Tichys Einblick
Der Wind dreht - langsam, aber beständig

Aufschrei der Alten: „10 Thesen für ein weltoffenes Deutschland“

Ein Gründungsmitglied der Grünen aus dem Westen und zwei ehemalige SPD-Politiker aus dem Osten mit zehn klaren Thesen.

So unbekümmert ging es mal.

© Matthias Kern/Getty Images

Ein Gründungsmitglied der Grünen aus dem Westen und zwei ehemalige SPD-Politiker aus dem Osten. Mindestens zwei von ihnen mit theologischem Hintergrund. Aber das ist nicht der Grund, warum sie zusammengefunden haben. Was die drei, die im politischen Geschäft längst zu den grauen Elefanten gehören, umtreibt, ist die Sorge um Deutschland unter dem Banner der Massenzuwanderung. Was sie dem stauenden Publikum nun anbieten, sind „10 Thesen für ein weltoffenes Deutschland“. Und was zunächst alles andere als zuwanderungskritisch klingt, ist falsch etikettiert. Dazu aber gleich.

Wenig Hoffnung
Boris Palmer schüttelt sein schwäbisches Haupt
Fast jeder erinnert sich an sein erstes Mal: Man steht am Rand des Wassers, der kleine Zeh taucht ein, es fühlt sich saukalt an, aber man hatte ja vor, zu schwimmen. Ein Zaudern und Abwarten bei den einen, schon der beherzte Sprung hinein bei den anderen. Aber am Ende schwimmen sie alle, die wenigsten bleiben am Strand sitzen. Nehmen Sie dieses Bild einmal dafür, dass eine Grüne und zwei Sozialdemokraten den Boris Palmer machen.

Man mag nur ahnen, wie lange die Sorgen um die eigene Heimat schon in ihnen brodeln musste, bis man sich gegen jede Ideologie und Parteidisziplin ein Herz fasste und Tacheles redete. Wir können uns denken, wie viel schwerer das noch für Grüne und SPDler sein muss. Die WerteUnion um Alexander Mitsch hatte es für die Union vorgemacht. Brechen jetzt alle Dämme parteiübergreifend?

„10 Thesen für ein weltoffenes Deutschland“ von Eva Quistorp, Theologin und Mitgründerin der Grünen, für die sie im Europaparlament saß, Richard Schröder, ehemaliger SPD-Fraktionschef in der DDR-Volkskammer und danach Mitglied des Bundestages, und Gunter Weißgerber, Mitgründer der SPD in der DDR und späterer Bundestagsabgeordneter für die SPD.

Hier These für These zusammengefasst von TE auf ihre Kerngedanken:

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These 1

Die Zuwanderung nimmt noch weiter zu. 500 Millionen Afrikaner wollen nach Europa. Nachsatz der Autoren: „Daraus ergibt sich zwingend, dass Europa die Immigration regulieren muss. Wir können nicht alle aufnehmen, die zu uns kommen wollen.“

These 2

Wir müssen viel klarer unterscheiden zwischen Asylsuchenden und Immigration aus wirtschaftlichen Gründen. Identitätsverschleierung muss rechtsstaatlich begegnet werden. Anreize, die außereuropäische Migranten aus anderen europäischen Ländern nach Deutschland zu locken, sollten abgebaut werden.

These 3

Alle Immigranten sollen zunächst in ihrer Bewegungsfreiheit beeinträchtigt werden und in Aufnahmelagern unterkommen, bis geklärt ist, ob sie bleiben dürfen. Der Staat muss verhindern, dass abgelehnte Asylbewerber untertauchen, also illegal im Lande bleiben. So beugt man vor, dass Zuwanderer denken „(d)ie Deutschen kann man leicht betrügen.“

These 4

Ein moderner Staat kann die in ihn gesetzten hohen Erwartungen ohne Grenzkontrollen nicht erfüllen. „Bei völlig offenen Grenzen ist ein Sozialstaat unmöglich, denn das bedeutete: unbegrenzte Ausgaben bei begrenzten Einnahmen. Und das funktioniert nie.“ Nachsatz der Autoren: „Wenn ein Regierungsmitglied – und ausgerechnet die Integrationsbeauftragte – erklärt, außer der deutschen Sprache gebe es keine deutsche Kultur, sollten wir sie bitten, auch mal in Frankreich oder Polen lautstark zu behaupten, es gebe keine französische oder polnische Kultur.“

These 5

Asylrecht kennt keine Obergrenze, aber es gibt eine Kapazitätsgrenze. Die Autoren definieren sie so: „Diese Grenze wird gewahrt, solange die Zuwanderung die üblichen Abläufe in öffentlichen Einrichtungen, Kitas, Schulen, Krankenhäusern, nicht stört oder gar zerstört.“ Die Zuwanderungswelle 2015/16 hat die Kapazitätgrenze überschritten, die Folgen werden erst nach und nach sichtbar werden.

