Tichys Einblick
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Haben Frauen eine Opfermentalität?

Menschen verwechseln oft Beschwerlichkeiten, denen sie im Verlauf ihres Lebens begegnen, mit Diskriminierung. So werden sie ihren Ärger nie überwinden.

Menschen verwechseln oft Beschwerlichkeiten, denen sie im Verlauf ihres Lebens begegnen, mit Diskriminierung. So werden sie ihren Ärger nie überwinden.

Vergangene Woche fand in der Schweiz der nationale Frauenstreiktag statt. Den Frauenstreik gibt es auch in Deutschland, da gingen die Frauen im März auf die Strasse. Die Gründe sind dieselben: Man streikt für Gleichberechtigung. Auch der „Tagesspiegel“ hat über den Schweizer Frauenstreik berichtet: „In Sachen Gleichberechtigung hinkt die Schweiz oft hinterher“, findet der Autor – ooookay, dazu später.

Solidarität unter Frauen ist zwar etwas Gutes, ich bin dem Streik trotzdem ferngeblieben. Denn, egal ob Deutschland oder Schweiz: Ein Frauenstreik setzt ja gravierende Missstände voraus, solche, die explizit die weibliche Bevölkerung betreffen. Ich sehe in der Schweiz und in Deutschland keine Missstände, die einen solchen Streik rechtfertigen. Im Gegenteil: Wir sind privilegiert, in Ländern zu leben, wo Chancengleichheit herrscht.

Viele Menschen haben es schwer im Leben, nur hängen es die meisten nicht an die grosse Glocke, sondern lösen ihre Probleme selbständig und im Stillen. Bei manchen Frauen aber hat man das Gefühl, dass sie sich permanent im Nachteil fühlen, übergangen, nicht genügend wertgeschätzt, diskriminiert, und dass sie ihre Beschwerlichkeiten und Hürden ständig anprangern und mitteilen müssen – sie leben in einer Opfermentalität. Und dort malen sie ein ziemlich düsteres Bild für die Frau. Frauenfeindlichkeit, wohin man blickt: Frauen werden diskriminiert bei der Arbeit, in der Gesellschaft, in der Politik, zuhause, bei Twitter, Youtube und Wikipedia; im Geschäft hängen die Regale zu hoch für Frauen und im Baumarkt die Arbeitshosen zu weit hinten; jene für Männer sind viel einfacher auffindbar. Alles ganz schlimm.

Ein Beispiel fand man neulich bei der Süddeutschen, wo wieder einmal auf Sexismus hingewiesen wurde. Da war ein Plakat abgebildet, mit dem ein Schweizer Sägewerk mit vier Frauen im Dirndl für „Holz vor der Hütte“ wirbt. Die Autorin der „Süddeutschen“ sieht in dem Plakat Brüste und Sexismus. Ich sehe darin lachende Frauen im Dirndl, ein Plakat mit Augenzwinkern und einer Prise Ironie und Provokation. Die Models haben freiwillig mitgemacht. Sicher, der Spruch „Wir haben Holz vor der Hütte – greifen Sie zu!“ ist doppeldeutig, das kann man plump und dämlich finden, jeder hat einen anderen Humor. Na dann schaut man eben nicht hin. Aber jedes Mal einen medialen Aufreger kreieren, einen Schaden für die Frau ableiten und eine böse Absicht dahinter suggerieren… durchs Leben wandern und immer nur vom Schlimmstmöglichen ausgehen und alles ins Negative drehen: Das muss sehr anstrengend sein.

Mein Tweet dazu zeigt, dass viele Leute genauso denken. Das Interessante daran: Hört man den Feministen zu und liest man die Medien, könnte man meinen, alle Frauen denken so, alle Frauen fühlen sich durch solche Plakate auf ihren Körper reduziert, herabgewürdigt und ganz grundsätzlich von der Welt permanent diskriminiert. Dabei ist es nur ein Teil, ein lauter Teil, aber längst nicht die Mehrheit.

