Tichys Einblick
Der Wähler der Grünen

Zur EU-Wahl: Gespräch mit Wähler der Grünen

Zur EU-Wahl spricht TE jeweils mit einem Wähler der im Bundestag aktuell vertretenen Parteien und mit einem Nichtwähler. Die Gesprächspartner wurden willkürlich ausgewählt und bleiben anonym. Die Gespräche wurden aufgezeichnet und das geschriebene Wort abgeglichen.

© Getty Images
Unser Gesprächspartner ist 43 Jahre alt und Wähler der Grünen: Er hat drei Töchter und wohnt in einer großzügigen Altbauwohnung zur Miete. Großzügig allerdings erst dann, wie er uns lachend erzählt, wenn er alleine dort leben würde. Seine Mädchen nennen ihn nicht Papa, sondern beim Vornamen.

Nach seinem größten Traum befragt, erzählt er uns, er möchte sich gerne mal wieder richtig langweilen. Sein Leben wäre dauerdynamisch. Am meisten freut er sich in der Woche auf seinen Pokerabend mit Freunden. Wir haben uns am Telefon verabredet, weil ein Treffen nicht mehr in seinen Tag gepasst hat. Einmal müssen wir kurz unterbrechen, weil seine Frau dazu kommt und wissen möchte, warum er auf einmal so viel reden würde.

Die CDU-Wählerin
Zur EU-Wahl: Gespräch mit Wählerin der CDU
„Ich schwanke immer zwischen Grün und CDU. Ich wähle aber meistens die, bei denen ich mit meiner Stimme am meisten erreichen kann. Die SPD beispielsweise liegt so am Boden, dass meine Stimme da Verschwendung wäre. Was mir auffällt in den letzten Jahren: die Ausrichtung der Politik bei den demokratischen Volksparteien ist deckungsgleich. Ich betone das „demokratisch“ und „Volkspartei“, weil ich die Linke und die AfD hier explizit ausschließe.

Die Grünen sind deshalb so stark, weil sie in ein Vakuum gestoßen und weil sie eine wählbare Partei sind. Das wäre die schlechte Begründung. Die gute Begründung ist für mich, dass sie immer schon eine gute Umweltpolitik gemacht haben und das zur Zeit immer wichtiger wird.

Die Ausländerpolitik der Grünen unterscheidet sich jetzt auch nicht so sehr von denen der anderen wählbaren Parteien. Ich finde, dass momentan im Umweltsektor zu wenig getan wird. Die Autoindustrie wird nicht genügend angehalten, alternative Mobilitätskonzepte weiter zu entwickeln, da sind andere Konzerne aus anderen Ländern leider deutlich weiter als die vermeintlich führende deutsche Industrie.

Als Marketingfachmann eines mittelständischen Unternehmens der Automobilzulieferung fällt mir dieses Defizit aber vielleicht noch deutlicher auf als anderen.

Wenn ich Ihnen grüne Politik beschreiben soll, dann ist diese Politik für mich lebensbejahend, links, für Gleichberechtigung, für eine Umverteilung von Oben nach unten oder was mir als Wort hier besonders gefällt: ehrlich. Ehrlich in dem Sinne, dass man nach der Wahl bekommt, was auf dem Plakat stand.

"Nano"
Der Mann bei 3sat und sein CO2-Fußabdruck
Wenn Sie mich beispielsweise nach der Kerosinsteuer fragen, dann mag einen das in der eigenen Komfortzone nicht so schmecken, aber wenn man genauer darüber nachdenkt, ist es richtig. Wenn mir jemand sagt, dass andere Länder wie China oder Indien sowieso soviel Dreck machen, dass unsere Einsparungen nicht ins Gewicht fallen, dann kann ich nur sagen; Es wird ja nicht besser, dadurch, dass andere etwas noch falscher machen.

Ich glaube daran, dass grüne Politik einen dazu bringt, über das eigene Verständnis von Lebensqualität nachzudenken, über den eigenen Tellerrand hinaus mal einen Blick auf die nächste oder übernächste Generation zu werfen. Was kann denn daran falsch sein? Die Grünen sind ganz klar keine Partei für Egoisten.

