Tichys Einblick
Selbstwidersprechendes GroKo-Gesetz

Was der Bundestag zu Maghrebstaaten und Georgien so alles erklärt

Der Bundestag hat für eine Ausweitung der Liste "sicherer Herkunftsstaaten" gestimmt. Damit geht eine Tür der Einwanderung zu - allerdings öffnet sich mit dem Fachkräftezuwanderungsgesetzes schon die nächste.

Screenprint: phoenix tv

Es sind sechzig Minuten eingeplant für die Aussprache zur Einstufung Georgiens und der Maghrebstaaten als sichere Herkunftsländer. Sechzig Minuten für ein Thema, das seit Jahren kontrovers diskutiert wird. Angela Merkel kommt in letzter Minute, freundliches kurzes Palaver mit Horst Seehofer, der eine Sekunde später ans Pult eilt.

Das nationale Verfassungsgesetz, aber auch das europäische Recht, würde diese Einstufung zulassen, beginnt Seehofer. Der Minister verliest die geringen Prozentzahlen der Asylanerkennungsquoten dieser Länder, was die Anerkennung der Staaten als sichere Herkunftsländer begründen würde.

Dass das erfolgversprechend ist, würde die Entscheidung der Vergangenheit bestätigen, als man bereits die Westbalkanländer als sichere Herkunftsländer einstufte. „Das war ein großer Erfolg, der missbräuchliche Asylanspruch wurde deutlich zurückgedrängt.“ Die Einzelfallregelung und -prüfung für wirklich Schutzbedürftige würde allerdings auch für diese Länder bestehen bleiben.

… wir haben ja das Fachkräftezuwanderungsgesetz

Seehofer beschwichtigt sogleich damit, dass es ja nun ein Fachkräftezuwanderungsgesetz gäbe, das einen legalen Weg ermöglicht. Nun weiß man allerdings, wie dieses Gesetz beschaffen ist und dass es keineswegs nur Fachkräfte aus beispielsweise den Maghrebstaaten einlädt. Wobei die Frage hier zwingend erlaubt sein muss, welche „Fachkräfte“ das überhaupt sein sollen, wer beispielsweise in Marokko eine Fachausbildung nach deutschen Standards und wo absolviert haben soll. Aber genau diese strenge Anforderung weicht das Fachkräftezuwanderungsgesetz auf. Also geht die Tür Asyl zu – und die nächste auf. Das ist Berliner Dialektik. Die wird so natürlich nicht erklärt, warum ein Gesetz für das Gegenteil des vermeintlich beabsichtigten gemacht werden muss. Dies wird zu einer Art Spezialität der GroKo und findet vermutlich die Ursache darin, dass die CDU was vorführen will, was die SPD nicht mag und deshalb die Gesetze etwas bewirken und gleichzeitig auch das Gegenteil.

Ungewohnt unsicher in Ausdrucksweise und Formulierung erklärt Seehofer den Vorteil des Fachkräftezuwanderungsgesetzes: Es sei auch sehr gerechtfertigt,

„Dinge, wo asylfremde Begründungen angegeben werden eben zu unterbinden sein. Also „Ja“ zu diesem Gesetz, kann ich nur empfehlen, das wird uns viele Probleme – übrigens auch die Probleme, die die Länder und die Kommunen in unseren Landen haben – lösen und auf der anderen Seite die Eröffnung eines legalen Zuwanderungsweges für Fachkräfte die wir ohne Zweifel in der deutschen Volkswirtschaft brauchen.“

Was für eine Mischung aus Merkel-Sprech, hörbarer Hilflosigkeit und einem für einen deutschen Innenminister erschreckenden Fatalismus. Nein, das alles muss man nicht mehr verstehen wollen.

Ziele nur ansatzweise erreicht?

Es folgt der Oppositionsführer. Alice Weidel mag nicht, Alexander Gauland ist wohl noch ganz erschöpft von seinem Auftritt gestern Abend bei Maybrit Illner, also bekommt mit Lars Hermann ein „Hinterbänkler“ der AfD eine Chance. Hermann war sächsischer Polizeibeamter und Hauptkommissar der Bundespolizei. Er bestätigt zunächst, dass die AfD dem Antrag zustimmen wird. Zumindest diese Partei hat also keine Schwierigkeiten damit, von Fall zu Fall auch einmal einem Antrag des politischen Gegners zuzustimmen. Hermann zieht aber gleich wieder die ganz große Einigkeit zurück, als er betont, dass das erhoffte Ziel dieses Gesetzes „leider nur im Ansatz erreicht“ werde. Auch dazu hätte er sich schon „an diesem Pult und im Ausschuss den Mund fusselig geredet.“ Er erklärt es aber gerne noch einmal: So wäre es unstrittig, dass man nach diesem Gesetz Asylverfahren „recht flott“ abschließen könne. Aber dann wäre schon Schluss, denn ein abgelehnter Asylantrag würde eben keine automatische Ausreise zur Folge haben. Deutschland – das Land der scharfen Gesetze, die nicht umgesetzt werden. Meint er das?

