Tichys Einblick
Das Kartell lernt nicht

Kindergeld für im EU-Ausland lebende Kinder verzehnfacht

Das Parteienkartell zeigt mit dem Finger auf die EU. Schon bald ist aber der Steuerzahler im Gegensatz zu den Kindergeld-beziehenden EU-Ausländern wieder Wähler und das Kartell analysiert sich wieder zu Tode, warum denn diese AfD wieder zunimmt.

Seit 2010 haben sich Kindergeldzahlungen auf Konten im EU-Ausland verzehnfacht auf nunmehr rund 343 Millionen Euro im Jahr 2017. So berichten heute zahlreiche deutsche Zeitungen von FAZ bis ZEIT. Wie ein kryptischer Offenbarungseid der Leitmedien liest sich, woher die Blätter diese Zahlen haben. Man beruft sich auf Informationen der Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND/Mittwoch), dass ist die zentrale Redaktion der Madsack Mediengruppe. Die wiederum berufen sich auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit aus einer Kleinen Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion. Die AfD diktiert den Leitmedien?

Nun hat die Bundesagentur selbstverständlich eine eigene Pressestelle. Und die sind durchaus telefonisch erreichbar und auch auskunftswillig. Aber dafür muss man erst einmal eine Idee davon haben, was zu fragen ist. Und nicht zum ersten Mal schreibt nun eine Anfrage von Bundestagsabgeordneten der AfD die Schlagzeilen der Medien, deren Recherchelust sich offenbar zunehmend auf google und Co beschränkt bzw. auf Inhalte liefernde Redaktionsnetzwerke, die sich wiederum bei AfD-Anfragen bedienen.

Schon am 14.02.2018 beantwortete die Bundesregierung eine Anfrage der AfD zum „Kindergeld für ausländische EU-Bürger in Deutschland deren Kinder im Ausland leben“. Allerdings mit durchaus dürftigen Antworten. Offensichtlich hatte die AfD hier nachgehakt. Damals interessierten sich die Leitmedien kaum für diese unzureichenden Antworten: „Zu den Zahlbeträgen für im Ausland lebende Kinder liegen der Bundesregierung keine Angaben vor.“ usw.

Offensichtlich hat die Bundesarbeitsagentur nun  doch mal ein paar Excel-Tabellen bemüht und liefert Zahlen: Ende Dezember erhielten 215.499 ausländische Kinder Kindergeld. Im Vergleichszeitraum 2010 waren es gerade einmal 61.615 Kinder vorwiegend aus Polen (103.000 Kinder), Kroatien (17.000 Kinder) und Rumänien (17.000 Kinder). Außerdem sollen etwas weniger als 34.000 im Ausland lebende deutsche Kinder die Leistungen erhalten haben. So kommen genannte 343 Millionen Euro zusammen.

(Die Auskünfte basieren auf einer weiteren Anfrage der AfD unter Drucksache 19/1003, beantwortet von der Bundesregierung am 20.03.2018, aber noch nicht veröffentlicht.)

Nun darf man die Leitmedien auch nicht pauschal kritisieren, denn zur Wahrheit dazu gehört auch, dass sich die kleine Anfrage der AfD vom 14. Februar auf einen Bericht der WELT vom November 2017 bezog, die damals beispielsweise recherchiert hatte: „Die überwiesene Summe sank allerdings im selben Zeitraum um rund 18 Millionen auf 408 Millionen Euro. Ursache dafür ist eine Erhöhung des Kindergeldes in Polen: Weil diese Leistung mit dem deutschen Kindergeld verrechnet wird, sank die Belastung für den deutschen Steuerzahler.“

Hier lohnt also ein Vergleich der Kindergeldzahlungen anderer EU-Staaten – auch besonders deshalb, weil Deutschland noch durch EU-Recht zu diesen Zahlungen verpflichtet wird. Und die Zahlen fallen ernüchternd aus. Ein Handbuch für Auswanderer hat Vergleichszahlen: Die rote Laterne trägt Griechenland mit gerade einmal 5,87 Euro im Monat gefolgt von Spanien mit 24,25 Euro. Aber auch in Belgien ist die Zahlung für das erste Kind nur in etwa halb so hoch, wie in Deutschland. In Frankreich gehen Einkind-Familien gleich ganz leer aus und das zweite Kind bekommt auch kaum mehr als die Hälfte des deutschen Kindergeldes ab dem ersten Kind.

In den Niederlanden sind es gerade einmal 66.13 Euro für das erste Kind und in Italien bekommt nur Kindergeld, wer ein Jahreseinkommen unter 11.422,98 € hat. Weitere Vergleichszahlen finden sich hier. Üppiger als in Deutschland ist es nur in Luxemburg und Lichtenstein. Bedenkt man die zum Teil abweichenden Berechnungsgrundlagen, ist die Schweiz in einzelnen Kantonen ebenfalls minimal großzügiger als Deutschland.

In dieser AfD-initiierten Kindergeldsache darf man noch einmal an den ehemaligen Außenminister Sigmar Gabriel erinnern, als der noch Merkels Vizekanzler und Wirtschaftsminister war: Ende 2016 befand der nämlich: Wenn die Kinder nicht in Deutschland lebten, sondern in ihrer Heimat, „sollte auch das Kindergeld auf dem Niveau des Heimatlandes ausgezahlt werden.“ Und Gabriel ging damals noch weiter: „Es gebe in manchen Großstädten Deutschlands „ganze Straßenzüge mit Schrottimmobilien“, in denen Migranten nur wohnten, weil sie für ihre Kinder, die gar nicht in Deutschland lebten, Kindergeld auf deutschem Niveau bezögen.

Gabriels finale Aussage damals: „Es gibt in Europa ein Recht auf Zuwanderung in Arbeit, aber kein Recht auf Zuwanderung in Sozialsysteme ohne Arbeit.“ Der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble hatte wohl zugehört und einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt, wonach das Kindergeld für EU-Ausländer an das Niveau des Heimatlandes angepasst werden sollte. Passiert ist indes bis heute nichts: Die EU-Kommission hatte sich quergestellt.

Und weil nun die aktuelle kleine Anfrage, welche die recherchemüden Medien heute so umfangreich interessiert, von der AfD kam, geht es bei den anderen im Bundestag vertretenen Parteien zunächst auch nicht um die Debatte an sich, sondern um für notwendig erachtete Abgrenzungsbewegungen. So erklärte CSU-Innenpolitiker Michael Frieser gegenüber RND, die Bundesregierung hätte sich doch bereits für eine Kürzung des Kindergelds für im Ausland lebende Kinder eingesetzt. Der Vorschlag Deutschlands liege nun bei der EU-Kommission. „Was die Bundesregierung tun konnte, ist getan worden.“

Ja, da liegt er nun und wird wohl auch noch länger liegen bleiben. Auch die FDP rudert mit den Flügeln und lässt Matthias Seestern-Pauly die AfD-Anfrage so kommentieren: „Einmal mehr wird wahrheitswidrig und bewusst der Eindruck erweckt, dass es einen systematischen Missbrauch von Sozialleistungen gäbe.“ Das sei nicht der Fall.

Klar, das ist einfach: Man beruft sich auf EU-Recht und ist aus dem Schneider. Den deutschen Steuerzahler allerdings wird das weniger begeistern. Schon bald allerdings ist dieser Steuerzahler dann im Gegensatz zu den Kindergeld-beziehenden EU-Ausländern wieder Wähler und die Parteien analysieren sich dann wieder zu Tode, warum denn diese AfD wieder zunimmt.