Tichys Einblick
Das nächste Opfer

Til Schweiger – Zum Abschuss freigegeben

Halali! Nach Bild-Chefredakteur Julian Reichelt und dem Axel-Springer-Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner ist nun auch Kinostar Til Schweiger fällig. Von David Klein

Til Schweiger bei der Kinopremiere zu "Lieber Kurt" in Wien am 15.09.2022

IMAGO / SKATA

Der Spiegel holt als Erster die streng gehüteten Schweiger-Storys, die schon seit Jahren in den Redaktionen der Republik kursieren, aus dem Giftschrank. Mit einem ausführlichen Artikel, in dem auch die prekären Arbeitsbedingungen in der deutschen Filmindustrie angeprangert werden, läutet die Postille vor einigen Tagen die öffentliche Hinrichtung des erfolgsverwöhnten Schauspielers ein.

Sturzbetrunken soll er 2022 am Dreh von „Manta Manta-Zwoter Teil“ aufgetaucht sein, Kinder soll er angeschrien, Mitarbeiter als „Fotze“, „dumm“ und „Scheiße“ beschimpft oder ihnen gleich eine geknallt haben. Soll? Er hat. Und alle in der Filmbranche wussten es. Schweigers Alkoholproblem und die katastrophalen Zustände bei den Dreharbeiten sind seit Jahren bekannt, aber die Szene schwieg eisern.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Schweiger und die Constantin Film, das Filmstudio, das „Manta Manta-Zwoter Teil“ produzierte, „widersprechen den Darstellungen“. Einige der „Sachverhalte“ seien ihrem Mandanten „nicht bekannt“, lässt Schweigers Anwältin mitteilen. Das erstaunt nun wiederum nicht sonderlich, denn der sogenannte „Filmriss» ist bei Alkoholikern Tagesgeschäft.

So konnte sich Schweiger 2015 nicht daran erinnern, seinem Co-Star Elyas M’Barek an einer Aftershowparty des Deutschen Filmpreises „Lola» in Berlins „Promirestaurant“ Borchardt, der inoffiziellen Kontaktbörse der deutschen Filmindustrie, eine Ohrfeige verpasst zu haben, als dieser ihn am nächsten Tag damit konfrontierte. Na gut, mögen Sie sagen: Künstler. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Kreativität bricht sich eben Bahn.

Verstehen Sie mich nicht falsch:  Die im Spiegel erhobenen Vorwürfe treffen zu, das haben mir mehrere Film-Insider bestätigt, und es gibt dafür keine Entschuldigung.

Und doch bleibt ein schaler Nachgeschmack. Denn die unangefochtene Cashcow der deutschen Filmindustrie war bis vor Kurzem noch everybody’s darling: Millionen an staatlicher Filmförderung, Zuschauerrekorde für seine doch recht anspruchsarmen Machwerke, Schleimschmeicheleien von Politik und Medien für seine Flüchtlingshilfe. Doch mit der Coronakrise gerät der Publikumsliebling und bis anhin linientreue Soldat im Dienste der deutschen Staats- und Medienmacht zusehends aus dem Tritt.

2020 beginnt mit Majestätsbeleidigung: Schweiger kritisiert die Corona-Päpste Drosten und Lauterbach und postet Unflätigkeiten auf Instagram. Die obligate „Entschuldigung“ kommt prompt und „aus ganzem Herzen“, doch der Schaden ist angerichtet. Schweigers Haltbarkeitsdatum beginnt abzulaufen.

2021 nimmt die mediale Delegitimationskampagne Fahrt auf: „Til Schweiger irritiert mit Impfaussagen“, empört sich der Spiegel, um Schweigers Auftritt in einem Dokumentarfilm über Kinderimpfungen mit dem Titel „Eine andere Freiheit“, in dem auch die mit Entlassung bedrohte Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot zu Wort kommt, zu skandalisieren.

„Endgültig ins Abseits geschossen“ hat sich Schweiger gemäß T-Online, indem er 2022 ein Foto mit dem Journalisten Boris Reitschuster auf Instagram postet. Reitschuster ist eigentlich harmlos aber wird wegen seiner Kritik an den staatlich verordneten Corona-Massnahmen von deutschen „Leitmedien“ als „Verschwörungstheoretiker“ stigmatisiert.