Den Vergleich mit den Balkanstaaten findet Hermann naiv. Die erste Spitze geht also an den Innenminister. Zwar seien die Asylantrage aus den Balkanländern merklich zurückgegangen, aber die Bereitschaft der Balkanländer, ihre Landleute zurückzunehmen, sei ja vorhanden, Rückübernahmeabkommen geschlossen und Identitäten geklärt. Die Flieger seien bei den Abschiebungen voll bis auf den letzten Platz und auch diverse Rückkehrprogramme seien vorhanden. „All das existiert mit Ausnahme Georgiens bei den Magreb-Staaten nicht.“

Und Hermann meint auch zu wissen, warum das alles so lange dauert bei der Bundesregierung:

„Wer drei Monate braucht um den tunesischen Behörden ein kleines Zettelchen mit dem Versprechen abzuringen, den Leibwächter von Osama bin Laden nicht zu foltern, so das dieser nicht wieder nach Deutschland zurückgeholt werden muss, zeigt doch auf ganzer Linie die erschreckende Inkompetenz und Unfähigkeit der verantwortlichen Entscheidungsträger. Vor allem im SPD geführten Außenministerium.“

Die Rundumsorglosalimentierung staatlicher Transferleistungen wären den betreffenden abgelehnten Asylbewerbern auch weiter garantiert und die, die aus Versehen doch abgeschoben werden, wären binnen kürzester Zeit wieder hier „und dann geht der Spaß von vorne los“. Die Bundesregierung wisse das,
aber anstatt Rückführungen zu intensivieren, würde aus illegal legal gemacht. Das nennt man dann „Spurwechsel“. Hermann weiter:

„So werden geradezu inflationär Duldungen ausgestellt und aus vollziehbar Ausreisepflichtigen werden plötzlich dringend benötigte Fachkräfte und zufällig präsentiert dann auch noch Arbeitsminister Heil ein passendes Fachkräftezuwanderungsgesetz indem genau dieser Personenkreis künftig die Duldung gegen eine offizielle Aufenthaltserlaubnis tauschen können.“

SPD will Einwanderer vor Enttäuschung schützen

Im Anschluss spricht mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Helge Lindh ein Wuppertaler Germanist einen merkwürdigen Satz, den wir hier ebenfalls in Länge abbilden wollen:

„Zur Ehrlichkeit in der Migrationspolitik, die wir dringend brauchen, genauso dringend, wie die Nüchternheit“ gehöre es eben nicht, falsche Hoffnungen zu wecken, teilweise gingen ja ganze Familienvermögen verloren, das die Menschen „all dieses unternehmen in der Erwartung, hier als Asylberechtigte Anerkennung zu finden und gerade das dann nicht erleben können. Das erzeugt Enttäuschung, das erzeugt Frustration und ist sicher nicht integrationsförderlich.“

Nun gut, aber wozu sollte man auch abgelehnte Asylbewerber integrieren, wenn die Rückführung ansteht? Auch das ist dann kontraproduktiv und also „nicht förderlich“. Und ein Gesetz ist eigentlich nicht dazu da, weltweite Erwartungen auf Migration und Integration in Deutschland zu erfüllen. Aber Deutschland ist wohl ein Wünsch-Dir-was-Land mit der Verpflichtung, alle Hoffnungen zu erfüllen.

Die FDP erinnert daran, dass es aktuell dreiunddeißig Länder gäbe, deren Schutzquote unter fünf Prozent läge. Die Abgeordnete Linda Teuteberg meint, dass die Anerkennung Georgiens und der Magrebstaaten doch nur ein Minimalziel sein könne, gemessen am Regierungsprogramm der Bundesregierung.

Die auf ihre Rede folgende Abgeordnete Ulla Jelpke muss an der Stelle zunächst mal hervorgehoben werden für ihre unermüdliche Arbeit in Sachen „Kleine Anfragen“ an die Bundesregierung. Ihr Büro ist ganz sicher ein gehöriger Stachel im Fleisch der Gemütlichkeit des Bundeskabinetts. Aber damit ist dann schon Schluss mit lustig, wenn Jelpke erklärt, ihre Partei sei selbstverständlich gegen die Anerkennung der sicheren Herkunftsländer, die heute beschlossen werden soll.

Angela Merkel hat sich zwischenzeitlich mit ihrem Fraktionsvorsitzenden Ralph Brinkhaus zum ungezwungenen Arbeitsgespräch in die leeren hinteren Reihen des Hauses zurückgezogen.

