Tichys Einblick
TE-Interview mit Marcel Luthe

Gewerkschafts-Chef: Pfleger-Impfpflicht sorgt für Zusammenbruch des Gesundheitswesens

Marcel Luthe ist Vorsitzender der Gewerkschaft Good Governance (GG). Sie unterstützt rund 2000 Mitglieder vor Gericht, vor allem gegen die „einrichtungsbezogene Impfpflicht“. Diese habe das Zeug, das Gesundheitssystem zu zerstören, sagt Luthe. Er rechnet mit einem „Intelligenztest für Bundestagsabgeordnete“.

Tichys Einblick: Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) haben das neue Infektionsschutzgesetz vorgestellt. Was halten Sie von der Vorlage, Herr Luthe?

Marcel Luthe: Bisher handelt es sich ja nur um Entwürfe. Es wird eine spannende Frage sein, wie sie durch den Bundestag kommen.

Wieso? Rechnen Sie nicht damit, dass die Vorschläge glatt durchgehen?

Es wird interessant sein zu sehen, ob insbesondere die FDP ihren Markenkern – Rationalität und Verhältnismäßigkeit – wirklich endgültig aufgibt. Dann kann sie aber auch gleich mit Rot und Grün fusionieren. Die Abgeordneten müssen sich überlegen, ob in diesem Gesetz die Verhältnismäßigkeit noch ein Maßstab ist. Wenn sie das tun, können sie ihm nicht zustimmen.

Warum?

Es gibt längst keinen Grund mehr, diese Infektionskrankheit anders als irgendeine andere Infektionskrankheit zu behandeln. Das haben alle anderen in Europa auch erkannt. Nur in Deutschland gibt es noch Geisterfahrer, die das nicht erkannt haben.

Woher kommt das, dass Deutschland jetzt noch mal die Regeln verschärft, während alle anderen Länder in Europa sie zurücknehmen – oder schon zurückgenommen haben?

Helmut Schmidt hat das in seinem Buch „Außer Dienst“ so beschrieben: Er sagte, die Deutschen würden immer nach einem Sonderweg suchen, das sei mittlerweile in ihrem Naturell. Andere Beispiele belegen das auch, nehmen Sie nur mal die Klimahysterie in Deutschland. Schmidt hat dies als den Versuch bezeichnet, aus der Täterrolle des Zweiten Weltkriegs wieder in eine Opferrolle zu finden. Gegebenenfalls auch durch Selbstkasteiung. Sie finden ähnliche Aussagen auch bei anderen, die sich mit den verschiedenen deutschen Sonderwegen beschäftigt haben. Es hängt daher nicht von einzelnen Personen ab, sondern liegt im massenpsychologischen Naturell. Hierzulande haben viele den Geist der Aufklärung nicht verinnerlicht – nicht mal den Geist des eigenen Grundgesetzes.

Woran machen Sie das fest?

Die Blockwart-Mentalität kommt überall durch. Wir reden jetzt über die Normen im Zuge der Corona-Krise, im Bereich der Energiepolitik läuft es aber so ähnlich: Diese Regierung befördert die Blockwart-Mentalität. Sie gibt jeder Mickey Maus das Recht und die Chance, beim Nachbarn zu überprüfen, ob der sich wie erwünscht verhält – und auch gegebenenfalls Verstöße zu melden. Das läuft dem Geist des Grundgesetzes, wie wir es in den Herrenchiemsee-Protokollen und denen des Parlamentarischen Rates finden zuwider: nämlich die Menschenwürde ins Zentrum unserer Verfassung zu stellen. Das Grundgesetz erteilt dem Vorrang des angeblichen Wohls der Masse vor dem des Einzelnen eine klare Absage, indem die Rechengröße für den Wert jedes Einzelnen auf „unendlich“ gestellt wird. Damit wollte man verhindern, dass je wieder eine Gruppe zum Wohl etwa der vermeintlichen „Volksgesundheit“ den Menschen vom Subjekt zum Objekt staatlichen Handelns macht oder ihm gar seine Individualität streitig macht. Und wo stehen wir nun?

Nun haben sich manche Diskussionen zur Corona-Politik verschoben. Anfangs galt zum Beispiel als Covidiot oder Ähnliches, wer darauf hinwies, dass Infektionen auch von Geimpften ausgehen können. Mittlerweile räumt das sogar Lauterbach ein. Wenn er auch daraus schräge Schlussfolgerungen zieht. Sie vertreten rund 2000 Mitglieder vor Gericht, die sich gegen unterschiedliche Corona-Gesetze wehren. Welche Rolle spielen diese veränderten Sachstände vor Gericht?