Nachsatz der Autoren: „Es ist abwegig und unanständig, (Kritiker) deshalb als Nazis oder Rassisten zu beschimpfen.“

These 6

Zum Familiennachzug: Es ist empirisch belegt, dass mit dem Nachzug der Familie in der Regel die Integrationsbereitschaft sinkt.

Nachsatz der Autoren: „Befindet (sich die Familie) in einem sicheren Drittland nahe bei der Heimat, sollte die „Familienzusammenführung“ darin bestehen, dass der in Deutschland befindliche Migrant zu seiner Familie fahren kann und nicht umgekehrt.“ Minderjährige sollen sogar ganz ihren Eltern zugeführt werden, wenn diese sich an einem sicheren Ort befinden.

These 7

Angst vor Fremden ist beispielsweise angesichts krimineller Parallelgesellschaften weder rassistisch noch faschistisch.

Nachsatz der Autoren: „Überfremdungsängste wie die vor einer Islamisierung Deutschlands oder gar der Einführung der (strafrechtlichen) Scharia in Deutschland sind vollkommen abwegig. Wenn jedoch in einer Schulkasse in bestimmten Stadteilen 80 Prozent der Schüler mangelhaft deutsch sprechen, werden Alteingesessene ihr Kind in einer anderen Schule unterbringen.“

These 8

Die Behauptung, Zuwanderer wollten sich integrieren, trifft nur bedingt für Zuwanderer aus islamischen Ländern zu. „Bei Muslimen treten leider besonders häufig Integrationsprobleme auf.“

Nachsatz der Autoren: „Typische Konfliktpunkte mit Muslimen, und zwar nicht nur den salafistischen, sind folgende: die Stellung zur Frau, zu den Juden, den Homosexuellen, denjenigen, die sich vom Islam abwenden (darauf steht die Todesstrafe), das Verhältnis von Staat und Religion sowie eine generelle Staatsverachtung zugunsten des Clans.“

These 9 (hier komplett abgebildet)

„Wenn in einem Parlament Fragen und Ängste, die viele Bürger bewegen, nicht angesprochen werden, artikulieren sie sich außerparlamentarisch. Es wird sich dann auch eine Partei finden oder gründen, die daraus für sich Honig saugt. Diese Partei wird als Newcomer unsortiert, chaotisch und zerstritten sein. Ihre zukünftige Stabilität ist ungewiss. Sie ist ein Denkzettel für die Beschöniger.“

These 10

Wir können Fluchtursachen in den Herkunftsländern nicht von heute auf morgen beenden. Darüber darf es keine Illusionen geben. Alle Bemühungen sind langfristige Projekte, „die in den nächsten Jahren noch keine Wirkung zeigen können.“

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Nun sind die einzelnen Thesen nicht spektakulär neu, neu ist hier, wie kompakt sie zusammengefasst wurden und von wem. Eine Grüne und zwei Sozialdemokraten. Werden diese Thesen ein Denkanstoß sein? Man will es hoffen. Denn gerade jetzt, wo eine Jamaika-Regierungskoalition auf Bundesebene zusammenfinden könnte, dürften klare inhaltliche Positionierungen Mangelware werden. Der Sprung der drei Autoren ins kalte Wasser war wichtig und notwendig. Allerdings darf auch nicht übersehen werden, dass Eva Quistorp, Richard Schröder und Gunter Weißgerber längst dem aktiven politischen Geschäft entkoppelt sind. Zuhören muss ihnen in den Parteien niemand mehr automatisch.

Eine Buchpräsentation
Der grüne Boris und die Klöcknerin von Notre Dame
Zwei der Autoren schreiben für Achse des Guten und stehen schon alleine deshalb außerhalb der von den Parteien zugelassenen Denkräume. Der Boris-Palmer-Effekt wird sich also ganz sicher nicht automatisch einstellen. Zudem Palmer als aktiver grüner Politiker sehr genau weiß, wem er wo und wann ein Interview gibt und für welches Medium er Kommentare schreibt. Palmer mag ein enfant terrible sein, aber bei allem innerparteilichen Gegenwind bleibt er stets kompatibel, weiß ganz genau, was von ihm verlangt wird. Er mault und grummelt zwar gerne einmal, fügt sich aber immer wieder willig ein. Palmer wirkt von innen.

Die drei Autoren der „10 Thesen für ein weltoffenes Deutschland“ generieren Aufmerksamkeit über ihre Vitae in SPD und bei den Grünen. Ihr Engagement für Deutschland bleibt also ein außerparlamentarisches. Spannend ist es dabei aber allemal.