Tichys Einblick
In die Jahre gekommen

Graue Grüne: Die große Schwindelei von der jungen Partei

Seit Gründung der Grünen hat sich das Alter ihrer Wählerschaft geändert: Von 80 Prozent ist der Anteil der unter 35-Jährigen auf 10 Prozent gesunken.

imago images / IPON

Ja, ist ja gut: Die Grünen wurden überproportional von ganz jungen Wählern gewählt. Aber das sagt inhaltlich in etwa so viel, als würde man – um ein aktuelles Beispiel zu wählen – behaupten, die Kriminalität sei zurückgegangen und verschweigen, dass sie in bestimmten relevanten Bereichen bei bestimmten Tätergruppen eklatant angestiegen ist.

Donald Trump spricht von alternativen Fakten. Es wird ein Schuh draus, spräche man von „weiteren“ Fakten bzw. von „parallelen“ Fakten. Tatsächlich ist diese zähe Debatte um die absolute Wahrheit letztlich nur ein Kampf um die Deutungshoheit, ein Machtverteilungskampf.

So darf die mediale Überbetonung der vergleichsweise kleinen Gruppe der Jungwähler als aus dem Repertoire alternativer Fakten verstanden werden, wenn ganz andere Sachverhalte eine viel höhere Relevanz haben, wenn die Grünen im Grunde genommen längst eine Art Vorruhestandspartei sind.

Da grenzt es schon an Albernheit, wenn beispielsweise die Welt noch Ende 2018 schreibt: Die Grünen, so analysierte die ihr nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung, war bei der Bundestagswahl 2017 besonders erfolgreich bei jungen Frauen bis 24. Das mag ja stimmen, ist allerdings unerheblich, wenn eben diese Gruppe innerhalb der grünen Wählerschaft keine herausragende Rolle spielen.

Jan Fleischhauer hat sich dieser Debatte gerade angenommen:

„Die bedeutendste Wählergruppe in Deutschland sind Frauen über 60. Von ihnen gibt es schlicht am meisten, nämlich 12 Millionen. Hier entscheidet sich das Schicksal der Volksparteien (…). Nur knapp fünf Millionen der Wahlberechtigten sind unter 25 Jahre alt. Das ist gerade mal ein Viertel der Altersgruppe, die vor dem Pensionsalter steht oder dieses bereits erreicht hat.“

So klingt dann Fleischhauers Fazit wie aus dem Repertoire alternativer Fakten, wo es sich in Wahrheit um jenen Faktenblock handelt, der schon prozentual deutlich mehr Relevanz hat, als das peinliche Heranwanzen an diese dünn besiedelte Gruppe der Greta überstrahlten Jungwähler, die gerade so unsanft von der nahenden Apokalypse aus ihrer elterlichen Wohlstandsoase aufgeschreckt wurden.

Fleischhauers Fazit stellt die Welt der Leitmedien ein bisschen auf den Kopf: „Warum die Grünen am Sonntag abgeräumt haben? Ganz einfach: Weil es ihnen gelungen ist, viele Deutsche über 60 von sich zu überzeugen. Hier liegt der Schlüssel ihres Erfolges, nicht bei der Strahlkraft auf die Erstwähler.“

Besonders erschütternd ist, dass jeder Journalist diese Fakten recherchieren kann, dafür kann er sogar weiter am Redaktionssstuhl festgewachsen bleiben und muss nicht einmal vor die Tür, um in Erfahrung zu bringen, was eigentlich Sache ist. Beispiel? Nehmen wir mal die Bundeszentrale für politische Bildung. Die hatte im vergangenen Jahr festgestellt:

„Vergleicht man die heutige Wählerschaft der Grünen mit ihrer Wählerschaft in der Entstehungs- und Etablierungsphase, so fällt zuerst der Altersanstieg ins Auge. Seit Gründung der Grünen hat sich das Alter ihrer Wählerschaft geändert: Von 80 Prozent ist der Anteil der unter 35-Jährigen auf 10 Prozent gesunken.“

Wer diese Daten heute allen Ernstes als eine Verjüngung verkaufen will, der muss schon gehörig um die Ecke schielen oder er macht es absichtsvoll, ist also ideologisch unterwegs. Nennen wir es doch der Einfachheit halber: „ideoverlogisch“.

