Tichys Einblick
Belit Onay

Sohn türkischer Gastarbeiter ist neuer Oberbürgermeister von Hannover

Die Vorschuss-Lorbeeren von Medien für Belit Onay muss er sich erst noch verdienen, indem er sich als Anwalt aller Bürger von Hannover erweist. Bislang ist er eher durch Kontakte zu muslimischen Organisationen mit sehr zweifelhaften Zielen aufgefallen. Kann er dies ablegen?

imago images / localpic

Hannover? Wenn einer in irgendeiner deutschen Großstadt Oberbürgermeister werden will, dann wohl am allerwenigsten in Hannover. Die niedersächsische Hauptstadt hat leider in vielerlei Hinsicht wenig zu bieten. Einige Bürger sind aber noch aus ganz anderen Gründen verstört darüber, dass in ihren Augen der falsche Mann ins Amt des Oberbürgermeisters von Hannover gewählt wurde: Die Sozialdemokraten, weil der Gewählte nach siebzig Jahren kein SPD-Parteibuch mehr in der Tasche hat, sondern ein Grüner ist. Konservative, weil Belit Onay, so heißt der neue OB von Hannover, nicht dem christlich-abendländischen Kulturkreis entstammt. Und Rechte werden sich empören, schon deshalb, weil Onay Sohn türkischer Gastarbeiter ist und also aus keiner deutschen Familie stammt.

Zweifellos ist die Wahl Onays zunächst einmal eine Erfolgsgeschichte einer gelungenen Integration, wenn es schon in der zweiten Generation gelungen ist, nicht nur in Deutschland Fuß zu fassen, sondern hier das höchste Amt einer Landeshauptstadt für sich zu erobern. Das schafft man nicht aus einer Parallelgesellschaft heraus. Der studierte Rechtswissenschaftler (Uni Hannover) Onay ist damit erster türkischstämmiger Deutscher, der Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt wird. Und er ist erst der vierte Grüne, der nach Freiburg, Darmstadt und Stuttgart in dieses hohe Amt gewählt wurde.

Eine in mehrfacher Hinsicht also bemerkenswerte Geschichte. Die allerdings nicht davon befreit, auch kritisch auf diese Wahl zu schauen, wenn beispielsweise die Welt entgegen ihrer eigentlichen journalistischen Aufgaben unkritisch und schwärmerisch auf diese Wahl schaut und Sätze schreibt wie diese: „Hoch gewachsen, schlank, ein Landtagsabgeordneter mit Bart, schon angegrautem Haar, sonorer Stimmlage. (…) Erster Eindruck dennoch: eher cool als fad. Als Kandidat fehlerfrei.“ Fehlerfrei? Also eine Jesusfigur mit muslimischen Wurzeln? Schauen wir mal.

Zunächst einmal ist Onay als Sohn von Türken der Situation im Herkunftsland seiner Eltern auf besondere Weise verbunden und äußert sich auch entsprechend, wenn er beispielsweise die politische Entwicklung in der Türkei scharf kritisiert und Deutschland auffordert, sich einzumischen: „Ein Teil der Türkei will sich wandeln, das müssen wir von Deutschland unterstützen.“ Für Hannover hieße das, so Onay weiter, die Zivilgesellschaft in der Türkei müsse weiter unterstützt werden. Ebenso möchte er als Oberbürgermeister verfolgten Kurden in Hannover eine Plattform geben. „Wir müssen Foren für Journalisten und Künstler schaffen, damit ihre Stimme nicht versandet.“

Onay definiert sich nicht in erster Linie als „türkischstämmig“ (richtig wäre „türkeistämmig, denn Kurden sind nicht als „türkischstämmig“). Mit seiner Positionierung zu Gunsten der Kurden und gegen die Türkei bezieht er Stellung und trägt dazu bei, dass der Konflikt zwischen Kurden und der Türkei in Deutschland und insbesondere Hannover zur Innenpolitik wird. 

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Die Interessen des neuen OB sind demnach auch im besonderen Maße von seiner Herkunft geprägt und ebenso verhält es sich mit seiner Religion. Er sei ein liberaler Muslim, heißt es, er bezeichnet sich selbst als „moderater Muslim“. Das soll beruhigen. Aber schon alleine die Tatsache mag beunruhigen, dass es in Deutschland nicht nötig oder üblich ist, beruhigend zu erwähnen, man wäre ein „liberaler Christ“, wenn man ins Oberbürgermeisteramt oder sonst wo einzieht, so wie es eigentlich auch nicht erwähnenswert ist, dass man überhaupt einer ist. Statt fortschreitender Säkularisierung erlebt Hannover also eine Rückkehr zum Glaubensbekenntnis.

