Tichys Einblick
Nach den Ausschreitungen

Stuttgarter Einzelhändler: Beim Rolexladen waren die Scheiben zu dick

Die Opfer der Gewaltnacht von Stuttgart waren neben Polizisten vor allem die Inhaber der demolierten und geplünderten Geschäfte. Einige von ihnen haben TE berichtet.

imago images / Arnulf Hettrich

Randale und Plünderungen in Stuttgart am Wochenende. In ganz Deutschland und noch weit über die Grenzen hinaus staunt man und berichtet. Wer aber ist wirklich betroffen? Es sind die Ladenbesitzer, die Kleinunternehmer und Filialleiter in den Straßen, in denen randaliert wurde. TE hat mit Betreibern bzw. ihren Mitarbeitern gesprochen.

Einige Aussagen der Betroffenen decken sich mit dem, was die Nachrichten uns erzählen, aber es lohnt sich, dort hinzuhören, wo diese Stuttgarter offen über die Ereignisse und die Situation in ihrer Heimatstadt sprechen, wo sie, wie beispielsweise ein Gesprächspartner, auf fast rührende Art und Weise die Weltoffenheit ihrer Stadt immer wieder betonen ebenso, wie das Vertrauen in die Bürger, die das alles schon wieder gemeinsam hinbekommen werden. Wir haben diese recht offenen Gespräche in der Abbildung anonymisiert.

Einer Verkäuferin merkt man den Erzähldruck gleich an, sie redet zwar mit immer noch angespannter Stimme davon, dass ihr Geschäft zu den betroffenen gehört, muss sich dann aber leider zurücknehmen und auf ihre Geschäftsführerin verweisen, die aber zur Zeit nicht im Geschäft anwesend war.

Aber schon der nächste Gesprächspartner bietet sich ein paar Läden weiter an. Er betreibt nicht nur den Ladenverkauf, sondern macht auch einiges an Onlinegeschäft, es gibt daher weniger Kundenverkehr und also Zeit für ein paar Antworten auf dringende Fragen.

TE: Waren sie betroffen?

Wir liegen in der Straße, wo es richtig abgegangen ist.

Braute sich denn da schon so etwas zusammen in der Zeit davor? Gibt es hier eine kriminelle Szene am Tage oder in der Nacht?

Also was das angeht, ist Stuttgart eine relativ biedere Stadt, weltoffene Stadt. Auch für Touristen aus den benachbarten europäischen Ländern. Dewegen war das ja so ein Schrecken für uns.

TE: Eine Überraschung? Nichts was darauf hingedeutet hätte?

Also im Prinzip hat sich das schon angebahnt. Zwar nicht in dieser krassen Weise, wie es dann eskaliert ist, aber es hat sich über Wochen angekündigt, weil die nirgends rein konnten die jungen Leute. Das haben halt ein paar genutzt und dieser Funke der Drogenkontrolle hat das Fass dann zum Überlaufen gebracht.

TE: 500 Leute sind eine Hausnummer, samt Diskussion um Nationalitäten und so weiter …

Viele haben ja auch einen deutschen Pass. Aber wenn sie einen Migrationshintergrund haben, das darf ja offiziell von der Polizei nicht wahrgenommen werden. Die müssen ja immer politisch korrekt bleiben.

TE: Hat die Polizei oder die Stadt im Vorfeld etwas schleifen lassen?

Ach, das waren doch die ärmsten Schweine, die sie da Sonntagnachmittag vor die Kamera gezerrt haben. Da haste gemerkt, die waren alle noch … die mussten sich sortieren. Das war die erste Pressekonferenz. Jetzt, gestern oder heute bekommen die das so langsam auf die Reihe, können das sortieren und auch bewerten.

TE: Welche negativen Auswirkungen der Ausschreitungen befürchten Sie?

Wir sind da etwas vorne dran, weil wir auch Online verkaufen und so weiter, unser Geld generieren können.

TE: Wie sieht es mit der Migrations- und Zuwanderungsproblematik aus? Hat sich da aus ihrem Blickwinkel seit 2015 eine neue Aufgabenstellung für die Stadt und die Bürger ergeben?

Mit Sicherheit gibt es in Stuttgart auch Problemviertel, wo das alles ein bisschen deftiger ist. Aber nicht wie z.B. in Berlin, München oder Hamburg. Da ist es ja eine ganz andere Qualität noch einmal. Das hat uns schon überrascht, was hier passiert ist.

