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Was noch alles?

Stalking-Gesetz gegen Majestätsbeleidigung?

Kein geeigneter Lösungsansatz ist die Forderung nach einem Zweiklassenrecht, nach einem neuen Gesetz gegen ein ominöses Politiker-Stalking.

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Politiker-Stalking, ist das so etwas wie Präsidentenbeleidigung des kleinen Mannes? Wenn es nach dem Deutschen Städte- und Gemeindebund geht, soll Politiker-Stalking jetzt als Straftatbestand eingeführt werden. Deren Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg nämlich forderte die Bundesregierung zu einem entschlossenen Vorgehen gegen die zunehmende Bedrohung kommunaler Mandatsträger und Mitarbeiter auf. Nun gibt es allerdings längst eine Art Stalking-Paragrafen. Den so genannten Nachstellungsparagrafen 238. Laut Landsberg gibt es hier allerdings eine Strafbarkeitslücke, die geschlossen werden müsste.

Landsberg führt den Begriff „Hasskriminalität“ ein, das deutsche Pendant zum US-amerikanischen hate crime. Vom hate speech (Hass-Sprech) also zum hate crime. Leider kennt das deutsche Strafrecht so eine Form der Kriminalität aber überhaupt nicht. Allenfalls als Neuerung und Bestandteil des Netzdurchsetzungsgesetzes des Justizministers Heiko Maas zur Kontrolle der Massenempörung auch gegen seine Politik im Internet. Die Angelegenheit ist also terminologisch unklar, aber man kann sagen, dass sich der ziemlich junge Begriff Hasskriminalität bisher dort verortet, wo sich kriminelle Handlungen gegen eine bestimmte klar definierte Zielgruppe richten. Gegen Juden, gegen Schwule und bestimmte Volksgruppen. Beispielhaft könnten hier die Kriegsverbrechen während des Kosovo-Konfliktes sein.

Wenn nun also Gerd Landsberg als Reaktion auf den des Messerangriff gegen den Altenaer Bürgermeisters Hollstein Maßnahmen gegen Hasskriminalität fordert, möchte er Politiker in ihrer Funktion als Politiker in eine Reihe stellen mit verfolgten spezifischen Gruppen und Minderheiten. Nur was hat bitte hat das mit Stalking zu tun? Laut Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebund hat die Hasskriminalität gegenüber kommunalen Politikern massiv zugenommen. Hier allerdings würden ihm sicher auch viele Politiker der AfD in den Kommunen zustimmen, die er eventuell nicht gemeint haben könnte. Die Welt titelte schon Mitte 2016 ein „Erschreckendes Ausmaß der Gewalt gegen die AfD“.

Gefördert übrigens möglicherweise auch noch aus dem Familienministerium, wie die WELT mutmaßte: „Brandanschläge, Schmierereien, Drohungen: Nach Attacken auf die AfD wurden mehr als 800 Anzeigen gestellt. Mögliche Antifa-Täter könnten von Fördergeldern des Familienministeriums profitiert haben.“ Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch stand beispielweise zeitweise „unter Personenschutz des Landeskriminalamtes“. Und bis so eine Maßnahme ergriffen wird, muss schon einiges an Hasskriminalität im Wortsinne passiert sein. Gab es damals irgendeine Forderung des Deutschen Städte- und Gemeindebund?

Politik statt Recht
Höchstamtlich: „Hasskriminalität“ ist kein juristisches Kriterium (oder doch?)
Tatsächlich forderte man schon im Februar 2016 ein „Bündnis für mehr Sicherheit“. Man untertitelte allerdings bereits denkbar ungenau, als man wieder Hasskriminalität und Politikerstalking miteinander vermengte: „Sicherheitspaket von Bund und Ländern notwendig – Aktionsplan gegen Hasskriminalität – Politikerstalking unter Strafe stellen“. Gemeinsam mit der Freiherr von Stein Akademie wurde ein Gutachten erstellt und vorgestellt. Hier ist die Rede von verbalen Angriffen aus der Anonymität der Fernkommunikation heraus. Hasskriminalität per Definition ist das jedoch noch nicht. Wer ist betroffen? Von AfD-Politikern ist hier keine Rede. Wohl eher im Gegenteil: „Viele der Angriffe haben einen rechtsextremen Hintergrund, wobei auch andere Gruppen mit anderem Hintergrund, wie etwa radikale Tierschützer gelegentlich eine Rolle spielen, was Informationen aus der Praxis zeigen.“ Linksradikale Hasskriminalität gegen Politiker? Fehlanzeige beim Deutschen Städte- und Gemeindebund. Tierschützer, ja, die schon. Das Gutachten kommt zu dem Schluss: Es gibt Strafbarkeitslücken. Beleidigungen seien durchaus „vom strafrechtlichen Schutz umfasst, die viel häufigeren Drohungen jedoch überwiegend nicht.“ Diffuse Drohungen seien nach geltendem Recht nicht strafbar. Das will man ändern. Und man schlägt die Einführung eines §238a StGB vor, der so benannt wird: „Nachstellung gegenüber Amts- und Mandatsträgern“.

