Tichys Einblick
Interview mit Abraham Cooper

„Wenn Menschen unter Maschinenpistolen für Frieden beten“

Der Vizepräsident des Simon Wiesenthal Centers ist zu Besuch in Deutschland. Mit Tichys Einblick traf er sich zum Gespräch: Über Antisemitismus in Deutschland, den Judenhass an US-Universitäten und die Zukunft im Nahen Osten.

IMAGO / Charles Yunck

Rabbi Abraham Cooper ist stellvertretender Direktor des Simon Wiesenthal Centers in Los Angeles. Außerdem ist er der Vorsitzende der US-Kommission zur internationalen Religionsfreiheit. Das Simon Wiesenthal Center ist eine der wichtigsten privaten Organisationen, die sich für den Schutz jüdischen Lebens weltweit einsetzt. Tichys Einblick konnte ihn zu seinem Besuch in Berlin interviewen.

Tichys Einblick: Herr Cooper, was sind ihre Aufgaben in der Kommission zur internationalen Religionsfreiheit?

Abraham Cooper: Die Kommission setzt sich zurzeit mit 28 Ländern weltweit auseinander. Das fängt an mit solchen hervorragenden Beispielen wie China, Iran, Nicaragua, Nigeria und so weiter…

Was ist denn das Problem in Nicaragua?

In Nicaragua verfolgt die regierende Familie, die Ortegas, die katholische Kirche schwer. Führende Mitglieder werden verfolgt, Kirchen geschlossen. Es geht natürlich nicht um Theologie, sondern um Macht, um Kontrolle. Die Kommission ist vielleicht eine der letzten Institutionen der USA, in der es nicht um Parteipolitik geht. Wir wollen andere inspirieren, dass es bei Menschenrechten nicht um die Diskussion von „links oder rechts“ geht. Sondern dass wir versuchen müssen, etwas zu verändern. Das lässt sich hervorragend mit der Vision Simon Wiesenthals verbinden, sein Andenken zum Segen, als er unserer aktivistischen Vereinigung seinen Namen spendete. Im Simon Wiesenthal Center gilt unsere erste Pflicht unserer eigenen Familie, also dem jüdischen Volk. Und wir haben sicherlich genug Probleme, aber es ist im weiteren Sinne auch unsere Pflicht, uns für Religionsfreiheit und Menschenrechte aller Menschen einzusetzen. Es ist mir daher eine Ehre, den Zugang und die Freiheit zu haben, auf die US-Außenpolitik einwirken zu dürfen, wo sie diese Themen streift und auch meine Regierung, wo nötig, zu kritisieren.

Bei diesem Besuch sind Sie aber im Auftrag des Simon Wiesenthal Centers unterwegs. Was bringt Sie nach Deutschland?

Es geht mir darum, bei verschiedenen Themen nachzuhaken. Die Statistiken zum Antisemitismus sind bedrückend. Die Politik in Europa sieht sich massiven Schwierigkeiten ausgesetzt, bei denen das SWC beratend zur Seite stehen will. Wie soll man mit der Immigration umgehen? Wie mit den Zellen von Hisbollah und Hamas umgehen, die hier operieren? Und das wichtigste Thema, zu dem wir Kanzler Olaf Scholz auch einen detaillierten Brief geschrieben haben, ist eines, dass auch Präsident Biden gerne unter den Tisch fallen lässt: Wenn es um Frieden in der Region geht, wenn man den Terror zurückdrängen möchte, dann muss man über den Iran sprechen. Daher fordern wir, dass die Revolutionären Garden des Irans als das benannt, als das sanktioniert werden, was sie sind: Terroristen. Sie sind die Vorhut des mörderischen Regimes in Teheran. Da passiert noch zu wenig. Es könnte der Fall sein, dass Deutschland darauf wartet, was Washington tut und Washington auf eine Entscheidung in Berlin wartet. Während ich hier bin, ist das eines der zentralen Themen, die ich ansprechen werde.

Warum kommen Sie dann gerade jetzt nach Deutschland?

