Tichys Einblick
Das Medienwort zum Neuen Jahr

Standpauke von Mathias Döpfner: „Auswüchse der Hybris“ in Medienbranche

Döpfner lässt nicht zu, den Fall Relotius als Einzelfall abzutun, sondern stellt klar: „(E)ine große Chance zur Katharsis. Der Fall geht die gesamte Medienbranche an, nicht nur eine Zeitschrift.“

© Getty Images

Mathias Döpfner twittert nicht. Als Vorstandsvorsitzender von Axel Springer SE wäre das auch merkwürdig, persönliche Standpunkte in ein unternehmensfernes Medium einzuspielen, wo es doch im eigene Hause ausreichend Leinwände gibt, auf denen man sprechen und einem größeren Publikum stellen kann.

Und Döpfner wuchert nicht mit seinen Pfründen. Er macht das ganz geschickt und nutzt entweder das ausklingende Jahr, um über scharf gewürzte Meinungsartikel ein persönliches Resümee zu ziehen oder, wie gerade geschehen, den Jahresbeginn 2019, um einen Marschbefehl an u.a. die Medienschaffenden für die kommenden zwölf Monate loszuwerden.

Ende 2017 beeindruckte der 56-Jährige gebürtige Bonner mit einer Arbeit, die unter der Überschrift stand: „Die Unterwerfung vor dem Islam hat begonnen.“ Damals nannten wir Döpfner „Gralshüter der Meinungs- und Deutungshoheit in Deutschland“, aber sein Schwert scheint noch spitzer geworden, sein Blick auf die Welt noch ein wenig offensiver, wenn er jetzt in einem Interview mit den dpa-Journalisten Esteban Engel und Sven Gösmann mit dem Fall Relotius eröffnet, nur, um im Folgenden der Branche einmal akkurat den Kopf zu waschen und dabei die kontaminierten Faconschnittfrisuren der Kollegen zu bemängeln.

Falls das zusammengeht: seriös und erfrischend sind Döpfners sparsame Wortmeldungen immer.

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Nun also hat sich Mathias Döpfner in seiner 2019er Jahresantrittsansprache mit dem Titel „Luftgewehr der Fantasie“ den SPIEGEL vorgenommen. „Luftgewehr der Fantasie“, darauf muss man erst mal kommen, als Pendant zum „Sturmgeschütz der Demokratie“, als das sich der Spiegel in seinen besten Jahren selbstbewusst verstand. Die Lesedauer dieses Stückes wird von Döpfners hauseigener  Welt mit außergewöhnlichen „15 Minuten“ angegeben. Begleitet wird das Interview von einer Fotocollage aus zwei Porträts: Rechts Döpfner, links Relotius, der Jüngere wie der Ältere mit zurückgegelten Haaren, aber selbst der ältere Döpfner viel zu jung, um noch ein Elvis-Fan der ersten Stunde gewesen sein zu können.

Döpfner spricht hier als Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), der gleich zu Beginn eine schonungslose Aufarbeitung des Skandals fordert und vor falscher Branchensolidarität warnt:

„Man sitzt auf dem hohen Ross und beschreibt in schöner, fast literarischer Sprache die Welt, wie sie sein soll. Haltung ist oft wichtiger als Handwerk, Weltanschauung wichtiger als Anschauung. In einem solchen Klima gedeiht Erfindung.“

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Ja, das könnte man alles etwas farblos und trocken finden. Doch in dieser gegenwärtigen Welt der Faktenverdreher, der zwanghaft prosaischen Nachricht, ist Döpfners staubtrockene Analyse wie selbstverständlich en vogue. Die große Kunst besteht bei ihm darin, seine Rolle als Leitfigur dieses großen Konzerns auszufüllen und dennoch den Eindruck zu hinterlassen, da schwinge etwas bedeutsam Rebellisches mit in jedem aktuellen Statement.

Döpfner ist kühn genug, den Fall Relotius bis zu Springer herüber zu ziehen:

„(E)ine große Chance zur Katharsis. Der Fall geht die gesamte Medienbranche an, nicht nur eine Zeitschrift.“

Nur einen Tag nach diesem Interview titelt die Bild-Zeitung zur Kritik des Handballers Kretzschmar „Darf man nicht mehr sagen, was man denkt?“ Nicht zufällig werden so auch die Druckerzeugnisse Springers gegenseitig aufgeladen. So wird heute eine übergreifende, aber auf den Spingerkonzern konzentrierte Relevanz erzeugt, in der BILD die erste Geige spielt und die ganz große Trommel.