Der kanadische Psychologieprofessor Jordan Peterson sagt in einem seiner Videos über Opfer-Mentalität: „Wenn ich ein Opfer bin, dann schulden mir alle anderen etwas. Und ich muss keine Verantwortung übernehmen. Hier ist etwas zum Nachdenken, das mich wundernimmt: Es könnte sein, dass der Sinn und die Bedeutung, die dein Leben dir bietet, der Menge an Verantwortung entspricht, die du entscheidest, anzunehmen.“ In anderen Worten, je mehr Verantwortung man übernimmt und Schwierigkeiten meistert, desto mehr hat das Leben einen Sinn. Keine Ahnung, ob das so ist, aber auf jeden Fall ist es eine realistische Vorstellung.

Die Geschlechter-Debatte krankt heute daran, dass nicht mehr zwischen Chancengleichheit und Ergebnisgleichheit unterschieden wird. Wer für Chancengleichheit ist, der will gleiche Chancen für alle. Für Verfechter der Gleichheits-Agenda muss das Ergebnis stimmen, sie wollen das gleiche Ergebnis für alle. Wenn also auf dem Planeten 50 Prozent Frauen leben, müssen gefälligst auch 50 Prozent Frauen in der Politik oder in Führungspositionen in Unternehmen vertreten sein, alles andere ist Diskriminierung.

Eine zentrale Beschwerde ist die Lohnungleichheit. Der Gender Pay Gap steht für Demütigung, ja für die vorsätzliche Ausbeutung der weiblichen Spezies. Auch für den Autor vom „Tagesspiegel“ soll der Pay Gap in seinem Artikel zum Schweizer Frauenstreik als Beispiel herhalten für fehlende Gleichberechtigung. Er schreibt: „Auch das Bundesamt für Statistik belegt die Ungleichheit: Frauen in der Schweiz verdienen insgesamt im Durchschnitt pro Monat 18,3 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen.“ Ja, die Zahl ist korrekt: In der Schweiz verdienen Frauen im Durchschnitt 18,3 Prozent weniger als die Männer (Quelle: Bundesamt für Statistik). Nur ist das der unbereinigte Lohnunterschied. Hier werden alle Schweizer Löhne gesamthaft verglichen, unabhängig von Branche, Arbeitspensum, Position etc. Der unerklärte Lohnunterschied in der Schweizer Privatwirtschaft beträgt 8,1 Prozent, jener im öffentlichen Sektor 5,9 Prozent.

Bei staatlichen Institutionen aber machen fixe Lohntabellen die Diskriminierung eines Geschlechts unmöglich. Der Dachverband der Schweizer Wirtschaft Economiesuisse schreibt dazu auf seiner Webseite: „Geht man davon aus, dass es keine Diskriminierung im öffentlichen Sektor gibt, schrumpft die unerklärte Differenz im Privatsektor auf zwei Prozent. Die Resultate stützen also vielmehr die ökonomisch plausible These, dass die Unternehmen eben nicht nach dem Geschlecht diskriminieren.“  Zwei Prozent? Solche Unterschiede gibt’s auch bei Löhnen unter Männern.

In Deutschland sieht es nicht anders aus. Hier schrumpft der beklagte Pay-Gap von 21 Prozent bei genauerer Betrachtung auf einen kaum messbaren Unterschied. Allerdings: Da der Pay-Gap bereits gegen Null tendiert, würde ein Lohnanstieg für Frauen schnell ins Gegenteil umschlagen, nämlich eine spürbare Benachteiligung der Männer.

Und das ist etwas, das bei vielen Leuten schlecht ankommt: Zum einen ist das Hausieren mit einer unbereinigten Lohndifferenz zwecks Unterstützung seiner Diskriminierungs-These unseriöser Journalismus. Zum anderen verkaufen gerade Journalisten häufig ihre persönliche Interpretation von Lohndifferenzen als die eine Wahrheit: Es gibt einen Lohnunterschied, also ist es Diskriminierung. Dabei kann man unterschiedlich herleiten, wie Lohndifferenzen entstehen; wieviel Wahrheit in subjektiven Gefühlen steckt, ist entsprechend diskutabel.

