Tichys Einblick
Armer, kleiner Heiko

„Dilettant“: Erdogan verspottet Heiko Maas in Syrienfrage

An Maas gerichtet sagte Erdogan bei einem Gespräch mit lokalen Medien: „Ich verliere nicht, du verlierst“ (...) „Du kennst dich auch nicht mit Politik aus. Du würdest nicht so reden, wenn du etwas von Politik verstündest."

Murat Kula/Anadolu Agency/Getty Images

Während sich die Presse seit heute morgen eingeschossen hat auf einen – nennen wir es mal in Gangsterslang: Beef zwischen dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und dem deutschen Außenminister, ist der fleißige Twitterer Heiko Maas in den sozialen Netzwerken (Stand 11:52 Uhr) noch ganz beseelt von einer „#unteilbar-Demo“, die laut Außenminister einmal mehr ein Zeichen gesetzt hätte gegen „Rassismus, Antisemitismus und jede andere Form von Menschenfeindlichkeit“ .

Des weiteren findet sich dort zuletzt ein Glückwunsch an den Friedensnobelpreisträger – wagt sich Maas aus politischen Gründen nicht an den Literaturnobelpreisträger Peter Handke?– und noch ein weiterer Tweet zu einem Auftritt von Maas höchstselbst zur Eröffnung der Buchmesse in Frankfurt, wo er sagte – und twitterte:

„Es wird Zeit, die Komfortzone, die Blasen zu verlassen. Die Buchmesse ist der richtige Ort dafür.“

Der erste Kommentar unter diesem Eintrag lautet: „Bei soviel Heuchelei kann einem fast schlecht werden. Komfortzonen und Meinungen außerhalb der Blase, die aber lieber in Sackgassen abgesperrt werden – merkt ihr selber, oder?!“

Heiko Maas erkennt hier zumindest vor immerhin fast 350.000 Followern auf Twitter an, dass seinesgleichen in Blasen lebt, ein Vorwurf, den sonst immer nur der politische Gegner um die Ohren bekommt, wenn wieder ein Shitstorm über den Außenminister losbricht.

Nun allerdings ist Erdogan über Maas gekommen. Und da weiß man plötzlich kaum mehr, wie mit dieser blöden Konfrontationssituation umgehen. Soll man nun plötzlich Heiko Maas verteidigen, weil er immerhin eines der höchsten Ämter des Landes bekleidet, dessen Staatsbürger man ist? Eine unangenehme Situation, noch mehr, wenn so über das hohe Amt eine Solidarität mit dem Sozialdemokraten Maas erzwungen werden könnte.

Was hat Erdogan also warum zu Maas gesagt, das uns zu einer Solidarität zum Außenminister zwingen könnte, weil falsch ist, was Erdogan gesagt hat? Oder ist automatisch alles falsch, was der Türke über den Deutschen äußert, weil der Türke in der Türkei so etwas wie ein Unrechtsregime installiert hat?

Erdogan nennt Maas einen Dilettanten. So falsch? Erdogan sagt, Maas kenne seine Grenzen nicht. Auch falsch? Maas ist arrogant, sagt der Türke. Falsch? Maas habe keine Ahnung von Politik? Ebenfalls falsch? Nein, natürlich hat Erdogan in allem Recht, was er hier über Heiko Maas sagt – dann, wenn es grundsätzliche Feststellungen wären, müsste man dem Despoten vom Bosporus sogar applaudieren. Aber dieser staatsmännische Beef ist um ein vielfaches komplizierter und alles andere als ein Hahnenkampf. Man kann von Heiko Maas halten, was man will, man muss ihm sogar unterstellen, dass sein demokratisches Grundverständnis arg gelitten hat, aber man muss vor allem eines: Selbst Maas noch gegen Erdogan verteidigen. Selbstverständlich.

Es geht um den Einmarsch der Türken in Nordsyrien. Um ein kolossales Versagen des Westens gegenüber den auf vielfache Art und Weise bisher mit dem Westen verbündeten Kurden, die der hochgerüsteten türkischen Armee nun zum Fraß vorgeworfen wurden, weil – und so deutlich muss man es sagen – weil der Westen das so wollte, weil die amerikanischen Streitkräfte abgezogen und so der Schutz über die Kurden aufgehoben wurde, wenn doch zuvor jeder amerikanische Soldat oder Berater an der Seite der Kurden einen Angriff Erdogans blockiert hatte.

