Tichys Einblick
Von wem lernen

Neue Studie: „Schule als Sackgasse? – Jugendliche Flüchtlinge an segregierten Schulen“

Junge Flüchtlinge sollen mehr Kontakt zu gleichaltrigen einheimischen Schülern bekommen. Die Studie sagt, dass es in städtischen Ballungsgebieten diese einheimischen Schüler kaum noch gibt weil demografisch längst in der Minderheit. Und nun?

Symbolbild

© Daniel Roland/AFP/Getty Images

Jungen und Männer wissen das: Mit Vätern und Söhnen, das kann schon mal speziell sein. Etwas allerdings ist dem Autor hier vom Vater hängen geblieben, eine Art Lehrsatz. Und der ging folgendermaßen: „Such Dir Deine Freunde unter denen, von denen Du noch etwas lernen kannst, nicht umgekehrt.“

Nun ist dieser Satz keine aufregend neue Weisheit. Die eigenen Kinder des Autors hörten ähnliche Sätze sogar schon von einer Lehrerin. Einmal wurde einem der Söhne geraten, sich mit bestimmten Jungs nicht mehr länger zu „gruppieren“, diese besser zu meiden, wenn man die Schule erfolgreich beenden will. Und weiter gab es den Rat, sich nicht zu intensiv mit den neuen Flüchtlingsjungs zu befassen, wenn man selbst noch etwas lernen will. Ja, auch solche Lehrer gibt es offensichtlich. Die Sache ist verbürgt, ist passiert.

Ausgrenzung? Eher nicht, denn hier geht es ja um eine Art Extra-Zuwendung, die, so die Lehrerinnen-Empfehlung, aus Eigeninteresse zurückzufahren sei. Nun ist allerdings einer neuen Studie zufolge eben diese Extra-Zuwendung notwendiges Element, wenn Integration der Gruppe der weit über einhunderttausend Jugendlichen Zuwanderern ins deutsche Schulsystem gelingen soll.

Eine Studie der üblichen Verdächtigen. Eine also, die von vorne herein mit Vorsicht zu genießen ist. Wir dürfen das hier so formulieren, weil wir seit einigen Jahren regelmäßig solche Studien besprochen haben und uns dabei alles begegnet ist von einfacher Schlamperei bis hin zu arglistiger Täuschung und einem Lobbyismus, den wir aus den immer voluminöser gewordenen Studien immer aufwendiger extrahieren mussten. Wir gehen also absichtsvoll mit spezifischen Vorurteilen an diese Studie, die wir Ihnen im Folgenden vorstellen wollen. „Erfahrung macht klug“ ist übrigens auch so ein Vater-Sohn-Satz.

Die Studie um die es hier gehen soll heißt: „Schule als Sackgasse? – Jugendliche Flüchtlinge an segregierten Schulen“. Der Absender ist ein sogenannter „Forschungsbereich“ des „Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration“. Vorteilhaft für eine erste Dechiffrierung der Motivation: Die beteiligten Förderer möchten schon auf der ersten Seite zeigen, dass sie Geld gegeben haben. Dieses Mal mit unter den Förderern: Stiftung Mercartor, Volkswagenstiftung, Freudenberg Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Stifterverband, Vodafone Stiftung Deutschland und bei diesen Vertretern des Staates im Staat darf natürlich die Leitstute nicht fehlen: die Bertelsmann Stiftung.

In der Lebensmittelbranche darf man es noch nicht, wir machen es einfach: Wir stellen die Ampel auf rot. Wie sich gleich herausstellen wird, zu Recht. „Schule als Sackgasse? – Jugendliche Flüchtlinge an segregierten Schulen“ Die Studie beruht auf einem Online-Fragebogen mit 45 Ankreuzfragen und 3 offenen Fragen, auswertbar ausgefüllt von gerade einmal 56 so genannter Sprachlehrkräfte einer Bildungsinitiative namens „Teach First Deutschland.“ Fast kleinlaut gesteht man auf Seite 20 im Kleingeduckten ein: „Die vorliegenden Daten (…) können und dürfen allerdings nicht als repräsentativ für die bundesdeutsche Schullandschaft gesehen werden. Gleichwohl ermöglichen sie einen Einblick …“ usw. usf.

