Tichys Einblick
Pleite zu Profit verwandeln

Der Spiegel 52/2018: Der Versuch, aus der Schande noch Profit zu schlagen

Das erste Heft nach dem Skandal: Eine nicht genutzte Chance. Statt dessen: ein selbstgefälliges Weiter-So, und weiterhin diejenigen verleumden, die der Wahrheit auf die Spur kommen. Es ist der Versuch, auch noch aus der Pleite Profit zu schlagen.

Ja, man darf wirklich fragen: Geht es noch verlogener beim Spiegel? Die Redaktion schwingt sich im flattrigen blütenweißen Büßerhemd auf, nun an sich selbst investigativ tätig geworden zu sein, während das Blatt rund um diese scheinheilige Inszenierung bloß einfach so weiter macht wie bisher. Nichts hat sich verändert, nichts wird sich verändern.

Die große Ironie hinter der Spiegel-Affäre um viele dutzend erfundene Reportagen: Der Spiegel selbst ist gerade der große Profiteur an der eigenen Schande, nicht nur, weil die Online-Aufrufe bzw. die aktuelle Auflage Verkaufsrekorde brechen könnte, sondern weil sich das viel früher einmal für seine investigative Kraft bekannte Magazin aufschwingt, damit zu prahlen, an sich selbst investigativ geworden zu sein. Es so ausschauen zu lassen, als hätte man diesen ganzen Wahnsinn rund um Claas Relotius, rund um den Betrug am Leser auch einfach unter die blauen Teppichböden in den Redaktionsfluren kehren können. Allerdings, so berichtet ein langjähriger ehemaliger Spiegel-Mitarbeiter auf Anruf lachend: „Nein, diese Teppiche sind fest verklebt, da kann man nichts drunter kehren.“ Aber genau da liegt der Hund begraben: Der Korruptionsskandal bei Siemens wurde durch externe Aufklärer aufgearbeitet, derzeit ist das bei VW im Gang. Nur beim Spiegel spielen die Aufklärer, die die Fälschung zu verantworten haben: Der Ressortleiter, der stellvertretende Chefredakteur. Aber wer einen Saustall ausmisten will, darf den Besen nicht der Wildsau geben.

„Ein Alptraum“ – peinliches Getue ums Gemurkste

Es ist „Ein Alptraum“, eröffnet der Spiegel vermeintlich tief gebeugt und selbstschuldig die große Sause rund um die medienwirksame Selbstbeschmutzung. Und die erste Frage muss hier gleich sein: Wie viel Pathos darf man sich eigentlich noch glaubwürdig aus dem Oberstübchen wringen, während man vorgibt sich gerade brutalst möglich selbst zu geißeln, wenn man besagte Ouvertüre mit einem dramatischen ganzseitigen Foto eröffnet mit der Bildunterschrift: „Blick aus dem Spiegel-Gebäude“? Eine Aufnahme mit Blick auf ein düster verhangenes Hamburg, ganz nebelig und in bedrohlicher Unschärfe.

Sündenbock statt Selbstkritik
Weshalb DER SPIEGEL nichts lernen wird
Ein Blickwinkel, der nun allerdings schon unabsichtlich alles erzählt: Denn wäre hier nicht ein Foto der Bildredaktion auf das Gebäude selbst die Entsprechung, wenn es dem Spiegel wirklich darum gehen will, mit sich selbst schonungslos ins Gericht zu gehen? Folgerichtig fragt das Intro dann auch: „Und wie hat die Redaktion die Affäre aufgedeckt?“, fast so, als wäre es hier bereits unerheblich geworden, dass diese Affäre eine aus den eigenen Redaktionstuben ist.

Wer sich erinnert fühlt an die Volkswagen-Affäre, damals, als die Chorgesänge des Vorstandes darüber nicht aufhören wollten, dass man alles tun werde für eine lückenlose Aufklärung, darf man sich in der aktuellen Spiegel-Affäre auch an den Umgang der Kirche mit ihren Missbrauchsfällen erinnern, als die Bischofskonferenz erklärte, mit einem Bericht wolle man „die Fälle sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche (selbst) aufarbeiten“?

