Tichys Einblick
Antisemitismus-Doku 24 Stunden bei BILD

Angeschaut: Der verschwiegene Film über Antisemitismus

ARTE und WDR zieren sich, eine Antisemitismus-Dokumentation zu zeigen. Das wurde eine kleine mediale Sensation: BILD online macht es einfach. Wir schauen und sehen, es wurde nicht nur geliefert, was bestellt war, sondern die Zerstörung eines Mythos.

Screenshot: "Auserwählt und Ausgegrenzt" Dokumentation

Geliefert wurde in weiten Teilen eine Zerstörung des Mythos vom KZ Gaza. Die europäische Rezeption des Gaza-Konfliktes als Sinnbild für Antisemitismus in neuer Gestalt. Fragen wir also: Wie gut ist nun dieser ganz andere Film geworden?

Bestimmt ein antisemitisches Weltbild?

Die Dokumentation wurde bisher nicht gezeigt, weil sie ein antisemitisches Weltbild in weiten Teilen der Gesellschaft belegt, vermutet der BILD-Reporter Claas Weinmann. Das eher unseriöse, sich weit ins linke Lager anbiedernde Medienportal Meedia aus dem Hause Handelsblatt, kommentiert spontan den BILD-Vorstoß: eine mutige Aktion.

Aber was ist daran mutig? Medien und Öffentlichkeit sind sich ja weitestgehend einig, dass dieser Film in 90-Minuten-Spielfilmlänge gezeigt werden sollte. „Mutig“ vielleicht höchstens insofern, dass rechtlich nicht geklärt ist, ob BILD den Film überhaupt zeigen darf, schließlich ist es eine Auftragsarbeit der Fernsehsender. Und offensichtlich war im Vertrag mit den Filmemacher keine Sendepflicht festgeschrieben. Was wäre denn, wenn der Film inhaltlich oder filmtechnisch einfach nicht gut ist?

Oder wenn er zwar inhaltlich spannend wäre, aber den Qualitätskriterien des Senders nicht genügte? Der Historiker Michael Wolffsohn hat offensichtlich schon schauen dürfen. Und sein Urteil ist laut BILD eindeutig: „Glückwunsch! Das ist die mit Abstand beste und klügste und historisch tiefste, zugleich leider hochaktuelle und wahre Doku zu diesem Thema.“

Der Untergang der Titanic und ein vergifteter Brunnen

Soweit die Vorabgeschichte zu einem 24-Stunden-Format bei BILD, denn länger will man den Film nicht zeigen. Schauen wir mal rein in die Dokumentation der Filmemacher Joachim Schroeder und Sophie Hafner. Eröffnet wird sie mit der Frage, ob die Juden am Untergang der Titanic schuld sind. Dann folgt Kanzlerkandidat Martin Schulz neben dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas bei einem Besuch in Brüssel.

Abbas verbreitete im Europaparlament die offensichtliche Falschnachricht, Rabbiner hätten die israelische Regierung dazu aufgefordert, das Wasser der Palästinenser zu vergiften. Dafür gibt es von den EU-Abgeordneten Standing Ovations. Schulz nennt die Rede anschließend sogar „inspirierend“. Jener Schulz, der schon 2014 in der Knesset für einen Eklat sorgte. Die Tagesthemen hatten es so ähnlich gesendet. Nur nicht als unsägliche Brunnenvergiftergeschichte, sondern als schändlichen Wasserentzug, als absichtsvolle Ausdurstung eines Volkes.

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Zwei Tage später wird Abbas seine eigene Mittelalter-inspirierte Geschichte zwar entschuldigend als falsch bezeichnen. Aber dann ist sie schon in Millionen von Köpfen eingesickert. Kein Jahr später wird Sigmar Gabriel als frisch gebackener deutscher Außenminister die israelische Regierung brüskieren, weil er mit „Verrätern, Nestbeschmutzern und Israel-Hassern“ sprechen will, so zumindest Premier Benjamin Netanjahu. Antisemitismus ist ein Herzstück europäischer Kultur, erklärt die Off-Stimme des Films. Der Jubiläums-Luther sei nach heutigen Maßstäben ein Hassprediger gegen die Juden gewesen. Und dass gerade Spitzenpolitiker der SPD sich seltsam um ihre palästinensischen Freunde bemühen, ist ein Rätsel, das nicht die Dokumentation beantworten – sondern eine Frage, die eine kritische Öffentlichkeit an das Duo Steinmeier/Gabriel richten soll. Denn dass deren „Freund“ Abbas eine finstere Figur ist, das ist klar.  Und daran knüpft auch die Dokumentation an.