Kommen wir zur politischen Biografie des Hannoveraners, für die sich die Medien bisher merkwürdigerweise kaum interessiert haben. So scheint sich niemand daran zu stören, dass Belit Onay nichts daran fand, als niedersächsischer Landtagsabgeordneter 2016 Vertreter der ATİB zu empfangen, der Avrupa Türk-İslam Birliği, einem Dachverband türkisch-islamischer Kulturvereine mit Sitz in Köln, entstanden als Abspaltung der rechtsextremen Auslandsvertretung der Grauen Wölfe. Lediglich die Linksjugend empörte sich damals, woraufhin der Grüne eine Art Rechtfertigung veröffentlichte, in der er daran erinnerte, dass diese ATİB doch sogar Ansprechpartner Niedersachsens wäre, wenn ATİB Mitglied der Schūrā sei, dem Landesverband der Muslime, der in Niedersachsen „kein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes“ wäre. Und auch das Foto des Abgeordneten und seiner Besucher, das anschließend auf der Internet-Seite von ATİB erschien, wusste Onay zu erklären: „Zum Abschied baten die Jugendlichen mich um ein Gruppenfoto. Dass dieses Foto nun auf der Seite des Bundesverbandes der ATIB veröffentlicht wird, ist mehr als irreführend.“

Was der Politiker hier vergessen machen wollte war, dass er sich zuvor schon persönlich vehement für diesen Staatsvertrag mit der Schūrā eingesetzt hatte. So betonte er bei einer Podiumsdiskussion dass sich seine Partei „für den Staatsvertrag eingesetzt hatte und bis zum Schluss auch darum gekämpft habe.“

Den Medien war dieses Treffen zwischen islamistischen Faschisten und dem türkischstämmigen Landtagsabgeordneten damals keine Meldung wert – aber auch als Onay sich um den Posten des Bürgermeisters bewarb, wurde seine politische Arbeit medial nicht beachtet. Alles wurde überlagert von der Pressevermeldung der Möglichkeit, dass hier erstmals ein Sohn türkischer Gastarbeiter das hohe Amt für sich erobern könnte. Der erste migrantische Bürgermeister Deutschlands. Das alleine macht ihn offensichtlich „fehlerfrei“ für beispielsweise die Welt. Und es soll hier auch nicht darum gehen, ein Haar in der Suppe zu finden, wenn große Teile der Perücke schon reingefallen sind. Nein, hier geht es schlicht um eine journalistische Sorgfaltspflicht, auch diesen Kandidaten entsprechend sorgfältig zu betrachten und dann zu berichten, was man herausgefunden hat.

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Es gibt auch noch weitere Kontakte Onays zu zweifelhaften Organisationen islamreligiöser Herkunft. Das mag zunächst nicht verwundern, immerhin war der neuen Oberbürgermeister von Hannover in der Grünen-Landtagsfraktion „Sprecher für Innenpolitik, Kommunalpolitik, Migration und Flüchtlinge, Sport, Netzpolitik und Datenschutz sowie Ansprechpartner für islamische Verbände.“ Da ist ein multipler Kontakt Gebot der Stunde. Aber befreit ihn das von Kritik? Nein, es ist sogar verschärfter Anlass für eine solche, wenn Onay als engagierter Mahner gegen Islamphobie auch ein Millieu schafft, dass Kritik an islamistischen Organisationen erschwert, weil es diese Kritik unter einen Generalverdacht stellt.

So ein Bürgermeisteramt stellt besonders hohe Anforderungen, allen Bürgern einer Stadt gerecht zu werden – demnach wird Onay unter Beweis stellen müssen, dass er seine Klientelpolitik als Anwalt der Muslime entsprechend ausweitet, wenn er auch Anwalt der hier schon länger lebenden Familien sein muss. Als Oberbürgermeister ist Onay zuallererst Deutscher und dann erst Sohn türkischer Einwanderer. Es wird spannend sein zu beobachten, ob er es schafft, alte, zweifelhafte Verbindungen zu lockern oder besser zu lösen. Insbesondere da, wo der Oberbürgermeister religionspolitisch in Erscheinung tritt, gilt es also für die Medien und die Opposition, genau hinzuschauen, anstatt ihm wie die Welt pauschal ein „fehlerfrei“ zu attestieren.

Aber bis dahin gilt eben auch, dass dieses Land und seine Bürger ein bisschen stolz sein dürfen, dass die Integration so erfolgreich war, dass der Sohn fleißig arbeitender türkischer Einwanderer eine solche Karriere hingelegt hat. Und obgleich Belit Onay gleich in zweierlei Hinsicht schwer zu verdauen ist – zum einen als Grüner und zum anderen als Hannoveraner – soll ihm für seinen großen auch persönlichen Erfolg gratuliert und alles gute für die Arbeit der nächsten Jahre gewünscht werden.

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