Tichys Einblick
Nach Corona zurück ins Leben?

„Heute wir – morgen ihr“: Wie kommen wir zu einer bezahlbaren, aber menschlichen Altenpflege?

Die Corona-Maßnahmen werden Stück für Stück aufgehoben, doch nicht für alle. Alte Menschen in Pflegeheimen gelten als besonders gefährdet und haben daher am stärksten unter Isolation und Vereinsamung gelitten. Adelheid von Stösser plädiert für Augenmaß im Umgang mit Alter, Krankheit und Tod. Nicht jeder Alte gehört auch zur Risikogruppe, aber jeder Mensch braucht soziale Kontakte.

IMAGO / Rupert Oberhäuser

Adelheid von Stösser ist ausgebildete Krankenschwester und Lehrerin für Pflegeberufe. Seit Einführung der Pflegeversicherung hat sie ihr Augenmerk auf die Situation in der Altenpflege gelegt und entwickelte so die Stösser-Standards, durch die sie Menschlichkeit und Effizienz in der Pflege verbinden will. Dabei soll der zu pflegende Mensch im Mittelpunkt stehen (Bezugs-, nicht Funktionspflege).

2003 nahm sie am Runden Tisch der Bundesregierung zur Pflegepolitik teil und wirkte an der „Pflege-Charta“ mit. Die Gespräche mit führenden Köpfen der deutschen Pflegepolitik ließen sie desillusioniert zurück: Fast niemand dort hatte vor, die Probleme der Pflegepolitik anzugehen. So gründete sie Ende 2005 mit Gleichgesinnten die „Pflegeethik Initiative Deutschland“, die sich dafür einsetzt, die Altenpflege wieder auf die verfassungsrechtlich garantierte Menschenwürde auszurichten.

Mit der Pandemie und ihren „Politiken“ haben diese Themen eine unerwartete Aktualität gewonnen: Zum einen hat sich die Situation in den Altenpflegeheimen durch Isolations- und andere vorgebliche Schutzmaßnahmen, die noch immer anhalten, teilweise drastisch verschärft. Zum anderen ist das Recht auf körperliche Unversehrtheit durch die Diskussion um eine „Impfpflicht“ in den Fokus der allgemeinen Diskussion gerückt – nun für Gepflegte und Pflegekräfte gleichermaßen wie auch für alle anderen Bürger. Mit Adelheid von Stösser sprach Matthias Nikolaidis.

Tichys Einblick: Frau von Stösser, in diesen Tagen laufen immer mehr Beschränkungen für die Menschen aus. Das Leben in seiner einstigen Form kehrt zurück, fast könnte man meinen, dass nichts verloren gegangen wäre. Wie sieht das „neue Leben“ für die Pflegebedürftigen in den Altersheimen aus? Haben sie ihr altes Leben zurückbekommen?


Adelheid von Stösser: Nach meiner Einschätzung haben sich die meisten Pflegebedürftigen an eine „neue Normalität“ gewöhnt. Zwei Jahre auf Abstand zu Angehörigen und Helfern. Zwei Jahre umsorgt von maskierten Menschen. Im Umgang mit Kranken und Pflegebedürftigen hat sich leider gar nichts geändert. Denn für Mitarbeiter in Gesundheitseinrichtungen gilt nach wie vor Maskenpflicht. Viele Heime wollen auf Nummer sicher gehen. Mir ist keine Einrichtung bekannt, die von Angehörigen ohne negatives Schnelltest-Ergebnis betreten werden darf. Außerdem wird von Angehörigen erwartet, dass sie während des Besuchs Maske tragen. Dabei sind gerade die Pflegebedürftigen nahezu vollständig geboostert. Leider haben sich Geschäftsführung und Personal an diese „neue Normalität“ gewöhnt. Die wenigen, die den Sinn der Corona-Verordnungen hinterfragen, sind die „Ungeimpften“. Diese sehen sich gerade zum Ausstieg aus dem Beruf genötigt. Es wäre schön, wenn wir diese Endlosschleife alle hinter uns bringen könnten. 

Oft hieß es ja, man müsse nur die Risikogruppen schützen, zu denen auch betagte Menschen gezählt werden. Aber ist ein solcher Schutz überhaupt möglich und was macht er mit dem Leben von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen? Gehören alle Alten zur Risikogruppe?

