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Tagesspiegel: Vom mühsamen Weg der Wahrheitsfindung in der Flüchtlingsfrage

Auch wenn es offensichtlich dauert, eins und eins zusammenzuzählen, aber dann gilt auch für den Tagesspiegel: Icke, icke bin Berlina, wer mir haut, den hau ick wieda.

© Clemens Billan/AFP/Getty Images

Das selbstgestellte Motto des Tagesspiegels lautet: „rerum cognoscere causas“, also: Die Ursachen der Dinge erkennen. Nun könnte man denken, dass Unternehmen sich solchen individuellen Claims verpflichtet fühlen. Und tatsächlich hält der Tagesspiegel ausgerechnet in der Frage der Massenzuwanderung Wort. Wenn auch mit einer gewissen Verzögerung – klar, ein seriöses Medium darf sich gern einmal etwas mehr Zeit nehmen, wenn es der Wahrheit dient, wenn es eben darum geht, die „Ursachen der Dinge“ zu erkennen.

Konkret hat man sich vom ersten Weihnachtstag 2015 bis heute Zeit gelassen. Also etwas mehr als zwei Jahre und über eine tägliche Berichterstattung hinweg, die solche Fragen besprach, wie jene, wie Flüchtlinge einen besseren Zugang zu Berliner Universitäten bekämen.

Weihnachten 2015: Damals bot der Tagesspiegel dem sozialdemokratischen ehemaligen Berliner Innensenator Ehrhart Körting Raum, zu erklären, warum uns Angela Merkel hilflos in Chaos führt. Körting befand schon damals, dass Merkels „Wir schaffen das!“ nur eine Sprechblase sei und dass die Kanzlerin einen „Teil der rechtsstaatlichen Organisation aus falsch verstandener Humanität außer Kraft gesetzt“ hätte. Die staatliche Organisation der Bundesrepublik Deutschland hätte über Wochen zigtausendfach versagt. Die Arbeitsplatzfrage würde die nächste Katastrophe offenbaren. „Entgegen aller Schönrederei ist der Großteil der Flüchtlinge in unseren Arbeitsmarkt nicht kurzfristig integrierbar.“

Und was machte der Tagesspiegel daraus? Immerhin lag nun die Einschätzung des Fachmanns vor, den man sich als Kommentator leistete. Und die lautete unmissverständlich: „Die meisten Flüchtlinge kommen aus Gebieten mit einem völlig anderen Verständnis von Grundwerten und Demokratie. Sie kommen mit einer völlig anderen Vorstellung von Solidarität und öffentlichem Eigentum zu uns. Und sie haben Familienvorstellungen und ein Frauenbild, das uns schaudern lässt.“

Jetzt hätte also die Arbeit des Tagesspiegel gemäß ihres Leitbildes „rerum cognoscere causas“ beginnen müssen. Aber wenn, dann muss das irgendwie im Hintergrund passiert sein: Denn in dieser Zeit des Nachdenkens über die Nachricht des Innensenators freute man sich noch darüber, das sich die Bundesregierung einen Teil der Flüchtlingskosten, die in Deutschland entstehen, bei der OECD als Entwicklungshilfe anrechnen lassen kann oder man entschuldigte die Kriminalität unter Flüchtlingen mit den Zuständen in den Unterbringungen.

Aber das alles ist Schnee von gestern, ist Tagesspiegel-Geschichte. Ja, der Groschen ist direkt in die Redaktion gefallen: Nachdem man die ungeheuren Vorwürfe des ehemaligen Innensenators über zwei Jahre hatte sacken lassen, nun das ultimative Outing der Berliner Blattmacher: Der Tagesspiegel mag nicht mehr mitsingen im medialen Jubelchor einer schrumpfenden Refugees-Welcome-Bewegung. Und weil man sich nun so lange Zeit gelassen hatte, ist man bereit, es deutlicher zu sagen, als andere: Integration von Flüchtlingen wird in Berlin zum Angstraum.

Der Tagesspiegel hat vor Ort recherchiert, war mit einem 18-Jährigen Bikinimädchen am Wannsee, als die auf „vier arabischstämmige junge Männer“ traf, die sie laut als „Schlampe“ beschimpften, wie sie denn so herumlaufen könne. Der Tagesspiegel begleitete eine 60-jährige Frau, die mit ihrem Mann im Park spazieren ging und dort „von einem arabischstämmigen jungen Mann gefragt wird, ob sie mit ihm im Gebüsch Sex haben möchte.“ Der Tagesspiegel ging mit einem 48-Jährigen Ur-Berliner durch seine Stadt, als der sich von arabischstämmigen jungen Männern ansatzlos als „gottloser Hurensohn“ beschimpfen lassen musste. Was für Spaziergänge!

Erzählte Begegnungen, die der Tagesspiegel zum Anlass nahm für ein erstes Fazit: „Einzelfälle? Es gibt viele dieser Einzelfälle in der Stadt.“ Zwar hätten Beleidigungen von Deutschen schon immer zum Alltag gehört, „auf dem Fußballplatz, auf der Straße, in der Kneipe“, aber „seit zwei, drei Jahren ist diese Akzeptanz geschmolzen, jetzt sind Unbehagen und Angst viel intensiver Teil des gefühlten Alltags. Die Aggressivität hat zugenommen, gefühlt bei vielen Einzelfällen. Und dieses Gefühl hat auch mit dem Zuzug der Flüchtlinge zu tun.“

Und der Tagesspiegel beginnt nun auch, Statistiken anzuzweifeln: Mit Zahlen könne man viele positive Entwicklungen belegen. Nicht erfasst aber seien hier jene Straftaten, die erst gar nicht angezeigt wurden. Und auch die Aufklärungsquote würde in Berlin weiter sinken.

Arnold Mengelkoch, der Migrationsbeauftragte des Bezirksamts Neukölln wird befragt und befindet, „dass die Leute ein Gefühl von Angst und Unsicherheit haben“. Mengelkoch selbst hätte beobachtet, wie am Alexanderplatz zehn arabischstämmige junge Männer ohne Warnung auf Polizisten losstürmten, „erkennbar krawallwillig“. Und Mengelkoch weiß noch mehr: Viele der jungen Männer seien mit Gewalt aufgewachsen; „in Syrien ist es normal, dass Lehrer Schüler prügeln. Viele Flüchtlinge haben ein Frauenbild, bei dem der Mann die Regeln bestimmt. Wer kein Kopftuch trägt, gilt als Sexualobjekt.“ Viele Flüchtlinge würden schnell herausfinden, „dass die Polizei zwar viel kontrolliert, aber das Ganze aktionistisch wirkt.“

Die Liste der Zeugen für die Tagesspiegel-These „Angstraum Berlin“ wird Zeile für Zeile länger: Da ist dann auch noch die Schulleiterin einer Brennpunktschule mit sehr hohem Migrationsanteil, die aus ihrer leidigen Praxiserfahrung heraus gegenüber der Zeitung befindet: „Wir sind auf dem Weg ins Mittelalter.“

Gewissermaßen das Fazit sprechen lässt der Tagesspiegel wieder Arnold Mengelkoch, den Migrationsbeauftragten: „Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass eine neue Welle von Gewalt auf uns zukommt.“

Der Tagesspiegel 2018 also ein ganz anderer Tagesspiegel? Einer, der gewillt ist, der Ursache der Dinge wieder mehr auf den Grund zu gehen? Naja, nah genug dran sind sie ja. Auch wenn es offensichtlich dauert, eins und eins zusammenzuzählen, aber dann gilt auch für den Tagesspiegel: Icke icke bin Berlina, wer mir haut, den hau ick wieda.