Tichys Einblick
Shit happens

Starbucks röstet sich selbst

Starbucks kann selbstverständlich in seine Toiletten einladen, wen es möchte. Es ist weniger problematisch, sich für seine Menschenfreundlichkeit feiern zu lassen, als einen Konsumationszwang für alle durchzusetzen.

A sign hangs in the window of a Starbucks store on May 29, 2018 in Chicago, Illinois. In reaction to a highly-publicized incident in which two black businessmen were arrested inside a Philadelphia Starbucks store, the company closed about 8000 company-owned stores this afternoon to hold racial-bias education programs for its nearly 175,000 employees.

© Scott Olson/Getty Images

Um mit aufmüpfigen Schlagzeilen klarzukommen, muss ein Unternehmen einige PR-Finessen beherrschen. Starbucks hat das auf seine Weise gecheckt: „Willkommen zur größten öffentlichen Toilette! Bei uns wird niemand diskriminiert, hier könnt ihr stundenlang auf Freunde warten, Stuhl und Tisch besetzen, ein Nickerchen machen und dafür müsst ihr nicht einmal einen überteuerten Chai Latte bestellen. Wer mag, kann sein Getränk gleich selbst mitbringen, denn es geht uns ja nichts an, was ihr hier so treibt. Wir sind gegen Diskriminierung und stehen ein für Menschlichkeit und all das, was gerade in ist.“ So ähnlich könnte man den neusten Coup des Kaffeerösters übersetzen – extrabitter im Beigeschmack.

Neulich hat Starbucks 8.000 amerikanische Filialen geschlossen, um seine Mitarbeiter in einen Anti-Rassismus-Kurs zu senden. Das Sensibilitätstraining wurde aufgegleist, nachdem sich im April in einer Filiale in Philadelphia ein Vorfall ereignet hatte; weil sich zwei Afroamerikaner weigerten, eine Bestellung zu tätigen oder aber das Café zu verlassen, hatte die Managerin die Polizei gerufen, die dann vorbeikam und die Männer festnahm. Diese gaben später an, dass sie nur auf jemanden gewartet und sich korrekt verhalten hätten. Die Handhabung der Starbucks-Mitarbeiter wurde für rassistisch motiviert erklärt, worauf es heftige Proteste gab, Starbucks und die Polizei entschuldigten sich. Etwa gleichzeitig kündigte das Unternehmen eine neue Firmenpolitik an: Konsumationszwang, ade! Die Toiletten in den 8.000 US-Filialen stehen ab jetzt allen zur Verfügung, egal ob zahlender Kunde oder nicht. Mit der neuen Weisung erkor VR-Präsident Howard Schultz, der das Unternehmen Ende Monat verlässt, um Gerüchten zufolge bei der nächsten US-Präsidentschaftswahl für die Demokraten anzutreten, das stille Örtchen zum öffentlichen Örtchen. Ich hatte mich prompt am Kaffee verschluckt.

Correct versus Correct
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Seine Mitarbeiter einen Nachmittag lang in einen Sensibilitätskurs zu schicken, halte ich für eine sinnvolle Idee. Rassismus existiert und wenn ein globales, beliebtes Unternehmen Lösungen sucht, ist das vernünftig. Aber nicht alle sehen darin einen Vorteil: Laut der New York Times befürchtet ein Experte, dass ein solches Training genau den gegenteiligen Effekt haben könnte, weil Leute sich dadurch beurteilt fühlen. Auch bezweifeln Mitarbeiter, dass man an einem Nachmittag eine langfristige Änderung erzielen kann. Vor allem aber verstehen viele nicht, wieso Baristas, die oft zum Mindestlohn arbeiten, ethnische Belange in der Gesellschaft klären sollten: „Ich glaube nicht, dass die Verantwortung auf den Schultern von Baristas liegen sollte,“ so ein Mitarbeiter gegenüber Businessinsider.com. Wenn Starbucks-Kunden die Baristas heute auf Rassismus ansprechen würden, sei das nicht nur eine unangenehme Situation, sie würden dadurch auch in ihrer Arbeit gestört.

Während der Sensibilitätskurs zumindest diskussionswürdig ist, ist die political correctness-Offensive „Klos für alle“ grober Unsinn. In manchen US-Großstädten sind die Lokalitäten ohnehin komplett überfüllt, bezahlende Kunden müssen auf freie Plätze warten oder vor den Toiletten Schlange stehen. Man muss nicht Mike Shiva sein, um vorauszusagen, dass das Problem durch die ungenierte Belagerung von Tisch und Klo durch die nichtbezahlende Allgemeinheit noch größer wird. Außerdem sendet die neue WC-Politik das falsche Signal aus: Nicht alles muss umsonst sein, und einflussreiche Firmen wie Starbucks sollten das auch nicht promoten. Es gehört zum Anstand, dass man in den Restaurants dieser Welt für die Benützung der Toilette zumindest etwas Kleines konsumiert. Wer sich – nach einer längeren Zeit und trotz höflicher Aufforderung – dagegen entscheidet, darf von mir aus umstandslos an die frische Luft geleitet werden. Selbstverständlich gilt das für alle.

Progressive sind nicht zufrieden zu stellen

Vor allem aber deckt der Sicherheitsaspekt die Naivität des WC-Manövers auf. TV-Moderatorin Megyn Kelly stellte in ihrer NBC-Show die Frage, ob man es wirklich mit einer großen Anzahl Obdachloser oder Drogenabhängiger zu tun haben möchte, wenn man mit seinen Kindern dort ist. Unter dem Titel „Das Obdachlosen-Problem von Starbucks“ kommentierte ein Wall Street Journal-Artikel sarkastisch, Starbucks habe aus einem Instinkt heraus entschieden, dass es auch „ein Unterschlupf für Obdachlose“ sein könnte. Und: „Egal, wie sehr man versucht, unzufriedene Progressive zu beschwichtigen, es wird falsch immer sein.“ Laut der US-Website The Daily Wire befürchten auch Mitarbeiter, dass das Lokal zu einem „Lagerplatz für Obdachlose“ wird. In Gegenden, wo hohe Obdachlosigkeit und soziale Unruhen herrschen, sind Baristas mit großen Problemen konfrontiert: „Wir werden oft angegriffen. Zum Beispiel am Hollywood Boulevard“, so eine Mitarbeiterin. „Ich finde, wenn wir angegriffen werden, sollten wir das Recht haben, nein zu sagen und die Polizei zu rufen.“

Zwar erklärte Schultz im Nachhinein, dass die WC-Regelung natürlich nur für Personen gelte, die dort keine illegalen Aktivitäten betreiben. Aber nach dem globalen Aufschrei im April werden (die dafür ungeschulten) Baristas bei illegalen Aktivitäten, Belästigungen oder Angriffen künftig wohl eher mit Nachdruck wegsehen, als um Hilfe zu rufen.

Starbucks kann selbstverständlich in seine Toiletten einladen, wen es möchte. Es ist weniger problematisch, sich für seine Menschenfreundlichkeit feiern zu lassen, als einen Konsumationszwang für alle durchzusetzen. Ob die Propaganda aufgeht und Starbucks damit „seinen A**** retten“ kann, wie es eine ex-Mitarbeiterin formuliert, darf bezweifelt werden.

Der Beitrag erschien in kürzerer Version zuerst in der Basler Zeitung.