Tichys Einblick
Aus Chemnitz kann man lernen - ABER NICHT SO!

Wie sich die Sozialdemokratie selbst demontiert

Über die fast noch schäbigere Art der SPD, Chemnitz auszunutzen, als die "braunen Dumpfbacken" selbst, mit denen eine Demokratie immer fertig würde! Ein Sozialdemokrat über seinen heiligen Zorn.

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Uns erreichten viele Meinungen nach interessanten Gesprächen, von Leuten, die die SPD überhaupt nicht mehr verstehen, vielmehr, ihre führenden Politiker. Wir selbst waren bereits über Katarina Barley überrascht, die bei Maybrit Illner vor gut einer Woche quasi alle Protestierenden von Chemnitz in einen Top warf, aber die linksradikalen Gegendemonstranten (obwohl sich sicher nicht alle so verhielten) adelte (als Justizministerin wohlgemerkt aller(!) Bürger).

Gestern dann, bei Anne Will, sprach ein wirklich Intellektueller und dazu noch Comedian, nämlich Serdar Somuncu, endlich einmal so Klartext, wie wir es uns von Politikern der GroKo, und speziell von der SPD seit mindestens drei Jahren gewünscht hätten. Merkels Politik hätte kritisiert und verbessert werden müssen!

Was aber macht die SPD dieser Tage? Sie legt sich förmlich mit der breiten, demokratisch gut aufgeklärten bürgerlichen Schicht, quer der Mitte bis nach oben, an. „Unsere“ SPD-Politiker Heiko Maas und Wolfgang Thierse, letzterer fast eine „Legende“, und in Ruhestand, haben sich am Wochenende sehr fragwürdig zu den Unruhen von Chemnitz mitgeteilt.

Richtig Sorgen muss man sich um einen Außenminister wie Maas machen, der fast genauso wie die Justizministerin, alle Demokraten, die, egal wie auch immer, sich frei von Ideologien bewegen (aber sehr wohl anregen und kritisieren!), fast schon diffamieren oder verdächtigen, ihre Bürgerverantwortung nicht wahrzunehmen!

Welche, bitteschön wäre das genau? Ein Journalist schrieb, »Mit der Diffamierung des „Einzelnen“ wollen die Sozialdemokraten von eigenen Verantwortlichkeiten ablenken. Doch diese Strategie führt in die Sackgasse.« Und dieser Reporter, trifft den Nagel aber absolut auf den Kopf!

Vorausgegangen war wieder einmal ein bestialischer Mord, die Unruhen der „braunen Meute“ danach, und das schreiben wir klipp und klar, waren scheußlich, aber sicher nicht von allen Chemnitzern oder den Bürgern Deutschlands goutiert, und selbst wenn nicht alle nach Chemnitz reisten!

Aber die Situation von Chemnitz hat einmal mehr Fragen aufgeworfen:

Anstatt in Ruhe zu analysieren – eine Lynchjustiz wurde schnell widerlegt, und auch Anne Will wollte diesen Begriff gestern in ihrer Sendung nicht von den Gästen verwendet wissen – begann die SPD damit, Bürger zu stigmatisieren, in Generalverdacht zu nehmen, die Außenminister Heiko Maas am Wochenende, via WELT und BamS, in ganz neue Kategorien gehoben hat: “(…) Meine Generation hat Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie geschenkt bekommen”, sagte der Außenminister der „Bild am Sonntag“.

Und weiter, “Wir mussten das nicht erkämpfen, nehmen es teilweise als zu selbstverständlich wahr. Es hat sich in unserer Gesellschaft leider eine Bequemlichkeit breitgemacht, die wir überwinden müssen.“ So, so, „die wir überwinden müssen.“

Fast 70 Jahre lang schon hält die demokratische Kraft, weil wir alle, meine Großeltern und Eltern wach waren, zu Hause stets kontrovers bis heute mit uns Kindern diskutieren, ohne sich zu hassen, und gerade weil die deutsche und europäische Bürgerschaft stets wach war und ihre Gegenstimmen erhoben, blieben extremistische Strömungen stets in der Minderheit, fassen wir zusammen.

Aber Maas, einmal in seiner moralischen Sphäre, in der wenige Andere Platz haben, meinte weiter: “Da müssen wir dann auch mal vom Sofa hochkommen und den Mund aufmachen. Die Jahre des diskursiven Wachkomas müssen ein Ende haben.”

„Des diskursiven Wachkomas“, das muss man erst einmal in Ruhe wirken lassen, diese Unterstellung, eines Ministers, von dem man fast annimmt, schon als Justizminister davor, dass er von der Bevölkerung schon gar keine Ahnung mehr hat, oder aber sachlich Kritiken, die ihn sicher erreichten, stets abperlen ließ. Von den von „Bürgern im Wachkoma“ zu reden, fast eine Beleidigung, für all die, die einen anstrengenden Berufsalltag haben, oder den vielen anderen, die sich im Alltag auch mit ALG II behaupten müssen, und dennoch ihre Stimme erheben, z. B. gegen Ungerechtigkeiten.

Wolfgang Thierse, ebenfalls eine moralische Instanz, der den Osten Deutschlands bestens kennt, weil dort sozialisiert, wie die Kanzlerin, stimmte bei Anne Will fast in den Chor von Maas und Barley ein, dem „Einzelnen“ die Verantwortung für das Desaster und die „Verunsicherung“ in Chemnitz zuzuschieben.

Der normal mitlaufende „Sorgenbürger“ auf der Straße hätte sich noch besser von den marschierenden Nazis abgrenzen müssen.

Wo genau wäre das, mittig auf der Straße, oder auf der anderen, „linken“ Straßenseite? Wo genau?