Die Täuschung der Öffentlichkeit durch die Grünen

Und dann darf noch mit Luise Amtsberg die dritte Frau in der Runde ans Pult. Die Grüne müsste nun eigentlich erklären, wie es sich damit verhält, was Michael Sauga heute für Spiegel-Online (!) so sarkastisch aufgeschrieben hatte:

„Woran erkennt man gewiefte Oppositionspolitiker? Sie verstehen es, ohne Skrupel „haltet den Dieb“ zu rufen. Niemand führt das derzeit überzeugender vor als Annalena Baerbock, die Co-Chefin der Grünen. Kurz vor Weihnachten verlangte die Politikerin, dass der Rechtsstaat bei abschiebepflichtigen Mehrfachtätern „konsequent durchgreifen“ müsse. Das klang nach Wolfgang Bosbach. Doch wenn der Bundestag heute Länder wie Algerien, Tunesien oder Marokko zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt, wird Baerbock bekräftigen, dass ihre Partei das Vorhaben im Bundesrat zu Fall bringen wird. Wie sagte schon Norbert Blüm? „Der Vorteil der Opposition ist, dass sie Fragen stellen kann, die sie nicht beantworten muss.““

Erwarten wir also mal gespannt, was die Abgeordnete Amtsberg dazu zu sagen hat. Sie bescheinigt der FDP-Abgeordneten gleich mal provokativ ein „Lehrstück für Populismus“ abgeliefert zu haben. Den gleich folgenden Protest bei der FDP kommentiert Amtsberg so: „Man, nun komm, das könne sie ab.“ Ja, das soll dann so der lockere grüne Stil sein, der nur immer dann leider schnell ins Hysterische abdriftet, wenn die Kritik gegen die eigene Haltung substantiell wird. Austeilen ja, einstecken nein. Aber dann anderen die Opferrolle zuschreiben wollen.

Jürgen Trittin wird kurz eingeblendet, das Sonnenlicht aus der hohen Kuppel herunter bringt sein schütteres Haar fast unnatürlich zum Strahlen, er lächelt, hat versonnen seinen Kopf in die Hände gelegt und na klar, er hat schon recht, diese Luise Amtsberg nicht lieb zu haben, würde schon einen echten Kraftakt bedeuten, trotzdem wollen wir es versuchen.

Populisten sind eben immer die Anderen

Als Grüne reklamiert sie für sich, ihre Partei müsste „die Komplexität der Debatte eben darstellen“, so mache es sich die Union leicht, diese Länder zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, ihre Partei hingegen würde schauen, warum diese Länder eben das genau nicht sind.

Darf man das fragen: Ist das Humanismus und Rechtsstaatlichkeit oder schon fehlender Patriotismus? Populismus ist es auf alle Fälle.

Und weiter in Richtung der Union, der SPD und der FDP:

„Nur weil etwas schwer ist zu erklären, ja, heiß es nicht, das wir den einfachen Weg gehen und aus Angst vor Diffamierungen unser Fähnchen nach dem Wind richten. Darauf könne sie sich verlassen.“

Luise Amtsberg bemängelt insbesondere, dass die Regierung den Bürgern „vorgaukeln“ würde, dass diese Anerkennung Georgiens und der Magreb-Staaten als sichere Herkunftsländer das Potenzial hätte, Probleme zu lösen.

Da allerdings dürften theoretisch auch die AfD-Abgeordneten applaudieren wenn auch aus anderen Beweggründen. „Ich finde das wirklich schmutzig“, so Amtsberg weiter. „Wir reden hier über einen verschwindet geringen Anteil der Schutzsuchenden in Deutschland.“ Die Zahl der noch anhängenden Asylverfahren von Menschen aus diesen Ländern hätte sich um 85 Prozent reduziert, die Zahl der Abschiebungen hingegen verzehnfacht.

„Also hören sie doch bitte auf, diese Frage zur Schicksalsfrage hochzujagen.“ Aber was sind eigentlich die Schicksalsfragen der Grünen, möchte man zurückfragen? Diese Antwort bleibt uns Amtsberg schuldig und wir wissen nun: Das Schicksal des einen kann uns berühren, das des anderen völlig gleichgültig sein. Und dafür müssen wir dieses Land gedanklich noch nicht einmal verlassen, dafür können wir aus grüner Perspektive ganz bei den Leuten bleiben, die schon länger hier leben.

Schlusswort der Grünen: Ihre Haltung hätte „nichts mit Ideologie zu tun“, „wir finden es einfach falsch“. Gelächter im Saal. Antwort Luise Amtsberg: „Ich wusste ja, dass sie da wieder aufgeregt werden. Aber ich hatte ein bisschen Sorge, dass sie nicht wach werden bei meiner Rede, aber das ist scheinbar doch gelungen.“

Jürgen Trittin strahlt. Und strahlt. Und applaudiert länger als alle anderen.

Der Bundestag stimmte anschließend für die Einstufung der Maghreb-Länder Algerien, Marokko und Tunesien sowie von Georgien als sichere Herkunftsstaaten.

Der Bundesrat muss noch zustimmen. Dann findet die Scharade um die GroKo-Gesetze, die das Gegenteil des Erklärten bewirken, ihr erneute Aufführung.

(Es gilt das gesprochene Wort)