Tichys Einblick
Nichts ist unmöglich

Die Zwängerei mit der Torte

Das Paar hatte wegen Diskriminierung gegen den Bäcker geklagt wegen verweigerter Hochzeitstorte. Die LGBT-Community protestierte, Phillips kassierte einen Shitstorm, er erhielt sogar Todesdrohungen.

Vergangene Woche gab das oberste US-Gericht einem christlichen Konditor recht, der einem homosexuellen Paar keine Hochzeitstorte anfertigen wollte. Es ging, notabene, nicht um ein Standardprodukt, sondern um eine Spezialanfertigung. Der Fall ist interessant. Er offenbart nicht nur die grundsätzlichen Probleme mit Religionen in einer säkularen Gesellschaft, er zeigt auch wie mühelos die Freiheit des einzelnen mit den Rechten der Mitmenschen kollidieren kann. Vor allem aber legt er das zwanghafte Beharren eines Paares bloß, das sein negatives Erlebnis zu einem Skandal hochstilisierte, der keiner ist.

Das schwule Paar, Charlie Craig und Dave Mullins, spazierte also vor einigen Jahren mit dem Wunsch nach einer Hochzeitstorte ausgerechnet in die Konditorei des konservativen Christen Jack Phillips, irgendwo in einer Mall irgendwo in Colorado. LGBT-Community und erzkonservativer Glaube – ich will ja nicht den Teufel an die Wand malen, aber um zu erkennen, dass da möglicherweise Misstöne entstehen, reicht eine verblasste Erinnerung an den Religionsunterricht.

Für Konditor Phillips, der seine Torten als „künstlerischen Ausdruck“ sieht, ist eine Hochzeit „eine religiöse Zeremonie“, die gleichgeschlechtliche Ehe stehe „in direkten Konflikt zu seinem Glauben“. Es ging ihm nicht um die sexuelle Orientierung der Kunden, sondern um den Event. Im Interview mit dem TV-Sender ABC sagte er, er sollte nicht gezwungen werden, eine Botschaft zu übermitteln, die gegen seine religiösen Überzeugungen spricht. Das Paar hatte wegen Diskriminierung gegen ihn geklagt. Die LGBT-Community protestierte, Phillips kassierte einen Shitstorm, er erhielt sogar Todesdrohungen. Sechs Jahre Rechtsstreit später befand das oberste Gericht, die religiösen Überzeugungen des Bäckers seien angemessen zu schützen, mit dem Urteil hob es einen früheren Entscheid der Bürgerrechtskommission auf. Diese sei eine „klare und unzulässige Feindseligkeit gegenüber den ehrlichen religiösen Überzeugungen“ des Konditors gewesen. Das Gericht betonte, das sei kein Grundsatzentscheid. Den Prozess hat Phillips zwar gewonnen, um künftige Haftung zu vermeiden, verzichtete er aber laut Fox News während der Zeit auf die Produktion von Hochzeitstorten, was einen 40-prozentigen Einkommenseinschnitt und die Entlassung von sechs Mitarbeitern zur Folge hatte.

Persönlich goutiere ich die Torten-Verweigerung des Konditors nicht. Ich halte sie für geschäftlich unklug und menschlich falsch. Und um es vorab zu sagen: Ich bin für die gleichgeschlechtliche Ehe und auch dafür, dass die Rechte von Homosexuellen geschützt werden. Niemand sollte aufgrund seiner sexuellen Orientierung diskriminiert werden. Ich kann die Enttäuschung des Paares verstehen, dem eine spezielle Dienstleistung verweigert wurde.

Und dennoch: Das Urteil macht Sinn. Es gehört eben auch zur Freiheit des einzelnen, dass man in seinem eigenen Geschäft seinen eigenen Prinzipien folgt. Unternehmer sollten ohne staatliche Einmischung entscheiden dürfen, was sie tun, wenn sie in ihrer Firma mit Kundenwünschen konfrontiert werden, die sich fundamental gegen ihren Glauben, ihre Werte und ihre moralischen Überzeugungen richten. Egal ob Christen, Juden, Muslime oder nicht-religiöse Menschen. Genauso, wie das Paar die Freiheit hat, sich einen anderen Konditor auszusuchen, hat der Konditorei-Besitzer die Freiheit, nein zu sagen.