Vergessen zu sein scheint hier, dass Wahlforscher schon seit längerem ein „Ergrauen“ der Grünen attestiert haben. Wenn aber der Baerbock-Habeck-Effekt nun darin besteht, dass diese gegenüber ihren Vorgängern Özedmir/Göring-Eckardt verjüngten Parteivorsitzenden kaschieren sollen, dass die Rollatorfraktion schon massiv bei den Grünen anklopft, dann hat diese Tarnkappe bestens funktioniert, solange die so genannten Leitmedien bereit sind, diesem Märchen vom grünen Jungbrunnen zu folgen bis hin zu Habecks Kanzlerschaft.

Aber die Erklärung ist einfach: Die heute 60 Jährigen kommen aus den geburtenstarken Jahrgängen und waren als umweltbewegte Erstwähler auf überwältigende Weise die tragende Kraft, als der so genannte Marsch durch die Institutionen 1983 mit dem Einmarsch der Grünen in den Bundestag einen ersten Höhepunkt erreicht hatte.

Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) merkt dazu an: „Dieser Generationeneffekt wird allerdings durch ein lebenszyklisches Muster überlagert, das den Grünen in den nachwachsenden Alterskohorten der Jungwähler bis heute überdurchschnittliche Ergebnisse sichert.“ Allerdings würde es sich auch hier um eine zahlenmäßig überschaubare Gruppe handeln.

Den Satz des Tages liefert der Artikel der Bundeszentrale aus Mitte 2018 gleich mit:

„Ein überraschend hoher Anteil der Wähler versteht sich sogar als unpolitisch und präferiert die Partei vor allem aus Lifestyle-Gründen (etwa beim Kauf von Bio-Lebensmitteln).“

Und das sitzt dann passgenau auf der angeblich mit Greta überwundenen Behauptung einer unpolitischen Jugend. Denn wenn die linksgrün dominierten Leitmedien grüne Politik zum Mainstream erklären, dann ist es laut Bundeszentrale also logische Folge, dass sich die Jugend diesem Lifestyle annährt.

Oder wie der Tagesspiegel 2016 nach Analyse einer Jugendstudie titelte: „Generation Mainstream“. Und wenn es da weiter heißt: „Die Jugendlichen „wollen so sein „wie alle“ und beziehen sich dabei auf einen gemeinsamen Wertekanon.“

So kann es durchaus sein, dass sich viele Jungwähler besonders an den ergrauten geburtenstarken Jahrgängen orientieren, die den Lifestyle der Republik so überproportional prägen, also an ihren Eltern, die mit ihren Stimmen den größten Anteil daran haben, dass die Grünen heute sind, was sie sind. Was sie aber nicht sind, ist eine Partei der Zukunft, wenn hierfür der Altersdurchschnitt der Wählerschaft eine Rolle spielt.

Der grüne Altersschock folgt zum Schluss, wenn wir bekannt geben müssen, dass Robert Habeck als seine Lieblingsschallplatten der 1980er und 90er Jahre, wenn bei Habecks zu Hause U2, Talking Heads und Phillip Boa gegen den modernen Bitch-Rap seiner Kinder anstinken müssen.

Tatsächlich: Der Parteivorsitzende Habeck ist eine wunderbare grüne Mogelpackung, denn er kommt praktisch aus der selben Alterskohorte wie Göring-Eckardt und Özdemir und das Gros der Wähler der Grünen. Habeck ist mit seinem Geburtsjahr klassischer Baby-Boomer. Er hat nur Glück gehabt, dass er äußerlich jünger aussieht als seine Vorgänger im Amt der Parteivorsitzenden.

Übrigens: als der als zukünftiger Kanzler aktuell so häufig verulkte Habeck seine Lieblinge von U2 zum ersten Mal hörte, da war seine Mitstreiterin Annalena Baerbock in Hannover noch nicht einmal bei der Kita angemeldet. Sie ist also das grüne Nesthäkchen.

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