Tichys Einblick
Hamburg-Wahl: Parteipräferenz

Zugewanderte Wähler nicht ausschlaggebend für den SPD-Erfolg

Die traditionelle Sympathie der Bürger mit Migrationshintergrund für die SPD hat deutlich abgenommen. Der im Verhältnis zu anderen Bundesländern besonders hohe Anteil an Migranten in Hamburg war also wohl nicht der Grund für deren relativ hohes Ergebnis.

© Patrik Stollarz/AFP/Getty Images

Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration untersuchte Anfang 2018 die Parteipräferenzen von Zuwanderern. Festgestellt wurde eine deutlich Verschiebung etwa ab 2016 in Richtung Union. Tatsächlich sollen mit 43,2 Prozent erstmals CDU und CSU die beliebtesten Parteien unter Zuwanderern sein.

Die traditionell starken Sympathien der Bevölkerung mit Migrationshintergrund für die SPD haben demnach abgenommen und lagen bei ihnen 2018 nur noch bei 25 Prozent. Fazit des Rates: Der Befund von 2016, dass diese Klientel „mehrheitlich Parteien links der Mitte bevorzugt, trifft nicht mehr zu.“

Was der Sachverständigenrat hier allerdings vernachlässigt, ist, dass sich die Union neu nach links ausgerichtet hat und diese Neuausrichtung durchaus beim Wähler angekommen ist. Die Frage, ob die Union unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel von Migranten mit anderen Augen betrachtet wird als noch zuvor, ist sicher nicht völlig abwegig.

Erhebungen geben Auskunft über den Anteil von Einwohnern mit Migrationshintergrund: 19 Millionen leben in Deutschland, das entspricht einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von 23,6 Prozent. Beispielsweise in Hamburg – wir gehen hier gleich näher darauf ein – ist es bereits annähernd die Hälfte der Stadtbevölkerung.

Genauer hingeschaut
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Für das gesamte Bundesgebiet gilt, dass der Anteil von Migranten weiter ansteigen wird. Zur Bundestagswahl 2017 waren bereits 10,2 Prozent der Wahlberechtigten Bürger mit Migrationshintergrund. Damit hat diese Wählerklientel heute mehr Potenzial, als die Grünen (8,9 %) und die Linken (9,2%) jeweils Stimmen zur Bundestagswahl erhielten, und in etwa so viele Stimmen, wie die FDP (10,7%) für ihren Wiedereinzug in den Bundestag bekommen hatte.

Der Sachverständigenrat für Migration sieht hier ein „großes Gewicht“, das „die politische Landschaft in Zukunft noch stärker mitgestalten“ würde.

Betrachtet man einmal die große Gruppe der Türkeistämmigen, dann fällt hier auf, dass sich die Zustimmung für die SPD bis 2018 bereits auf 37 Prozent quasi halbiert hat. Grundsätzlich für die Sozialdemokratie immer noch ein Traumergebnis, nicht aber, wenn man weiß, dass zuvor noch 70 Prozent der Personen mit Migrationshintergrund mit der SPD sympathisierten.

Gaben die Türkeistämmigen der Union und SPD fast gleich viele Sympathiepunkte (32,9 und 37 %), lag die Union 2018 bei Einwohnern mit Migrationshintergrund bei 43,2 Prozent und die SPD bei 25 Prozent. Bei Spätaussiedlern lag die Union ähnlich hoch, aber die Sozialdemokratie mit 15 Prozent Zustimmung noch niedriger, nur drei Prozentpunkte vor der AfD und noch hinter der Linkspartei (15,6 %).

Die Grünen spielten bei dieser Klientel 2018 gegen den Bundstrend noch eine geringere Rolle als die Linkspartei oder die AfD. Sahen unter den Bürgern ohne Migrationshintergrund 17,2 Prozent ihre Parteipräferenz bei den Grünen, waren es bei denen mit Migrationshintergrund nur 10,0 Prozent.

Ein Fazit des SVR-Migrationsbarometers lautete, dass SPD, Linke und Grüne zusammengenommen bei Personen mit Migrationshintergrund keine Mehrheit mehr haben. Außerdem attestiert die Umfrage dieser Gruppe, in ihrer Parteienpräferenz zunehmend wechselhaft zu sein: „Historisch gewachsene Bindungen erodieren.“

Gehen wir mit diesen Erkenntnissen also nach Hamburg. Was ist an der Elbe genau passiert, wie ist das Wahlergebnis zu bewerten, wenn die Bewohner der Freien Hansestadt fast schon zur Hälfte einen Migrationshintergrund haben?

Zunächst stehen die Ergebnisse im Widerspruch zum Bundestrend. Aber ist dafür die hohe Zahl von Wählern mit Migrationshintergrund verantwortlich?

