Tichys Einblick
Verquer

Ohne meine Rolex

Das Amüsante an #Rolexgate: Linke Leute entdecken plötzlich ihre Liebe zu Luxusuhren. Ungefragt breiten sie bei Twitter ihre Geschichten über Sparen und harte Arbeit aus und führen dazu ihren teuren Zeitmesser samt Foto Chebli-solidarisch vor.

Getty Images

Wäre ich Sawsan Cheblis PR-Beraterin, ich würde ihr vom Tragen einer Rolex abraten. „Sawsan“, würde ich sagen, „das ultimative Statussymbol taugt zum Promoten der Ideologie einer sozialgerechten Gesellschaft, wo es keine Reichen und keine Armen geben soll, etwa so gut wie eine Pelzstola um den Hals einer Tierschutz-Aktivistin.“

Das Foto, auf dem die Berliner SPD-Staatssekretärin eine 7.300 Euro teure Rolex trägt, hat für Aufruhr gesorgt. Bei Twitter schrieb ein User dazu belustigt: „Alles was man zum Zustand der deutschen Sozialdemokratie 2018 wissen muss.“ Dass jetzt auch noch das Bild einer Cartier (9.850 Euro) an Cheblis Handgelenk kursiert, macht es nicht besser.

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Der PR-Job wäre harte Arbeit. Denn das Hinderliche an einem SPD-Posten für Leute mit Empfänglichkeit für schöne Dinge ist halt, dass die Zurschaustellung seines Wohlergehens mit Produkten, die für den ‚kleinen Mann‘ unerschwinglich sind, eher schlecht ankommt. Die äusserliche Manifestation widerspricht den vorgeplapperten Überzeugungen, torpediert das Wir-Gefühl unter den Gleichgesinnten. Natürlich nicht jenes der elitären Kaste, der Politiker und Publizisten – von denen sich die meisten problemlos eine Rolex leisten können, und die die Uhr-Kritik jetzt lautstark verurteilen. Aber das der Leute an der Basis, die sich wohl ihre eigene Sache dazu denken. Und die wir nicht hören oder lesen. „Sawsan, denk an die Steuerzahler!“, würde ich empfehlen.

Das soll nicht heissen, dass sozialistische Politiker nur bei C&A einkaufen, Swatch tragen, in Ibis-Hotels absteigen und Pauschalurlaub auf Mallorca buchen sollten. Aber zwischen Luxusmarken und Mittelschichtware gibts ja noch diverse Abstufungen, die der eigenen Glaubwürdigkeit zuträglicher sind – wie etwa eine Tissot Le Locle oder die Omega De Ville, hübsches, solides Schweizer Uhrwerk unter 1.500 Euro. Hinzu kommt, dass Gemüter schnell von Neid in Besitz genommen werden. Ich persönlich posiere darum bei Fotoshootings ohne meine Rolex. Aber was weiss ich schon, bin ja weder Sozi noch vom Staat bezahlt.

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Dennoch: Als Nicht-PR-Beraterin halte ich die Eskalation rund um Cheblis Uhr für absurd. Man mag sie für ihre Politik und Arbeit kritisieren, aber nicht für private Dinge, die sie sich vom eigenen Geld gekauft hat. Selbstverständlich kann auch eine SPD-lerin eine Luxusuhr besitzen, ein bisschen Häme muss sie dann halt ertragen. Anfeindungen deswegen sind aber unangebracht. Und ich stimme FDP-Chef Christian Lindner zu, der twitterte: „Man muss nicht arm sein, um gegen Armut zu sein.“

Dass sich jetzt viele in den sozialen Medien über die Rolex mokieren, ist nicht ganz verwunderlich – zumal die 40-jährige dort nicht gerade durch Zurückhaltung auffällt; sie gilt als Reizfigur. Aber alles, was ihre politischen Gegner mit der hochgekochten Empörung erreichen, sind Twitter-Likes für Chebli, denn gerade einer Person, die aus ärmlichen Verhältnissen stammt, ist sozialer Aufstieg zu gönnen und vor allem ist es der beste Beweis dafür, dass er möglich ist.

Nun aber das Amüsante an #Rolexgate: Leute aus dem linken Spektrum haben plötzlich ihre Liebe zu Luxusuhren entdeckt. Ungefragt breiten sie bei Twitter ihre Geschichten über Sparen und harte Arbeit aus und führen dazu ihren teuren Zeitmesser samt Foto Chebli-solidarisch vor. Liebe Genossen: Aus aktuellem Anlass geht das ja in Ordnung. Ab nächste Woche gilt das wieder als klassisches Geklotze.

Erschien zuerst in der Basler Zeitung