Tichys Einblick
Ein großer Schritt zum echten Laizismus

Markus Söder: Bis(s) zum Kreuz

Eine großartige Idee. In den Händen und Herzen freier Bürger und ihrer Gesellschaft ist das Kreuz als säkulares Symbol ihrer Kultur und Identität viel besser aufgehoben als in denen von Kirchen, die das Kreuz aufgegeben und abgelegt haben.

© Christof Stache/AFP/Getty Images

Manchmal braucht es seine Zeit, bis eine große Idee ihre Wirkung entfaltet. Ein Grund dafür mag sein, dass großen Ideen oft ein einfacher Gedanke zu Grunde liegt, während die Kühnheit dahinter zunächst verborgen bleibt. Für Markus Söders Kreuzaufhängung trifft beides zu: Einfach und wirkmächtig. Die Lorbeeren, das als einer der Ersten erkannt zu haben, gebühren ausgerechnet Jakob Augstein, wenn er in seiner aktuellen Kolumne schreibt: „Jedenfalls hat das blinde Huhn Söder ein ziemlich großes Korn gefunden, als er verkündete, im Eingangsbereich aller bayerischen Dienstgebäude ein Kreuz aufhängen zu lassen. Die Rechtschaffenen erregen sich darüber. Aber vermutlich haben sie Söder gar nicht verstanden. Das Erstaunliche ist nämlich: Er hat recht.“

Für Augstein hat Söder aus dem Symbol für die Erlösung, aus dem Sinnbild des Leidens und der Herrschaft Jesu Christi einfach das Kreuz als Markenzeichen des Abendlandes gemacht. Gewissermaßen als „Trademark des Westens.“ Das allerdings wäre dann nicht Arbeit eines blinden Huhns, sondern muss Ergebnis einer ziemlich erfolgreichen Nachdenkarbeit gewesen sein, an deren Anfang die Frage gestanden haben mag: Was können wir einem aggressiven Islam entgegensetzen, das als maximale Abgrenzung erkennbar ist, ohne deshalb als unabwendbare Kampfansage missdeutet zu werden?

Hier auf das Kreuz zu kommen ist schon deshalb kühn, weil EKD-Ratsvorsitzender Bedford-Strohm und Kardinal Marx auf dem Tempelberg gerade ihre Kreuze abgenommen und in die Hosentaschen gesteckt haben. Zum einen, weil sie um die Wirkung des Kreuzes auf Muslime wissen. Und zum anderen, weil sie nicht mehr in der Lage oder bereit sind, kompromisslos für ihr Kreuz gerade zu stehen. Hier war das Kreuz offensiv in seiner Provokation und gleichsam konkret defensiv in der Verleugnung.

Markus Söder hängt also offensiv Kreuze in Ämtern des Freistaates auf und gibt gleichzeitig den Marx/Bedford-Strohm, wenn er jenen Teil in der Hosentasche verschwinden lässt, der zum Angriff bläst. Söder kommentiert dazu, das Kreuz sei hier lediglich „Bekenntnis zur Identität“ und zur „kulturellen Prägung“ Bayerns. „Das Kreuz sei kein Zeichen einer Religion und kein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot.“ Das darf man genial finden. In Transsilvanien nagelt man Knoblauch an die Türe, um Vampire fernzuhalten, weil Blutsauger eine Aversion gegen dieses Lauchgewächs haben, Söder erkennt eine Aversion des Islam gegen das Kreuz. Wäre es eine gegen Knoblauch, hinge jetzt Knoblauch in bayrischen Amtsstuben.

Was Söder hier anordnet, ist geradezu die Umkehrung dessen, was mit Kreidestrichen an katholischen Türen als einladende Haussegnung vollzogenen wird. Die Haussegnung stellt die Wohnräume unter den Schutz und bekennt den Herrschaftsanspruch Jesu Christi. Das Kreuz in der bayerischen Amtstube in Kombination mit der mündlich mitgelierten Dechiffrierung Söders schließt den Herrschaftsanspruch des Herrn explizit aus. Es will nichts überhöhen, es will nichts sein, es ist einzig alleine gegen einen eventuellen Herrschaftsanspruch des Islam gerichtet.