Wahlberechtigt bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg 2020 waren etwas mehr als 1,3 Millionen Hamburger ab 16 Jahren. Die 16- und 17- Jährigen machen hier gerade einmal 2,1 Prozent aus. Im Vergleich dazu liegt die Zahl der über 70-Jährigen bei 18,2 Prozent. Wählen dürfen alle Staatsbürger, die seit mindestens drei Monaten in Hamburg gemeldet sind.

Für wie erheblich die Parteien selbst die Wahlteilnahme und das Wahlverhalten von Personen mit Migrationshintergrund erachten, mag der Einsatz des Hamburger Sozialdemokraten Kazim Abaci belegen, der rein gar nichts dabei fand, eigens nach Istanbul zu reisen, um den dortigen Oberbürgermeister erfolgreich dazu zu bewegen, mit ihm gemeinsam zu den türkeistämmigen Deutschen zu sprechen und sie aufzufordern, „die AfD aus dem Parlament zu drängen!“ Also übersetzt: SPD zu wählen. Hintergrund war laut Abaci die traditionell geringe Wahlbeteiligung der Deutschen mit Migrationshintergrund. Das zeigte die Bertelsmann-Stiftung, indem sie die Wahlbeteiligung nach Bezirken betrachtete.

Weil nun aber die Stimmen der Türkeistämmigen nicht ausreichen, für sich alleine genommen spürbare Effekte zu erzielen, erweiterte Abaci seinen Aufruf von Istanbul aus noch auf Hamburger Wahlberechtigte mit anderen Migrationshintergründen.

Wahlberechtigte Deutsche mit Migrationshintergrund nehmen also grundsätzlich weniger häufig ihr Wahlrecht in Anspruch. In Hamburg beträfe das demnach 17 Prozent aller Wahlberechtigten, die dann im Gesamtergebnis eben noch um ein paar Prozentpunkte geringer ins Gewicht fallen.

Verwirrspiel für das Wunschergebnis
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Statistik-Nord weiß, dass die größte Gruppe innerhalb der Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund Polenstämmige sind, dicht gefolgt von Türkei- und Russlandstämmigen. Mindestens die Gruppen mit polnischem und russischem Hintergrund dürfte nicht zum Wahlergebnis der Sozialdemokratie von 39,2 Prozent beigetragen haben. Wenn überhaupt, dann werden sie ihren Anteil haben, wo die Sozialdemokratie an der Elbe gegenüber 2015 satte 6,4 Prozent eingebüßt hat. 2015 – 2020: fünf Jahre, zwischen denen heute Welten zu liegen scheinen und die in der Geschichtsschreibung dieses Landes einmal zu so etwas, wie den zweiten Wendejahren nach 1990 gezählt werden könnten.

Mit Blick auf die Wahlen an der Elbe kann das Fazit gezogen werden, dass das Wahlverhalten der Hamburger mit Migrationshintergrund vermutlich kaum eine Rolle spielt für das vergleichsweise gute Abschneiden von SPD und Grünen. Im Gegenteil: Angesichts des doch noch knappen Einzugs der AfD in die Bürgerschaft dürften die Stimmen der Russlanddeutschen und anderer bereits beteiligt gewesen sein.

Inwieweit die Erdogan gegenüber kritischen Stimmen der deutschen Sozialdemokratie bei den Türkeistämmigen für eine deutliche Unterkühlung gesorgt haben oder ob diese Entwicklung sich lediglich dem Bundestrend angepasst hat, wäre Gegenstand einer weiteren Befragung bzw. Studie. Unzweifelhaft als gesichert gilt, dass der Anteil der Wähler mit Migrationshintergrund in Zukunft weiter anwachsen wird.

Und es werden vornehmlich solche aus dem islamischen Kulturkreis sein. Die Annahme allerdings, dass diese dann automatisch eher dem linken und grünen politischen Spektrum zuzuordnen sind, ist keineswegs ein Selbstläufer. Viel eher scheint es darauf hinauszulaufen, dass sich dieser Bevölkerungsteil eigenen Vertretern und Parteien zuwenden wird, die ihre Interessen in Deutschland wahrnehmen.

Eine Erinnerung zum Schluss: Die SPD wollte 2013 noch die Partei der Migranten werden. Auch damit ist sie offenbar krachend gescheitert. Eigens eine Arbeitsgruppe wurde dazu gegründet. Diese verkündete damals, „das Ohr der SPD innerhalb der verschiedenen Migranten-Communitys und ein Sprachrohr für Menschen mit Migrationshintergrund in der Sozialdemokratie“ sein zu wollen.

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