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Für Döpfner ist eines ganz klar: Der Fall Relotius „ist ja wesentlich schlimmer als die Hitler-Tagebücher.“ Und er fragt sich, wie das gehen soll, wie man denn in Zukunft mit anderen Enthüllungen umgehen will. Wer das dann noch ernst nehmen könnte, wenn harte moralische Maßstäbe an anderen angesetzt würden „und schnell nach personellen Konsequenzen gerufen“, dann aber im eigenen Haus nach Relotius die Zähne im Glas bleiben. Und Döpfner bricht eine Lanze für die gute alte Lokalzeitung: „Es mag schon sein, dass die Bodenständigkeit einer Lokalzeitung für solche Auswüchse der Hybris weniger anfällig ist.“

Und weil es ja hier um den Jahresauftakt geht, bleibt es nicht bei einem Thema. Die Interviewer möchten wissen, wie der Chef von Springer zu Aktionen wie den Twitter-Hashtag #Nazisraus steht. Da lässt sich Döpfner nicht lange bitten und meint, durch solche Aktionen würden sich zunehmend ein intolerantes Meinungsklima und eine intellektuelle Unfähigkeit herauskristallisieren, mit anderen Meinungen sowie unterschiedlichen Auffassungen weltoffen und zivilisiert umzugehen.

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„Es ist traurig, wenn sich ausgerechnet Journalisten so eine Haltung zu eigen machen und mit einem solchen Spruch obendrein den Nationalsozialismus verharmlosen, damit den Holocaust minimieren und ahistorisch kontextualisieren. Im übrigen: Nazis müssen nicht raus, also woanders hin, sondern ganz verschwinden. Aber nicht jeder, der eine andere Meinung hat, ist ein Nazi.“

Döpfner twittert nicht. Er findet die Idee sogar absurd, „dass der Vertreter einer Medienmarke rein privat twittern oder auf Facebook posten.“ Und er stellt weiter klar: „Ein Chefredakteur oder Redakteur ist dort keine private Person. Deshalb wird viel zu schnell geschrieben, was am Ende der Marke abträglich ist. Am Ende dienen diese Aktivitäten allenfalls der Person, sehr selten dem von ihr vertretenen Medium. Ich empfehle allergrößte Zurückhaltung, wenn nicht gar vollkommene Enthaltsamkeit.“

Hier dürfte es in den nächsten Wochen hochinteressant zu beobachten sein, wie sich die so Angesprochenen bei Springer verhalten werden: Der Vorwurf, die Konzernmarken durch privates twittern möglicherweise zu beschädigen, ist ein gravierender.

Und der Boss über hunderte von Journalisten richtet einen Appell an die Branche: „(M)it einer Lebenslüge müssen wir aufhören: dass die viel beschworene Zeitungskrise durch technologischen Wandel verursacht ist. Das stimmt nicht, das ist ein Alibi.“ Für Döpfner ist die Krise der Zeitungen und Zeitschriften und die Krise des Journalismus im Wesentlichen eine intellektuelle, eine inhaltliche Krise. Es hätten sich bestimmte Geisteshaltungen in Verlagen und Redaktionen eingenistet „und dazu geführt, dass es zu einer tiefen Entfremdung zwischen Leserinnen und Lesern und den journalistischen Angeboten gekommen ist.“

Zuletzt nähert sich Mathias Döpfner noch jenen Kritikern an, die
in letzter Zeit aufmerksamer schauen, welche Kooperationen die Öffentlich-Rechtlichen zukünftig mit Zeitungen ins Auge fassen, wenn es beispielsweise darum geht, einen Videoaustausch zu etablieren: Es sei hier darauf zu achten, dass der öffentlich-rechtliche Sektor und der private Sektor immer getrennt bleiben und es keine Vermischungen und Wettbewerbsverzerrungen gibt: „Sonst fragt man, wer profitiert eigentlich noch von den Gebühren.“

Die Recherchekooperation zwischen NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung mag dafür ein prominentes Beispiel sein. An ihrer Spitze als Leiter der Kooperation steht mit Georg Mascolo ein weiterer großer Junge der Medienbranche. Der war ein halbes Jahrzehnt lang Chef des Spiegels. Hier wird also auf hohem Niveau gestritten und Mathias Döpfner hatte gerade eine aufmerksamkeitsstarke Neujahrsansprache vorgelegt.


P.S. der Redaktion: Dass praktisch alle Versatzstücke Döpfners in TE-Beiträgen mehrfach inhaltsgleich zu finden sind, ermuntert uns.