Tichys Einblick
Dunkle Stunde des Parlaments

Im Bundestag entgleist der voll besetzte Schulz-Zug

Die SPD als Gruppe scheint nun am Ende des Anstands angekommen. Ein Moment, der sicher zu den herausragenden Momenten zählen darf, die spätere Generationen sezieren müssen, um herauszufinden, wie eine ganze politische Klasse so furchtbar scheitern konnte.

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Was für ein Rührstück heute im deutschen Bundestag. Nein, kein Rührstück, ein wirklich übles Stück, wenn man dem Zerfall der demokratischen Gepflogenheiten quasi live beiwohnen konnte. Ein Moment, der sicher zu den herausragenden Momenten zählen darf, die spätere Generationen sezieren müssen, um herauszufinden, wie eine ganze politische Klasse so furchtbar scheitern konnte und so zielsicher die Unfreiheit zum Schutzraum erklärte.

Generaldebatte im Deutschen Bundestag am heutigen Mittwoch: Der einfache Bundestagsabgeordnete Martin Schulz (SPD) ereiferte sich mit einer auf erschütternde Weise gewollten Schreirede und bekam dafür noch Standing Ovations weiter Teile des Deutschen Bundestages. Die Verzweiflung nach der trotz übermächtiger Aufrüstung am Ende misslungenen Unterdrückung der Wut der Chemnitzer und dem drohenden Folgeereignis in Köthen, ist von blanker Angst in Hass umgeschlagen. Angst, nun doch irgendwann zur Verantwortung gezogen zu werden, wie die stetig sinkenden Umfrageergebnisse Monat um Monat bestätigen. Und offener Hass, nachdem die politische Klasse offensichtlich zu der Überzeugung gelangt ist, auch dieses Mal davon gekommen zu sein.

Von Hass muss man tatsächlich sprechen, wenn diese Missachtung der Demokratie, wenn die Hetzjagd auf den politischen Gegner auf eine Weise eröffnet wird, wie es heute Martin Schulz (SPD) und weitere getan und sich und unserer demokratisches Grundverständnis damit übel beschmutzt haben.

Schulz zu Gauland: „Die Reduzierung auf ein einzelnes Thema ist ein Stilmittel, das bekannt ist, das wird kombiniert mit Aussagen wie „das tausendjährige Reich sei ein Vogelschiss.“ „Herr Gauland, die Menge von Vogelschiss ist ein Misthaufen und auf den gehören Sie in der deutschen Geschichte.“

Zuvor hatte Gauland erklärt: „So widerlich Hitlergrüße sind, ich erlaube mir ins Gedächtnis zu rufen, das wirklich schlimme Ereignis in Chemnitz war die Bluttat zweier Asylbewerber.“

Schulz sah darin die Beschränkung auf ein einziges Thema, in der Regel bezogen auf die Minderheit in einem Land – das sei ein „tradiertes Mittel des Faschismus“. Und diesen Faschismus hätte der Bundestag „heute erneut vorgeführt bekommen“. Also von Gauland, behauptet Schulz.

Aber weiter bei Schulz, jetzt beinahe schreiend und mit Zeigefinger Stoßrichtung AfD: „Die Migranten sind an allem schuld. Eine ähnliche Diktion hat es in diesem Hause schon einmal gegeben! Und ich finde es ist Zeit, dass die Demokraten in diesem Lande sich gegen diese Art der rhetorischen Aufrüstung, die am Ende zu einer Enthemmung führt, deren Resultat Gewalttaten auf den Straßen ist, es ist Zeit, dass die Demokratie sich gegen diese Leute wehrt.“

Der Mord in Chemnitz also Resultat der rhetorischen Aufrüstung der AfD? Das muss man erst einmal hinbekommen und dafür dann noch Standing Ovations abholen auf diesem Misthaufen eines ehemals stolzen Demokratieverständnisses einer ehemaligen Arbeiterpartei. Die Würdelosigkeit schwindender Macht ist selten so erkennbar gewesen wie hier. Und was meint Schulz mit „wehren“? Mit dem Rechtsstaat oder mit der Antifa? Tatsächlich deutet in diesem Moment vieles darauf hin, dass er den von seinesgleichen ausgehöhlten Rechtsstaat kaum gemeint haben kann.