Abschreckung für Fremde, beruhigendes Element für Einheimische. Für Menschen, die das Läuten der Kirchenglocken im Tal zum Frühstück als wohltuend empfinden, ohne freilich das Läuten als Ruf zum Kirchgang, als Ruf zum Gebet zu verstehen. Der mahnende Effekt hat sich in Wohlklang aufgelöst. Es ist schön, es ist unser, es ist ein Identitätsmerkmal, das längst nicht mehr vom Geistlichen auf der Kanzel definiert wird. Die Kirchen sind leer. Die Institution Kirche als überlebenswichtiger Anker längst überwunden.

Ironie der Geschichte: Nun meldeten sich ausgerechnet die Kreuzabhänger von Jerusalem zu Wort, als der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx höchstselbst meinte, erklären zu müssen, das Kreuz ließe sich nicht verordnen. „Durch die Verordnung, die Bayerns Ministerpräsident Markus Söder angeregt hatte, sei „Spaltung, Unruhe, Gegeneinander“ entstanden. Wenn das Kreuz nur als kulturelles Symbol gesehen werde, dann werde es im Namen des Staates enteignet.“

Aber nein! Es waren die Bürger selbst, die das Kreuz schon vor langer Zeit aus der Obhut der Kirche in die eigenen Hände genommen haben, vergesellschaftet sozusagen. In ihren Händen entfaltete es überhaupt erst die Kraft, in bayerischen Amtsstuben wirkmächtig zu sein. Oder wenn man so will: Knoblauch zu sein. Söder hat das begriffen und genutzt. Und Kardinal Marx hat begriffen, was dieser Verlust bedeutet. Wenn auch zu spät. Seine Gegenwehr ist so verzweifelt wie sinnlos, wenn er von „Spaltung, Unruhe, Gegeneinander“ spricht. Die Zwietracht, die er säen will, kann nicht die zwischen Christen und Nicht-Christen, nicht einmal die, zwischen Christen und Muslimen sein.

Wenn Marx sagt, er sehe im Kreuz „ein Zeichen des Widerspruchs gegen Gewalt, Ungerechtigkeit, Sünde und Tod“, aber kein Zeichen „gegen andere Menschen“, dann müsste er konsequenterweise zunächst Abbitte leisten für seine ganz persönliche Kreuzabhängung auf dem Tempelberg, denn die war nun eindeutig eine Unterwerfungsgeste, ein Zeichen gegenüber „anderen Menschen“, konkret gegenüber Muslimen.

Markus Söder darf herzlich lachen, wenn der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm betont, die Reduzierung des Kreuzes auf ein Kultursymbol sei unzulässig. Und diese Unzulässigkeit auch noch damit begründet, dass das sogenannte christliche Abendland ein Raum sei, „in dem viel Unrecht passiert ist“. Wie viel verzweifelter kann die Kirche noch sein, wenn ein hoher Lutheraner die Relevanz des Kreuzes an den Strömen von Blut festmacht, die es vergossen hat? Was für Erbärmlichkeit eigentlich, wenn die Berechtigung des Tragens des Kreuzes zunächst Verpflichtung sein soll, „die Inhalte auch wirklich als kritische Anfragen ans eigene Handeln gelten zu lassen“. Heinrich Bedford-Strohm will so noch den einsamen Kreuzträger mit den vergangenen Sünden seiner Kirche beladen. Die wenden sich verständlicherweise in Scharen ab.

Markus Söder hat diese Bigotterie erkannt. Und er hat dem Kreuz eine Wirkmacht zurückgegeben, die Marx und Bedford-Strohm längst verloren gegeben haben. Eine großartige Idee. In den Händen und Herzen freier Bürger und ihrer Gesellschaft ist das Kreuz als säkulares Symbol ihrer Kultur und Identität viel besser ausgehoben.