Das Alter alleine stellt dabei kein erhöhtes Infektionsrisiko dar. Im Gegenteil: Menschen, die ein gesegnetes Alter erreicht haben, besitzen häufig ein gutes Immunsystem. Je älter der Mensch, desto wahrscheinlicher seine Immunität gegen Grippe-Erreger, die in jedem Winter irgendwo ausbrechen. Dass die Sterberate bei den Alten am höchsten ist, hängt mit dem durch diverse Erkrankungen und andere Faktoren geschwächten Zustand zusammen. Wer am Ende seiner Kraft angekommen ist, dem kann bereits eine normale Erkältung den Rest geben.

Die Corona-Schutzverordnungen sind aus zweierlei Gründen fragwürdig. Zum einen, weil sie die körpereigene Abwehr schwächen und zum anderen, weil sie neue Risiken bergen. Anstatt auf Lebensfreude zu setzen, auf Singen, Lachen, Unterhaltung, Begegnungen, Bewegung etc. wurde das Gegenteil verordnet: Kontaktbeschränkung, Isolation, Begrenzung oder Ausfall von Beschäftigungsangeboten und menschlicher Betreuung. Damit hat man vielen den Rest gegeben. Bei mehr als 60 Prozent der „Corona-Toten“ handelt es sich um Heimbewohner, wobei die allerwenigsten an Corona gestorben sein dürften. Oft wurden alle, die im Zuge eines „Corona-Ausbruchs“ verstarben, als Corona-Tote erfasst, auch solche die weder getestet waren noch Symptome hatten.

Die Bewohner sind längst ganz überwiegend geboostert. Trotzdem gibt es Corona-Ausbrüche in Heimen. Wie ist dieser Zusammenhang zu bewerten?

Anstelle des versprochenen Infektionsschutzes erleben wir ein Totalversagen dieser neuartigen „Impfstoffe“. Im letzten Wochenbericht des RKI vom 14. April ist von 6.449 Impfdurchbrüchen in Einrichtungen die Rede. Allerdings sterben jetzt nicht mehr so viele an oder mit Corona. Insgesamt sind seit Impfbeginn jedoch deutlich mehr Menschen gestorben, auch in den Heimen. Viele Pflegekräfte schreiben von rapidem körperlichem und geistigem Abbau nach Impfungen. Bis heute findet keine systematische Erhebung vermeintlicher Impfreaktionen [?] statt. Wenn ein vorerkrankter alter Mensch stirbt, stirbt er entweder an seiner Vorerkrankung oder – sofern positiv getestet – an Corona. Obwohl weiterhin getestet wird, Besuchsverbote und Quarantänemaßnahmen bei positiv Getesteten ausgesprochen werden und Masken getragen werden, wird es eher schlimmer als besser. Viele sind mit den Nerven am Ende.

Sie sprechen es an: Leidtragende der Pandemiemaßnahmen waren nicht nur die Pflegebedürftigen, sondern auch die Pflegekräfte. Seit dem 15. März gehören Pfleger und Schwestern zu den Gruppen, die bereits mit einer Impfpflicht konfrontiert sind. Warum ist das aus Ihrer Sicht kein gangbarer Weg?



Korrekterweise müsste man von Impfnötigung sprechen. Die sogenannte Impfpflicht für das Gesundheitspersonal (§20a IfSG) stellt Ärzten, Pflegekräften und andere Mitarbeiter vor die Wahl, ein Berufsverbot hinzunehmen oder sich impfen zu lassen. Wer diesem Gesetz zustimmt, nimmt eine Verschlechterung der Versorgung Pflegebedürftiger in Kauf. Der seit langem beklagte Pflegenotstand wird hierdurch verschärft. Das Recht, gepflegt und behandelt zu werden, wird mit Füßen getreten. Dieses Gesetz muss weg. Pflegekräfte, Ärzte und andere medizinische Fachkräfte benötigen keine Vorschriften seitens der Politik darüber, wie sie ihre Arbeit zu verrichten haben. Schließlich ist der Schutz vor Infektionen Ausbildungsinhalt und primäre Aufgabe des Gesundheitspersonals.

Die Deutschen werden heute älter als früher, was gemeinhin als Gewinn gesehen wird. Leider sind aber auch immer mehr Menschen von dementiellen Syndromen und ähnlichen Einschränkungen betroffen. In der Forschung spricht man von Altersbehinderungen. In der „Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Personen“, an der Sie mitgewirkt haben, heißt es: Pflegebedürftige haben ein Recht darauf, dass „ihr Wille und ihre Entscheidungen beachtet werden“, auch wenn sie dieselben nicht sprachlich, sondern etwa durch ein Verhalten kundtun. Wie kann dafür in der Pflegepraxis Sorge getragen werden?