TE: Wo kamen diese bis zu 500 Leute her, was könnten Sie dazu sagen? War übertrieben oder untertrieben, was man da im Fernsehen gezeigt bekam?

Das war realistisch und das ist ja in Zeiten von Social Media auch kein Thema mehr. Die haben WhatsApp-Gruppen, wenn da einer reinschreibt: „Kommt!“, das ist ja für die eine Einladung zur Randale. Und dann waren die angetrunken und enthemmt und dann ist das eskaliert.

TE: Warum wird da auf der polizeilichen und politischen Ebene so um Nationalitäten geschangelt wie auf dem Pokertisch?

Das ist zum einen besagte politische Korrektheit aber auch, weil wir einfach noch nicht mehr wissen. Heute haben wir erst Dienstag, da muss erst einmal eine Bestandsaufnahme gemacht werden. Das wird noch ein paar Tage dauern, dann werden die schon konkret sagen, was war und dann werden auch noch mehr dazukommen, die sie dingfest machen.

TE: Gibt es denn schon so eine Art Tatort-Tourismus um die Geschäfte herum?

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Ja, haben wir auch schon. Ich persönlich fühle mich jetzt sicher. Klar ist das auch noch ein bisschen surreal und man braucht ein paar Tage, um das einzuordnen, aber das Tagesgeschäft geht ja weiter und ich bin jetzt erst einmal auf das nächste Wochenende gespannt. Da wird es sicher noch einmal ein mulmiges Gefühl geben. Mit den direkten Nachbarn habe ich schon Gespräche geführt, aber man sieht es ja auch von den Handyaufnahmen, dass die teilweise über den Geschäften von den Balkonen herunterfilmen – das wurde ja mittlerweile fast weltweit ausgestrahlt. Und wenn man da hauptsächlich Migranten sieht, das ist ja die Kehrseite der Medaille. Die Polizei in Stuttgart schaut sich das sehr ruhig an, analysiert es, bewertet es und es werden mit Sicherheit dann auch einige Festnahmen erfolgen.

TE: Ist das schwieriger in einer grün regierten Stadt?

Nee, mir haben ja keinen typischen Grünen. Auch der Ober-OB ist ja kein typischer Grüner und der Landesvater ja sowieso nicht. Und deswegen sind die ja auch mit der CDU zusammen. Das ist eine sehr fortschrittliche, weltoffene Regierung, die wir hier haben.

TE: Sie meinen, dass man so ein Refugees-Welcome-Gefühl schon mit einer stringenten Polizeiarbeit zusammenbringen kann?

Muss! Es sind alle willkommen, aber es gibt schon bestimmte Spielregeln, an die dann sich jeder halten muss.

TE: Aber wie schwer kann es werden, dem Bürger nach solchen Ereignissen beispielsweise klar zu machen, dass man über Organisationen wie Seebrücke noch mehr Zuwanderung haben will?

Dazu habe ich bisher noch nicht so das Feedback bekommen, aber wer weiß, solche Stimmen hat es ja schon immer gegeben, die wird es auch weiter geben. Aber die sind gottseidank in der Minderheit. Es darf aber nicht zu oft passieren. Weil sonst sind wir hier irgendwann auch mal dicht und sagen: Bleibt uns mit euren ganzen Leuten fern. Aber da sind wir noch weit von entfernt. Momentan sind alle geschockt. Und wenn jetzt nicht weiter was kommt und vor allem gute Konzepte kommen für die nächsten Tage, dann kriegen wir das Kind schon wieder geschaukelt.

TE: Danke Ihnen für das Gespräch.

Ein weiterer jüngerer Gesprächspartner findet sich wieder ein paar Geschäfte weiter in der gleichen Straße, der geschäftsbedingt eher mit älteren Kunden zu tun hat.

TE: Waren Sie und ihr Geschäft unmittelbar betroffen von den Ausschreitungen?

Wir sind tatsächlich einer der einzigen Läden, die nicht betroffen sind. Bei allen Läden um uns herum wurde irgendwas zerstört. Unser Laden wurde warum auch immer verschont.

TE: War es so, wie in den Handyaufnahmen gezeigt?

Das waren bestimmt 400 Leute, es gab sogar Helikoptereinsätze über der Straße. Aber grundsätzlich ging es gar nicht ums Klauen bei denen. Es war einfach nur die pure Zerstörung. Der Wolleladen um die Ecke, da wurde das komplette Schaufenster zerstört. Wenn es ums Klauen gegangen wäre, hätte es bei uns fast noch mehr Sinn gemacht. Denn man klaut ja keine Wolle.