Die Brunnenvergifterlüge von Abbas ist Ausgangspunkt des Films, einer tausende Kilometer langen Reise der Frage nach, ob sonst noch jemand in Europa oder anderswo diese Lüge denkt, verbreitet oder sonstwie propagiert. Annette Groth, Menschenrechtsbeauftragte der Partei Die Linke darf zuerst. Auch sie spricht davon, dass gezielt die Wasserversorgung im Gaza zerstört wurde. Nun ist Zerstörung zunächst keine Vergiftung. Und dass die israelische Siedlungs- und Gazapolitik keinen Heiligenschein beansprucht, würde auch in der israelischen Regierung niemand ernsthaft behaupten. Die Linke mit dem umgehängten „Palestine“-Schlüsselbändchen spritzt dann aber doch noch Gift: Bei Ihr ist es „hochtoxisches Material“, das Israel absichtsvoll ins Mittelmeer kippt.

Leider sind die Kommentare der Filmemacher merkwürdig zynisch, wo ein neutraler Ton die Fakten für sich hätte stehen lassen können und deren Wirkung möglicherweise noch verstärkt hätte.

Ein Beispiel? „Verstanden. Stellvertretend für alle Juden vergiften heute die Israelis gleich das ganze Mittelmeer. Schade um das schöne Mittelmeer. Wir haben es sehr gemocht.“ Nun ist das Mittelmeer vor Israel tatsächlich teilweise schon eine Kloake. Noch 1998 pumpte Haifa Chemicals täglich ein säurehaltiges, giftiges Gemisch aus Quecksilber, Blei, Cadmium, Arsen und Chrom 24 Seemeilen vor der Küste ins Mittelmeer. Angeblich jährlich 60.000 Tonnen der gefährlichen Mixtur wurden so mit der Strömung an die libanesische, syrische, zypriotische und türkische Küste verdriftet. Das erzählt der Film nicht. Aber wer würde ernsthaft behaupten wollen, diese im Übrigen weltweit praktizierten Umweltsünden wären ein Attentat auf das palästinensische Volk gewesen? Die Abgeordnete von der Partei Die Linke in der Dokumentation jedoch tut das.

Nur senden, was oben erlaubt ist?

Auf einer Demo vor dem Reichstag „tummeln sich all die, denen man nie begegnen wollte, die neue Rechte“, erklärt die Off-Stimme. Wer ist hier „man“? Die überregionalen Medien jedenfalls schleichen in Schnellroda um Götz Kubitschek, den Vordenker der neuen Rechten herum, wie um den Kyffhäuser. Und sie berichten ganzseitig, teilweise unfreiwillig romantisierend, wie die Journalistin Hannah Lühmann für die WELT.

Interessant auch, wie die aktuellen Ereignisse die Haltung der Doku in einem Fall selbst ad absurdum führen, wenn ein Demonstrationsteilnehmer erklärt: „Ihr dürft ja nur das bringen, was ihr von oben erlaubt bekommt.“ Gegenfrage von Joachim Schroeder: „Ist das so?“ Für ARTE und den WDR war das tatsächlich so, aber ganz anders, als in der Sequenz gemeint.

Eine der Schlüsselfragen des Films: ist Antizionismus Antisemitismus? Eine Frage, die die politische Linke in Deutschland bisher immer konsequent mit „Nein“ beantwortet wissen wollte. Von Baader-Meinhof bis Gabriel und jetzt Schulz. Sie haben die Trennung der Begriffe zum Dogma gemacht. Die Dokumentation stellt hier also die richtigen Fragen, will durchbrechen, will aufzeigen, wie Antizionismus heute der Deckmantel für den Reload eines uralten Antisemitismus in Europa geworden ist. „Sozialismus für Palästina“ und „Kein Frieden mit dem Apartheidsstaat“, schreit ein Spruchband auf einer linken Demo in Deutschland. Ist Antizionismus also in Gestalt eines Antiimperialismus der letzte Strohhalm der alten neuen Linken?, fragt auch der Chicagoer Professor für Geschichte Moishe Postone im Interview der Doku.

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Ein paar bekannte historische Aufnahmen unterfüttern in der Dokumentation die Darstellung der Entstehungsgeschichte des Zionismus ebenso wie die des Antizionismus. Von Hilters Zusammenarbeit mit dem Mufti von Jerusalem bis hin zu den Vertreibungen von Palästinensergruppen nach Gaza nach dem israelischen Unabhängigkeitskrieg. Über die Zahl der Vertriebenen wird bis heute gestritten. Nein, nicht nur zwischen Israelis und Palästinensern, sondern auch in Gestalt der „Nakba Wanderausstellung“ auf dem evangelischen Kirchentag in Deutschland. Für die Macher der Dokumentation ein klarer Fall von Geschichtsumdeutung, und die nun wieder halten dagegen und erklären die Vertreibung von 850.000 Juden aus den arabischen Ländern „faktisch für einen Bevölkerungsaustausch“.

