Tichys Einblick
100 Jahre Kommunistische Partei Chinas:

Xi Jinping sieht sein Land auf dem Weg zur Welt-Führungsmacht

Das pompöse Feiern der kommunistischen Machthaber in Peking trifft im Westen, besonders in Deutschland, auf Unverständnis. Diese Ignoranz gegenüber politischer Metaphysik macht uns blind gegenüber Bedrohungen.

IMAGO / Kyodo News

Mit einem selbst für das kommunistische China außergewöhnlichem Pomp hat die Machtelite der einzigen verbliebenen kommunistischen Supermacht ihren 100. Geburtstag gefeiert. Das, was in vergangenen Jahrtausenden die Dynastien mit ihren Mandarinen und Philosophien gewesen sind, ist die 1921 vom unverändert gott-gleich verehrten Mao Tse-tung gegründete KP, deren totaler Machtanspruch stärker ist, als je zuvor. „China ist alles, und China ist die Partei!“ Das einzelne Individuum existiert nur im nationalen Kollektiv und hat als Rädchen im Sinne der Genossen zu funktionieren. Garantiert wird dies durch die Allmacht staatlicher Kontrolle des gesamten Lebens und der unerbittlichen Abstrafung bei Nicht-Befolgen. Im Westen, und da ganz besonders in Deutschland, wird dies achselzuckend zur Kenntnis genommen und höchstens mit den Worten quittiert: „Was hat denn das mit uns zu tun?“ Die nehmen ihre Interessen wahr, so wie andere eben auch. Ganz ähnlich werden im übrigen das Großmachtgehabe und die Eskapaden des Mannes im Kreml gesehen. Ich behaupte, dass es sich hierbei um leichtfertige und gefährliche Fehleinschätzungen handelt.

Es ist die Geschichte des 20. Jahrhunderts, die in Deutschland jede Sensibilität für politische Metaphysik verhindert. Das Trauma des Nationalsozialismus mit all seiner Wucht der Überhöhung des Nationalen, verbunden mit der Metaphysik germanischer und rassischer Mythologie als eine Form von Religion, hat mit ihrem katastrophalem Ende des Zivilisationsbruchs den Sinn für grundlegende philosophische Zusammenhänge nahezu ausgeschaltet. Hierzu gehört zwangsläufig eine fassungslos machende Unkenntnis der Geschichte Europas. Dies gilt bis in weite Teile der Führungsschichten in Politik, Wirtschaft und Kultur hinein. Die fundamentale Erkenntnis des Soziologen Max Weber, dass die Geschichte der Welt eine Geschichte von Religionen, Geborgenheits-Philosophien und sinn-stiftender Metaphysik ist, könnte man heute in den verschiedensten Zirkeln „gebildeter Kreise“ hierzulande vortragen, ohne auch nur eine Zehntelsekunde verstanden zu werden.

Männer wie Xi und Putin begreifen die Geschicke ihrer Nationen als eine Art schicksalhafter Abfolge von Siegen und Niederlagen im Wettstreit mit anderen. Diese Form imperialen Denkens gilt in Deutschland als eine besondere Form archaischer Formen des Imperialismus, ist aber für Andere unverändert Richtschnur ihres Handelns. Unmittelbar damit verbunden ist immer ein extrem übersteigerter Nationalismus und eine zumindest klammheimliche Verachtung anderer Völker und Ethnien. Dass zur Erfüllung der jeweiligen Ziele auch Gewalt ein probates Mittel ist, steht bei diesem Denken außer Frage.

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Da die meinungsbestimmenden Kräfte im Westen dies alles als gestrig und vor der Epoche der Aufklärung ansiedeln, gefallen sie sich in ignoranter Selbstherrlichkeit und einem Überlegenheitsdünkel, der durch die Welt der Tatsachen in keiner Weise gedeckt ist. Lediglich die Vereinigten Staaten von Amerika bilden da eine Ausnahme. Die amerikanische Identität gründet sich in dem Bewusstsein, selbst der Staat der Aufklärung zu sein, zu dem sich – scheinbar widersprüchlich – eine zum Teil fundamentalistische Religiosität gesellt. „The American way of life“ ist, vereinfacht gesagt, die Kombination von selbst-verantworteter Individualität, die Ablehnung staatlicher Macht bei gleichzeitigem Befolgen eines religiösen Normenkorsetts. Auf dieser Substanz bauen dann Nationalismus, soziales Verständnis und die Überzeugung aus Gründerzeiten, dass die USA wirklich eine Neue Welt in Abgrenzung zur Alten Welt verkörpern.

Bemerkenswert bei all dem ist, dass sowohl das machtgetriebene Imperiale östlicher Provenienz in Westeuropa ebensowenig verstanden wird, wie das Selbstverständnis der Amerikaner. Das macht es eben so schwer, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. In sich ruhende Herrschaftsgebilde, wie das chinesische, können an dem Wunsch nach einer Ausweitung des eigenen Territoriums gar nichts Anstössiges erkennen. Das gilt auch dann, wenn sie das Gegenteil behaupten. So erklärte der chinesische Titan Xi Jinping, China hege keinerlei hegemoniale Ansprüche, um sich kurz danach jede Kritik an Chinas Ausgreifen im südchinesischen Meer und dem Pazifik auf die Hoheitsgebiete Dritter empört zu verbitten.

Es ist die, durch Ignoranz und Desinteresse plus zusätzlichem Nichtwissen verursachte, Sorglosigkeit in der Haltung des Westens, insbesondere der Deutschen, die zu großer Sorge Anlass geben sollte. Das Geschehen in der Welt erfolgt eben nicht nach den Regeln eines Kindergartens. Wenn dort im Spielzimmer besonders robuste Kinder im Laufe des Tages mal die Spielmöbel verrücken, steht am Schluss wieder alles in Reih’ und Glied. In der Politik aber werden bleibende Fakten geschaffen.