Laut unserer Verfassung, sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich, also auch solche, die auf Hilfe oder Pflege angewiesen sind. Weitere Gesetze stärken deren Recht auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit. Das ist leider nötig. Denn im Alltag ergeben sich häufig Situationen, in denen Betreuer oder Helfer vorgeben, wo und wie der Hilfebedürftige zu leben oder welcher Behandlung er sich zu unterziehen hat. Es gibt viele, die wissen, wie sie aus der Not Pflegebedürftiger Profit schlagen können. So zum Beispiel die Betreiber von gewinnorientierten Pflegeheimen. Der Pflegemarkt boomt und das deutsche Pflegesystem gilt als Schlaraffenland für Investoren. Es geht hier immer und in erster Linie ums Geschäft. Auf den Internetseiten und in Prospekten wird den Alten das Blaue vom Himmel versprochen. Tatsächlich erleben die meisten Bewohner jedoch eine Abfertigungspraxis, der jede Menschlichkeit abhanden gekommen scheint.

Altenpflege ist heute zu einem komplexen Thema geworden. Soweit sie sozialisiert ist und auf dem Beitrag der Pflegekassen beruht, sind viele „Mitspieler“ an dem System beteiligt. Für welchen Weg haben „wir“, also die Gesellschaft insgesamt und die politischen Entscheidungsträger, „uns“ entschieden?

Das ist eine gute Frage, die wir mit den Entscheidungsträgern klären müssten. So wie die Pflege in Deutschland jetzt aufgestellt ist, läuft sie in die falsche Richtung. Das System belohnt nämlich diejenigen, die Krankheiten und Pflegebedürftigkeit fördern. Das System fördert Krankheit und Pflegebedürftigkeit. Jüngstes Beispiel ist die Corona-Impfung. Abgesehen davon, dass es sich um experimentelle Stoffe handelt, die den Zweck einer Impfung nicht erfüllen, werden Risiken und eingetretene Schäden systematisch vertuscht. Die politischen Führungskräfte haben scheinbar alle Hemmungen verloren, ihre Bürger zu täuschen und einem medizinischen Experiment auszusetzen. Angefangen mit den alten, pflegebedürftigen und behinderten Menschen. Anstatt diese vor der Übergriffigkeit einer pharmagesteuerten Medizin zu schützen, setzt man sie dieser Übergriffigkeit voll aus.

Wo sehen Sie die Pflegekräfte in diesem System? Werden Sie zwischen den verschiedenen Interessen zerrieben: dem Wunsch von Pflegebedürftigen und Angehörigen nach optimaler Pflege und den finanziellen Forderungen, die Pflegekassen und gewinnorientierte Betreiber an sie stellen? Man hört nicht selten vom Druck privater Betreiber, die über das von Kassen und Gesetzgeber beschlossene Maß hinaus sparen wollen.

Die Pflegekräfte sind Teil des krankmachenden Systems. Sie wurden in dieses System hineinsozialisiert. Haben also gelernt sich anzupassen und die von oben vorgeschriebenen Anordnungen zu erfüllen. Das erklärt auch, warum die allermeisten maßnahmenkonform reagieren. Sie stellen die Maßnahmen nicht in Frage. Sie lassen sich impfen und erwarten, dass andere das auch tun. Zerrieben werden nur solche, die die unterschiedlichen Interessen sehen und als Konflikt empfinden, sich für eine Seite entscheiden zu müssen. Die Mehrzahl dient dem Dienstherrn und nicht dem Pflegebedürftigen.

Was ist die Rolle von Pflegeberatungsfirmen, die ja indirekt auch von den Pflegekassen bezahlt werden? Wie verstehen Sie als Pflegefachkraft und Expertin den Begriff „erfolgreiches Pflegegradmanagement“?

Alle Beratungsfirmen handeln im Auftrag eines Leistungsanbieters (Heimbetreiber, Klinikbetreiber, Pflegedienst etc.). Dieser gibt das Beratungsziel vor. Welches da lautet: Arbeitsoptimierung. Konkret: Wie lassen sich die Arbeitsabläufe organisieren, um Personal einsparen zu können. Wenn von Personaloptimierung gesprochen wird, ist immer Personal- und Kosteneinsparung gemeint. Die Beratungsfirmen sind Teil des Problems und Bestandteil des fehlgeleiteten Pflegesystems.