Zu guter Letzt bezeichnet Schweiger 2023 in einem Interview die pubertierenden Klimakleber der „Letzten Generation“ als „Vollidioten“ und attestiert dem grünen Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck, von „Wirtschaft keine Ahnung“ zu haben. Habeck solle sich „selber festkleben“, dann könne er „nicht so viel Mist verzapfen“.

Achtung Glosse
Das Kasulzke-Prinzip: Bei uns können Sie sich entschuldigen
Diese treffende Analyse begeistert zwar den CDU-Bundestagsabgeordneten Christoph de Vries sowie den rheinland-pfälzischen CDU-Landesparteichef Christian Baldauf, die Schweiger gerne in der CDU aufnehmen würden, wo „kompetente Menschen mit Lust an Debatte immer willkommen“ seien. Aber Schweiger hat sich damit endgültig sein eigenes Mediengrab geschaufelt. Die linke Journaille, die während Corona als willige Erfüllungsgehilfin der Bundesregierung agierte, hat Blut geleckt, die Zeit ist reif für eine mediale Inquisition. Die Hetzjagd kann beginnen.

Dann meldet sich Schauspielerin Nora Tschirner, die ihre Filmkarriere nicht zuletzt Schweiger verdankt, der die ehemalige MTV-Moderatorin vor mehr als zehn Jahren für die Blockbuster „Keinohrhasen“ und „Zweiohrküken“ vor die Kamera holte, in einem Instagram-Video zu Wort. Es sei in der Filmbranche „seit Jahrzehnten“ ein „absolut offenes Geheimnis, dass diese Zustände herrschen“. Dass die Kritik der 50 Filmschaffenden, die sich dem Spiegel anonym „anvertraut“ hätten, von den Verantwortlichen – gemeint ist die mächtige Constantin Film – „im Prinzip für null und nichtig erklärt“ worden sei, da mache sie „nicht mehr mit“.

„Mehr“ ist hier das Zauberwort, denn selbstverständlich hat auch Tschirner sich in der Vergangenheit weder zu Schweigers alkoholgeschwängerten Exzessen, noch zu den Zuständen an deutschen Filmsets geäußert. Dass sie es jetzt tut, erfordert einigen Mut. Denn wer die Branche auch nur ansatzweise kennt, weiß, dass Tschirners Tage in der Filmindustrie gezählt sein dürften.

Das wäre im Übrigen auch bei jedem anderen Filmstar so, der sich erlauben würde, öffentlich die Hand zu beißen, die ihn füttert. Egal, wie berühmt oder einflussreich er oder sie auch zu sein glaubt. Deshalb hört man auch nie einen Mucks von deutschen Megastars wie Iris Berben, Katja Riemann, Daniel Brühl oder Heiner Lauterbach, wie groß der aktuelle Film-Skandal auch gerade sein mag.

Die Top-Elite der deutschen Unterhaltungsindustrie gibt sich zwar an Charity-Veranstaltungen regelmäßig die Türklinke in die Hand, um medienwirksam und imagefördernd gegen allerlei Unrecht die „Stimme zu erheben“, bezüglich der Missstände in der eigenen Branche gilt hingegen die Omertà.

Es wäre zu wünschen, dass die 500 systemtreuen Staatskünstler aus Film und Fernsehen, die mit ihrem Protest dafür sorgten, dass der Leiter der hessischen Filmförderung, Hans Joachim Mendig, seines Amtes enthoben wurde, weil er sich privat mit dem damaligen AfD-Parteivorsitzenden Jörg Meuthen traf, sich ähnlich resolut gegen desolate Arbeitsbedingungen und staatliche Förderwillkür wehren würden.

Letztlich sind sie aber abhängig von staatlicher Förderung und der finanziellen Unterstützung der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ARD und ZDF.

