Tichys Einblick
Talsperre geöffnet oder nicht?

Flutwelle in Stolberg: Ein Konditor hat alles verloren und klagt an

In Stolberg hat die Flutwelle die Innenstadt verheert. Ein Konditor, dessen Café zerstört ist, sagt: Die Betreiber der örtlichen Talsperre haben den größten Schaden zu verantworten, weil sie eine Staumauer zur Unzeit geöffnet hätten. Die weisen den Vorwurf von sich. Zweifel bleiben.

screenprint via Facebook / urlichs café

Der Konditor Helmut Steckmann aus Stolberg (NRW-Städteregion Aachen) ist Opfer einer zerstörerischen Flutwelle geworden. Seine Konditorfamilie führt das Geschäft in dritter Generation als Familienbetrieb, Großvater Urlich eröffnete es 1948, nun ist alles zerstört. Den Schaden beziffert Steckmann gegenüber TE auf dreihundert- bis fünfhunderttausend Euro. Steckmann wohnt nebenan, seine Eltern oberhalb des Cafés. Auf der Webseite der Konditorei Café Urlich stehen noch die Texte der Betreiber über ihre Arbeit. Sie berichten vom Backen von Hexenhäuschen auf der Stolberg Burg an Weihnachten. Das vermittelt Wohlbehagen und die Schönheit eines traditionellen Handwerks. Doch damit ist es seit jener Nacht des 14. Juli vorbei.

Helmut Steckmann gehört wohl nicht zu jenen, die angesichts der Zerstörung seines eigenen und des Werkes der Familie aufgeben – am Telefon wirkt er kämpferisch. Vor unserem Gespräch hatte er via Facebook dem NRW-Wasserverband einen erheblichen Vorwurf gemacht. Für Steckmann ist diese Katastrophe hausgemacht, das alles hätte nichts mit dem Klimawandel zu tun. Er richtet seine Wutrede an die Stolberger Mitbürger: „Das was in Stolberg passiert ist, hat nichts mit dem Klimawandel zutun.“ Es war, so klagt er, ein Fehler des NRW-Wasserverbands. Das Land oder der Bund müsse den Stolbergern ihren Schaden begleichen.

Über einen kleinen Umweg kommen wir an seine Handynummer, seine Frau nimmt ab und reicht uns weiter:

TE: Was ist passiert? Wie kommen Sie zu ihrer Behauptung im Facebook?

Helmut Steckmann: „Das ist ganz einfach, den ganzen Abend, wo es geregnet hat, war nur die Straße so leicht überschwemmt, so 20 bis 30 Zentimeter. Und plötzlich kommt nachts eine Flutwelle von zwei Metern durch die Stadt geschossen. Da haben die irgendwo eine Staumauer aufgemacht. Die sprechen sich gerade alle los davon: Nee, wir haben das nicht gemacht, wir müssen das Wasser hier ablaufen lassen, damit die Staumauer nicht bricht … Na gut, die wussten das schon eine Woche vorher, dass es so regnet. Da hätten die auch schon eine Woche vorher Wasser ablassen können.“

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Steckmann: „Am Nachmittag lief das Wasser langsam in die Rathausstraße hinein. Und dann wurde es bis zum Abend etwas höher, aber nicht so dramatisch, da wären wahrscheinlich nur die Keller vollgelaufen und nichts in die Läden rein. Danach, später, da kam mitten in der Nacht – so um eins, halb zwei rum – eine Flutwelle durch Stolberg, die wahrscheinlich alles zerstört hat. Wir standen am Fenster, meine Frau hat jede Viertelstunde ein Bild gemacht oder ein Video gedreht.“

TE: Sind sie versichert?

Steckmann: „Die Elementarschäden sind natürlich nicht versichert. Aber das sind auch keine Elementarschäden. Denn wenn ich vorsätzlich eine Staumauer öffne und damit die Stadt zerstöre – hier sind ja auch die … (Steckmann nennt hier diverse Werke und Unternehmen) und eine Bleihütte, die sind alle kaputt! Die sind alle zerstört, nicht nur unsere Geschäfte, die ganze Infrastruktur, Straßen, alles kaputt, hier ist nichts mehr los, können sie vergessen.“

TE: Konnten Sie denn schon mit den Zuständigen sprechen, denen Sie den Vorwurf machen?