Deutlich wird hier zumindest eines: Wenn es zwei Wahrheiten gibt, muss nicht automatisch eine falsch sein. Möglicherweise sind beide wahr oder halb wahr. Der Film allerdings entscheidet sich. Er spricht explizit von einer notorischen Beschäftigung von NGO’s auf dem Kirchentag mit dem Wohl der Palästinenser. Darf er das im Format einer Dokumentation? ARTE und der WDR fanden zunächst: Nein, darf er nicht. BILD meint: darf er doch. Wir erinnern uns: Präambel Nr.2 der Unternehmensgrundsätze formuliert noch von Axel Spinger lautet: „Wir unterstützen die Lebensrechte Israels.“

Über das Ziel hinaus

Leider schießen die Macher des Films immer wieder mal über das Ziel hinaus. Warum, versteht man kaum. Warum muss man, wenn man die Pro-Palästinensische NGO EAPPI zu Wort kommen lässt, „Brot für die Welt“ einblenden und dann kommentieren: „Dieser Holocaust-Vergleich wurde Ihnen von Brot für die Welt präsentiert.“, weil das Hilfswerk der evangelischen Kirche EAPPI unterstützt? Natürlich darf man hier einwenden, dass Brot für die Welt nicht für jedes Statement jeder alten Dame an irgendeinem Info-Stand von EAPPI verantwortlich ist. Da muss die Kritik schon grundsätzlicher sein. Es gibt einige solcher der Leitidee geschuldeter erzwungener Zuspitzungen. Und damit ist sie dann eben leider nicht die „klügste“ Dokumentation aller Zeiten, wie es bei Prof. Wolffsohn klang. Aber was ist sie dann? Jedenfalls zeigt sie, wie tief der neue Antisemitismus in Deutschland wurzelt und dass er gerade bei denen blüht, die sich selbst gern als Gutmenschen definieren.

Deutsche und EU-Organisationen und von der EU mitfinanzierte UN-Organisationen überweisen jährlich 100 Millionen Euro an politische NGO’s in Israel, die überwiegend Israel-feindliche Kampagnen betreiben, heißt es weiter.  Als nächstes sind die deutschen Medien dran. WELT und SPIEGEL würden regelmäßig über getötete Palästinenser berichten, aber den palästinensischen Terror nach hinten rücken.

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Niemand bekommt weltweit mehr Finanzmittel an Zuwendungen als die 4,6 Millionen Palästinenser in Westbank und Gaza. Kein Landstrich bekäme auf dem Globus auf Dauer mehr Aufmerksamkeit. Gaza ein KZ, Lager, ein Genozid? Jürgen Todenhöfer hätte beschrieben, wie er beschwerlich durch einen Tunnel der Hamas nach Gaza eingereist sei, erzählt der O-Ton süffisant. Man selbst hätte sich einfach und unkompliziert für den normalen Grenzübergang entschieden. Ob Jürgen Todenhöfer dieses komfortable Einreisemöglichkeit 2013 allerdings ebenfalls hatte, bleibt hier im Dunkel. Hat Todenhöfer Einreiseverbot in Israel wie dereinst Günther Grass? Dann bliebe ihm nur der Tunnel. Wir wollen nachfragen, aber in seinem Büro in München springt nur der Anrufbeantworter des neuen Freitag-Herausgebers an.

Fazit der Dokumentation zur Situation in Gaza: „Vieles sieht hier aus wie in anderen islamischen Ländern, manches sogar besser.“ Die Kindersterblichkeit sei niedriger als in der Türkei und die Dichte der Bevölkerung pro Quadratkilometer läge unter der von Paris. Prachtbauten am Strand, neue opulente Moscheen neben Villen palästinensischer Funktionäre. Mit einem Wort: Korruption. Gesprächspartner auf den Straßen von Gaza sind es, die so sprechen. Und tatsächlich scheint es so zu sein, dass es eine Zweiklassengesellschaft in Gaza gibt, die unterpflegten Vorzeigeslums für die Öffentlichkeit und die geprunkten Villen am Strand vor der untergehenden Sonne für andere.