Die SPD-Politiker wollen also mehr Leute auf der Straße sehen, am besten bei einem Konzert wie heute?

Prominente SPD-Politiker fordern also dazu auf, von „Ottonormalverbraucher“ frei von jeder Ideologie, ihren Job zu erledigen.

Am besten noch mit einem Selfie als Beweis auf der Straße, um zu zeigen, seht her, so aktiv bin ich. Es kommt uns vor, wie das letzte Zucken eines Patienten (SPD) im Wachkoma, um im Maas-Jargon zu bleiben.

Diese, „unsere“ Partei hat durch die AGENDA 2010, Hartz-IV-Gesetze und die Mitarbeit in großen Koalitionen, eine menschenunwürdige und, gar neoliberale Grundlage für die meisten „aktuellen gesellschaftlichen Konflikte mit installiert“, wie bereits etliche Politologen seit langem konstatieren. Leider auch in Sachsen und Chemnitz, aber eben nicht nur!

Wir finden es aber fast schon schamlos und infam, wenn ignoriert wird, dass Millionen von lauteren (also integren) und sozialen Bürgern stets gegen die Agenda 2010 intern wie öffentlich „mobil“ machten, aber immer ignoriert oder ausgebremst wurden. Ist das etwa die Bequemlichkeit, die Heiko Maas meint?

Ist es wirklich normal, dass man dem einzelnen Bürger, und dessen angeblich fehlendes „Engagement“ gegen „Rechts“ als den Hauptgrund ausmacht?

Momentan demontiert sich die SPD leider selbst. Sie versucht, von eigener Verantwortung abzulenken. (Ebenso Teile der CDU, nur, da greift niemand den einzelnen Bürger an!)

Diese SPD, mit ihren Politikern als „Aushängeschilder“ im öffentlichen Politbetrieb, lenkt ab, von ihrer eigenen Verantwortung, einer jahrelang, verfehlten Politik, statt die Bürger mitzunehmen.

Den Sozialstaat hat sie bis heute mit herunter gespart. Es ist lieb und billig, zu einer riesigen Gegendemo aufzurufen. Nur, gegen Rechte zu sein, ist längst Kontext aller demokratischen Parteien.

Nicht einmal da, hat diese SPD, auf deren Neuanfang Millionen Sympathisanten warten, und schon zynisch dabei werden, weil man es diesen Sozialdemokraten nicht mehr abnimmt, eine Deutungshoheit. (Nur nebenbei, wir an der Basis, federn für unsere Mandatsträger in Berlin mehr ab, als diese sich je vorstellen können).

Wir halten auch fest, und wissen selbst, Hinweise auf ökonomische Mängel sollen die Vorkommnisse von Chemnitz übrigens zwar nie rechtfertigen, aber man muss versuchen, diese „Emotionalisierung“ zu verstehen, wo die Ursachen wirklich liegen. Sich die Mühe machen, die Bevölkerungsschichten zu verstehen.

Aber nein, die SPD wirft alle in einen Topf, und schadet sich selbst!

Obwohl natürlich eigentlich die CDU und Merkels verfehlte „Einwanderungspolitik“ das Ziel von Kritiken sein sollte, wird der SPD eben pure Untätigkeit in der GroKo vorgeworfen. Wie oft sendeten auch wir Signale intern, was so alles schief laufen würde, aber, die Sozialdemokraten hatten Angst, Merkels Politik intern mit Fakten zu kritisieren, als Kontrolleur und für Modifizierungen einzutreten, sozial dazu, und sie hätte heute mehr Prozentpunkte.

Man wird aus der SPD nicht mehr schlau, ist es Dilettantismus oder auch strategische Unfähigkeit? Wie kann man die Probleme von Chemnitz, und nur das sind sie gerade, denn ansonsten hätten die SPD-Granden bereits vor solch einer Demo auf Dinge hinweisen müssen, aber auf Millionen von Bürgern abzielen und Dinge zu unterstellen, als seien sie Schuld an den Nazis in Chemnitz, hat schon eine neue Qualität … wir können nur sagen, Gute Nacht, wenn das eine Strategie sein sollte.

Heiko Maas fühlt sich wohl erhaben über Alle, wann war er denn sonst groß in Erscheinung getreten? Und, die, die sich bereits engagieren, müssen Maas‘ Äußerungen und Aufforderungen, wir schrieben es schon mehrmals, sowie Zeilen weiter oben, als Hohn und pure Ignoranz wahrnehmen.

Und was ist mit denen, die sich bisher vielleicht noch zurückhielten, aber evtl. engagieren wollten? Die denken nun, also von diesem SPD-Minister muss ich mich bestimmt nicht animieren lassen!

Wir bleiben etwas ratlos zurück, weil wir immer dachten, es seien Politprofis am Werk, wie uns eine 55-jährige Bürgerin aus der schwäbischen Provinz offen mitteilte, stattdessen geht es ums Profilieren. Es wäre jetzt, und wo wir schon bei #Chemnitz sind, die Stunde für die SPD in der GroKo „knallhart“ zu analysieren (obwohl Experten für Rechtsradikalismus und Islamismus ständig auf der Matte stehen!), ob man nicht die Innere Sicherheit stärken müsste? Mit mehr Polizisten?

Ansonsten, so meinte die schwäbische Mutter, hoffe sie als bekennende Genossin auf Sarah Wagenknechts Bewegung „Aufstehen“. Allein das sagt schon sehr viel über die SPD momentan aus.


Giovanni Deriu, Diplom-Sozialpädagoge und Freier Journalist;
Integrationsbeauftragter, seit 2015 für Kommunen und Landkreise aktiv.
Mitglied der SPD in einem Kreisverband.