Steckmann: „Nein. Aber der Bürgermeister sagte, die hätten nichts damit zu tun. Ich habe mit dem Bürgermeister von Stolberg gesprochen. Aber die reden sich alle raus.“

Steckmann erzählt weiter, der Stausee sei grob zwanzig Kilometer entfernt. Durch Stolberg fließe der Vichtbach, der sei aber noch nie – er lebe dort seit über fünfzig Jahren – übers Ufer gegangen. „Auch bei Starkregen nicht“, so der Konditor weiter, „da hat es schon eine ganze Woche geregnet, da ist der nicht übers Ufer gegangen.“

Weil es nachher noch wichtig ist, hier kurz die geografische Verlaufs- bzw. Lagebeschreibung des Vichtbachs (Zitat aus Wikipedia):

„In Roetgen erhält der Grölisbach rechter Hand Zufluss vom Roetgenbach und Dreilägerbach (nachdem dieser aus der Dreilägerbachtalsperre austritt), die alle in der so genannten „Roetgener Mulde“ ihr Quellgebiet haben. Ab der Einmündung des Roetgenbaches heißt der Grölisbach Vichtbach.“

Wir merken uns hier nur, dass der Vorläufer des Vichtbach aus der Talsperre austritt.

Der Schaden bei Steckmanns im Café ist total und der Vorwurf des Konditors an den NRW-Wasserverband gewichtig.

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TE fragt also bei der Wassergewinnungs- und aufbereitungsgesellschaft (WAG) Nordeifel nach, die für die infrage kommenden Talsperren zuständig sind. TE erwischt eine der beiden Pressesprecherinnen aber zunächst im Urlaub, sie verweist daher an die Kollegin, die sich zunächst bei den Fachleuten im Unternehmen schlau machen und dann zurückrufen will. Der Rückruf erfolgt innerhalb der ersten halben Stunde nach Anfrage. Die Pressesprecherin sagt, sie hätte ein paar Antworten für TE dabei, nämlich:

„Unsere Talsperre, die Dreilägerbachtalsperre, wir haben die zu keiner Zeit geöffnet. Die ist nicht Verursacher der Flut und auch nicht der Grund, warum die Vicht übergelaufen ist. Unsere Talsperre hat kein Wasser bewusst abgelassen. Wir haben im Prinzip das, was reingekommen ist … Wir haben niemals mehr abgegeben als wir aufgenommen haben. Die ist halt übergelaufen wie alle anderen Talsperren in der Region auch. Aber wir haben nichts geöffnet oder geflutet. Zum Thema Hochwasserschutz und Stauraum ist es so, dass es eine reine Trinkwassertalsperre ist. Das heißt, die ist nicht dafür geeignet und auch nicht dafür vorgesehen und auch nicht unsere Aufgabe, Hochwasserstauraum zu lassen. Und selbst wenn, bei den Massen, die an den Tagen runtergekommen sind, wäre es auch innerhalb von kürzester Zeit voll gewesen. Da hätten wir so oder so nichts machen können, aber wir haben keinen Zulauf geöffnet.“

TE: Also Sie würden sagen, die Wassermassen kamen einfach, weil die Talsperre schlicht ab einem bestimmten Zeitpunkt übergelaufen ist? Sie haben also nicht bewusst einen Ablauf zur Entlastung geöffnet, sondern die Talsperre überlaufen lassen?

Pressesprecherin WAG: „Es ist auch so, dass die Vicht nicht nur von der Dreilägerbachtalsperre gespeist wird, sondern von anderen Talsperren auch und von anderen Bächen und so weiter. Die läuft dann durch Stolberg durch und wird nicht nur durch unsere Talsperre gespeist. Also es ist nicht nur die eine, die an dem Tag dazu geführt hat, dass die Vicht übergelaufen ist. Es ist dann wirklich eine Kombination aus den Wassermassen, die einfach runtergekommen sind.“

Das heißt, man hätte das nicht im Vorfeld öffnen können, damit das etwas kontrollierter abfließen kann?

