Tichys Einblick
Folgen des Hamas-Massakers in Deutschland

Interview mit Simone Schermann: „Ich habe mich von Deutschland innerlich verabschiedet“

Was folgt aus dem Massaker vom 7. Oktober für die Juden, die in Deutschland leben? Was aus den Sympathien, die hierzulande den Mördern von der Hamas entgegengebracht werden? TE hat dazu im Interview die deutsch-jüdische Autorin Simone Schermann befragt.

Simone Schermann ist eine deutsch-jüdische Autorin. Seit dem 18. Mai 2018 ist sie Vorsitzende des Deutsch-Israelischen Arbeitskreises (DIA) mit Sitz in Ettenheim. Unter anderem schreibt sie für die Jüdische Rundschau und für Achgut. TE hat mit ihr darüber geredet, wie sie die Ereignisse vom 7. Oktober erlebt hat und welche Folgen sie haben.

Tichys Einblick: Wie haben Sie den Angriff der Hamas auf Israel erlebt, Frau Schermann? 

Simone Schermann: Ich war auf einem Treffen von Achgut, auf dem ich erstmals war. Ich habe auf dem Handy rumgedaddelt und irgendwann die Bilder gesehen. Es waren die Bilder der ersten Entführungen. Ich bin in Tränen ausgebrochen. Mir war klar, dass die Umstehenden denken mussten, was ist das für eine Verrückte. Aber mir war klar, dass da etwas ganz Schlimmes passiert ist.

Wie erging es Ihnen in den Tagen darauf? 

Am 8. Oktober waren wir in Bamberg, am 9. Oktober wieder zuhause in Freiburg. Ich habe dann noch ganze zehn Tage gebraucht, um meinen Koffer auszupacken. Denn eigentlich mache ich seitdem nichts anderes, als mir die Bilder anzusehen, als zu versuchen, die Bilder zu verarbeiten. Andere jüdische Menschen, mit denen ich geredet habe, geht es ähnlich.

Wie haben Sie Ihre Umwelt in Freiburg, in Deutschland allgemein, dabei erlebt? 

Ich habe mich von Deutschland innerlich verabschiedet. Ich bin nur noch Israelin. Eigentlich heiße ich Sima. Meine Eltern haben seinerzeit meinen Namen eingedeutscht. Ich überlege nun, das rückgängig zu machen und mich wieder Sima zu nennen. Mit dem 7. Oktober ist eine Zeitenwende angebrochen.

Ein Wort, das Kanzler Olaf Scholz im Februar 2022 schon für den Krieg in der Ukraine verwendet hat. 

Es fehlen einem die Worte, um auszudrücken, was in Israel passiert ist. Hannah Arendt beschreibt es noch am zutreffendsten, als sie seinerzeit gesagt hat, es ist etwas passiert, das nicht hätte passieren dürfen. Der 7. Oktober ist so groß, dass alles, was ich sage, lächerlich klingt, pathetisch und peinlich. Ich fühle mich ohnmächtig.

Wie zeigt sich das? 

Ich habe mir Videos angeschaut. Immer und immer wieder. Es ist eine Form der Shoa, eines Pogroms, des Holocausts, die da passiert ist. Für mich ist das eindeutig. Kibbuze wurden zu Friedhöfen. Das macht mich fertig. Zwar schlafe ich, aber ich bin innerlich kaputt. Wir wurden zu Zeitzeugen von etwas, das niemals hätte passieren müssen.

Wieso entfremdet Sie das mit Deutschland? 

Diese Angriffe sind mit Geld der EU finanziert worden, mit Geld aus Deutschland. Und das, obwohl wir immer gesagt haben: So etwas wird kommen. Sie wollen uns auslöschen. Das schwingt etwa bei der lieben Greta seit Jahren mit, wenn sie sich zu Israel äußert.

Sie sind unter anderem Autorin der Jüdischen Rundschau. Inwiefern haben Sie sich noch engagiert, um vor dem 7. Oktober auf antisemitische Tendenzen hinzuweisen?

Ich habe unzählige Artikel zum Judenhass der Grünen geschrieben, zur Documenta 15, zu Claudia Roth, zu muslimischen Hass-Demos auf Deutschlands Straßen. Ich war immer der Meinung, dass wir in Deutschland aufhören müssen, Menschen wegen ihrer Meinung zu diffamieren. Als Mitglied der Chabad Lubawitscher Gemeinde in Freiburg wurde ich dort von einem jüdischen Bekannten, der in der AfD war, gefragt, ob ich nicht bei der Gründung der Juden in der AfD mitmachen will. Das habe ich gemacht. Ich war einfach neugierig. Ich habe mir das 2018 zwei Monate angeschaut und habe dieser Partei dann den Rücken gekehrt. Außerdem bin ich seit dem Jahr 2018 Vorsitzende des Deutsch-Israelischen Arbeitskreises DIA-Ettenheim. Das hat mir Ärger eingebracht.