Bisher gar keine. Fakten und Ratio sind Faktoren, die in Deutschland inzwischen offenbar viele verachten. Das ist nicht erst seit Corona so. Das hat schon vor sicher fünf Jahren begonnen. Richter ziehen oft keine Sachkundigen zu Rate. Obwohl selbst Juristen meinen sie, zum Beispiel medizinische Faktoren selbst bewerten zu können. Nach dem Motto: Das hat so in der Tageszeitung gestanden, das hat so die Tagesschau gebracht – also stimmt das auch. Dass in den Medien aber oft das Prinzip Stille Post gilt – einer behauptet etwas leicht Falsches und alle anderen geben es mindestens genauso falsch weiter –, übersehen sie dabei. Deswegen kämpfen wir vor Gericht darum, dass verstärkt Sachkundige gehört werden.

Können Sie ein Beispiel nennen, bei welchem Thema es eine Rolle spielt, ob ein Fachkundiger vor Gericht aussagt oder nicht?

Ja. Die mRNA-Impfstoffe sind so ein Beispiel. Eigentlich verdienen sie schon den Namen Impfstoff nicht. Diese würden nämlich einmal eingenommen und dann einen Effekt auslösen. Die mRNA-Stoffe funktionieren anders. Sie sind teils auch nach sechzig Tagen immer noch im Körper – als Messenger, also aktivierender Botenstoff – aktiv und richten dort womöglich unkontrolliert Schäden an. Das weiß aber ein Jurist nicht, der sich nur an der Tagesschau orientiert und nicht tief im Thema ist. Das kann er vielleicht nicht wissen – und muss es eigentlich auch nicht –, genau dafür gibt es Sachverständige, die er zu Rat ziehen kann.

Sie haben nun rund 2000 Verwaltungsverfahren ihrer Mitglieder begleitet. Wie sind Ihre Erfahrungen vor Gericht?

Ausgesprochen gut. Wir haben stark mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht zu tun, die eigentlich ja tätigkeitsbezogen ist. Dort konnten wir in vielen Verfahren durchsetzen, dass unsere Mitglieder weiter im Pflegeberuf arbeiten konnten, ohne sich den Impfstoff gegen ihren freien Willen verabreichen zu lassen.

Wieso klappt das?

Das liegt zum einen am Grundsätzlichen. Der Gesetzgeber hat ursprünglich argumentiert, die Behandlungskapazitäten sollen durch das Gesetz erhalten bleiben. Die Neufassung des § 20a IfSG hat aber das Gegenteil bewirkt. Viele haben gesagt: Die Umstände in dem Beruf sind so schlecht, wenn ich mich jetzt auch noch impfen lassen muss, dann gehe ich einfach aus dem Beruf raus. Das hat die Personalnot nur verstärkt. Zum anderen machen es uns die Gesundheitsämter mitunter leicht.

Inwiefern?

Bei den Pflegern, die wir überzeugen können, in der Pflege zu bleiben, bei denen, die sich wehren, argumentieren die Gesundheitsämter nach einem unglaublich dämlichen Schema. Ich muss das so hart sagen. Sie gehen nicht auf die Fakten des Einzelfalls ein, sondern sie gehen nach der Aktenlage. Da sieht eine Liste eine Nachweispflicht für eine Impfung vor, also gehen sie diese Liste durch und schreiben die Mitarbeiter an.

Können Sie erklären, warum Gesundheitsämter damit vor Gericht unterliegen können?

Nehmen Sie ein Beispiel aus Nordrhein-Westfalen. Dort gibt es einen Mann, der immer wieder angeschrieben wird, er solle seine Impfung nachweisen. Er ist Schreiner. Patientenkontakt hat er keinen – mit wem auch? Maximal könnte er einen Holzwurm anstecken. Das hat der Mann seinem Gesundheitsamt immer wieder so erklärt, das haben wir als Gewerkschaft dem Gesundheitsamt immer wieder so erklärt. Die kommen aber über das sture Schema, der Arbeitgeber sei aber doch irgendwie im Gesundheitswesen nicht hinaus und sind offenbar nicht einmal willens zu lesen, was der Gesetzgeber sich mit der Norm gedacht hat. Ein häufigeres Beispiel sind Atteste. Die Gesundheitsämter ordnen nun immer wieder Gutachten nach Aktenlage an, wenn sie an den Attesten zweifeln. Das Gesetz sieht aber eine „ärztliche Untersuchung“ vor, „ob die betroffene Person auf Grund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden kann“.

Sie beschreiben gute Chancen, die Sie und ihre Mitglieder vor Verwaltungsgerichten haben. Das Bundesverfassungsgericht hat aber am 27. April geurteilt, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht verfassungskonform ist.

Das hat es nicht.

Bitte?

Das wird immer wieder behauptet, dass das Bundesverfassungsgericht das Gesetz als verfassungskonform bezeichnet hat. Das hat es aber nicht. Es hat lediglich Beschwerden dazu verworfen. Unsere ist aber immer noch anhängig.