Hier soll nun tatsächlich unter Strafe gestellt werden, wer „unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte privat Kontakt zu ihm (Amts- und Mandatsträger ) herzustellen versucht.“ (Punkt 2) Weiter soll bestraft werden, wer für solche Politiker Waren bei Amazon bestellt. Im Wortlaut: Wer „unter missbräuchlicher Verwendung von dessen personenbezogenen Daten Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen für ihn aufgibt.“ Weitere genannte Punkte sind wiederum vom Strafrecht bereits abgedeckt. Eine Luftnummer? Wir fassen zusammen: Die Empörung des Geschäftsführers mag sich zwar spontan am Fall Andreas Hollstein entladen, hat aber im Hause Deutscher Städte- und Gemeindebund eine Vorgeschichte.

Fraglich auch, ob Politiker der AfD den gleichen Weg eingeschlagen hätten, wie es jetzt Gerd Landsberg stellvertretend für kommunale Politiker erledigt. Die er im Übrigen überhaupt nicht vertritt. Als Geschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes vertritt er allenfalls die Interessen der kommunalen Selbstverwaltung gegenüber Bund und EU.

Und nein, Andreas Hollstein wurde ganz sicher nicht gestalkt. Er wurde verletzt von einem Messer am Hals. Bei dem Angriff auf den Bürgermeister von Altena gehen die Ermittler nun von einer Spontantat aus. Spontan hin oder her: die Staatsanwaltschaft wertet den Angriff als versuchten Mord. Ja, man kann auch spontan morden. Außerhalb von Kriegen passieren die überwiegenden Morde spontan. Nach Einschätzung des Bürgermeisters in der Talkshow „Maischberger“ entging er nur deshalb schlimmeren Verletzungen oder wurde deshalb nicht getötet, weil zwei Döner-Imbiss-Angestellte zur Hilfe eilten und man den Messerangreifer so mit vereinten Kräften abwehren konnte. Hollstein zitierte bei Maischberger den Täter: „Ich bringe dich um, du gibst mir nichts mehr zu trinken, hast 200 Ausländer in die Stadt geholt.“

PR statt Journalismus
Maischberger: Politische Instrumentalisierung einer Gewalttat
Die Angelegenheit mit dem abgestellten Wasser wird bereits ausgiebig in den Medien und sozialen Netzwerken diskutiert. Was allerdings kaum thematisiert wurde, ist die Aufgabe Hollsteins bei den Stadtwerken Altena. Er ist dort als Bürgermeister der Stadt einer von zwei Geschäftsführern. Die Gesellschafter der Stadtwerke sind zu 75,1 Prozent die Stadt, die übrigen Anteile gehören der Mark.-E AG (Hagen). Ursächlich für die laut Ermittlungsstand Spontantat des arbeitslosen Maurers könnte also mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit auch die Funktion Hollsteins bei den Stadtwerken gewesen sein, die ihm das Wasser abgestellt haben. Hass spielte hier sicher eine Rolle. Aber Hasskriminalität im Sinne von hate crime gegen Politiker oder Politiker einer bestimmten Partei dürfte hier nicht im Spiel gewesen sein.

Wenn nun also beispielweise die Badische Zeitung fragt „Wird „Politiker-Stalking“ eigene Straftat?“ und sich dabei auf Aussagen Gerd Landsbergs beruft, dann geht das an dessen Forderungen vorbei. Das deutsche Strafrecht deckt umfangreich alle hier genannten Straftaten ab. Den Verfolgungsbehörden wird ein breites Instrumentarium an die Hand gegeben, wenn sie es denn auch anwenden würden. Es ist tatsächlich so: Was der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes hier in einer Art spontaner Empörung in Übersprungshandlung fordert, ist nicht weniger, als ein Zweiklassenstrafrecht.