Inwiefern? 

Wir haben im Juni einen Film über Antisemitismus und über die Schoa in der AfD gezeigt. Seitdem hat mich die Antifa auf dem Kieker. So etwas passiert einem in Deutschland, wenn man ein freier Mensch ist. Dann ist man frei und gefährdet. Aber ich habe keine Lust mehr, mich hinter Ghetto-Mauern zu verstecken. Also zeige ich mich. Und ich dulde auch kein „Ja, aber …“ mehr. Dann hat mich die Antifa halt auf dem Kieker, dann ist das halt so.

Haben Sie mit dem 7. Oktober dieses Engagement ausgeweitet? 

Nein. Am 7. Oktober ist das beendet worden. Da haben die Araber gezeigt, was sie wirklich wollen. Nicht nur Anhänger der Hamas sind in Israel eingedrungen, auch Zivilisten. Sie haben Unschuldige verfolgt, Frauen vergewaltigt und dabei ihre Babys in Backöfen gebacken. Angesichts von Babys und Kleinkindern, die lebendig verbrannt werden, akzeptiere ich keine zweite Sicht, kein: „Man muss auch mal die Gegenseite sehen.“ Wer sich angesichts solcher Gräuel immer noch im Recht fühlt, dem ist mit Diskussionen nicht beizukommen.

Haben Sie auch Solidarität erfahren? 

Wer sich jetzt meldet, das sind wenige. Ganz wenige. Wir erleben in Deutschland auf der Straße einen Mob, der Juden lynchen will. Und wir tun tatsächlich so, als ob Guterres recht hätte und dieser Mob käme aus dem luftleeren Raum. Viele kennen die Bilder von ermordeten Babys nicht einmal. Wer diese Bilder nicht kennt, dem können sie nicht erklären, dass Mütter vergewaltigt und Babys gebacken wurden. Das können sie ihm nicht erzählen. Der hält sie für verrückt. Und weil sie von diesen Bildern verschont bleiben, können sie so tun, als ob da einfach nur ein Krieg wäre, der nur von Israel ausgeht. Genau das passiert in Deutschland. Ich habe immer gedacht, Deutschland könne mich gar nicht mehr enttäuschen – aber Deutschland hat mich enttäuscht.

Sind eigene Angehörige von Ihnen von der Hamas ermordet worden? 

Ja. Der Neffe eines Schwagers ist gefallen. Ich habe meinen Schwager, einen iranischen Juden, noch nie so verzweifelt gesehen.

Wie geht es Ihnen dabei? 

Wie anderen Diaspora-Juden: Wir sitzen hier und schämen uns. Im Sommer war es noch so schön leicht, hier in Deutschland gegen die Justizreform in Israel zu demonstrieren. Ich habe das nicht getan. Ich zahle in Israel keine Steuern, ich trage keine Verantwortung. Also ist es schamlos, hier über Entscheidungen dort zu demonstrieren.

Wie reagiert Ihre Umwelt auf Sie seit dem 7. Oktober? 

Ich verlasse kaum noch das Haus. Ich vermeide es. Und wenn ich doch draußen bin, vermeide ich Diskussionen.

Warum? 

Im Judentum kennt man die Shiwa. Es ist eine Trauerzeit, in der man sich zurückzieht und von anderen mit Essen versorgt wird. In der Regel eine Woche. Ich fühle mich wie in der Shiwa. Nur dass niemand mit Essen kommt. Ich ziehe mich zurück.

Fürchten Sie Diskussionen? 

Die Leichtigkeit ist erledigt. Ich kann keine kleinen Kinder mehr anschauen, keine Mütter mit Kindern anschauen. Dann fallen mir die Bilder aus Israel ein und mir kommen die Tränen. Zumindest anfangs musste ich weinen. Dann wurde ich wütend. Und ich wusste nicht, wie ich mit meiner Wut umgehen müsste. Wie ich meine Wut mit der Gleichgültigkeit der anderen in Einklang bringen konnte. Gerade weil sie die Details nicht kennen. Beginnen solche Diskussionen, dann merke ich, dass ich nicht mehr hierher gehöre.

Kommt es zu Eklats in Diskussionen? 