Das muss man sich genauer anschauen: Es wurden also nur solche „Lehrkräfte“ über jugendliche Flüchtlinge an deutschen Schulen befragt, die nach Auskunft der Studie „in der Regel kein Lehramtsstudium absolviert haben“ und zum anderen per se schon ein Eigeninteresse haben müssten an einem bestimmten Ergebnis der Studie – letzteres sagen wir, nicht die Studie.

Inklusion oder Mythos der Gleichheit
Die Befragten sind quasi Helfer von regulären Lehrern in Problemklassen, ausgebildet von einer 2007 als Verein gegründeten Organisation, die schon ein Jahr später in eine gGmbH (das kleine „g“ steht hier für steuerbefreit) umgewandelt wurde und über deren Arbeit die Zeitschrift der GEW Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung schrieb, sie „führe dazu, dass reguläre Arbeitsplätze abgebaut würden, da die Fellows (so heißen die Hilfslehrer) mit 1.700 € Bruttoverdienst preiswerter seien als normal bezahlte Lehrer.“

Die Website der gGmbH erklärt es dankenswerterweise schon auf ihrer Startseite unmissverständlich: Diese Fellows genannten Helfer „wollen Veränderung in unserer Gesellschaft bewirken.“ Etliche Stiftungen sind hier aktive Förderer.  Eventuelle Vernetzungen mit den Förderern der Studie würden einen eigenen Artikel benötigen. Bevor es also ausufert, nur soviel: Stiftungen beauftragen Studien, deren Ergebnisse quasi auf Befragungen von Mitarbeitern anderer stiftungsgeförderter Unternehmungen beruhen. Wikipedia hat für diese Form des mit Vorsicht zu betrachtenden Kreisverkehrs eine selbsterklärende Grafik als Warnhinweis erdacht.

Diese Vorgeschichte war notwendig, um die Intention hinter „Schule als Sackgasse? – Jugendliche Flüchtlinge an segregierten Schulen“ noch besser verstehen zu können. Eine Studie, die Staunen und Kopfschütteln verursacht; „segregieren“ bedeutet übersetzt so etwas wie trennen, absondern, abspalten. Der Studie geht es darum, aufzuzeigen, dass dauerhaft getrennte Klassen für Flüchtlinge der falsche Weg seien. Nun gab es schon 2016 Meldungen, das Schulen mit Flüchtlingsanteil aus „Sicherheitsaspekten und Gesundheitsschutz“ getrennte Pausen eingeführt hätten: „In drei Flüchtlingsklassen, die im blauen Baucontainer in der hintersten Ecke des Schulgeländes untergebracht sind, bleiben die Schüler auf ihren Stühlen sitzen. Sie dürfen erst raus, wenn die Gymnasiasten wieder im Unterricht verschwunden sind.“

Vorliegende Studie basiert auf der nicht repräsentativen Rückmeldung von ein paar dutzend engagierten Hilfslehrern, etliche mehr wurden angefragt, antworteten entweder nicht oder lieferten unverwertbare Ankreuzungen. Die letztlich übrig gebliebenen 56 Ankreuzbogen stammen von Hilfslehrern (Fellows), die überwiegend an Gesamtschulen tätig waren.

Fellows, welche gerade erst ihre Tätigkeit begonnen haben, wurden zudem vorab psychologisch auf ihre „Einstellungen“ hin befragt. Wie viele schlussendlich aufgrund der falschen Einstellung für nicht tauglich erklärt wurden, also zum 45-Fragen-Ankreuztest gar nicht erst zugelassen wurden, ist unbekannt. Erstaunlich auf jeden Fall, das von insgesamt über 150 aufgeforderten Mitarbeitern am Ende nur 56 die Fragen beantwortet haben, wollten, konnten oder durften. Hat hier Faulheit oder die falsche „Einstellung“ aussortiert? Wurde also nicht jede Erfahrung aus dem Schulalltag in die Studie mitgenommen?

Trotz dieser also mehr als mageren Grundlagen will diese Studie ausgebildeten Lehrkräften mit teils jahre- bzw. mit jahrzehntelangen Erfahrungen aus dem Schulalltag „Handlungsempfehlungen“ geben. Manches klingt durchaus sinnvoll, dann wenn empfohlen wird, dass Lehrer von Vorbereitungsklassen enger mit solchen der Regelklassen zusammenarbeiten sollen. Neue Erkenntnisse allerdings sind das nicht. Lehrermangel ist der erste und wichtigste Handlungsbedarf an fast allen Schulen in allen Bundesländern. Der aber ist längst bekannt.