Was ist die filmische Idee hier? Zunächst einmal soll der Mythos vom KZ Gaza kritisch hinterfragt werden. Das gelingt den Filmemachern umstandslos und glaubwürdig. Es fällt auf, wie sehr sich das Bild der Doku von dem unterscheidet, das der WDR sonst sendet: Eine große arabische Stadt, mit Armut aber auch sichtbarem Wohlstand und ziemlich viel Normalität – aber kein KZ, kein Lager, wie sonst suggeriert wird. Hätte man hier nun aber die israelische Siedlungspolitik  gegenschneiden müssen? Im Kielwasser der ersten Trump-Euphorie hatte Israels Regierung mit dem „Gesetzesvorschlag zur Regelung der Besiedlung Jehudas und Samarias“ illegale jüdische Siedlungen im Westjordanland legalisiert. Ziel sei es sogar, die Besiedlung noch voranzutreiben.

Befördert Anti-Zionsimus gleich Anti-Semitismus?

Was bedeutet also Ausgewogenheit? So eine Dokumentation ist ein Einzelbeitrag, er erhebt sicher nicht den Schulbuchanspruch, umfassende didaktische Erörterung sein zu wollen. Mitdenken ist also hier erlaubt. Weiterdenken. Diskutieren. Beispielsweise in einer sich dem Film anschließenden TV-Gesprächsrunde.

Auch darf man die Fragestellung der Dokumentation nicht ignorieren. Und die meint ja im Grunde genommen Folgendes: Ist es wirklich so, dass eine Empörung über die israelische Politik gegenüber den Palästinensern Antisemitismus befördert oder ist der israelisch-palästinensische Konflikt viel mehr willkommener Anlass für die Ausläufer oder gar einen Reload eines jahrhundertealten europäischen Antisemitismus?

Der Titel der Dokumentation lautet: „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa.“ Hier könnte dann auch der dickste Stein des ARTE/WDR-Anstoßes verborgen liegen. Denn diese Doku widmet sich fast ausschließlich diesem ewigen Konflikt Palästina-Israel und der Rolle Europas in diesem Konflikt.  Zwar werden am Rande historische Antisemitismus-Entwicklungen dokumentiert, aber die Bestandaufnahme wird mit beengtem Sichtfeld vorgenommen. Möglicherweise ist der ursprüngliche Auftrag von ARTE/WDR tatsächlich so nicht erfüllt worden. Und so etwas noch Interessanteres entstanden?

Fazit: Ohne Zweifel ein spannend erzählte, aber eben auch eine tendenziöse Dokumentation. Aber vielleicht muss sie das sein oder darf so wirken, wenn sie es sich zur Aufgabe gemacht hätte, eine massive und Jahrzehnte andauernde tendenziöse Anti-Israel-Berichterstattung also solche darzustellen. So entsteht ein Paradoxon: Nach den Grundsätzen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks müssen die Sender ausgewogen berichten – wobei nicht jede einzelne Sendung ausgewogen sein muss. Insofern trägt die Dokumentation zur Ausgewogenheit bei. Weil sie korrigiert, was vielfach einseitig dargestellt wurde.

Ausgewogenheit wäre endlich hergestellt

Sicher darf man hier die journalistische Neutralitätsfrage stellen und würde gegen die Filmemacher entscheiden. Dann müsste man allerdings auch die Antisemitismus-Rezeption der letzten 50 Jahre komplett ignorieren. Nur welchen Wert hätte so eine isolierte Betrachtung noch? So sah es auch Michael Wolffssohn und andere, die dem Film große Bedeutung zumessen. Zu Recht. Michael Wolffsohn gehört auch der BILD-eigene Abspann, indem der Historiker in sechs Punkten aufzählt, warum dieser Film gezeigt werden muss. Gezeigt werden muss besonders auch deshalb, weil er zunächst nicht gezeigt werden sollte. Aber auch, weil er schlicht verstörend ist mit seinem Hinweis auf den linken Antisemitismus, der sich kaum vom braunen unterscheidet. Tief ist der palästinensische Opfermythus auch in die Spitze der SPD eingesickert. Liegt darin der tiefere Grund für den Versuch, die sehenswerte Doku in den Filmkeller zu vergraben?

Und hier zeigt sich auch eine neue Medienwirklichkeit: TV war bislang das Privileg jener, die über knappe Frequenzen verfügten, also die klassischen TV-Anbieter. Heute kann auch BILD Fernsehen – wie jeder, über das Netz. Filme wegsperren geht nicht mehr. Sie kriegen Beine. Und es bleibt die Frage: Warum haben ARTE und WDR nicht an der einen oder anderen Stelle der Doku eingegriffen, um allzu gewagte oder überzogene Dinge gerade zu ziehen – so macht das jeder Sender und jede Redaktion.

Was bleibt, ist ein Erklärnotstand der Sender. Und das peinliche Schweigen derer, denen die Doku den Spiegel vorhält und die darin ihre eigene Schande sehen.