Tichys Einblick
Sommersprossen sind auch Gesichtspunkte

Ein Dirndl ist ein Dirndl ist ein Dirndl

Brauchtümer sind etwas Wunderbares, dazu gehört auch traditionelle Kleidung. Traditionen zu pflegen ist besonders wichtig in unserer heutigen, schnelllebigen Zeit. Es hilft uns, das Vergangene nicht zu vergessen und inspiriert uns für die Zukunft.

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Manchmal ist es ja besser, geschriebenen Käse gar nicht erst zu kommentieren. In dem Fall aber eignet er sich ganz gut, zuerst einen kurzen Blick auf die faszinierenden Traditionen einiger Länder zu werfen.

Einer der ältesten Bräuche in Indien ist das Feiern des Holi-Festes. Während mindestens zwei Tagen bewerfen sich Inder auf der Strasse gegenseitig mit gefärbtem Pulver und gefärbtem Wasser. Zwischen Ende Februar und Mitte März heißen sie mit dem farbenfrohen Fest den Frühling willkommen, alle Inder feiern zusammen, unabhängig von der Kaste, der sie angehören. Das Holi wird auch als Sieg des Guten über das Böse gefeiert.

Ein jüngeres Brauchtum in der Schweiz ist der Räbeliechli-Umzug im November (in Deutschland und Österreich gibt es ähnliche Bräuche, das „Rübengeistern“). Kinder ziehen in einer Lichterkette durch die Straßen mit beleuchteten Laternen, die sie selbst aus Rüben schnitzen. Als „Räbe“ bezeichnete man früher die Rübe, im Mittelalter war sie Grundnahrungsmittel. Der Räbeliechtli-Umzug gehört zu den Erntedank-Traditionen, die den Herbst einläuten.

6,2 Millionen besuchen jährlich die Wiesn in München. Das erste Oktoberfest fand am 12.Oktober 1810 statt, Anlass war die Hochzeit zwischen Kronprinz Ludwig und Prinzessin Therese. Die Wiesn hat sich seither zu einem Volksfest mit kommerziellem Charakter gewandelt, heute stehen nebst Geselligkeit, Blasmusik und Schlager vor allem Alkoholkonsum und das Tragen von Tracht im Vordergrund.

Auf der deutschen Website Ze.tt. (Zeit-Verlag) schrieb eine Redaktorin neulich, dass die Tracht eine politische Meinung widergebe, „Ausdruck eines konservativen Mindsets“ sei: „Die Konservativen wie die Rechten nutzen die Tracht für sich“, so die Autorin. „Wenn ich heute an Tracht denke, schiessen mir Bilder des Volksmusik-Sängers Andreas Gabalier, von Rechtskonservativen und besoffenen, sexistischen Männern in den Kopf.“ Deshalb würde sie sich schämen und ihr Dirndl nicht mehr tragen.

Auch die Tracht hat eine interessante Geschichte: Früher verriet zum Beispiel die verwendete Menge an Stoff und Knöpfen den Reichtum des Trägers und aus welcher sozialen Schicht er stammte. Gemäß der Stuttgarter Zeitung entstand das Trachtenspiel im 19. Jahrhundert: „Als Inszenierung der deutschen Landesherren, deren Ziel es war, gegen die Nachwirkungen der französischen Revolution und der französischen Besatzung ein National- und Heimatgefühl zu entwickeln. Schon auf dem Wiener Kongress erschienen österreichische Politiker demonstrativ in heimischer Tracht.“

Auch wenn gewisse Politiker heute die Tracht angeblich für sich „nutzen“ – sie kann vieles sein: Ausdruck des Heimatgefühls, der Lebensfreude, Hommage an eine Tradition, Erinnerung an ein früher ungemein hartes Landleben, Rollenspiel, für Damen ein Kostüm mit Sexappeal. Sich die Deutungshoheit über ein Kleidungsstück anzumaßen und aus einem Dirndl ein Politikum zu kreieren – es ist Ausdruck eines Zeitgeistes, wo viele nicht mehr zwischen Politik und Gesellschaft, Person und Meinung zu unterscheiden vermögen.

Brauchtümer sind etwas Wunderbares, dazu gehört auch traditionelle Kleidung. Traditionen zu pflegen ist besonders wichtig in unserer heutigen, schnelllebigen Zeit. Es hilft uns, das Vergangene nicht zu vergessen und inspiriert uns für die Zukunft.

Ein Dirndl drückt etwa so viel politische Haltung aus wie ein Paar löchrige Socken aus Angorakaninchenwolle. Morgen werde ich meines an einem Baselbieter Wiesn-Fest mit einer riesen Gaudi zur Schau tragen.

Der Beitrag erschien zuerst in der Basler Zeitung.