„Nein, das kann man nicht, weil das, wie schon gesagt, eine Trinkwassertalsperre ist. Die ist nicht dafür geeignet, vorher irgendwie Wasser abzulassen. Das ist unser Trinkwasserreservoir, das müssen wir auf einem gewissen Stand halten.“

Aber wenn die Talsperre fast überläuft, dürfte der gewisse Stand doch wohl da sein?

„Ja, aber die Talsperre ist nicht dafür vorgesehen, dass man einfach irgendwo aufmacht und Wasser ablaufen lässt.“

Sie meinen rein technisch sei das nicht möglich?

„Genau.“

Es gab dann einen bestimmten Moment wo das Wasser einfach übergelaufen ist?

„Genau.“

Hier zur Erklärung der technischen Funktion der Dreilägerbachtalsperre (Zitat Wikipedia) und im speziellen zur dortigen Hochwasserentlastung: „Die Hochwasserentlastung befindet sich seitlich am linken Hang und bestand vor der Sanierung aus fünf Hebern mit in ihrer Höhe versetzten Öffnungen und einer Wehrklappe. Seit der Sanierung gibt es eine neue Hochwasserentlastung mit einem im Stauraum stehenden runden Überfalltrichter mit einer angeschlossenen Schussrinne.“

Die Sanierung der Talsperre von der hier die Rede ist, fand zwischen 1990 und 1993 statt. Und vor dieser Sanierung gab es demnach eine Hochwasserentlastung mit Hebern und Klappen, anschließend einen Überfalltrichter. Hat nun die Schussrinne oder der überlaufende Trichter Stolberg überflutet oder mit überflutet?

Wieder die Pressesprecherin WAG: „An dem Tag sind alle Bäche, sind alle Talsperren, ist alles einfach übergelaufen. Und so ein Unwetter ist ja dann zu einem gewissen Teil höhere Gewalt. Und da können wir natürlich auch nichts machen, wenn die Wassermassen von oben kommen. Wir haben dann ja auch keine Möglichkeiten, außer die einfach überlaufen zu lassen. Was anderes können wir nicht machen.“

Hätte man es im Vorfeld steuern können?

„Nein, das hätte man bei den Massen nicht steuern können. Und die Trinkwassertalsperre hat auch keinen Ablauf.“

TLäuft denn da aus ihrer Talsperre sonst kein Wasser ab regulär in den Bach?

„Nein, das wird ja entnommen und gefiltert für die Trinkwasserversorgung.“

Aber woher nimmt der Vichtbach dann sein Wasser?

„Keine Ahnung …(…)“

TE: Das Talsperrenwasser ist dann dazugelaufen?

Pressesprecherin WAG:

„Genau.“

Zwei Meinungen also zu einer Katastrophe: Einerseits der Konditor, der alles verloren hat und seit 50 Jahren im Ort lebt und so etwas hier zuvor nicht im Ansatz erlebt hat. Ein Konditor, der dem Wasserverband die Schuld gibt, zu einem bestimmten Zeitpunkt massiv Wasser abgelassen zu haben und so die Flutwelle produziert zu haben, die Stolberg zerstört hat. Auf der anderen Seite die Betreiber einer Talsperre, deren Pressesprecherin meint, so etwas wäre technisch gar nicht möglich, die Talsperre war voll und lief dann einfach über. Jetzt müssen unabhängige Experten diese furchtbare Nacht genau analysieren und ermitteln, wie die Katastrophe zustande kam.

Für den Konditor und viele andere Eigentümer von ganz oder teilweise zerstörten Unternehmen steht jetzt alles auf dem Spiel. Verschärfend hier: Armin Laschet hat schon 2019 die Soforthilfen genau für solche Katastrophenfälle ersatzlos gestrichen. Höhere Gewalt oder gibt es Verantwortliche?

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