Auf Schulz folgte der nächste Sozialdemokrat. Mit Johannes Kahrs mutierte ein in seinem Heinz-Strunk-Gestus ansonsten recht harmloser Spaßvogel zu einem in seiner absoluten Überdrehung verstiegenen Giftzwerg – angetrieben vom unbedingten Willen, das gerade von Schulz entfesselte Wahnhafte noch einmal zu überbieten, als Kahrs Gauland fast entgegenkeift: „Hass macht hässlich! Schauen Sie doch in den Spiegel.“ Und vorher: „Man muss sich diese Traurigen da nur angucken und dann weiß man, hier sind keine Lösungen zu erwarten, sondern nur Spaltung und Hetze und alles was bei denen dazugehört.“

„Gestatten Sie eine Zwischenfrage?“, fragt Bundestagsvizepräsident Hans-Peter Friedrich. Antwort Kahrs: „Von Rechtsradikalen brauche ich keine.“ Endlich richtig auf Schulz-Modus angekommen, geht es weiter Richtung AfD: „Schauen Sie in den Spiegel, dann wissen Sie, was diese Republik in den Zwanzigern und Dreißigern ins Elend geführt hat.“ Wirklich, dieser Herr Kahrs überschlägt sich. Vollkommen entfesselt nun. Aber schlimmer noch: Er wähnt sich nach der Hetze von Schulz noch in der Gewissheit, mit seinem Schmutz durchzukommen. Kahrs, aufgehetzt vom Parteikollegen. Innerparteiliche Hetze nach außen ausgekübelt hin zur nächsten erhofften La-Ola im Standing Ovation Parlament.

Nun begreift auch Hans-Peter Friedrich, was da gerade passiert und rettet so etwas wie die Restehre des Hauses, als er den verbal so randalierenden SPD-Abgeordneten deutlich zur Mäßigung aufruft. Allerdings nur, um als Vizepräsident dann selbst wieder in einer Zwischenintervention von einer weiteren SPD-Abgeordneten gerügt zu werden. Die SPD als Gruppe nun am Ende des Anstands angekommen. Viele Angsthasen in einem viel zu eng gewordenen Sandkasten und auf einmal geht die natürliche Beißhemmung ganz verloren. Die Frage nach der Verantwortung für die Verwerfungen rücken also näher, die Hysterie wird größer und kommt dort an, wo sie richtig adressiert ist. Und Alice Weidel fragt zu Recht in etwa: Was kommt als nächstes? Wollen sie uns jetzt alle verprügeln?

Und was hat Angela Merkel zu all dem zu sagen? Dazu reicht ein Auszug ihrer Rede, denn wir hier zum krönenden Abschluss unkommentiert und im O-Ton wiedergeben können, wenn sie ihre getreuen Sozialdemokraten im Bundestag toben lässt, während sie selbst sich aufmacht, die nächste dicke Lunte an das feuergefährdete EU-Haus zu legen, wenn sie den Ungarn und weiteren osteuropäischen EU-Ländern die nächste Zumutung auf den Abtreter legen will:

„Und dann bedeutet natürlich die Frage des Kampfes gegen illegale Migration auch, dass wir den Außengrenzenschutz stärken. Jean-Claude Juncker wird dazu Vorschläge machen. Hat dazu schon Vorschläge gemacht: Verstärkung von Frontex. Aber das bedeutet dann auch – und dafür trete ich zumindest ein – dass die Staaten, die an der Außengrenze liegen, auch nationale Kompetenzen abgeben, um Frontex wirklich mit umfassenden Kompetenzen auszustatten. Und das bedeutet eben auch ein Maß an Solidarität, wenn es darum geht, dass Menschen zu uns kommen, oder wenn wir Verpflichtungen haben, auch legale Migration z.B. zu ermöglichen und dabei Ländern zu helfen, die wirklich in Not sind. Und da meine Damen und Herren, bleibt der wunde Punkt der europäischen Union. Da haben wir noch keine Lösungen gefunden. Deutschland ist bereit, sich in die Solidarität einzureihen. Doch das wird während der österreichischen Präsidentschaft jetzt wieder ein weiteres Thema sein. So kann man sagen, dass wir insgesamt vor riesigen Herausforderungen stehen.“

(Es gilt das gesprochene Wort).