Um zu verstehen, woran das System krankt, sei das Beispiel Nachtdienst erwähnt: Eine Pflegekraft für 50 und mehr pflegebedürftige, alterskranke und sterbende Menschen. So sieht die durchschnittliche Besetzung der Nachtdienste in deutschen Pflegeheimen aus. Aus menschlicher Sicht ein Armutszeugnis, aus wirtschaftlicher Sicht ein akzeptierter Standard.

Sie selbst verfolgen einen Ansatz der Prävention. Wo sehen Sie Möglichkeiten, um chronische Krankheitsverläufe und Pflegebedürftigkeit im Alter zu verhindern?

Pflegebedürftigkeit fällt nicht vom Himmel. Sie hat Ursachen und die liegen in der Ausrichtung des Gesundheitssystems. Nehmen Sie die Volkskrankheit Diabetes: Der Patient geht mit Symptomen zum Arzt. Der Arzt stellt erhöhte Zuckerwerte fest und verschreibt Medikamente, die die Insulinproduktion anregen. Würde der Arzt dem Patienten stattdessen erklären, worauf er bei seiner Ernährung achten soll, und würde die Kasse diese Beratung angemessen honorieren, könnte der Patient ohne Medikament in kurzer Zeit vollständig geheilt werden. Ihm würde eine Patientenkarriere als Diabetiker erspart und damit das Risiko, am Ende auf Pflegedienste angewiesen zu sein. Auch Demenz fällt nicht vom Himmel. Sie ist eine Hauptursache für ein Lebensende in Abhängigkeit von fremder Hilfe. Die Gründe hier aufzuführen würde den Rahmen sprengen. Wer sich dafür interessiert, dem empfehle ich unsere Seite.

Nun sprechen wir daneben von explodierenden Kosten im Gesundheitswesen. Wäre es da nicht eigentlich günstiger, auf zu viele Medikamente zu verzichten? Könnte man so zugleich die Eigenständigkeit alter Menschen steigern?

Das hängt natürlich alles zusammen. Je mehr Kranke, desto mehr Medikamente. Je mehr Medikamente, desto mehr Nebenwirkungen, gegen die weitere Medikamente verabreicht werden. Die Krankheits- und die Kostensteigerung gehen Hand in Hand. Ein Teufelskreis, aus dem wir aussteigen sollten, bevor er alle mit in den Abgrund reißt.

Was können Sie mir zum Thema Fixierung im deutschen Pflegewesen sagen? Insbesondere zur chemischen Fixierung durch Beruhigungsmittel, ein ebenso lange bekanntes wie umrauntes Thema. Ist es nicht so, dass diese Wirkstoffe den alten Menschen – die ja in den allermeisten Fällen noch eine Grundfitness besitzen, wenn sie ins Heim kommen – langfristig die geistige und körperliche Beweglichkeit rauben?

Ja, genauso sieht der Teufelskreis, von dem ich eben sprach, in der Realität aus. Weil Zeit für menschliche Zuwendung zu teuer erscheint (und mit Hilfe von Beratungsfirmen etc. wegrationalisiert wird), wird zugelassen, dass unruhige Menschen mit Demenz ans Bett oder den Stuhl gefesselt werden. Wer das nicht widerstandslos akzeptiert, wird außerdem medikamentös ruhiggestellt. So geknebelt und entwürdigt, kommt es rasch zum rapiden Abbau der körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Ein Verbrechen an den Menschen, gegen das ich persönlich und als Vorsitzende der Pflegeethik-Initiative seit Jahren ankämpfe.

Seit 2020 und bis ungefähr 2035 werden die Babyboomer in Rente gehen. Zehn bis 15 Jahre später, manchmal auch schon früher, werden leider viele von ihnen auf die Pflegestationen deutscher Heime strömen. Haben wir eine Chance, mit dieser Belastung fertigzuwerden? Worin bestehen die Chancen eines anderen Wegs, den unter anderem Sie vorschlagen? Was müssen wir tun?

„Heute wir – morgen ihr!“, brachte eine Heimbewohnerin die Situation auf den Punkt. Wenn wir weiter auf dem falschen Weg bleiben, werden bald nur noch die Reichen im Pflegefalle auf bezahlte Helfer zählen können. Hingegen werden die weniger wohlhabenden und armen Menschen sich gegenseitig selbst behelfen müssen. Das muss keineswegs schlechter sein. Ich sehe hier gute Chancen zurückfinden in eine gesunde Lebensordnung und gesunde Sozialstrukturen. In einem weiteren Beitrag könnte ich dazu näheres ausführen.

Ein wichtiges Thema. Belassen wir es für heute dabei. Vielen Dank für das Gespräch!

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