreben. Da das aus Respekt vor den Opfern kaum zu vertreten gewesen wäre, waren sie dann doch dabei am Samstag – allerdings weit entfernt von dem Monarchen und den spanischen Regierenden. Vor dem großen Auflauf um 18 Uhr fand um 16 Uhr, organisiert von einigen Hunderten von Katalanen, zudem eine Protestaktion am Tatort auf den Ramblas gegen den Monarchen statt, der von vielen Seiten auch bei der Haupt-Demo ausgepfiffen wurde.

Jeder, der nicht weiß, dass es sich um eine Demo gegen Terror handelt, musste auf den ersten Blick denken, dass es sich um einen Akt gegen Spanien handelt, eine vorgezogene Diada: am 11. September feiern die Katalanen ihre „Nation“, die sich in den vergangenen Jahren immer mehr zu einer Demonstration gegen Madrid entwickelt hat.

Mossos verbuchen Erfolge bei den Ermittlungen

Auch wenn es sich bei den Anschlägen vom 17. August um einen Terror-Akt gegen Spanien handelte, agierte der Chef der Mossos d’Esquadra, der katalanischen Polizeineinheit wie ein Held aus US-Action-Filmen und zog die gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Aus spanischen Regierungskreisen heißt es, dass nationale Einheiten bei den Ermittlungen teilweise ausgeschlossen wurden. Die Anschläge und ihre Folgen sind zu einem polizeilichem Machtkampf geworden. Als alle Hauptverdächtigen in einer Woche tot waren oder überführt wurden von den Mossos, tritt ihr Chef Josep Lluís Trapero wieder stolz vor die Kamera. Bisher völlig unbekannt sahen ihn die Spanier plötzlich jeden Abend auf dem Bildschirm, beim Fussballspiel, bei Trauerakten – überall war der George Clooney ähnlich sehende Polizeichef dabei.

Immer wieder sprach er zuerst Katalanisch und provozierte auch deswegen bei einer Pressekonferenz Irritation bei ausländischen Journalisten, weil er Fragen von Katalanen auf Katalanisch beantwortete und so einige Kollegen ihn nicht verstanden. Was die Mossos sind, das weiß man seit dem 17. August auch in Holland und den USA. Im Inland demonstrieren die Mossos die Fähigkeit der Katalanen, ihre Angelegenheiten besser selbst regeln zu können. Der Konflikt mit Madrid verschärft sich.

Auch der katalanische Regierungschef Puigdemont unterlässt es nicht, einen Tag vor der Demo am Samstag wieder die Kräfte mit Madrid zu messen. Am Vorabend kritisierte er in einem Interview mit der Financial Times, dass die spanische Regierung sich reseviert zeige, was den Eintritt der katalanischen Sicherheitskräfte in europäische Institutionen wie Europol beträfe. Er drückte auch seinen Unmut aus, dass der spanische Zentralstaat die von ihm bereits im Juli angeforderten 500 neuen Mossos nicht bezahlen wolle.

Ausgang des Referendums für die Unabhängigkeit Kataloniens ist unsicher

Eigentlich hatten politische Analysten angenommen, dass durch die Anschläge, das für den 1. Oktober geplante, gemäß spanischer Verfassung jedoch illegale, Referendum zur Unabhänigkeit von Spanien von den Katalanen ausgesetzt würde. Aber in dem Interview mit der britischen Zeitung hielt Puigdemont an dem Termin fest. Er kündigte an, dass schon 6.000 Urnen in der 6 Mio. Einwohner zählenden Region aufgestellt seien.

Seine Stratege geht auf. Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts DYM für die spanische Online-Zeitung El Confidencial hat ergeben, dass 64 Prozent derjenigen, die entschieden haben zum Referendum zu gehen, für die Unabhängigkeit stimmen würden. Allerdings basiert die Umfrage nur auf 531 Interviews. Bisher lag die Zahl der Separatisten immer bei rund 40 Prozent der Bevölkerung.

Diskussion um Unabhängigkeit lenkt von Korruption und eigenen Fehlern ab

Die Separatisten versuchen seit vielen Jahren den Eindruck zu erwecken, dass ihre Region besonders abgestraft werde in den zentralen Madrider Haushaltsplänen, obwohl Katalonien zweitstärkster Wirtschaftsstandort in Spanien sei. „Fakt ist jedoch, dass man damit eigentlich nur von den eigenen Fehlern ablenken will,“ sagt der auf Mallorca lebende Rechtsanwalt Tim Wirth, wo es ähnliche nationale Bewegungen unter den Mallorquinern gibt, die aber bisher nicht zu Unabhängigkeitsbewegungen geführt haben.