Vorstellbar ist heute alles. Der Spiegel gibt als Produkt ein Versprechen an seine Leser ab. Wäre es also analog zu den VW-Klagen vorstellbar, dass Abonnenten in Sammelklage die Rückerstattung ihrer Abos einklagen könnten nebst Schadensersatz bzw. die Aufkündigung ihrer vertraglich festgeschriebenen Abo-Laufzeiten? Hat der Spiegel in der dunkelsten Stunde auch solche abwegigen Szenarien durchgespielt?

Die Verantwortlichen spielen Aufklärer

Eine Szene steht für die Hamburger ganz am Anfang ihrer Aufarbeitung, wenn der Leiter der Rechtsabteilung beim Spiegel mit dem Personalchef, dem Betriebsratschef und einem designierten Chefredakteur im Büro des Leiters der Spiegel-IT-Abteilung die Köpfe über einem Monitor zusammenstecken, wo gerade der dienstliche Mail-Account des Sünders „geöffnet“ wird. Was für eine Szene. Aber wirklich passiert? Oder nur geklaut aus Florian Henckel von Donnersmarck „Das Leben der Anderen“? Das Misstrauen gegen das Blatt ist gerade ins Bodenlose gefallen. Sorgt nun die Neugierde über den Sound der Bußeübung für höhere Auflagen?

Schuld sind immer die anderen
Der Spiegel reklamiert Opferrolle in Causa Claas Relotius
Nein, auch dieser Spiegel ist eine Mogelpackung. Dann beispielsweise, wenn er verspricht, in den nächsten Wochen und Monaten alles zu tun, die Affäre aufzuklären, „weil Recherchen Zeit brauchen“, aber Relotius viele dutzend Male offensichtlich nicht die Zeit bekommen hattte, seine Arbeit auf zeitraubenden Recherchen aufbauen lassen zu dürfen. Er sollte liefern, fast egal wie. Als ersten Scharfrichter, der im Magazin zu Wort kommt, hat sich der Spiegel leider keinen scharfen Kritiker ausgesucht, um auch hier maximalen Aufarbeitungswillen zu zeigen, sondern ausgerechnet den ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo. Der liefert das erhoffte Verständnis, kann sich aber ein paar Spitzen gegenüber dem großen Mitbewerber doch nicht verkneifen, wenn di Lorenzo die Arbeit des Spiegels so beschreibt: „Doch beim Schreiben, meine ich, lassen sie dann einen Teil der Recherchen oft raus zugunsten einer besonders schlüssig oder plausibel klingenden Geschichte.“ Und weiter: „In Ihrem Haus gibt es ja nicht nur einen Reporter, der gern Romane schreibt.“

Giovanni di Lorenzo kritisiert weiter die Aufarbeitung der Affäre durch den Spiegel und insbesondere durch den designierten Chefredakteur Ullrich Fichtner, der eine Mischung aus Kulturreportage und Essay dafür gewählt hätte, noch dazu, wo er im Text selbst einen jungen Kollegen einfach aufhängen würde. Wohl besonders verwerflich für di Lorenzo: „Wenn man aber schon so schreibt, dann hätte ich mir gewünscht, dass der Autor, der einer der großen Förderer von Claas Relotius war, auch beschreibt, welche Rolle er selbst dabei hatte und warum er selbst auf diese Art der Schreibe reingefallen ist.“ Ein Satz, der das ganze Versagen zusammenfasst.

Das Interview schließt ab mit einer Frage, die fast versöhnlich auf die Fälschungen von Relotius schaut, wenn der fragende Spiegel bereits die Mitschuld anderer, die Schuld des Lesers sucht: „Das Publikum erwartet heute vielleicht auch große Dramaturgie, weil es das von großen Fernsehserien wie bei Netflix gewohnt ist.“ Für di Lorenzo liegt da tatsächlich der Ansatz zur Deformation, wenn ihm mal ein berühmter Reporter (hoffentlich nicht Relotius selbst) gesagt hätte: „Ich habe seit Jahren keine Geschichte mehr gelesen, bei der ich geweint habe.“ Der Chefredakteur der Zeit hatte geantwortet: „Auch ich habe länger nicht mehr geweint oder gewütet beim Lesen einer Reportage.“