TE: Sind Sie denn so ein Problemviertel?

Also hier auf der Marienstraße sind nur die ganzen – ich nenne es mal – Penner, aber Problemviertel eigentlich gar nicht. Auch das Gerber ist ja recht schön und das hier sind ja schon die Vorläufer der Schoppingmeilen der Stadt. Die haben ja sogar versucht in eine Rolexladen reinzukommen, die haben dafür sogar die Wegplatten aus dem Boden rausgenommen und gegen die Scheiben geworfen, aber das sind sie nicht reingekommen. Etwas weiter runter ist ein Juwelier, da haben sie auch Platten gegengeworfen, aber da sind sie gerade einmal durch zwei Schichten Sicherheitsscheiben durchgekommen, weiter ging es dann nicht. Das Schwierige ist doch, die Leute beziehen das Problem in Amerika mit der Polizei auf die Situation in Deutschland.

TE: Was für Randalier waren das? Was wissen sie darüber?

Die Leute, die direkt bei uns festgenommen wurden, davon hatten nur drei einen Migrationshintergrund, der Rest waren alles Deutsche.

TE: Nun sieht man auf den Videos hauptsächlich Migranten …

Das soll jetzt nicht rassistisch klingen, aber solche arabischen Großgruppen sind halt einfach immer in Gruppen in der Stadt unterwegs. Verwandt vielleicht, das weiß man nicht. Dann wird eine Person kontrolliert und dann behauptet einer, die Polizei benehme sich rassistisch und dann sind gleich dreißig weitere zur Stelle. Und so etwas geht dann schnell mal ziemlich schief. Die aus arabischen Ländern sind nun mal eher größere Familien. Und deswegen, wenn die dann halt in der Stadt unterwegs sind, dann fühlen sich automatisch alle angegriffen.

TE: Warum glauben Sie, sind die dann gewaltbereiter?

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Eigentlich gar nicht, jedenfalls bisher hier in Stuttgart nicht. Das muss ganz sicher etwas mit den Ereignissen in den USA zu tun haben. So nach dem Motto: Warum machen wir nicht auch eine Plünderung hier? Was ich halt gar nicht verstehe, dass man auf Läden geht, die keine Kette sind, sondern die sich selber alles aufgebaut haben und die dann mal komplett zerstört. Das kann ich nicht nachvollziehen, wie man so wenig Verständnis für seine Mitbürger haben kann.

TE: Haben sie das Gefühl, dass die Stuttgarter Stadt und die Polizei hier gut arbeitet?

Also es ist hier in Stuttgart leider schon ein bisschen so, dass die Leute hier unzufrieden sind, wie sich die Polizei benimmt. Ich glaube daraus her kommt einfach viel von dieser Aggression. Und wenn da vierhundert Leute unterwegs sind, die fühlen sich da schon sicherer. Dazu kommt diese Corona-Vermummung, die zusätzlich Anonymität gibt. Die Zahl der Randalierer ist schon krass, aber noch krasser, weil es hier so etwas zuvor noch nicht gegeben hat. Das hat hier alle geschockt.

TE: Was denken Sie über die Zukunft hier?

Das wird sein zunächst wie in jeder anderen Stadt. Aber hier wird es eine einmalige Sache bleiben, diese Hoffnung habe ich. Wir werden zukünftig besser auf so etwas vorbereitet sein.

Die geführten Gespräche zeigten neben der Bereitschaft zu erzählen vor allem aber eine große Ambivalenz. Die Frage, woher teilweise die Zuversicht kommt, bleibt ebenso unbeantwortet, wie die Erkenntnis noch fehlt, aus welchen gesellschaftlichen Verwerfungen letztlich diese Eskalation stammen. Ein Gesprächpartner war deutlich jünger, auch davon schienen die Standpunkte geprägt. Und es mag auch der zufälligen Auswahl geschuldet sein, aber was als Haupteindruck zurückbleibt, ist das Gefühl, dass einfach nicht sein soll, was nicht sein darf. Was passiert ist, ist passiert und wird nicht wieder passieren. Den Betroffenen ist zu wünschen, dass sie damit Recht behalten und sich ihren Stuttgarter Optimismus erhalten. Den teilen sie ja letztlich mit ihrem Ministerpräsidenten, welcher heute der Meinung ist, das hätte niemand kommen sehen. Wirklich nicht?

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