Auch das Märchen hält sich hartnäckig, die Gesellschaft verwehre Frauen ihre Chancen, halte sie in ihrer Selbstverwirklichung zurück, halte sie klein: Männer sind die Verhinderer, Frauen die Opfer. Man spricht von „systematischer“ Diskriminierung, während in Deutschland die Kanzlerin bekanntlich weiblich ist; in der Schweiz sitzen im Bundesrat drei Damen; in beiden Ländern ist die Mehrheit der Hochschulabsolventen weiblich; Frauen kommen praktisch in jedem Sektor in den Genuss von Förderprogrammen, von Technik und Informatik bis Wirtschaft, Forschung, Wissenschaft und Luftfahrt. Frauen können jedes Fach studieren, jeden Beruf ausüben – wenn wir denn nur wollen. Wir haben die gleichen Rechte wie die Männer.

Es gibt Länder, wo Frauen tatsächlich systematisch benachteiligt werden. Im Iran etwa, wo Frauen per Gesetz einer Kleiderordnung unterworfen sind, oder in Regionen, wo massive Benachteiligung herrscht bei Scheide-, Erb-, Straf- und Familienrecht. Da wäre diese eskalierende Rhetorik, mit der man hier fehlende Gleichberechtigung anprangert, gewiss angebracht. Bei uns aber, in den westlichen Industrieländern, ist sie fehl am Platz. Es ist gewiss nicht alles perfekt bei uns, aber die Diskriminierung der Frau haben wir zum Glück vor Jahrzehnten überwunden.

Systematische Diskriminierung gibt es bei uns nicht. Was es aber gibt, es gibt naturgegebene geschlechts-spezifische Schwierigkeiten. Und hier ist das Problem: Viele Menschen verwechseln Strapazen und Hürden, denen wir alle, auch Männer, im Leben begegnen, mit Diskriminierung, oder sogar mit Frauenfeindlichkeit. Beschwerlichkeiten bedeuten aber nicht zwingend fehlende Gleichberechtigung, nur weil eine Gruppe damit konfrontiert ist, und eine andere nicht. In der Wirtschaft geht es nun mal um Konkurrenzfähigkeit, Risikobereitschaft, Durchsetzungsvermögen, es zählen Nachfrage, Angebot und Gewinn. Das ist nicht frauenfeindlich, das ist Realität.

In diesem Umfeld ist ein naturgegebener Nachteil für die Frau, dass sie Kinder gebärt. Damit verbunden ist die Kindererziehung, die Frauen oft übernehmen – weil sie es so wollen. Sie fallen im Job häufiger aus, was Männer teilweise zu attraktiveren Arbeitnehmern macht. Durch ihre Absenz gestaltet sich der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt schwieriger, und generell ist es einfacher, eine Karriere ohne Kinder voranzutreiben. Job und Familie unter einen Hut bringen ist nicht einfach. Auch für Männer nicht. Aber daneben gibt es viele Entscheide, die Frauen selbst treffen und die zu ihrem Nachteil geraten können – wer etwa französische Philosophie vor der Renaissance studiert, muss sich später nicht über den höheren Lohn des IT-Spezialisten wundern.

Hinzu kommt der Aspekt mit dem Selbstvertrauen. Viele Frauen verkaufen sich im Job oft unter ihrem Wert, weil sie sich von Selbstzweifeln aufhalten lassen. In einem vielbeachteten Essay in „The Atlantic“ von 2014 mit dem Titel „The Confidence Gap“ haben zwei US-Journalistinnen über das Selbstvertrauen von Frauen geschrieben. Ihr Fazit: Um im Job erfolgreich zu sein, ist Selbstvertrauen genauso wichtig wie Kompetenz, und der „akute Mangel an Selbstvertrauen“ hält Frauen oft zurück, die gläserne Decke zu durchbrechen – oder höhere Löhne zu verlangen. Es gibt Studien, die zeigen, dass Männer mehr Lohnverhandlungen initiieren als Frauen, und wenn Frauen über Lohn verhandeln, dann fordern sie 30 Prozent weniger Geld als Männer.