Ja, Politiker stehen nun Mal im Rampenlicht. Sie suchen sogar ganz bewusst und immer wieder die Nähe zum Volk, also zum Wähler. Aber nicht nur Landsberg, auch der Angegriffene selbst, der Bürgermeister Andreas Hollstein meldete sich in eigener Sache umfangreich zu Wort. Nicht nur bei Maischberger, auch gegenüber der ZEIT mahnte er, die „Verrohung unserer Gesellschaft“ ernster zu nehmen. „Ich habe zusehen können, wie sich das Verhältnis zwischen Wählern und Gewählten gewandelt hat“, sagt der 54-jährige Bürgermeister von Altena, der seit den 90er Jahren in der Kommunalpolitik arbeitet. „Es hat sich eine Haltung breit gemacht nach dem Motto: Wir sind dagegen – und deshalb ist alles legitim.“

Bei vollstem Mitgefühl für das Opfer darf eines nicht unerzählt bleiben: Gerade Hollstein selbst hat sich in der Vergangenheit immer wieder massiv als Verbündeter der Zuwanderungspolitik Angela Merkels präsentiert. Noch Mitte 2016 legte er einen verstörenden religiösen Übereifer an den Tag, als er gegenüber dem Deutschlandfunk äußerte: „Ich kann nur dafür beten, dass die Kanzlerin den Kurs, den sie hält, weiter hält.“ Er wolle seinen Kindern kein Europa übergeben, an denen Menschen an Zäunen verhungern. Nun mag sich der Bürgermeister auf sein Altena beschränken, für die Geschicke Europas sind sicher andere Instanzen zuständig.

Die Stadt Altena nahm mehr Zuwanderer auf, als sie musste. Und man brachte sie schnell in Wohnungen unter anstatt in Lagern. Hollsteins selbst befand damals dazu: „Die eigenen vier Wände sind wichtig. (…) So stellen wir jeder Wohngemeinschaft auch einen sogenannten Kümmerer oder eine Kümmerin zur Seite. (…)Es gibt ja auch Deutsche, die wir vielleicht gar nicht so gerne in Deutschland haben, aber mit denen müssen wir leben.“

Der Messerattentäter sollte laut Meldungen der Presse seine Wohnung räumen. Ihm wurde sogar das Wasser abgestellt. Um die Maßnahme durchzusetzen? Bei Maischberger erinnerte der Justizminister Heiko Maas daran, dass derjenige, dem man das Wasser abgestellt hat, wohl seine Rechnung nicht bezahlt hätte. Ja aber warum hat die Stadt dem Mittellosen die Rechnung eigentlich nicht bezahlt, wie anderen auch? Meldete der Mittellose nicht rechtzeitig oder gar nicht seinen Anspruch an? Und wo waren hier die städtischen „Kümmerer“?

Sicher hat auch das im Mikrokosmos Altena dazu beigetragen, dass sich das Verhältnis zwischen Wählern und Gewählten gewandelt hat. Nein, es soll hier sicher auch nicht darum gehen, eine kriminelle Straftat zu entschuldigen. Hier geht es ganz klassisch um die Ursachenforschung. Um die Frage, wie man so einen Angriff hätte verhindern können. Und auch das darf man dem Opfer leider nicht ersparen, zu einem späteren Zeitpunkt, nach strenger Verurteilung des Täters nach dem Strafgesetzbuch, darum, nachzufragen nach möglichen Versäumnissen als Bürgermeister, als Geschäftsführer der Stadtwerke.

Überhaupt kein geeigneter Lösungsansatz jedenfalls ist die Forderung nach einem Zweiklassenrecht, nach einem neuen Gesetz gegen ein ominöses Politiker-Stalking. Denn wenn wir den Begriff Stalking etwas weiter fassen, dann hat der Bürger sogar das gute Recht, wenn nicht sogar die originäre Aufgabe, gewählten Politikern genau auf die Finger zu schauen. Nur wählen gehen reicht nicht. Aber selbstverständlich können auch am Wahltag Problemlösungen auf den Weg gebracht werden.