Im Auftrag des NDR wurden sechs Filme von Schweiger mit jeweils einem Millionenbudget gedreht: „Die erhobenen Vorwürfe haben wir wahrgenommen und uns diesbezüglich mit den in der Vergangenheit beteiligten Produktionsfirmen, die im Auftrag des NDR mit Til Schweiger für den ‚Tatort‘ zusammengearbeitet haben, in Verbindung gesetzt“, erklärt der NDR auf Nachfrage von T-Online und fügt hinzu: „Die Ergebnisse liegen noch nicht vor.“

Mehr Heuchelei geht nicht. Denn es sind ja gerade die beiden öffentlich-rechtlichen Mediengiganten, die für die Misere an den Drehorten und die desaströsen Arbeitsbedingungen beim Film verantwortlich sind. Diese mit Steuergeldern alimentierten Milliardenkonzerne kürzen die Produktionsetats für Filme und Serien kontinuierlich bis an die Grenze der arbeitsrechtlichen Vorschriften und darüber hinaus. Die Politik, welche die staatlichen Filmfördergelder spricht, schaut weg.

Unruhe im Springer-Verlag
Affäre um „Bild“ und Julian Reichelt: Die verlorene Ehre des Mathias Döpfner
Gleichzeitig verprasste die damalige RBB-Intendantin Patricia Schlesinger die Zwangsgebührengelder des zahlenden Publikums für Urlaube, den Ausbau ihres Dienstwagens, die private Bewirtung ihrer Gäste, dubiose Beraterverträge oder sündhaft teure Bodenbeläge.

Die TAZ gibt sich derweil ahnungslos und orakelt: „Hat die Filmbranche nichts gelernt?“ Das wirkt reichlich scheinheilig, denn gerade die TAZ müsste es eigentlich besser wissen. Bereits 2013 hatte die Zeitung die unmöglichen Arbeitsbedingungen in der Filmindustrie angemahnt: überlange Arbeitstage, keine Ruhezeiten, dauernde Erreichbarkeit, keine Zeit fürs Privatleben, kein Geld für Vorsorge. Schon damals wollten die Whistleblower „auf keinen Fall mit Namen und Beruf in der Zeitung stehen“, weil sie „sonst keine Aufträge mehr bekommen“. Seither blieb es jedoch ungewöhnlich still, obwohl sich die Bedingungen im Filmbusiness dramatisch verschlechtert hatten.

Oliver Zenglein von der Plattform „Crew United“ sieht im Spiegel-Interview die Film- und TV-Branche vor dem Zusammenbruch: „Wir leiden massiv unter Fachkräftemangel. Erfahrene Filmschaffende verlassen ausgebrannt, oder weil sie sich für eine Familie entscheiden, die Branche. Und der Nachwuchs lässt sich vom Glamour-Faktor nicht mehr blenden, sondern sieht in den Arbeitsbedingungen keine Perspektive für ein Leben, wie sie es sich vorstellen. In der Summe heisst das: Wenn wir jetzt nicht die Arbeitsbedingungen massiv verbessern, werden wir bald niemanden mehr haben, der für uns arbeiten will.“

Wie der alte Fasching kommt jetzt die grüne Kulturstaatsministerin Claudia Roth mit einer bahnbrechenden Idee um die Ecke: Ein „Code of Conduct“ soll es richten. Na prima, das hat ja bis anhin ganz hervorragend funktioniert.

Aber halt, es soll ja auch noch ein „Online-Tool“ geben, das „Institutionen dabei helfen soll, einen strukturellen Wandel einzuleiten“. Na, dann. Mit „Conduct“ ist Benehmen gemeint, und zwar gutes. Derartiges ist jedoch in der Kulturbranche, vor allem beim Film, Mangelware, da hilft auch kein „Online-Tool“.
Außerdem fordert Roth „lückenlose Aufklärung“, nachdem sie dem Treiben als Politikerin und Kulturministerin jahrelang zugeschaut hatte. Wenn sich diese „lückenlose Aufklärung“ so ineffizient gestaltet, wie bei dem letztjährigen Antisemitismus-Skandal an der von Roth verantworteten „Documenta“, sollten sich die „Deplorables“ der Filmbranche keine Hoffnung auf Besserung machen.

Dieser Beitrag von David Klein erschien zuerst auf „Inside Paradeplatz“.

Anzeige