Eigentlich sind die Leser daran schuld…

Eine Erklärung, die keine ist
Kujau Relotius: Die Fälschungen gehen viel weiter als vom SPIEGEL zugegeben
Nun kann di Lorenzo nicht behaupten, er wüsste nicht um die Wut vieler Leser auch beim Lesen der Produkte aus seinem Hause. Böses Feedback gibt es in den sozialen Netzwerken überreichlich. Mag ja sein, es wird nicht mehr geweint, aber gewütet doch wohl mehr als je zu vor. Und die Fälschungen des Spiegel-Reporters Relotius haben die Wut dieser Menschen auf die so genannten Leitmedien nachträglich wie nachhaltig legitimiert.

Ein Spiegel, der sich nur um sich selbst dreht? Auch das nicht. Besonders abstoßend im Fahrwasser dieses desaströsen Glaubwürdigkeits- und Vertrauensverlustes ist noch etwas anderes. Auch diese Ausgabe im Büßerhemd zeichnet vor allem eines aus: Die Redaktion ist keineswegs gewillt, sich zu verändern. Es sieht vielmehr so aus, als ginge es zunächst einmal darum, den Aufruhr um den Betrug am Leser auch noch gewinnbringend für sich zu vermarkten. Doch, doch, so verhalten sich exaltierte Dandys auf einem untergehenden Schiff, dann, wenn es keine Rettungsboote gibt, man sich aber zu fein ist, selbst ein paar Züge im Haifischbecken der anderen zu schwimmen: So stellt man sich halt an die Bar und trinkt noch ein paar Flaschen vom teuersten Champagner, bevor man elend absäuft und schön besoffen von sich selbst verendet.

Was gibt es noch rund um die große Bußeübung? Der Berichterstattung in der gedruckten Ausgabe vorangestellt ist beispielsweise eine Chronologie der Ereignisse von Chemnitz. Und es ist sofort entsetzlich peinlich, wenn der Eindruck sich verstärkt, es ginge auch hier nur um ein Alibi, darum, endlich einmal zu zeigen, dass man auch faktisch berichten kann, so wie ganz früher, eben getreu dem diese Ausgabe vorangestellten Motto des Blattgründer: „Sagen, was ist.“ Peinlich, weil eben in den letzten Jahren andere übernommen haben. Die Leerstelle dort, wo Rudolf Augstein gesagt haben wollte, was ist, wurde einfach zu groß. Die Idee, Meinung zu machen, indem man sagt, was ist, wurde beim Spiegel dahingehend pervertiert, das man Meinung machte und so vom eigenen Einfluss überzuckert war, das man meinte, diese Meinung von dem was sei, würde dann schon automatisch zu dem werden, was ist.

Und die Verleumdungsmasche geht weiter

Der Fall Claas Relotius ./. SPIEGEL
Das Elend des Haltungsjournalismus
Peinlichkeiten runden Seite für Seite diese Enthüllungsstory rund um gefälschte Geschichten aus der eigenen Dunkelkammer ab, dann wenn in besagter Chemnitz-Chronologie der Ereignisse man zwar nicht darum herum kommt, die investigative Arbeit von Tichys Einblick rund um das angebliche Hetzjagdvideo zu erzählen, wenn aber acht (!) verantwortlich zeichnende Redakteure für sechs Seiten es für nötig halten, den Urheber zu verbergen und stattdessen in gewohnt diffamierendem Duktus von einem „rechtskonservativen Online-Portal“ zu schreiben.

Das gleiche dort, wo man sich der Kritik an den Fälschungen stellen wollte und seitenweise angebliche Kritiker zu Wort kommen lässt, Portale wie Übermedien eines ehemaligen Mitarbeiters zitiert werden ebenso, wie die Zeitung „Der Freitag“ ihres Miteigentümers Jakob Augstein. Besser kann man die Farce hinter dieser Selbstreinigung kaum erzählen: Der Adlige stinkt ungewaschen. Er pudert sich die Nase. Aber nur ein bißchen. Und wenn er einfach nur weiter stinkt, zeigt er empört mit dem Finger auf andere.

Statt zu „Sagen, was ist“ spielen die betrogenen Betrüger jetzt Aufklärer.