Als Unternehmerin im Medien- und PR-Bereich habe ich einst einen ähnlich gelagerten Fall erlebt. Ich habe einen Auftrag abgelehnt, bei dem ich für einen Politiker eine Rede hätte schreiben sollen, die meinen eigenen politischen Ansichten teilweise diametral entgegenstanden. Ich habe die Zusammenarbeit nicht grundsätzlich abgelehnt, ich wollte einfach diese Rede nicht schreiben. Kann man da von einer Diskriminierung des Kunden aufgrund seiner Parteizugehörigkeit sprechen? Ich finde, nein, solange man die Zusammenarbeit mit Menschen einer bestimmten Gruppe nicht per se ablehnt. Jetzt kann man natürlich diskutieren, ob Diskriminierung aufgrund von Parteizugehörigkeit überhaupt als Diskriminierung qualifiziert, da man sich diese ja selbst ausgesucht hat und nicht, wie Herkunft oder sexuelle Orientierung, in die Wiege gelegt bekommen hat. Verschieben wir diese anregende Debatte auf ein anderes Mal. Was ich sagen will: Als Verantwortliche führe ich mein Geschäft nach meinen eigenen Spielregeln. Take it or leave it.
Das dachte sich wohl auch der Konditor. Er bot dem Paar andere Torten an, die es aber nicht wollte. Das bestätigt, dass er Kunden nicht aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert. Hätte ich (hetero) bei ihm denselben Kuchen für die Hochzeit einer lesbischen Freundin bestellt, er hätte die Anfertigung garantiert auch abgelehnt. Auch wenn man sich für das Verhalten nicht erwärmen kann, respektieren sollte man es trotzdem. Permanent wird lautstark Toleranz gegenüber bestimmten Religionen gefordert, die uns in der westlichen Welt weit ferner sind als das Christentum, warum gilt das nicht auch für den christlichen Glauben? Würde ein streng gläubiger jüdischer oder muslimischer Bäcker das Backen eines Speckgugelhupfs für eine Schwulenhochzeit verweigern – darf bezweifelt werden, dass er landesweit als schwulendiskriminierend beschimpft würde und deswegen Proteste stattfänden. Umgekehrt ist auch nicht anzunehmen, dass der Kunde ihn verklagen würde, täte er es, wäre er ja gaga.

Die Trump-Administration schrieb zu dem Urteil: „Ein speziell angefertigter Hochzeitskuchen ist nicht ein normales Bäckereiprodukt; seine Funktion ist eher von kommunikativer und künstlerischer Art als nützlich.“ Und: „Ein Künstler kann nicht zum Malen gezwungen werden, ein Musiker nicht zum Spielen und ein Dichter nicht zum Schreiben.“ Bei Twitter merkte ein User an: „Wie wäre es bei Künstlern, die Erotika anfertigen? Sollte ein Künstler, der heterosexuelle Erotika erschafft, zum erstellen homosexueller Erotika gezwungen werden können, wenn sein Kunde das will?“

Ein Einwand war aber auch, dass man mit meiner Torten-Argumentation ja auch eine religiös motivierte Handschlag-Verweigerung gutheißen müsste. Ich habe lange darüber nachgedacht und finde keine abschließende Antwort. Denn hier offenbart sich grundsätzlich das Problem mit den gelebten Religionen in einer säkularen Gesellschaft. Religionen kollidieren nicht nur miteinander, sondern auch mit unseren weltlichen Gesellschaftsnormen. Man könnte argumentieren, dass Handschlag- und Torten-Verweigerung nicht dasselbe ist, weil ersteres einen gesamt-gesellschaftlichen Impact hat, es behindert die Integration, während letzteres keinerlei Konsequenzen für die Gesellschaft als Ganzes hat; üblicherweise bestellt man eine Spezialanfertigung in dem Shop, der sie auch anbietet – und sonst eben woanders.

Jeder Fall gehört einzeln betrachtet. Es ist nochmal ein Unterschied, ob eine Konditoreikette mit Monopol eine Hochzeitstorte für Homosexuelle verweigert oder ein einzelner lokaler Anbieter, und es sollte anders beurteilt werden. Solange für das Paar keine signifikante Benachteiligung oder Unannehmlichkeit entsteht – falls also im Umkreis von mindestens 50 Kilometern noch andere auf Hochzeitstorten spezialisierte Konditoreien existieren – sind die Kläger keine Opfer.

Und hier kommt der springende Punkt: Man soll für seine Rechte kämpfen. Würden Torten für Schwule grundsätzlich nirgends auf der Welt gebacken, ich schmisse meinen eigenen Ofen dafür an. Der Entscheid aber, den ‚Skandal‘ sechs Jahre lang zu verlängern und auf seinen Forderungen zu beharren, anstatt den Laden einfach zu ignorieren, das Produkt eine Straße weiter zu bestellen und seine Enttäuschung eigenverantwortlich zu verarbeiten, hat etwas Theatralisches. Die erzwungene Torte, sie hätte auf der Hochzeitsfeier allen bestimmt ganz viel Freude bereitet.