Tichys Einblick
Abwertung des echten Mahnmals

Üble Effekthascherei mit Holocaust-Mahnmal: Wie weit darf man gehen?

Eigentlich sollte selbstverständlich sein: Echte Mahnmale dürfen nicht als Blaupausen für Agitationszwecke missbraucht werden.

Screenprint:ZDF/3sat Kulturzeit

Björn Höcke, seine Frau und die vier Kinder leben in Bornhagen im Eichsfeld. Aktuell sind Fotos seines Privathauses, eine ehemalige Pfarrei, in den Medien aufgetaucht. Noch Mitte 2016 verbot das Verwaltungsgericht Weimar eine Demonstration der Antifa mit Namen „Straight to hell! – Weg mit den Braunzonen, weg mit der AfD!“ die vor Höckes Haus stattfinden sollte.

Selbst der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linkspartei kommentierte damals, dass es seiner Ansicht nach keine „Demonstrationen vor privaten Wohnhäusern von Amts- und Mandatsträgern“ geben dürfe.

Aber die Realität hat diese eigentliche Minimalforderung längst eingeholt: Aktuell macht eine selbsternannte „Sturmtruppe zur Errichtung moralischer Schönheit“ [1] , das „Zentrum für politische Schönheit“ dadurch auf sich aufmerksam, dass sie konspirativ ein Nachbargrundstück Höckes anmietete und dort 24 Beton-Stelen errichteten quasi als Außenstelle des Berliner Holcaust-Mahnmal, das ja aus 2.711 Stelen besteht. Höcke soll so täglich an das Denkmal erinnert werden. Der nämlich hatte das Denkmal für die ermordeten Juden Europas „Denkmal der Schande“ genannt und willfährig damit gespielt, dass so ein doppeldeutiger Satz [2] Raum für Interpretationen lässt. Höcke hatte im Januar 2017 auf einer Veranstaltung der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative (JA) in Dresden gesagt: „Wir Deutschen sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“ Aber was ist hier nach Höcke die Schande? Der Holocaust an sich ja wohl. Oder doch die Errichtung des Denkmals?

Besagtes „Zentrum für politische Schönheit“ reagierte nun auf dieses Redefragment, indem es Höckes Privathaus mit Blick auf sein ganz privates Denkmal der Schande ausstattete. Aber nicht nur das: Das Zentrum [3] installierte gleich noch einen „Zivilgesellschaftlichen Verfassungsschutz, Landesverband Thüringen“, der Björn Höcke nach Selbstbekunden der Gruppe direkt aus der Nachbarschaft umfangreich bisher schon über zehn Monate observiert haben soll. Weil das Bundesamt für Verfassungsschutz Björn Höcke – so wie die AfD insgesamt – nicht beobachte, laufe an dessen Wohnort nun „die aufwendigste Langzeitbeobachtung des Rechtsradikalismus in Deutschland.“, erklärt man stolz. Eine Forderung an den AfD-Politiker lautet: Höcke müsse vor dem neu errichteten Denkmal auf die Knie fallen, wie einst Willy Brandt in Warschau. Wenn er das täte, werde „die zivilgesellschaftliche Überwachung vorerst eingestellt“.

Wie kommt irgendjemand auf die perfide Idee, eine neue Stasi gegen Rechts aufzubauen? Weil sich der thüringische Verfassungsschutz in Sachen NSU zu sehr verstrickt hätte? Oder kam die Empfehlung etwa gar von einer ehemaligen Inoffiziellen Mitarbeiterin der Stasi? Die Ex-Stasi-Mitarbeiterin Anetta Kahane jedenfalls gratulierte dem Zentrum zum Amadeu-Antonio-Preis 2015 mit folgenden Worten:

„Das Zentrum für Politische Schönheit hat durch seine Arbeiten neue Maßstäbe in der Kunst gesetzt. Seine einfallsreiche Provokation, seine Stringenz und sein universell humanistischer Zugang zu DEM Thema unserer Zeit haben die Jury überzeugt. Wir gratulieren zum Amadeu Antonio Preis!“

Christian Carius (CDU), Präsident des Thüringer Landtags findet heute: „Die Gesamtaktion des ‚Zentrums für politische Schönheit‘ hat nichts mit Kunst zu tun. Das Abhören und Ausspionieren von Abgeordneten und ihren Familien gleicht den Zersetzungsmethoden der Staatssicherheit.“

Nicht zufällig übrigens erinnert so eine Aktion wie vor Höckes Haus methodisch an den Aktionismus etwa der Identitären Bewegung, an deren Besetzung des Brandenburger Tores oder etwa an die Charter eines Schiffes zur Observation der NGO-Schiffe auf dem Mittelmeer. Allen drei Aktionen gemeinsam: lange geplant und akribisch durchgeführt. Die Rechten berufen sich explizit auf die erste Generation linker Spontis. Interessant ist doch hier, dass heute eine radikale Linke den Aktionismus der Spontis der 1960er und 70er Jahre erst wieder von den neuen Rechten um Martin Sellner neu lernen muss oder sich an viel intelligentere Aktionen des Aktionskünstlers Christoph Schlingensiefs anlehnen möchte. Um damit dann in der Nachbarschaft Höckes auf eine Weise zu scheitern, die sogar dem SPIEGEL zu weit ging, der titelte: „Trotzdem daneben“.