Selbstverständlich treffen diese Befunde nicht auf alle Frauen zu, auch gibt es Lebensumstände, wo man nicht einfach sagen kann, verhandle du mal besser, dann klappt’s auch mit dem Lohn. Aber es sind realistische Erklärungen, wie Lohndifferenzen oder geschlechtliche Unausgewogenheit bei der Arbeit zustande kommen. Wir Frauen sind vielleicht nicht mit einem exorbitanten Selbstbewusstsein geboren, das heißt aber nicht, dass wir das ein Leben lang nicht ändern können. Ein selbstbewusstes Auftreten kann man sich antrainieren, ein besseres Verhandeln auch. Das Arbeitspflaster wir immer ein hartes sein. Aber statt auf vermeintliche, oder gefühlte Diskriminierung zu fixieren, scheint es mir sinnvoller, den Fokus vermehrt auf Lösungsansätze für frauenspezifische Problemzonen zu legen. Ich wage zu behaupten, dass Frauen, die wissen, was sie wert sind, nicht weniger verdienen als Männer.

Gleichzeitig gäbe es aber trotzdem auch Verbesserungsmöglichkeiten. Zum Beispiel wäre die finanzielle Aufwertung von Pflegeberufen sinnvoll, wo überwiegend Frauen arbeiten, oder der Ausbau von Ganztagesschulen zwecks Entlastung der Mütter. Das Problem der unbezahlten Arbeit zu Hause könnte man lösen, indem man sich mit dem Partner auf einen Kinderbetreuungslohn einigt – Selbstbestimmung beginnt in seinen vier Wänden.

Das Leben ist nicht einfach. Aber hier eine Frage mit Schnappatmungs-Potential: Hätten Männer nicht auch Anlass zur Beschwerde? In der Schweiz etwa gibt es handfeste Nachteile für die Männer. Katharina Fontana hat in der „Weltwoche“ die wichtigsten zusammengefasst: 1. Sie sind zum Militärdienst verpflichtet. 2. Bei der Altersvorsorge bezahlen die Frauen 34% der Beiträge und beziehen 55% der Leistungen, die Männer bezahlen 66% und erhalten 45% der Leistungen. „Die Privilegierung beim Rentenalter ist aus Männersicht umso stossender, als die Frauen im Durchschnitt länger leben“, so Fontana. Sie sterben im Durchschnitt fünf Jahre früher – was teilweise auch mit ihrem Lebenswandel zu tun hat, aber längst nicht bei allen. 3. Frauen sind bei der Witwenrente deutlich bessergestellt. 4. Männer sind – wie überall auf der Welt – dazu verdonnert, praktisch jeden gefährlichen Job auszuüben.

Aufgrund ihrer körperlichen Überlegenheit (aber auch aus anderen, biologischen Gründen) sind also auch Männer konfrontiert mit naturgegebenen Beschwerlichkeiten. Und dafür, dass sie früher sterben, können die Frauen ja nichts. Es wäre also hanebüchen, wenn Männer bei diesen Punkten von Diskriminierung sprechen würden, aber das tun sie eben nicht. Der Punkt aber ist: Umgekehrt führen viele Ladys genau solche Einflüsse an, wofür Männer und auch sonst niemand etwas können – und nennen es dann fehlende Gleichberechtigung.

Es sind längst nicht alle Frauen, die so denken. Aber insbesondere Feministen, Medien und manche Politiker wollen uns permanent weismachen, dass für Frauen ein flächendeckendes Problem besteht, dass Frauen Unterstützung und Schutz brauchen, als ob wir hilflose, schwache Geschöpfe wären. Viele Frauen aber möchten nicht als Opfer einer vorherrschenden Männerwelt gesehen werden, sie lösen ihre Probleme eigenständig, sie wollen nicht von Feministen gerettet werden.

Es ist einfach sich einzureden, ich bin diskriminiert. So kann man die Verantwortung abgeben, an die Gesellschaft, den Staat. Wenn ich nicht weiterkomme, wenn ich auf Hürden treffe, die ich nicht überwinden kann, für Misserfolge, ist ein immer anderer schuld. Opfermentalität statt Eigenverantwortung wahrnehmen, ist vielleicht kurzfristig und mit dem Echo der Außenwelt der bequemere Weg. Nochmal, es ist nicht alles perfekt – nur kann man naturbestimmte geschlechtliche Nachteile nicht völlig aus dem Weg räumen. Staat und Gesellschaft werden nie alle Probleme eines jeden Individuums lösen können. Wer in der Utopie lebt, wird sich langfristig und Zeit seines Lebens ärgern.