Es gibt drei Hauptgründe, hierher zu kommen. Zum einen werden wir den Fokus unserer Aktivitäten aus Paris weg und nach Berlin verlagern. Nicht, dass das Antisemitismusproblem in Frankreich ein geringeres Problem ist als hier. Das ist es nicht. Doch denken wir, das Deutschland eine Vorreiterrolle im Kampf gegen Terrorismus in Europa übernehmen wird. Das ist der zweite Grund. Und abschließend sehen wir eine besorgniserregende Zunahme an antisemitischen Straftaten in Deutschland. Dem wollen wir entgegenwirken. Ich verstehe, dass es bei der Polizei schwierig ist – in Los Angeles haben wir dieselben Diskussionen: wenn alles ruhig ist, sollen Polizisten mehr eine Art Sozialarbeiter sein, und wenn es hart auf hart kommt, sollen sie zu Revolverhelden des Wilden Westens werden. Es ist schwierig, zwischen beiden Extremen zu wechseln. Aber wenn wie in Deutschland die einzige Reaktion der Politik ist, die Genauigkeit der Statistik antisemitischer Verbrechen zu schärfen, dann stimmt da etwas nicht. Es muss schon mehr passieren.

Woher kommt dieser Judenhass?

Deutschland hat seine Neo-Nazis und Rechtsextremisten, die auch mit dem Problem der offenen Grenzen immer weiter mobilisieren können. Das ist etwas, das wir auch in den USA beobachten. Wir haben viele derselben Probleme. Und diese Mobilisierung der Unzufriedenen durch Rechtsextreme ist eine beunruhigende Parallele der Geschichte. Aber neben diesem “traditionellen“ Antisemitismus gibt es natürlich die vielen Wirtschaftsflüchtlinge und andere, die ihren eigenen Antisemitismus mitbringen. In der Vergangenheit wollte ich schon von deutschen Politikern wissen, was sie dagegen tun, dass viele dieser Menschen antisemitische Vorurteile mitbringen, die tief in ihrer Kultur verankert sind. Keiner konnte mir eine Antwort darauf geben. Man hat wohl gehofft, dass die Menschen, so sie einmal in Deutschland sind und das System verstanden haben, sich anpassen. Dass alles gut geht. Und wie in den USA hat man hier den Freitagspredigten der Imame nicht besonders gut zugehört. Man hat den 24-stündlichen täglichen Judenhass in den sozialen Medien ignoriert. Man hat ignoriert, dass die Zuwanderer von der Mehrheitsgesellschaft distanziert sind und sich fragen: „Was ist die Relevanz, dass ich etwas über das Schicksal der Juden in den 30er und 40er-Jahren lerne?“

Was bedingt aber diese plötzliche Mobilisierung? In Berlin sahen wir fast zehntausend Menschen durch die Straßen marschieren, aus allen Bevölkerungsgruppen. Den Hass gab es schon vorher, aber man hat sich damit weitestgehend zurückgehalten.

Es kommt aus dem Iran. Der Judenhass ist einer der Exporte des Landes und Teil der Außenpolitik des Irans. Der Al-Quds-Tag, der immer wieder für antisemitische Proteste genutzt wird, ist eine Erfindung des Irans. Vor einigen Jahren besuchte Hassan Rohani, der Präsident des Irans, Österreich. Bundeskanzler Kurz sprach bei diesem Besuch die Holocaustleugnung des Irans direkt an. Auf solche Taten warten wir von der deutschen Regierung bis heute vergebens.

Es ist klar, dass es einen riesigen wirtschaftlichen Goldschatz am Ende dieses Regenbogens zu finden gibt. Und wir wissen auch um die geopolitischen Gründe. Deswegen will Deutschland seine Beziehungen zum Iran nicht gefährden. Aber das Resultat ist, dass man einerseits zwar Gesetze gegen Antisemitismus erlassen kann, aber auf der anderen Seite Polizisten hat, die wie Verkehrspolizisten zusehen, dass auf den Straßen Berlins die Schreie und der Hass der Judenhasser widerhallen und dass Imame aus fremden Ländern hier ihren Antisemitismus predigen.

Deswegen ist es meine persönliche Meinung, dass die Regierungen die Islamische Revolutionsgarde des Irans direkt sanktionieren, dass unsere Regierungen über ihre Vertretungen verlangen müssen, dass dieses Verhalten seitens des Irans nicht länger toleriert wird.