Autor Christoph Twickel allerdings greift dann im Text auf eine Weise daneben, die geeignet ist, gleich auf die Geisteshaltung der ganzen Redaktion zu verweisen, denn schließlich wird so ein Artikel mindestens noch vom Chef vom Dienst gegengelesen, der die Freigabe erteilte auch für solche Sätze Twickels: „(I)n der Tat ist es legitim, Holocaust-Leugner und Neonazis in ihrem privaten und beruflichen Umfeld zu outen, um ihnen dadurch das bürgerliche Leben schwerer zu machen.“

Wie aber dann umgehen mit einem wie Höcke, wenn man denn meint, dass ein besonderer Umgang vonnöten sei? Womit beginnen, wenn es um Björn Höcke geht? Nochmal alle Zitate aus den missverständlichen und unsäglichen Reden und Schriften wiederholen? Nein, bestimmt nicht. Oder eine klare Abgrenzung vornehmen, so dass bloß nicht der Verdacht entsteht, man ginge zu milde mit einem um, mit dem umzugehen eine Aufgabe ist, an der sich die politische Klasse offensichtlich jetzt schon seit Jahren die Zähne ausbeisst?

Gerade erst zeigte 3sat eine erstaunliche Dokumentation über die Neue Rechte. Erstaunlich, weil in einem anderen Sound als vieles, was man sonst so präsentiert bekommt. Fast ohne erhobenen Zeigefinger, ganz nah dran an den Protagonisten, ohne sich dabei gemein zu machen mit der Sache der anderen. Arno Frank, eine der fleißigsten Bienchen bei Spiegel Online gerät fast ins Schwärmen über die Arbeit der Filmemacher Katja und Clemens Riha an „Die rechte Wende“. Die beiden hätten überhaupt nicht „kommentierend“ eingegriffen.

So ganz stimmt das nicht. Denn ein auf erschreckend naive Weise Dialektik-ferner Politikwissenschaftler Hajo Funk kommentiert hier stellvertretend. Satz für Satz ein tiefer Sturz ins Banale. Nein, so kann man, wenn man das möchte, neurechte Argumente ganz sicher nicht neutralisieren.

Nun äußert sich auch Götz Kubitscheks regelmäßige virtuelle Publikation „Sezession“ zur Aktion des Zentrums für politische Schönheit. Aber Kubitschek, der ein Freund Höckes ist, schreibt nicht selbst, er lässt seinem neurechten Autor Martin Lichtmesz den Vortritt. [4] Der befindet nun: „Zielscheibe ist nicht nur Höcke selbst, sondern sein privates Leben, sein alltägliches soziales Umfeld, seine Familie, seine Frau, seine Kinder …“

Das allerdings bestreitet Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit überhaupt nicht. Solche Einwände lässt er nicht gelten: „Gegen Nazis wenden wir nur Nazimethoden an.“ Nun muss allerdings, wer Nazimethoden in Deutschland anwendet, mit der ganze Härte des Rechts rechnen. Sind die „Künstler“ wirklich darauf vorbereitet? Suchen Sie gar so eine Opferrolle, die der AfD so oft unterstellt wird, wenn es um Klagen über linke Übergriffe geht? Offensichtlich war genau das Ziel der Aktion: Aktuell brüstet man sich in den sozialen Medien mit einem Anruf eines offensichtlich schwer verstörten Mannes, der sich als „AfD-Totenkopfstandarte“ vorstellt und wüste Drohungen gegen das Zentrum ausspricht. „Wir sind vieles gewohnt“, jammert man via Facebook, „auch die hundert Mordmails, die seit vorgestern früh hier eingetrudelt sind. Aber jetzt ermitteln Kriminalpolizei und Staatsschutz gegen Höckes beste Freunde!“

Radikale bekämpfen Radikale. Und alle Seiten wollen maximale Aufmerksamkeit. Nun hat allerdings die AfD, hat Höcke den Marsch durch die Institutionen bereits erfolgreich angetreten und vollendet. Höckes AfD sitzt mit acht Abgeordneten und 10,6 Prozent der Stimmen im Landtag und auf Bundesebene zog die Partei mit 12,6 Prozent und über 90 Abgeordneten in den Bundestag. Eine Antifa-Partei gibt es in keinem der Parlamente. Für die Antifa sitzen derweil erst ein paar Stellvertreter im Parlament, die der Sache der radikalen Linken das Wort reden.

Ebenso, wie das Familienministerium die Amadeu Antonio Stiftung unterstützt [5], die wiederum das „Zentrum für politische Schönheit“ preisauszeichnet, die sich nun als deregulierte private Stasi-Behörde vor Höckes Haustür verdingt.

Die jüdische Landesgemeinde nannte die Aktion übrigens bisher nur „gut gemeint, aber schlecht gemacht“. Der Gemeinde-Vorsitzende Reinhard Schramm ergänzte gegenüber dem MDR, „Familie und Privatleben des AfD-Politikers sollten Tabu bleiben“. [6] Der Zentralrat der Juden in Deutschland wollte bisher keine Stellungnahme zu dem Fall abgeben.

Das ist deshalb bedauerlich, weil die Aktion vor allem eines fortsetzt, was irgendwie seltsam im öffentlichen Raum untergeht: Echte Mahnmale dürfen nicht als Blaupausen für Agitationszwecke missbraucht werden.


Quellenhinweise:

[1] https://www.politicalbeauty.de/

[2] https://www.welt.de/politik/deutschland/article161286915/Was-Hoecke-mit-der-Denkmal-der-Schande-Rede-bezweckt.html

[3] http://www.amadeu-antonio-preis.de/w/files/pdfs/amadeu-antonio-preis/laudatio-zps-anetta-kahane.pdf

[4] https://sezession.de/57485/zps-vs.-bjoern-hoecke:-totalitaere-verschaerfung

[5] http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wir-ueber-uns/partner/

[6] http://www.deutschlandfunk.de/zentrum-fuer-politische-schoenheit-kritik-an-mahnmal-vor.2849.de.html?drn:news_id=818905

https://www.zdf.de/kultur/kulturzeit/mahnende-protestaktion-100.html