Warum glauben Sie, dass Sie eine bessere Chance haben? Zumal das Bundesverfassungsgericht zuletzt überhaupt keinen Ehrgeiz mehr gezeigt hat, die Arbeit der Bundesregierung durch die Verfassung irgendwie einzugrenzen.

Neben den inhaltlichen Punkten gibt es einen formalen Aufhänger. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung aus April anerkannt, dass tödliche Nebenwirkungen bei der sogenannten Impfung möglich sind. Damit greift die Norm also auch in das Grundrecht auf Leben ein. Gesetze können in Grundrechte eingreifen, aber dieser Eingriff muss ausdrücklich formuliert sein. So wird sichergestellt, dass der Gesetzgeber den Eingriff in das Grundrecht nicht einfach übersehen hat und – wie hier – leichtfertig Menschenleben gefährdet. Diesen Hinweis enthält das Gesetz zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht aber nicht – schon allein aus diesem formalen Grund ist es also unzulässig.

Und ich bin mir sicher, dass ein solches Gesetz mit dem Warnhinweis „Achtung, Lebensgefahr“ auch nie den Deutschen Bundestag passiert hätte.

Nun gibt es den Fall Warendorf. Ein Landkreis setzt die einrichtungsbezogene Impfpflicht faktisch aus. Ungeimpfte Pfleger werden zwar ermahnt, dürfen aber weiterarbeiten und erhalten keine Strafe. Wir prüfen als TE derzeit selbst ähnliche Fälle, in denen das in anderen Städten und Landkreisen auch so geschieht. Kann der Bund im Winter ein Gesetz verlängern, das faktisch nicht umgesetzt wird? Oder wird der Bund die einrichtungsbezogene Impfpflicht zum Jahreswechsel wie geplant auslaufen lassen?

Können kann man immer viel. Die Frage ist doch eher: Wie sinnhaftig ist es, das Gesetz zu verlängern? Was würde es an der Situation verändern? Eigentlich müsste doch beim Letzten angekommen sein, dass diese Impfpflicht zu nichts geführt hat – so wie andere Maßnahmen auch. Außer zu einem Braindrain, dem Verlust an klugen Köpfen und zu einem immensen volkswirtschaftlichen Schaden.

Also wird die Impfpflicht für Pfleger nicht verlängert?

Das wird zu einem Intelligenztest für unsere Abgeordneten. Und zu einem Test, welches Selbstverständnis sie eigentlich von ihrer Rolle als Volksvertreter haben. Basiert ihre Entscheidung auf Vernunft und Fakten, sind sie unabhängig und in der Lage, sich eine eigene Meinung zu bilden, dann müssen sie gegen die Verlängerung der Impfpflicht stimmen. Oder sie lassen sich weiter von Karl Lauterbach vorführen.

Falls der Bund die einrichtungsbezogene Impfpflicht doch verlängert, rechnen Sie dann mit weiteren Fällen wie in Warendorf, in denen das Gesetz faktisch nicht vollstreckt wird? Oder wird eine Verlängerung die Städte und Landkreise auf Linie zwingen?

Da kann ich nur mutmaßen. Aber im Interesse aller Kranken und Verletzten hoffe ich, dass andere Städte und Landkreise dem Beispiel von Warendorf folgen. Wir haben Ähnliches im Süden Bayerns erlebt. Die Krankenhäuser werden nicht mehr in der Lage sein, Schichten zu besetzen. Ich weiß von der Kindernotaufnahme an der Charité, dass sie nicht mehr leistungsfähig ist und kurz davorsteht, die einzige Kinderambulanz schließen zu müssen. Durch dieses unfassbar dumme Gesetz droht ein Zusammenbruch des Gesundheitswesens – genau das, was wir angeblich mit der Pandemiepolitik immer verhindern wollten.

Der Pflegeberuf ist hart und schlecht bezahlt. In Berlin müssen Mitarbeiter der Charité jetzt 300 Euro fürs Parken bezahlen. Monatlich. Wie sehen Sie die Perspektive für diesen Beruf? Ist es nicht wahrscheinlich, dass angesichts solch gelebter Geringschätzung, zu der auch die einrichtungsbezogene Impfpflicht gehört, immer mehr sagen: Dann macht doch Euren Krempel allein?

Davon bin ich überzeugt: Viele sind in der Tat noch der Auffassung, dass sie der Bundesregierung und der Koalition zumindest ein wenig glauben können – dass eine vorübergehende Maßnahme eben auch nur vorübergehend bleibt. Wenn sich aber jetzt ein weiterer Wortbruch herausstellt, dann müssen wir uns mit ganz anderen Fragen beschäftigen. Dann werden wir als Gewerkschaft erste Maßnahmen des Arbeitskampfes ausrufen. Dann werden wir dafür kämpfen, dass dieser einsame politische Irrweg nicht zum Kollaps unserer Volkswirtschaft führt.

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