Die Studie kommt zu so weltbewegenden Feststellungen wie jener, dass sich Lehrer in Vorbereitungsklassen bei der Belegung der Turnhalle übergangen fühlen würden oder bei der Raumplanung für Schulfeste. Banalitäten, die uns bisher noch in jeder Studie begegnet sind, die wir näher untersucht haben. Zudem werden einfachste Sachverhalte in akademischer Sprache künstlich in einen bedeutungsvollen Korridor getragen, der zwar völlig überflüssig ist, aber eben jenen Urwald an Wortsalat produziert, aufgrund dessen sich die berichtenden Medien auf die mitgelieferte Ergebniszusammenfassung konzentrieren, also berichten, was die Studie will, das berichtet wird.

Und das findet sich dann im grün hinterlegten Block „Das Wichtigste in Kürze“: Wenn Flüchtlinge eine Klasse besuchen, in der nur Flüchtlinge sind, würde die Mehrfachbelastung des Lehrerpersonals das Risiko bergen, dass die Flüchtlinge nicht hinreichend unterstützt und gefördert werden. Das würde die Schulpraxis an 56 Schulen bestätigen. Wohlgemerkt: Zusammengetragen von jeweils nur einem Hilfslehrer ohne Lehrerausbildung, welcher vorher gesinnungsüberprüft wurde, um dann in wenigen Minuten einen 45-Fragen-Ankreuzbogen auszufüllen.

Sachverständigenrat Integration und Migration
Gesellschaftliche Teilhabe – Freibrief für Massenzuwanderung?
Diese tatsächlich unfassbar dünne Studie will nun ermittelt haben, dass reine Flüchtlingsklassen keinen Sinn machen und Flüchtlinge in regulären Schulklassen untergebracht werden sollen. „Eine weitere Segregation“, so die Studie „muss vermieden werden.“ Junge Flüchtlinge sollen mehr Kontakt zu gleichaltrigen einheimischen Schülern bekommen. Wieder kleinlaut gesteht die Studie dann allerdings ein, dass in städtischen Ballungsgebieten diese einheimischen Schüler allerdings sowieso kaum noch zur Verfügung stehen. Sie sind hier schlicht demografisch längst in der Minderheit.

Die Schüler dieser Klassen mit kaum mehr Einheimischen seien oft „sozial benachteiligt, konfliktbelastet, nicht selten leistungsschwach und zum Teil verhaltensauffällig.“ Das Lernniveau sei hier „oft eher niedrig“. Und diese Lernbiografien könnten „die zukünftigen Bildungsbiografien vieler junger Flüchtlinge prägen.“ Jugendliche Flüchtlinge seien zum Teil von Flucht und Krieg traumatisiert. „zudem erleben sie die körperlichen und seelischen Entwicklungsphasen der Pubertät in einem kulturellen Umfeld das ihnen zunächst fremd ist.“ Einige würden zudem große Verantwortung für ihre Familien übernehmen.

Was für eine Studie, man will es kaum glauben. All das ist ja längst bekannt, gehört von Anfang an zum Repertoire jeder Kritik an dieser Massenzuwanderung nach Deutschland ab Herbst 2015. Der Baumeisterin der Massenzuwanderung war das indes von Anfang an herzlich egal. Was will uns diese Studie also sagen? Die eigentliche Botschaft ist dann in einem Satz zusammengefasst: „Reger schulischer Kontakt zu einheimischen Jugendlichen kann zudem das „Ankommen“ in Deutschland beschleunigen.“ Doch gerade dieser soziale Kontakt würde deutlich erschwert, wenn Flüchtlinge und andere neu zugewanderte unter sich bleiben würden.

Was aber heißt das nun? Doch nichts Anderes, als das wir notwendigerweise das sowieso schon in der Kritik stehende absinkende deutsche Bildungsniveau weiter senken müssen, damit jungendliche Flüchtlinge besser „ankommen“. So betrachtet hat also der eingangs zitierte Leitsatz des Vaters des Autors hier wieder eine besondere Bedeutung. Allerdings nur noch für jugendliche Flüchtlinge, wenn er besagt, dass man sich seine Freunde unter jenen aussuchen soll, von denen man noch etwas lernen kann.