Es geht hierbei nicht darum, immer gleich den Wohlstand einzudämmen, denn hat die Fahrt mit dem Fahrrad anstelle des Autos auf der kurzen Strecke am Ende wirklich etwas mit Wohlstandseinbuße zu tun? Was vergibt man sich? Im Gegenteil, man bleibt eventuell fit und lebt länger.

Die kurze Historie der Grünen gegenüber der Altpartei SPD begreife ich dabei als gerade im Erwachsenenalter angekommen. Der Schritt hin zur Volkspartei könnte dabei gut ein weiterer Entwicklungsschritt sein.

Was die Migrationsdebatte angeht, da machen die Grünen das Gleiche wie die beiden anderen Volksparteien. Es gibt da keine Alternative außer man wählt extrem links oder rechts, beides finde ich verwerflich. Ich kann aber damit leben, weil ich für eine „geöffnete“ Gesellschaft bin, die in der Lage ist, mit geeigneten Integrationsmaßnahmen die Situation zu einem Gewinn für die Gemeinschaft zu machen.

Für meine drei Töchter wünsche ich mir, dass sie in einer Gesellschaft aufwachsen, die von Respekt, kultureller Vielfalt und einem wertschätzendem Umgang miteinander geprägt ist. Und das in einer möglichst an Nachhaltigkeit orientierten Welt.

Einer grünen Wirtschaft muss es nicht automatisch schlecht gehen, denn auch grüne Produkte werden gekauft. Unser Wohlstand wird natürlich finanziert durch Armut woanders. Wenn wir so weiter machen wie bisher, dann mag der Wohlstand hier so bleiben, aber die Armut wird immer näher rücken und die Schere wird aufgehen wie in den Vereinigten Staaten.

Der AfD-Wähler
Zur EU-Wahl: Gespräch mit Wähler der AfD
Optimal wäre es, so ein bisschen Robin Hood mäßig oben wegzunehmen und unten dran zu stricken. Und wenn die Reichen das nicht mitmachen wollen, dann sollen sie gerne mal versuchen, ob sie ihre Gewinne irgendwo anders in Europa machen können und dann in aller Ruhe den Shitstorm abwarten über ihre Abwanderung.

Wenn ich ans Mittelmeer denke, dann finde ich dass unendlich traurig, dass Menschen sich in derart verzweifelte und gefährliche Situationen bringen müssen. Traurig, dass es Staaten gibt, die ihre Menschen dazu treiben, diesen Weg zu wählen und ihre Heimat zu verlassen.

Letztendlich werden wir eine Zuwanderung in irgendeiner Form regulieren müssen, ob nun über Quote oder Qualifikation oder Bedürftigkeit – das sind die Aufgaben, die in der Zukunft zuverlässig gelöst werden müssen.

Ich denke, dass das die Grünen schon auch können, aber ich glaube nicht einmal, dass das eine Frage ist, welche Partei da regiert. Es ist mehr eine Frage der Abwägung zwischen Menschlichkeit und Wirtschaftlichkeit, anstatt einer Frage des politischen Standpunktes.

Wenn Sie mich nun an der Stelle nach dem politischen Standpunkt der AfD fragen, dann frage ich mich, was daran politisch sein soll, einfach tiefste Instinkte anzusprechen. Denn was soll das anderes ein, wenn man aus Deutschlands schwärzesten Stunden zitiert und das als erstrebenswert darstellt?

Das Hauptproblem in Deutschland, ist das Problem der Welt: Es kommen zu viele Schreihälse an die Macht. Das Problem ist: je einfacher und lauter die Parolen, desto einfacher lassen sie sich konsumieren und verbreiten. Der Mensch entwickelt in der Masse eben keine Schwarmintelligenz. Aber ich bin überzeugt davon, dass fundierte Argumente und vernünftige Ziele stärker sind als der Stammtisch. Deshalb wähle ich zur EU-Wahl grün. Die EU ist die große Familie für uns alle, die wir aber erst noch ein bisschen erfinden müssen.“

Anzeige