Trump sagt es ganz offen, wenn er behauptet, die USA würden den Kurden nichts schulden, die Deutschen halten sich bedeckt, mögliche deutsche Deals im Hintergrund mit Trump und Erdogan rund um diese Auslieferung der Kurden an Erdogan samt ihrer hundert Jahre alten Idee von Freiheit werden wohl erst in Geschichtsbüchern besprochen werden können.

Allerdings darf man sich wundern, warum Erdogan überhaupt auf diesen wohl unbedeutendsten Außenminister der deutschen Geschichte reagiert. Schließlich hat Erdogan alles erreicht, was er erreichen wollte. Die Milliarden Euro des Türkei-Deals mit Deutschland bzw. der EU haben jene Mittel freigeschaufelt, die als finanzielle Pufferzone nötig waren, die politische Geografie in Nordsyrien zugunsten der Türken zu verändern. Und auch die deutschen Waffenlieferungen der letzten Jahre waren umfangreich genug, diesen Krieg jetzt zu führen, bestehende Verträge für Lieferungen mit deutschen Waffenproduzenten werden eingehalten, was also bedeutet ein vorläufiger Stopp von Waffenlieferungen aus Deutschland, wie es Maas gegenüber Erdogan angekündigt hat? Im Grunde genommen nichts, schärfere Maßnahmen werden von Deutschland blockiert.

Umso bezeichnender für den fehlenden Respekt vor Maas und seinem Amt, wenn Erdogan ohne Not öffentlich macht, was er von Heiko Maas hält: Im Prinzip nichts anderes als viele Deutsche, aber es ist ein Unterschied, ob Erdogan das äußert oder der Autor hier oder seine Leser. Erdogans Beef gegen Maas nutzt sogar beiden. Maas wird im dafür ebenso dankbar sein, wie sich wieder ein paar mehr türkische Fußballspieler mit militärischem Gruß an den Spielfeldrand stellen werden, um ihren Lieblingsbösewicht und Kriegsherren aus Ankara zu feiern. Maas‘ Mut bleibt allerdings ein Mütchen. Eine mutlose Peinlichkeit.

Nun kann man viel über die türkische Seele philosophieren. Der Autor hier war als Kind in den 1970er Jahren in der Türkei und erinnert sich noch gut, als in der Zypernkrise zwischen den Nato-Partnern Türkei und Griechenland – schon damals ging es übrigens auch um die griechischen Inseln vor der türkischen Küste, als dort sogar Panzer stationiert wurden und Richtung türkische Küste zielten – als des nachts Wohnungen, Häuser und Hotels verdunkelt wurde, die Autoscheinwerfer blau angemalt und offene LKWs mit jubelnden und schreienden jungen türkischen Männern durchs die düsteren Straßen fuhren, dass sich die Eltern des Autors hier mit ihren Kindheitserinnerungen aus den deutschen Städten unter Bombenalarm erinnert fühlten.

Ja, auch Erdogan hat dieses Temperament. Aber es geht hier nicht um archaische Emotionen, schon gar nicht um eine andere Kultur, sondern um das Leben von Menschen. Von vielen tapferen kurdischen Kämpfern, die auch für Europa – sagen wir es martialisch – einen hohen Blutzoll geleistet haben, als sie maßgeblich halfen, die islamistisch-terroristische Gefahr zurückzudrängen, jene düsteren Kräfte, die schon damals die heimliche Sympathie und konkrete Unterstützung der Erdogan-Türkei erfahren haben sollen. Ja, Erdogans Soldaten ziehen jetzt auch mit bislamistischen Kräften in den Krieg gegen das Volk der Kurden im Norden Syriens.

Erstaunlicherweise ist in diesem Konflikt nicht mehr die Rede davon, dass es sich hier nach wie vor um syrisches Staatsgebiet handelt. Die Rechte und Ansprüche der Syrer spielen hier anscheinend gar keine Rolle mehr, während der deutsche Außenminister die Kurden ihrem Schicksal und also auch dem Tod überlässt und dann noch die Frechheit besitzt, so zu tun, als würde er wer weiß was für Maßnahmen ergreifen, das begonnene und das noch kommende weitere Schlachten zu beenden. Was ist hier eigentlich furchtbarer, der offene Hohn Erdogans oder diese Bigotterie des deutschen Außenministers, der dafür auch noch notgedrungen gegen Erdogan verteidigt werden muss in Zwangssolidarität zum Amt und also zu Deutschland? Dieser Außenminister ist wirklich eine Schande für das Land und Europa.

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