Tichys Einblick
Ein einziges unehrliches Durcheinander

Mission Sophia – Horst Seehofers Paradoxon: Der Staat als NGO

Eine Operation als Zwitterwesen. Eine Rangelei der Zuständigkeiten, eine unheilige Kombination aus Beauftragung der Zerschlagung von Schleppernetzwerken und der Ausnutzung der Operation durch eben diese Schlepper, die darauf bauen, dass die Marine in Seenot befindliche Menschen aufnimmt und nach Italien bringt, ihre Schlauchboote in See stechen lässt und also weiter ihr Geschäft macht.

AYMERIC VINCENOT/AFP/Getty Images

Die zur Fluchthilfe missbrauchte EU-Militäroperation „European Union Naval Force – Mediterranean“ steht mal wieder vor dem Aus, seit es Italien einfach leid ist, dass die eigentlich zur Bekämpfung von Menschenschmuggel- und der Menschenhandelsnetzen ins Leben gerufene Zusammenarbeit europäischer Marineverbände zur Fährverbindung für Schleuser zwischen Nordafrika und Italien geworden ist. Allerdings sitzt die Seenotleitstelle in Rom und untersteht dem dortigen Verkehrsministerium. Dazu gleich mehr.

Exemplarisch für das etablierte Missverständnis dürften Überschriften von beispielsweise ZDF-Online und Tagesspiegel sein, die titelten: „Seenotrettung im Mittelmeer – Alle für „Sophia“ – trotzdem droht das Aus“ und „Was der Rückzug aus der Flüchtlingsmission Sophia bedeutet“. Nun ist die Mission beides nicht: keine Seenotrettung und auch keine Flüchtlingsmission.

Jedenfalls nicht von ihrer Idee her, welche auf der Webseite der Bundeswehr folgendermaßen definiert wird: „Kernauftrag der Einheiten des Verbands ist, zur Aufklärung von Schleusernetzwerken auf der zentralen Mittelmeerroute beizutragen.“

Unabhängig davon ist es für jedes Schiff auf See obligatorisch, in Seenot befindliche Personen zu retten. Auftrag der Mission ist es freilich nicht. Nun hatte allerdings schon die Ergänzung in der Namensgebung der Operation dieses weitreichende Missverständnis befördert, als der Name eines von der Fregatte „Schleswig-Holstein geretteten somalischen Mädchen zum zusätzlichen Namensgeber für die „European Union Naval Force – Mediterranean“ wurde: „Operation Sophia.“

Diese Verquickung führt nun auch dazu, dass der deutsche Innenminister meint, zuständig zu sein neben der Verteidigungsministerin, wenn Horst Seehofer aus der Schleuserbekämpfung eine Seenotrettung macht und damit dazu beiträgt, die italienischen Bündnispartner gegen sich aufzubringen, die jahrelang zunächst die Hauptlast trugen, als die Operation im Rahmen der gebotenen Seenotrettung annährend 50.000 Menschen an Bord nahmen, die sich in hoffnungsloser Lage im Mittelmeer befanden.

Zwar sollen die beteiligten Bundeswehrangehörigen mit einem strengen Sprechverbot belegt worden sein, was Details ihres Einsatzes angeht, aber anonyme Quellen erzählen von katastrophalen Zuständen, wenn die Soldaten nur noch in Kampfmontur und mit Maschinenpistole in die Schlauchboote gehen, aus Furcht vor Waffen und Pistolen. Berichtet wird meist von einem schrecklichen Gestank, öfter seien auch Tote dabei, manche von ihnen offensichtlich umgebracht.

Im Rahmen dieser Mission scheint es also längst nicht mehr die erste Frage zu sein, welche weiteren Maßnahmen die Schleusernetzwerke langfristig zerschlagen helfen. Heute sind neue Fragen in den Mittelpunkt gerückt, wenn beispielsweise das Zweite deutsche Fernsehen online formuliert: „Wer nimmt im Mittelmeer gerettete Migranten auf? Am Streit daran droht der europäische Anti-Schleuser-Einsatz „Sophia“ zu scheitern.“ Korrekter wäre es allerdings formuliert, dass der Einsatz daran zu scheitern droht, dass diese Frage überhaupt in den Mittelpunkt gerückt ist.

So berichtet der Tagesspiegel, die Verteidigungsministerin hätte den italienischen EU- und Nato-Partner Italien der Sabotage bezichtigt, als sie der Regierung in Rom vorhielt, „sie boykottiere gezielt den EU-Flüchtlingseinsatz Sophia im Mittelmeer“. Den allerdings gibt es offiziell gar nicht, wenn die „European Union Naval Force – Mediterranean“ ursprünglich angetreten ist, Schleusern das Handwerk zu legen. Unabhängig davon, dass es der Kodex für Seefahrer gebietet, in Seenot befindende Personen zu retten, zu versorgen und ggf. ans nächste rettende Ufer zu verbringen.

Nun also mischt sich der Innenminister ein, in der Annahme, diese Operation falle in sein Ressort. Das allerdings hat die eigentlich zuständige Ministerin ihm auch so signalisiert, wenn sie selbst von einem „EU-Flüchtlingseinsatz“ spricht. Dann nämlich geht es auch um die Aufnahme dieser illegalen Einwanderer in beispielsweise Deutschland, wird so also zum Thema für das Innenministerium.

