Tichys Einblick
Der neue Antisemitismus ist eingewandert

Holocaust-Gedenktag

Wie unfassbar ist es eigentlich, wenn diese Bundeskanzlerin den Holocaust-Gedenktag instrumentalisiert, um ihre Massenzuwanderungspolitik zu rechtfertigen?

© John MacDougall/AFP/Getty Images

Kann, darf, soll man dazu überhaupt etwas schreiben? Vielleicht muss man sogar, wenn die Bundeskanzlerin an so einem Tag davon spricht, es sei eine Schande, dass jüdische Einrichtungen in Deutschland Polizeischutz bräuchten. Ausgerechnet jene Angela Merkel sagt das, die nach den Bundestagswahlen selbstgefällig erklärt hatte: „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten.“ Wenn es ihr an so einem Tag nicht einfällt, dann ist ihr wahrlich nicht mehr zu helfen. Dann ist alles vollmundig betroffene Bekunden nur Schall und Rauch.

Der Holocaust-Gedenktag ist seit 1996 bundesweit gesetzlich verankert. Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau und zwei weitere Konzentrationslager bei Auschwitz. Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog hatte den Tag 1995 proklamiert (damals jährte sich die Befreiung zum fünfzigsten Mal.): „Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.“ Die Vereinten Nationen internationalisierten den Gedenktag 2005.

Nun mag man darüber streiten, warum es fünfzig Jahre brauchte, so einen Tag einzuführen. Die damals Fünfzigjährigen wurden 1945 geboren und gehen heute auf die Achtzig zu. Dennoch sind es die heute Fünfzigjährigen die der ersten Generation angehören, die sich zum ersten Mal schulisch und im gesellschaftlichen Kontext mit dem Holocaust auseinandergesetzt haben. Mal mehr, mal weniger. Zu Merkel „Schande“ kommen wir gleich – zuvor müssen wir es auch eine Schande nennen, dass, spricht man heute mit Rentnern über den Holocaust, viele von ihnen erzählen müssen, dass es zu ihren Schulzeiten kaum eine Unterrichtung über die industrielle Vernichtung von Millionen von Juden durch Deutsche und ihre Helfershelfer gegeben hat.

Nur so ist es im Übrigen auch zu erklären, mit welcher Wucht noch Ende der 1970er Jahre der Film: „Holocaust – die Geschichte der Familie Weiss“ in die deutschen Wohnzimmer einschlagen konnte, als hätte man bis dahin von all dem nichts gewusst oder gehört. Tatsächlich wurde anschließend noch diskutiert, ob es legitim sei, die undarstellbaren Schrecken des industriellen Mordes an den Juden fiktional zu inszenieren. Undarstellbar was undenkbar, aber trotzdem passiert ist?

Der frühere Linksradikale und heute inhaftierte Nationalsozialist Horst Mahler hatte zunächst seine Mitgliedschaft in der Roten Armee Fraktion mit Auschwitz erklärt, später leugnete er den industriellen Massenmord an den europäischen Juden. Ja, auch diese furchtbare, diese nach allen Seiten offen extremistische deutsche Biografie muss stellvertretend dafür stehen, wie Deutsche nach der Befreiung von Auschwitz mit dem Holocaust umgegangen sind. In Mahler bekommt das Unaussprechliche sein düsterstes Gesicht. Ein Sonderfall, sicher, denn die allermeisten Nachkriegsdeutschen haben einfach nur gelernt, das Monströse zu verdrängen, auszuklammern, wegzuschieben.

„Eine Schande“ nennt es Angela Merkel 2018 am Holocaust-Gedenktag, dass keine jüdische Einrichtung in Deutschland ohne Polizeibewachung existieren kann. Nur wessen Schande ist es? Und wie unfassbar ist es eigentlich, wenn diese Bundeskanzlerin ausgerechnet den Holocaust-Gedenktag dafür instrumentalisiert, ihre Massenzuwanderungspolitik zu rechtfertigen, wenn sie zwar sagt, es gebe es wieder mehr Antisemitismus, aber Fremdenfeindlichkeit und Hass gegen Andere im selben Atemzug nennt und damit aber nur Kritiker ihrer Zuwanderungspolitik in die Schranken weisen will? Auch die Kritiker antisemitischer Zuwanderung!

Einen neuen Antisemitismus in Deutschland gibt es, weil Angela Merkel eine zählbare Menge dieser Antisemiten höchst eigenhändig eingeladen hat. Bassam Tibi, deutscher Politikwissenschaftler syrischer Herkunft, fragte 2017 im Cicero: „Um nicht der Islamophobie bezichtigt zu werden, ignorieren wir, dass viele Zuwanderer eine antisemitische Weltanschauung mitbringen. Haben die Deutschen im Rausch ihrer Willkommenskultur vergessen, dass sie sechs Millionen Juden ermordet haben?“ Tibi fordert auf, endlich die Quellen dieses neuen Judenhasses beim Namen zu nennen. Für Tibi ist das zwar kein muslimischer Antisemitismus, aber ein islamistischer. Eine der sechs weltanschaulichen Säulen, die die politisch-religiöse Ideologie des Islamismus bestimmen, sei der islamistische Antisemitismus.

Nun häufen sich allerdings auch die Berichte eines muslimischen Antisemitismus besonders an Schulen. „Du Jude“ ist vielerorts wieder eine gängige Beschimpfung jüdischer Mitschüler geworden. Der Zentralrat der Juden warnt in einigen Fällen sogar Schulkinder davor, sich als jüdisch zu erkennen zu geben und der israelische Ministerpräsident Netanjahu rief 2015 europäische Juden wegen eines zunehmenden Antisemitsmus auf, aus Europa auszuwandern.

681 antisemitische Straftaten wurden im ersten Halbjahr 2017 in Deutschland begangen. Eine aussagefähige Erkenntnis, ob es sich dabei um Neonazis, Islamisten oder ganz andere Täter handelt? Fehlanzeige. Aziz Fooladvand, deutschiranischer Lehrer aus Bonn weiß mehr und erzählt es den Journalisten vom Deutschlandfunk: „Der Antisemitismus resultiert aus Mangel an demokratischer Erziehung, Mangel an Toleranz.“ 80 Prozent seiner Schüler sind Muslime. Die Kanzlerin beklagt nun zunehmenden Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland. In der kommenden Regierung werde es einen Antisemitismusbeauftragten geben, der dann wohl auch gleichzeitig ein Fremdenfeindlichkeitsbeauftragter ist.

Als Angela Merkel Ende 2016 in der Generaldebatte im Bundestag ihren Erdogan-Zuwanderungsdeal rechtfertigen wollte, wurde ihr aus den Zuschauerreihen mehrfach „Schande, Schande!“ entgegen gerufen. Damals war sie die Adressatin. Heute, zum Holocaust-Gedenktag wollte sie der Absender der Mahnung sein. Aber beides geht nun mal nicht.