Tichys Einblick
Richtung Erziehungsdiktatur

Noch mehr Jamaika-Fallen: Recht auf Ganztagsgrundschule

Man spricht von Rechten, wo man Pflichten einführen will. Man nennt Eltern Bildungspartner, wo man sie für unfähig und asozial hält und Ihnen die Hoheit über die Kindererziehung entziehen will. Und man organisiert der Wirtschaft weitere Doppelverdiener.

Lohnt es überhaupt noch, diese Jamaika-Quadratur-des-Kreises zu besprechen? Klar, da sickert immer mal wieder so ein Blitzlichtchen durch aus den Sondierungsgesprächen, aber muss man wirklich über jedes hingehaltene Stöckchen springen, um doch wieder nur über den nächsten Klamauk zu stolpern? Erstaunlicherweise sind sich die Jamaikaner bei den Klamauk-Themen schnell einig. So ist aktuell durchgesickert, dass Union, FDP und Grüne wohl ein Recht auf Ganztagsbetreuung für Grundschüler einführen wollen.

Da dürfen nun alle Eltern jubeln und sich über eine kostenintensive Jamaika-Bildungsoffensive freuen. Über ein Recht auf Ganztagsbefreiung der Eltern von ihren Kindern. Über eine „Politik der wuchernden Rechtsansprüche“, wie es Gerd Held für TE formulierte. Und tatsächlich gibt es viele Eltern, die bereits jetzt händeringend staatlich betreute Lernräume suchen, wo sie ihren Nachwuchs ganztags abgeben können, um endlich aus dieser elenden Hartz-4-Aufstockung herauszukommen, weil Mutti dann statt halbtags nun den ganzen Tag bei Lidl an der Kasse tackern könnte, da Vatis Vollzeitgehalt trotz Mindestlohn und Überstunden vorne und hinten nicht reichen will. Ach, hätte sich Mutti bloß einen schlaueren Vati ausgesucht, aber es musste ja ausgerechnet dieser liebenswerte Tölpel sein.

Ja, da müssen wir bei den Ganztagsgrundschulen ein Geschenk an die deutsche Wirtschaft gleich mitdenken. Solche Geschenke forciert die Wirtschaft übrigens gerne selbst. So implantiert man die immer dicker werdenden Wunschzettellisten selbstbewusst schon in die Jamaika-Sondierungsgespräche mithilfe von unternehmensverwandten pseudowissenschaftlichen Sachverständigenräten wie dem für Integration und Migration GmbH.

Dieser „Sachverständigenrat“ berät die Politik auf Bundes- und Landesebene und wird im Gegenzug gerne mal beauftragt mit Studien und Umfragen. „Ein Politbüro“, wie Necla Kelek schon 2011 in der FAZ feststellte: „Ich bezeichne diesen Rat als Politbüro, weil hier offenbar nicht nur nach wissenschaftlichen Kriterien geforscht, sondern nach ideologischen Kriterien Politik betrieben wird. Forschung als Machtpolitik.“ Involviert ist hier das Who ist Who der deutschen Stiftung wie Mercator, Volkswagen, Freudenberg, Robert Bosch, Vodafone und selbstredend auch die Bertelsmann Stiftung.

Und da wollen wir gleich mal weiterverfolgen, wie der Wunsch nach einem Recht auf Ganztagsbetreuung an Grundschule zum konkreten Gedanken wurde, um sich jetzt als Einvernehmen aus den Jamaika-Sondierungsgesprächen zurückzumelden.

Zunächst einmal gibt es eine zentrale Motivation unserer Jamaikaner für diese Ganztagsbetreuung – die ist allerdings wenig populär: Es geht um Integration von Zuwanderung. Denn in wenigen Jahren könnte der Anteil von ausländischen Grundschülern und solchen mit Migrationshintergrund bereits größer sein, als der von Schülern ohne Migrationshintergrund. Schon 2005 lag beispielsweise der Ausländeranteil an 38 Berliner Schulen bei über 80 Prozent. In Hamburg, so klärte Schulsenator Ties Rabe (SPD) jüngst auf, hätten im Schnitt 46 Prozent der Schüler Migrationshintergrund, in der ersten Klasse sogar 51 Prozent. Bundesweit wären es laut statistischem Bundesamt in den alten Bundesländern 36%, allerdings gilt diese Zahl für alle allgemeinbildenden Schulen, an den Grundschulen sind es noch einmal mehr.

Nun kann niemand ernsthaft bezweifeln, dass Ganztagsgrundschulen ein starkes integratives Moment haben. Der Staat, dem es gelingt, solche Kinder dem Einfluss ihrer Familien mit ihren so unterschiedlichen kulturellen Prägungen zu entfremden, integriert immer besser. Ganztagsschule als Integrationsinstrument ist allerdings hinfällig bei Kindern, die hier bereits in deutschen Familien aufwachsen, die hier über Generationen fest verwurzelt sind. Extra unterrichten? Nein, denn eine Zweiklassengrundschule wäre wiederum kontraproduktiv, würde einem weitergefassten Inklusionsgedanken widersprechen. Lösung: Man klammert die Integration als Hauptmotiv für ein Recht auf Ganztagsbetreuung einfach aus. Es wird nicht drüber gesprochen. Aber wir  wissen, wie schnell aus Rechten Pflichten werden. Abzusehen ist, dass es nicht lange dauern kann, bis Eltern, die dieses Recht auf Ganztagsbetreuung nicht in Anspruch nehmen, als solche Eltern gelten, die ihre Kinder vernachlässigen. Als potenziell Asoziale.

