Tichys Einblick
Der Hysterie nicht nachgeben

Eine Gesellschaft knickt ein. Vor den Dauerempörten.

Durch das Nachgeben werden vor Jahrzehnten hart erkämpfte Errungenschaften und liberale Werte wie künstlerische Freiheit, Meinungsfreiheit und Toleranz über den Haufen geworfen.

Ein Ratssaal. Ein Bild. Ein nackter weiblicher Rücken. Und eine Frau, die sich deswegen sexistisch belästigt fühlt. Für Hypererregbarkeit reicht ja heutzutage maßlos wenig. Die Empörungsrevöltchen reihen sich nahtlos aneinander. Und ganz ehrlich, langsam schäme ich mich für solche Geschlechtsgenossinnen. Das Problem aber ist, dass man den frustrierten Seelen nachgibt.

Der Vorfall sei hier nur am Rande erwähnt – auch der Ort Heikendorf spielt keine Rolle; es könnte genauso gut in Bern, Wien oder Washington passiert sein. Denn egal, ob Westeuropa oder USA, gesellschaftliche Werte wie Toleranz und Freiheit werden von der Gruppe der Dauerbeleidigten gleichermassen torpediert.

Da empfand also eine Gemeindevertreterin ein Bild, das die nackte Rückenansicht einer Frau offenbarte, als Belästigung. Laut den Kieler Nachrichten beschwerte sie sich beim Bürgermeister: „Als Frau stoßen diese Bilder mich ab“. Sie wolle nicht stundenlang etwa auf einen Lederstiefel mit Stiletto-Absatz gucken. Der Bürgermeister sieht keine Herabwürdigung der Frau in dem Gemälde, entschied sich gegen das Abhängen, aber der Künstler Uwe Piepgras muss sein Bild bis Ende Ausstellung am 21. März vor jeder Sitzung – bitte festhalten – mit Laken überdecken.

Man kann, wie so oft, darüber schmunzeln. Ist ja kein Drama. Kann das Groteske einfach wegschmunzeln. Warum überhaupt jeden Mückenfurz dieser Welt in einer Kolumne kommentieren? Vielleicht fragen Sie sich jetzt, warum ich es dennoch tue. Wo doch das besagte Gemeindehaus irgendwo in der Provinz liegt, und es sich ja wieder nur um einen Vorfall handelt, der von den Medien zwecks Klick-Generierung herausgepickt wurde.

Nun, ja, Es ist kein irgendwo aus der Pampa herausgepickter Einzelfall. Die wachsende Gruppe der ewig Empörten wird immer lauter, ihre Forderungen kommen immer öfter und sie werden immer absurder.

Leute, die sich reflexartig über Bagatellen empören, die gab es schon immer. Bluthochdruck, Frust und so. Und ja, man kann darüber schmunzeln. Auch über jene, die ein Bild verhüllt haben wollen, weil es möglicherweise ihre eigene Verklemmtheit herausfordert. Sie vielleicht ein Problem mit der Sexualität oder ein negatives Verhältnis zum eigenen Körper haben – wobei das Bild ja nicht wirklich sexy ist. Künstler Piepgras sieht seine Werke als ‚Hommage an die Schönheit der Weiblichkeit‘, sie verhüllen zu müssen, ist für ihn „Provinztheater“ und „dicht an der Kunstzensur“, so die Kieler Nachrichten. Neid, Prüderie, Frust, eine explosive Vermengung, die sich offenbar in einer ablehnenden Haltung gegenüber einem harmlosen Bildes zu manifestieren vermag.

Kritik an dem Bild geht ja auch in Ordnung, vielleicht ist der nackte Rücken in einem Sitzungsraum wirklich nicht angemessen. Es ist eine Frage des Geschmacks. Auch darf man (als Feminist) selbstverständlich seine Meinung vertreten wie etwa diese; dass das Bild die Herabwürdigung der Frau darstellt, es als Frau grundsätzlich schwierig ist, ernst genommen zu werden, wenn unsereins stets auf Körper und Aussehen reduziert wird. Man kann auch darüber schmunzeln, wie ernst sich gewisse Mitmenschen nehmen, mit welcher Selbstzufriedenheit sie durchs Leben hyperventilieren, keine Sekunde daran zweifelnd, dass sie die absolute Wahrheit gepachtet haben.

Worüber ich allerdings nicht schmunzeln kann, ist das Einknicken der Gesellschaft vor solchen Zeitgenossen. Das wirkliche Problem sind nicht die Stänkerer. Es sind jene, die ihren abstrusen Forderungen nachgeben.

Ich kann mir gut vorstellen, dass die zuständigen Personen, wenn konfrontiert mit gewissen Ansprüchen, zum Teil überfordert sind. Ich kann verstehen, dass man sich eher beugt, statt eine Aburteilung zu riskieren, ein öffentliches Vorgeführtwerden nach Mittelalter-Art, wie es heute, auch wegen den sozialen Medien, gang und gäbe ist. Der Grat ist, je nach Blickwinkel, schmal zwischen berechtigter Kritik angesichts des Gemeinwohls und der Übertreibung mit einer Forderung – es ist nachvollziehbar, dass man lieber einmal zu viel als zu wenig nachgibt.

Das Einknicken aber, so scheints, hat sich in unserer Gesellschaft einquartiert. Ein Gedicht von Eugen Gomringer an der Fassade der Berliner Hochschule wurde kürzlich übermalt, da als sexistisch eingestuft. In der Manchester Art Gallery hängten die Verantwortlichen ein Bild mit Nymphen ab (und später wieder auf). An der Metropolitan Opera in New York wurde ein Regisseur laut Welt.de fristlos entlassen, weil er angeblich zwecks Veranschaulichung eine sexistische Bemerkung gemacht haben soll, die ein Chorist fälschlicherweise auf sich bezogen hat: „Stellt euch vor, der Sänger wäre nackt.“

Uns als Gesellschaft muss bewusst werden, was wir hier tun. Dazu gehören insbesondere Entscheidungsträger, Behördenvorsteher, Hochschulleiter, CEOs, Politiker. Uns muss klar sein, warum und wem wir nachgeben. Wem wir die Deutungshoheit über Sexismus und anderen gesellschaftlich relevanten -Ismen überlassen. Mit einem Wegschmunzeln, auch einem Wegsehen machen wir es uns zu einfach, denn es geht um mehr als eine Frau, die sich an einem Bild stört. Durch das Nachgeben werden vor Jahrzehnten hart erkämpfte Errungenschaften und liberale Werte wie künstlerische Freiheit, Meinungsfreiheit und Toleranz über den Haufen geworfen. Das ist fatal. Und schließlich ist Freiheit immer auch die Freiheit, Grenzen auszuloten, mit Bildern, mit Gedichten, mit Sprüchen.

Ganz nebenbei: Das ästhetisch Schöne an der Frau zu unterstreichen wie etwa in einem Gemälde, und sie gleichzeitig für selbstbestimmt, klug, souverän und unabhängig zu halten, schließt sich nicht aus. Solange radikale Feministen und Dauerbeleidigte das nicht verstehen, lesen wir morgen von der nächsten Empörung.