Zweitens gibt es den Freitagsfaktor. Es ist ein sensibles Thema. Was predigen die Imame beim Freitagsgebet von der Kanzel? Wer bildet sie aus, wer bezahlt sie? In vielen Fällen die Türkei. Es ist kein Allheilmittel und es wird das Problem nicht abschließend lösen, aber ich glaube, dass der deutsche Staat sich hier in Zukunft einbringen muss. Die Zahl der Muslime in Deutschland ist jetzt groß genug und wird nur weiterwachsen. Es ist Zeit, dass hier Menschen predigen, die auch hier ausgebildet und geprüft wurden. Der Judenhass, den wir in den sozialen Medien sehen, ist schlimm genug. Wenn dieser am heiligen Freitag noch bestärkt wird, ist es katastrophal.

Wie kommt es, dass so viele junge gutausgebildete Menschen bei den antisemitischen Demonstrationen mitlaufen? In Deutschland wie auch in den USA. 

Es gibt eine gewisse Gruppe von Akademikern, die anti-amerikanisch, „anti-kolonialistisch“, „pro-eingeborene“ sind, die es sich im Narrativ der Hamas bequem gemacht haben. Das ist schockierend. Es sind die elitärsten Universitäten der USA, Columbia, Pennsylvania, Cornel und Harvard, die da mitmachen. Das wurde mitverantwortet durch Qatar, das jahrzehntelang Unsummen in unsere Universitäten gesteckt hat und auch die Hamas-Führung beherbergt.

Die Beeinflussung hört aber da nicht auf. UNRWA, das UN-Flüchtlingshilfswerk für die Palästinenser, muss geschlossen werden. Es hat sich ein Glauben breitgemacht, dass die Palästinenser ein Recht haben, dass die Welt ihre Flüchtlinge für immer unterhält. Es ist nun die fünfte Generation, die in einem Flüchtlings-Sozialstaat aufwächst. Und ich muss mich fragen, was das für einen Anteil an der Gehirnwäsche hat, der junge Palästinenser unterzogen werden. In den Schulbüchern der UNRWA werden Sie niemals eine Karte Israels finden. Menschen wie Leila Chaled (führendes Mitglied der PFLP-Terrorgruppe, Anm. d. Red.) werden als Helden gefeiert. UNRWA-Schulen werden als Raketenstützpunkte missbraucht. Das muss aufhören. Die Hilfsgelder sollten in eine Treuhand überführt werden, gerne auch erhöht, und der Flüchtlingskommissar der UN soll sich der Problematik annehmen.

Ich möchte aber eine Geschichte über Simon Wiesenthal erzählen, den ich 29 Jahre lang kennen durfte. Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg investierte er massiv in die deutsche Jugend. Und viele waren erstaunt. „Was tust Du? Du hast 89 Familienmitglieder verloren.”, haben ihn seine Bekannten gefragt. “In Wien öffnest Du Deine Tür nie für Menschen in Deinem Alter, weil sie wahrscheinlich Nazis waren“. Aber er sagte: „Ich investiere in die Jugend, in die Gesellschaft.“ Ich glaube, es war ein gutes Investment.

Das Wiesenthal Center war in den Verhandlungen für das Abraham-Abkommen mit eingebunden. Es hat einen Frieden zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten hergestellt, Flüge zwischen den Ländern ermöglicht, Annäherung gebracht. Ist das Abkommen durch den Massenmord am 07. Oktober gefährdet?

Eine interessante Meldung, die ich gelesen habe – und ich habe keine gegenläufigen Informationen erhalten – war, dass der Angriff eigentlich am ersten Abend von Pessach (5. April, Anm. d. Red.) hätte stattfinden sollen. Da sind die Menschen alle versammelt. Es wäre ja auch nicht das erste Mal, dass Angriffe an einem Feiertag beginnen. Die Symbolkraft ist stark. Aber der Angriff wurde wohl verzögert, weil Teheran mit Washington über eine Aufhebung von Sanktionen verhandelte. Der Drahtzieher sitzt im Iran. Die Hamas wurde vornehmlich von den Iranern ausgebildet. Sie wollen das Abraham-Abkommen zerstören und sie wollen Saudi-Arabien schwächen. Dafür sind die Iraner bereit, noch den letzten Palästinenser zu opfern. Das Abkommen ist wirtschaftlich begründet, die Saudis wollen ihre Wirtschaft breiter aufstellen. Aber auch aus Selbstschutz. Der Iran ist nur Tage vom Bau einer Atombombe entfernt. Damit wird aus ihm eine existenzielle Bedrohung für die ganze Region.