Der Rheinischen Post liegt das Jamaika-Papier zum Recht auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen bereits vor. Und weil so ein Recht eines auf Bundesebene sein soll, will bzw. muss Jamaika gleich noch das „Kooperationsverbot von Bund und Ländern in der Bildungspolitik kippen.“

Eingespart wird auch: Mit der Ganztagsbetreuung entfielen Kosten, die heute schon entstehen, wenn Grundschulkinder nach der Schule in Kinderhorten untergebracht werden, bis Mama vom Lidl zurückkommt oder Vati endlich den Mörteleimer abgestellt hat. 2016 wurden 16,2 Prozent der Grundschulkinder in der Hortbetreuung versorgt.

Die Bertelsmann Stiftung sichert die Jamaika-Entscheidung gleich einmal ab mit einer Umfrage, die ergeben haben soll: „Drei Viertel der Eltern wünschen eine Ganztagsbetreuung.“ Kostenpunkt? Allein an Personalkosten wären das zusätzliche 2,6 Milliarden Euro pro Jahr, wenn 80 Prozent der Schüler ganztags untergebracht werden würden.

Und weil nun Bertelsmann auch den Sachverständigenrat für Integration und Migration GmbH fördert, kommt auch von hier Schützenhilfe und Input für Jamaika. Das hätte man aber besser unter der Decke behalten, denn die nehmen ihrer Aufgabe entsprechend zunächst kein Blatt mehr vor den Mund: „Wie die Studie des SVR-Forschungsbereichs zeigt, gelingt es Ganztagsschulen insgesamt besser als Halbtagsschulen, Eltern mit Migrationshintergrund und sozial benachteiligte Familien einzubeziehen.“ Und weil man Eltern gleich miterziehen will, wird noch eine Schippe draufgelegt: „Allerdings fehlt es an vielen Grundschulen noch an Bildungsangeboten für Eltern.“ Als nächstes also ein Recht der Eltern, staatlich gleich mit erzogen zu werden. Und wann folgt die Pflicht? Noch nicht Margot Honecker, aber am Horizont flackert ein rotes Licht. Man nennt es „Eltern als Bildungspartner“. Das klingt fast widerlich, wenn man um die Motivation weiß. Und wenn das keine Pervertierung des Artikels 6 des Grundgesetzes ist, was dann?

Denn weiterhin gilt ja: Was für die Integration von Immigranten wichtig erscheint, findet automatisch auch Anwendung bei den einheimischen Kinder. Nun gibt es Gott sei Dank sozialbenachteiligte Einheimische, denen man ihr Erziehungsrecht gleich mit absprechen kann, um ihnen dann ersatzweise ein Recht auf Ganztagsgrundschule hinzuhalten.

Und weil nun so ein ganzer Tag Schule noch nicht ausreicht, um staatlich am Kinde zu wirken, verfolgt man die Eltern bis nach Hause. Die Sachverständigen GmbH warnt: „Angebote wie z. B. Bildungsveranstaltungen, die Eltern dabei unterstützen können, ihr Kind zu Hause auch beim Lernen zu begleiten, finden allerdings nur unregelmäßig statt.“

„Insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund und Kinder aus sozial benachteiligten Familien profitieren von einer vertrauensvollen, partnerschaftlichen und aufeinander abgestimmten Zusammenarbeit von Eltern und Schule.“ Oder einfacher ausgedrückt, damit es auch ein Benachteiligter versteht: Wir nehmen die Kinder von Ausländern, von deutschen Asozialen und von nicht mit dem Mainstream kompatiblen Eltern in staatliche 24/7 Obhut und die Kinder der Eliten kommen im Gegenzug in Internate und andere Exzellenz-Privatschulen. Also die Kinder der Studienmacher und natürlich auch die Kinder der Jamaikaner.

Was dabei so ärgerlich macht, ist diese anhaltende Verlogenheit. Man spricht von Rechten, wenn man sie beschneiden will, wenn man Pflichten einführen will. Man nennt Eltern Bildungspartner, wenn man sie für unfähig und asozial hält und Ihnen die Hoheit über die Kindererziehung entziehen will. Und man organisiert der Wirtschaft weiter die Doppelverdiener, anstatt endlich dafür zu sorgen, dass der Alleinverdiener wieder mit geradem Rücken seine Familie ernähren kann.

So stellt sich dann auch die Frage, was passieren würde, wenn diese so stark familiär geprägten Neubürger um diese familienfeindliche Kehrseite ihres Wunsch-Paradieses Deutschland wüssten. Wahrscheinlich würden manche Familien die prekären und menschenfeindlichen Lebensumstände ihrer Heimat fast vorziehen. Denn gekommen waren sie, um ihrer Familienstrukturen zu erhalten und zu festigen durch Einkommen, durch Sicherung der Lebenskosten, durch Überleben. Der Preis dafür könnte höher sein als vermutet. Hier sollen Migranten offensichtlich nicht nur gerettet, sondern über die Kleinsten der Familie gleich neu erfunden werden.