Ein bestens informierter Korvettenkapitän als Ansprechpartner für Presseangelegenheiten, erklärt es uns genauer: Nein, Seenot müsse nicht explizit mandatiert werden. Sie ergebe sich für jeden Seemann aus international gültigen Rechtsnormen. Gleichwohl stehe diese Seenotrettung im aktuellen Mandat „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an „Eunavfor Med Operation Sophia“ (Drucksache 18/1249).

Tatsächlich haben die also offensichtlich wenig seetauglichen Parlamentarier den Auftrag dahingehend ergänzend formuliert, dass sie in dieses Mandat haben einschreiben lassen: „Zudem gilt für alle im Rahmen von EUNAVFOR MED eingesetzten Schiffe die völkerrechtliche Verpflichtung zur Hilfeleistung für in Seenot geratene Personen fort.“

Diese Verpflichtung hätte nun allerdings ohnehin bestanden.

Zur Erinnerung: Der tatsächliche Auftrag dieses Mandats lautet nach wie vor, die Aufdeckung und Beobachtung von Migrationsnetzwerken zu unterstützen, Schiffe auf hoher See anzuhalten und zu durchsuchen, wenn der Verdacht besteht, dass sie für Menschenschmuggel genutzt werden. Ebenso wurde der Auftrag erteilt, Verdächtige erkennungsdienstlich zu behandeln und die Daten zur Strafverfolgung weiterzuleiten und die libyschen Küstenwache zu See und zu Land zu unterstützen inklusive Informationsaustausch und Ausbildung eben dieser Küstenwache.

Dieses Mandat läuft nun Ende März aus. Es war dann das dritte Mandat in Folge nach 2015, 2016 und 2017 (zuletzt für zwei Jahre). Der Bundesinnenminister erklärte, er werde alles „in seiner Macht Stehende tun, damit der Einsatz fortgeführt werde“, Die Regierung in Rom möchte allerdings nicht mehr, das automatisch alle geretteten Immigranten nach Italien gebracht werden, immerhin waren das seit Bestehen der Operation fast 50.000 Menschen und fordert dazu eine Überarbeitung der Einsatzregeln.

Nun berichtet der Spiegel aktuell, „Deutschland und Frankreich würden seit Monaten versuchen, „zumindest eine feste Gruppe von Mitgliedstaaten für die Aufnahme von aus Seenot geretteten Flüchtlingen zu gewinnen. Seehofer führte dazu nach eigenen Angaben am Rande des Treffens der EU-Innenminister Gespräche mit mehreren Kollegen.“ Was das allerdings mit dem Mandat und den Aufgaben zu tun hat, bleibt unbestimmt.

Seehofer wünscht sich ein geordnetes Verfahren für die „Aufnahme von aus Seenot geretteten Flüchtlingen“. Der Innenminister im Clinch mit dem Aufgabengebiet der Verteidigungsministerin. Und noch einmal sprechen wir mit einem Pressesprecher der Marine. Der klärt uns zunächst darüber auf, dass es für die Marine auf hoher See überhaupt keine Flüchtlinge oder Migranten gäbe. Ungeachtet der Person oder des Status werden die aus Seenot geretteten Personen ausschließlich auch als solche behandelt.

Auf die Frage warum diese geretteten Personen nicht nach Libyen zurückgebracht werden, immerhin sei dass die nahe Küste, wird auf den Begriff eines „place of safety“ verwiesen, ein Seenotrettungsbegriff. Den Begriff eines „sicheren Herkunftsstaates“ gäbe es auf hoher See überhaupt nicht. Zuständig für die Zuweisung eines Hafens in den die aus Seenot Gerettete verbracht werden sollen, sei ohnehin die Seenotleitstelle in Rom. Und die untersteht dem italienischen Verkehrsministerium.

Nun muss man sich fragen, warum sich die italienische Regierung beschwert, wenn sie es doch theoretisch selbst in der Hand hätte, die libysche Küste als Zielort anzugeben. Ganz einfach: Dafür bräuchte sie zunächst eine Einfahrterlaubnis für europäische Kriegsschiffe in einem der Häfen der libyschen oder einer weiteren nordafrikanischen Küste, um diesen als Ausschiffungshafen nutzen zu können.

Nun ist die hoch offiziell beauftragte Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache zu Wasser und zu Land die eine Sache. Aber das Einlaufen eines oder mehrerer Kriegsschiffe ist noch einmal eine ganz andere Hausnummer. Hier entscheidet die Seenotleitstelle in Rom prinzipiell die geretteten Personen nach Italien zu bringen. Und dabei ist sicherlich auch die Sicherheit der Marineangehörigen maßgeblich.

Eine Operation als Zwitterwesen. Eine Rangelei der Zuständigkeiten, eine unheilige Kombination aus Beauftragung der Zerschlagung von Schleppernetzwerken und der Ausnutzung der Operation durch eben diese Schlepper, die darauf bauen, dass die Marine in Seenot befindliche Menschen aufnimmt und nach Italien bringt, ihre Schlauchboote in See stechen lässt und also weiter ihr Geschäft macht.