Tichys Einblick
Mit Andreas Rödder sprach Alexander Wendt

„Zentrale Fehlentscheidungen der letzten 15 Jahre müssen grundsätzlich revidiert werden“

Der Historiker und Ex-Vorsitzende der CDU-Programmkommission Andreas Rödder sieht die CDU nach Merkel als „in sich gespaltene Partei“. Sie müsse sich von diesem Erbe lösen, die grüne Hegemonie bekämpfen und ein bürgerliches Gesellschaftsbild entwickeln, um eine Zukunft zu haben.

Symbolbild: Andreas Rödder im Interview

IMAGO / Sämmer
TE: Herr Professor Rödder, nach heftigen Angriffen aus Ihrer eigenen Partei haben Sie den Posten des Vorsitzenden der Programmkommission niedergelegt. War das ein schmerzhafter Schritt für sie? Oder ein befreiender?

Andreas Rödder: Ein notwendiger, weil ich nach den ganzen Angriffen reagieren musste, auf diese Art und Weise aber auch etwas klarstellen konnte. Ich habe Freiheit als politischer Bürger wiedergewonnen, denn das war für mich immer die Voraussetzung meines politischen Engagements, nicht zuletzt meines politischen Engagements als Christdemokrat: meine intellektuelle Unabhängigkeit. Das heißt auch hier: Ich spreche für mich, in keiner offiziellen Funktion.

In der Auseinandersetzung, die zu Ihrem Rückzug führte, ging es um Ihren Vorschlag, dass die CDU, wenn sich die entsprechenden Mehrheitsverhältnisse durch Wahlen so ergeben, auch dann die Möglichkeit einer Minderheitsregierung in Betracht ziehen muss, wenn die nötigen Stimmen von der AfD kommen. Angesichts der Umfragen in der Ost-Ländern ist dieses Szenario nicht unwahrscheinlich – wird aber von vielen in der CDU strikt zurückgewiesen. Können sie erklären, wo die Konfliktlinien innerhalb Ihrer Partei verlaufen? 

Andreas Rödder: Ich habe mich in einem Interview zu der Frage einer Minderheitsregierung ohne Absprache mit der AfD im Gegensatz zu einer Tolerierungsregierung auf Basis von Absprachen mit der AfD geäußert, und das eine für denkbar, das andere für nicht akzeptabel erklärt – unter der Voraussetzung, dass zwei Parteien, mit denen die CDU einen Unvereinbarkeitsbeschluss hat, die Mehrheit der Sitze in einem Parlament haben, wie es in Thüringen gegenwärtig der Fall ist. Aber da diese Frage jetzt nicht ansteht, werde ich sie nach dieser Diskussion in diesem Moment auch nicht kommentieren.

Aber die CDU wird sich diesem Problem spätestens nach den Landtagswahlen im Osten 2024 in irgendeiner Form stellen müssen. 

Andreas Rödder: Deshalb war ich ja der Meinung, dass man sich rechtzeitig strategische Gedanken machen sollte.

Sind sie hier in London Gast der ARC-Konferenz; ARC steht für „Alliance for Responsible Citizenship“, Allianz für verantwortliche Bürgerlichkeit, eine weltumspannende Organisation von Konservativen bis zu Vertretern der Mitte, die darüber debattieren, wie sich die Idee der westlichen Bürgergesellschaft retten lässt. Das große Motto hier lautet: „A Better Story“. Es geht also darum, die bessere Geschichte zu erzählen als die woke, antiwestliche Linke. Wie sind Ihre Eindrücke von dieser Konferenz?

Andreas Rödder: Ich sehe eine große Ernsthaftigkeit und eine eindrucksvolle Kraft, die davon ausgeht, dass sich hier 1.500 Gäste und dutzende Referenten mit den wirklich großen Fragen unserer Zeit auseinandersetzen.

Ein Gedanke, der hier in London wiederholt geäußert wurde, lautet: Konservative bis Liberal-Konservative waren bisher nicht besonders gut darin, eine positive Erzählung zu ihrem Gesellschaftsbild zu entwickeln. Sie haben sich in die Defensive drängen lassen. Gerade in Deutschland ist die die Klage der Gruß der Konservativen. Gibt die ARC-Konferenz auch für Deutsche von der Mitte bis demokratisch rechts den Anstoß, wieder besser zu erklären, warum ihre Ideen gut für die Gesellschaft sind?