Vor allem Korruption und Misswirtschaft haben die letzten 20 Jahre der verschiedenen Regierungen in Katalonien gekennzeicht. Als die spanische Zentralregierung beginnt, diese gezielt aufzudecken, startet ein Machtkampf der Katalanen gegen Madrid. Gegen den Deutschlandliebhaber und längjährigen Regierungschef Jordi Pujol und seine ganze Familie wird derzeit wegen Konten in Andorra und der Schweiz ermittelt. Seine Partei CIU ist auch wegen den vielen Korruptionsfälle regelrecht auseinandergebrochen. Vermutet wird von politischen Analysten, dass auch wegen der vielen Ungereimtheiten bei Bauzulassungen in Katalonien jetzt so stark von der Politik auf die Unabhängigkeit gepocht wird: „Sie wollen sich von der Madrider Justiz abkoppeln,“ sagt der Madrider Wirtschaftsprofessor Javier Morillas.

Der an der Universität San Pablo CEU lehrende Akademiker ist nicht der einzige, der glaubt, dass die Katalanen in den vergangenen Jahren ihre Steuergelder mehr schlecht als recht investiert haben: „Viel zu viel Geld floss in Propaganda.“ Zu wenig Geld wurde dagegen in Sicherheit, Gesundheit und Umwelt investiert, was die Region zurück geworfen habe. Viele Investoren haben das Weite gesucht, das wesentlich offenere Madrid gilt dagegen inzwischen als Lieblings-Standort von Start ups.

Kosten der Unabhängigkeistbewegung steigen exponentiell

Es wurden bis jetzt 11 katalanische Botschaften im Ausland eröffnet, was den spanischen Steuerzahler allein in diesem Jahr fast 40 Mio. Euro kostet. Auch in Deutschland sind die Katalanen zentral auf der Friedrichstraße in Berlin mit Räumlichkeiten vertreten. Seit 2012 läuft diese Maschinerie, die vor allem dazu dient, die Unabhängigkeit im Ausland zu erklären und vorzubereiten. Im kommenden Jahr sollen weitere 50 Botschaften eröffnet werden.

„Das ist alles absurd. Die Politiker sollten sich viel mehr um eine ordentliche Gesundheitsversorgung und Industriepolitik kümmern als nur an ihre Propaganda zu denken,“ sagt Jasper van Dorrestein, ehemaliger Verantwortlicher des holländischen Investitionsbüros in Barcelona: „Angesichts der vielen linguistischen Restriktionen und dem teilweise schon extremen Auftreten der Separatisten wirkt Barcelona für viele Firmen inzwischen abschreckend.“

Neben den Botschaften wurden alle möglichen anderen Propaganda-Organismen gegründet, die auch ausländische Journalisten in Spanien auf Linie bringen sollen wie zum Beispiel die Assemblea Nacional Catalana, kurz ANC, genau wie die südafrikanische Freiheitsbewegung und spätere Regierungspartei.

Katalonien bricht auseinander

Der spanische Schriftsteller Félix Ovejero beschreibt in dem Dokumentarfilm über den Separatismus in Katalonien von Fran Jurado, Disidentes. El precio de la discrepancia en la Cataluña nacionalista den Zusammenbruch Kataloniens: “Die ständigen Konflikte der Regionalregierung mit Madrid haben die katalanische Gesellschaft gelähmt.“ Für den in Spanien lebenden serbischen Schriftsteller und Journalisten Branislav Djordjevic ähnelt das alles einem schlechten Theaterstück: „Die Tragödie erleben wir gerade jetzt vor laufenden Kameras. Dieses ganze separatische Gedankengut ist der katalanischen Regierung aus der Kontrolle geraten. Sie können diese Maschinerie gar nicht mehr stoppen, selbst nach diesen brutalen Anschlägen in Barcelona nicht.“


Stefanie Claudia Müller ist Korrespondentin für Deutsche Medien in Madrid und Autorin des Buches „Menorca, die Insel des Gleichgewichts“.