Tichys Einblick
Deux normes

Wenn ein Deux-Pièces politisch wird

Bei der Masse zu punkten vermag heute nur noch jener mit der "richtigen" gesinnungspolitischen Haltung. Kleingeistiges Schubladendenken – es ist die neuste Mode.

Das Vanity Fair hat unlängst seine berühmte, jährlich erscheinende „Best dressed“-Liste veröffentlicht. Zu den am vortrefflichsten gekleideten Persönlichkeiten aus dem Politsektor 2017 zählen laut dem Modemagazin Michelle und Barack Obama, Frankreichs Première Dame Brigitte Macron mit Gatte Emmanuel sowie der kanadische Premierminister Justin Trudeau. Nicht hinreichend gut gekleidet und deshalb der Liste fern: Melania Trump.

Nun gibt es ja alle möglichen Geschmacksgründe. Die modische Interpretation des „Vanity Fair“ mutet aber umso eigenwilliger an, je genauer man sich die stofflichen Highlights besagter Gefeierter ansieht: Justin Trudeau machte modemäßig zuletzt mit Socken mit Regenbogen-Streifen von sich reden, verziert mit der Aufschrift „Eid Mubarak“ (muslimische Begrüßung), die er bei der Gay-Pride-Parade in Toronto zur Schau trug. Emmanuel Macron gab sich beim Besuch eines Luftwaffenstützpunktes unlängst dem Spott der Franzosen preis, als er im Kampfpilotenanzug einen auf Tom Cruise machte (er selbst hat nie Militärdienst geleistet). Gattin Brigitte ist vor allem bekannt für ihre Minis, die sie bei offiziellen Empfängen vorzugsweise trägt – wie etwa das weiße Kleidchen beim Treffen mit den Trumps in Paris. Das Teil kam ihren wohlgeformten Beinen zwar entgegen, wirkte aber modisch so deplatziert wie eine Trachtenlederhose an einer Chanel-Show und ließ sie zudem aussehen, als käme sie gerade von einer Krankenstation.

Seit sie First Lady ist, pflegt Melania Trump bei ihren Auftritten mimik- und gestikmäßig stets klassische Zurückhaltung, die sich auch in ihrer ausnahmslos dem Anlass entsprechenden Garderobe widerspiegelt: Bei formellen Empfängen trägt sie meist knielange Bleistiftkleider, je nach Wetterlage mit verspieltem Muster oder unifarbene Deux-Pièces, abends sind ihre Roben fließend, von femininer Eleganz. Nie wirkt sie aufdringlich, oder billig oder macht den Anschein, ein verjüngendes oder pompöses Image promoten zu wollen. Wenn sie im Hurricane-Katastrophengebiet eben in Highheels erscheint – und dafür von Trump-Kritikern als „abgehoben“ gerügt wird –, zieht sie nur ihre persönliche Linie durch. Kurz: Die Frau hat Stil. Weil sie aber mit dem falschen Mann verheiratet ist, ist es vielen unmöglich, sich in irgendeiner Form Anerkennung für das ehemalige Model abzuringen. Ginge es nach dem Urteil von Vanity Fair, würde sie wohl auch im direkten Vergleich mit Leuten, die in Müllsäcke gehüllt sind, modemäßig abfallen.

Deux-Pièces – deux normes

Wenn ein Mangel an Unterscheidungsvermögen den Verstand pausieren lässt, wird es zusehends absurder. Dann wird Kunst, ja sogar Mode für Politik missbraucht. Wir erinnern uns an die Künstler, die mit Forderungen wie „Ivanka, häng meine Bilder ab“ ihrer Verachtung ob der Politik ihres Vaters Aufmerksamkeit verleihen wollten. An Aktivisten, die zum Boykott an ihrer Modemarke aufriefen. An Designer, die medienwirksam mitteilten, dass sie Melania nicht einkleiden würden.

Natürlich geben die Herren Macron und Trudeau optisch etwas her, auch Brigitte Macron oder Michelle Obama tragen schöne Gewebe und edle Schnitte. Nur mutet es eher als Scherz an, wenn sie alle besser gekleidet sein sollen als die amerikanische First Lady – und es wirft die Frage auf, warum eigentlich Angela Merkel nicht mitausgezeichnet wurde.

Das alles bietet selbstverständlich nicht genug Stoff für übermäßige Empörung, auch beschreibt es nicht den Untergang der Mode, höchstens einen schlechten Stil. Aber es offenbart die Erkenntnis, dass diese angeblich Trend-vorgebenden Listen ihre Unschuld verloren haben – vielleicht sollte „Vanity Fair“ sie einfach umbenennen in „Leute, die wir mögen“.

Eine sachliche Auseinandersetzung, das Abstrahieren zwischen Person und Politik findet jedenfalls kaum mehr statt. An seiner Stelle wird ein Charakter untrennbar an seine Meinung getackert, Rationalität ausgetauscht gegen Emotionalität. Es ist ja auch zu unerträglich, der Frau eines ungeliebten Präsidenten ein My Anerkennung zu zollen. Fest steht: Bei der Masse zu punkten vermag heute nur noch jener mit der „richtigen“ gesinnungspolitischen Haltung. Kleingeistiges Schubladendenken – es ist die neuste Mode.

Eine kurze Version des Beitrags erschien zuerst in der Basler Zeitung.