Andreas Rödder: Für mich trifft die Fragestellung dieser Veranstaltung den wesentlichen Kern: Die ganz entscheidende Herausforderung für moderne, zukunftsfähige Politik besteht darin, nicht nur pragmatisch Probleme zu lösen, was zwar immer wichtig ist, aber keine Richtung weist. Es ist dringend nötig, ein positives Narrativ bürgerlicher Politik zu entwickeln. Darüber nachzudenken halte ich für die absolut essenzielle Frage, auch in Deutschland. Bürgerliche Politik muss einen optimistischen Zukunftsentwurf verkörpern: dass sie in der Lage ist, Zukunftschancen für junge Menschen zu eröffnen, dass sie in der Lage ist, Kräfte in Wirtschaft und Gesellschaft zu entfesseln, und dass sie in der Lage ist, Wohlstand für alle zu sichern und zu mehren.

Sie versuchen seit einiger Zeit, mit der von Ihnen mitgegründeten Denkfabrik R 21 genau diese bürgerliche Selbstvergewisserung voranzutreiben. Wie sehen Sie die Wirkung von R21, einem noch relativ jungen Projekt?

Andreas Rödder: Schönheit liegt ja immer im Auge des Betrachters, Insofern bin ich vielleicht nicht der richtige Zeuge für die Außenwirkung von R21. Aber zugleich bekomme ich ebenso wie wir alle, die sich in dieser Initiative engagieren, eine Fülle von E-Mails, Anrufen und überhaupt: sehr, sehr viel Zuspruch, bis dahin, dass mich Menschen in der S-Bahn ansprechen. Wir haben den starken Eindruck, dass wir eine sehr weitreichende und tiefliegende Sehnsucht innerhalb des bürgerlichen Deutschlands ansprechen, bürgerlich übrigens in einem weiten und keineswegs exklusiven Sinne. Unsere Mission ist, das inzwischen vorherrschende Narrativ zu überwinden, die westliche bürgerliche Gesellschaftsmodell sei entweder zerstörerisch oder diskriminierend. Wir wollen diese grüne Hegemonie überwinden, ohne dabei in einen populistischen oder gar völkischen Stil zu verfallen. Die bürgerliche Selbstbehauptung mit einem positiven Narrativ zu versehen –  Ich glaube, das ist die zentrale Aufgabe nicht nur für bestimmte Parteien, sondern für die gesamte Demokratie.

Wenn die Aufgabe so dingend und die Sehnsucht nach einer positiven bürgerlichen Erzählung so groß ist – warum hält sich dann die Union bei dieser Sinnfrage zurück? Mit der Frage ‚wie geht es weiter?‘ ist ja nicht gemeint: gehen demnächst die die Steuersätze für irgendetwas um 2 oder 5 Prozent nach oben oder nach unten. 

Andreas Rödder: Die Union hat zwei Probleme. Das eine ist eine DNA, die auf praktisches Regieren ausgerichtet ist. Das ergibt sich aus ihrer Tradition als faktischer „Staatspartei“ der Bundesrepublik. Zugleich ist sie nach der Ära Merkel eine in sich gespaltene Partei, und es braucht einfach seine Zeit, das zu überwinden. Deshalb ist es wichtig, diese Debatte zu führen. Bürgerliche Politik wird nur dann eine Zukunft haben, wenn sie in der Lage ist, eine eigene, positive Erzählung anzubieten, und sich nicht darauf beschränkt, immer nur pragmatisch Probleme zu lösen. Pragmatisches Problemlösen klingt auf den ersten Blick immer ganz gut, endet aber letztendlich in Richtungslosigkeit. Eine Partei, die sich darauf beschränkt, würde sich am Ende des Tages überflüssig machen.

Besonders pragmatisch ging es allerdings in den Merkel-Jahren nicht zu. Der Ausstieg aus der Atomkraft, die Öffnung der Grenzen für eine unbegrenzte Asylmigration – das waren ja ebenso irrationale wie folgenschwere Entscheidungen, deren ganze Auswirkung wir erst jetzt richtig sehen. Bisher hat sich die CDU nicht wirklich von diesem Erbe gelöst.

Andreas Rödder: Es steht außer Frage, dass zentrale Fehlentscheidungen der letzten 15 Jahre grundsätzlich revidiert werden müssen, wenn Deutschland eine Zukunft haben. Das gilt für die Energiepolitik, das gilt für die Migrationspolitik, das gilt für die Russlandpolitik und auch für die Chinapolitik. In der Russlandpolitik ist es eingeleitet, in der Migrationspolitik wird es angedacht. In der Energiepolitik wird es sich als unumgänglich erweisen. Fehlentwicklungen zu korrigieren, kann aber nur der erste Schritt sein, um eine neue Richtung einzuschlagen. Deshalb ist ein positiver bürgerlicher Zukunftsentwurf so wichtig.

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