Im Großen und Ganzen bin ich aber optimistisch. Arabische Staaten machen keine Deals mit schwachen Staaten, das sagen israelische Diplomaten schon seit dem 09. Oktober, zwei Tage nach dem Angriff. Israel muss jetzt beweisen, dass es die Kraft hat, die Hamas zu zerschlagen. Dann, und nur dann, werden die diplomatischen Beziehungen wieder aufgenommen. Dann wird wieder Geld in Israel investiert und dann werden sich die Beziehungen weiter verbessern.

Wir werden also weitere Annäherungen sehen?

Die Dynamik in der Region verlangt, dass die Staaten Arbeitsplätze für ihre junge Bevölkerung schaffen müssen, sonst enden sie selbst als failed state. Das gilt für Ägypten, für Bahrain, für Saudi-Arabien.  Auch wenn diese Staaten die Idee eines palästinensischen Staates noch unterstützen, schauen sie auch auf die Milliarden Dollar, die in Gaza investiert wurden. Wo ist das Geld hin? Die Lage der Menschen hat sich nicht verbessert. Die Menschen sind pragmatisch und wählen den Weg, der ihrer Bevölkerung Wohlstand verspricht. Genauso wie Erdogan, den ich zwar als sehr wankelmütig erlebt habe, der in den letzten Monaten verschiedene antisemitische Ausfälle hatte, der aber auch nicht die Geschäftsbeziehungen zwischen der Türkei und Israel gefährden möchte.

Der Vorsitzende des Wiesenthal Centers, Marvin Hier, warnte Kanzler Kohl vor der Wiedervereinigung, er fürchtete ein Wiedererstarken des Antisemitismus. Dies löste großen Ärger bei Helmut Kohl aus. Nun, 33 Jahre später – was ist das Fazit?

Als ich das erste Mal nach Deutschland kam, flogen wir noch direkt nach Bonn. Mein erstes Treffen hier war 1979, während der Debatte, ob Nazi-Kriegsverbrecher nach Hause zurückkehren dürften. Ich kenne den Preis der Wiedervereinigung nicht. Aber mir fällt auf, hier ist es wie in Jerusalem: Wenn Sie in ein Taxi steigen, dann gibt es kein West-Berlin oder Ost-Jerusalem mehr. Es ist die Stadt Jerusalem, Berlin. Am Ende ist das wichtige, dass Deutschland weiter darauf besteht, dass die Zukunft auch eine robuste jüdische Präsenz beinhalten muss. Vor 20 Jahren aber war ich zu Besuch auf der Buchmesse in Frankfurt. Ich wollte wissen, wie ich am Shabbat vom Hotel zur Synagoge laufen könnte. Ich bin ja orthodox. Und die Concierge sagte: „Sehen Sie die vierte Ampel? Dort biegen Sie nach rechts ab. Und wenn Sie das Halbkettenfahrzeug und die Soldaten sehen, dann sind Sie bei der Synagoge.“ Wenn wir über die Zukunft reden, dann darf es keine Zukunft sein, die nur von Soldaten und bewaffneten Polizisten garantiert wird. Die Gesellschaft muss sich ändern, denn die Einstellung, dass man bei der Synagoge angekommen ist, wenn man die Männer mit Maschinenpistolen sieht, um dort für Frieden zu beten: das ist katastrophal. Wenn es in fünf bis zehn Jahren noch so ist, ist es eine Schande und eine Tragödie. Das Bemühen der Deutschen, jüdisches Leben zu ermöglichen, ist lobenswert. Aber das bedeutet, auch die Probleme anzugehen, die wir gerade besprochen haben – die Probleme der Migration von Antisemiten und auch die Probleme mit Neo-Nazis und ihren Vorfeldorganisationen im Dreiteiler, die immer mehr an Macht gewinnen.

Herr Cooper, wir bedanken uns für das Gespräch.

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