Ich gehe Diskussionen auch deswegen aus dem Weg, weil ich weiß, dass ich sonst zu hart antworten würde. Mich hat jemand gefragt, wie ich denn die andere Seite sehe. Ich habe ihm darauf gesagt: Lesen Sie Tichys Einblick, lesen Sie Welt. Dann erfahren Sie die Details. Wenn Sie die Details von den Babymorden kennen, sind Sie auch nicht mehr daran interessiert, Verständnis für die Täter zu haben. Und wer Verständnis für die Täter hat, mit dem will ich nicht diskutieren. Auch weil es nichts bringt.

Haben Sie nach oder vor dem 7. Oktober tätliche Reaktionen als Jüdin erleben müssen? 

Mit der Ablehnung sind wir ständig konfrontiert. In Freiburg sind daran auch die Jüdische Gemeinde und die Badische Zeitung beteiligt, besser bekannt als Alpen-Prawda.

Haben Sie dafür ein Beispiel? 

Vor zwei Jahren gab es hier in der Innenstadt eine Maskenpflicht. Nur ein Uni-Gebäude trennt den Platz der ehemaligen Synagoge von der Innenstadt. Zu der Zeit fand auf dem Platz der ehemaligen Synagoge eine Riesendemo statt: „Palästina spricht“ und eine Gegendemo. Für uns galt Maskenpflicht, für die Herrschaften nicht. Da hat sich niemand getraut, die Maskenpflicht durchzusetzen. Und dann kam es zu den üblichen Vorfällen.

Welchen? 

Ein Einpeitscher skandierte: ,Schlachtet die Juden!` Oder ,From the river to the sea‘, was nichts anderes als die Forderung nach der Auslöschung des Staates Israel ist. Diese Demo sei friedlich verlaufen, hat die Badische Zeitung kommentiert. Die Hass-Parolen haben niemand gestört. Obwohl hunderte junge Menschen das gefilmt und auf Tiktok hochgeladen haben.

Gab es keine Anzeigen? 

Doch. Von mir. Obwohl mir davon abgeraten wurde.

Warum das? 

Freunde, die dort mit mir standen, sagten mir, ich müsse wissen, falls tatsächlich Täter ermittelt werden und es zu Verfahren kommt, erhalten die meine Adresse. Daher hatten sie Angst, mit mir Anzeige zu erstatten. Doch ich habe mich davon nicht einschüchtern lassen. Zumal die Hassdemos der Araber ein entscheidender Punkt sind.

Inwiefern? 

Haben Sie schon einmal von einer jüdischen Hassdemo gehört? Das ist der große Unterschied. Die Menschen in Israel wollen einfach nur leben, lieben, Kinder kriegen und großziehen. Der Hass kommt von den Arabern. Deswegen gibt es auch keine jüdischen Hassdemos. Den Arabern wiederum lassen die Deutschen den Hass durchgehen.

Wie zeigt sich das? 

Nach meiner Anzeige hat der Staatsschutz mir gesagt, dass „From the river to the sea, palestina will be free“ keine Hassrede sei. Die Auslöschung Israels zu fordern, ist in Deutschland demnach okay. In dem Punkt setzen sich die Linken durch. Das Drama ist, dass es in Deutschland keine Konservativen gibt. ich habe es in der AfD ebenso versucht wie in der Werteunion. Es war enttäuschend.

Warum? 

Wir sind umgeben von antiwestlichen Parteien. Es gibt nur noch Deutschtümelei und Antideutschtümelei. Mit der Freiheit, mit der westlichen Wertevorstellung will sich niemand auseinandersetzen. Und daher auch nicht mit dem Angriff auf Israel, der ein Angriff auf diese westliche Wertevorstellung ist. Sie finden bestenfalls noch Leute, die ihre Ruhe haben wollen. Es ist für mich erschreckend, wie sehr man von der Stirn bis zur Nase denken kann.

Wie lässt sich das ändern? 

Indem man sich mit Israel beschäftigt. Easy Jet hat mehr für Israel getan, als die ganze Steinmeiersche Erinnerungskultur es je tun könnte. Wer schon einmal mit Easy Jet in Israel war, der weiß: Wir sind das Land des Rechts und der Freiheit und der steht dann auch an unserer Seite, um Recht und Freiheit zu verteidigen.

Genügt das, um optimistisch zu sein? 

Die Menschen in Israel sind viel optimistischer als wir Juden in der Diaspora. Sie schicken uns Videos mit der Aufforderung, wir sollen singen und tanzen. Und Videos, in welchen die IDF uns sagt, dass das jüdische Volk keine Angst haben soll. Sie, die in den Krieg müssen, wollen uns die Angst nehmen. Ich spiele das den ganzen Tag und versuche, mich aufzuheitern. Wir sind nur Menschen, die lieben und leben wollen. Deswegen ist es so schade um die Menschen, die in Israel sterben – und deswegen lohnt es sich, sich uns anzuschließen und für die Liebe einzustehen.