Tichys Einblick
Internationale Presseschau

Sondierung: Schlussverkauf auf dem Wochenmarkt der Regierungsbildung

Der mühsame Versuch der Koalitionsbildung wird in internationalen Medien als ein Schwächesignal der Bundeskanzlerin interpretiert. Es ist der langsame Abschied von der Macht, der Versuch, die eigene Karriere zu retten.

© John MacDougall/AFP/Getty Images

Was in vielen Tickermeldungen durch eingängige Formeln wie „Nacht der Entscheidung“, ein „nervenaufreibendes“ „Ringen um Kompromisse bis zuletzt“, bei dem „dicke Brocken“ von „Spitzenverhandlern“ „auf der Zielgeraden“ und „kurz vor dem Durchbruch“ weggeräumt würden, vorbereitet wurde, scheint sich nun zu kristallisieren: Die Groko kommt.

Oder wie Martin Schulz sagt: „Es seien hervorragende Ergebnisse erbracht worden“

Dabei haben die ausländischen Medien noch gar nicht im Blick, dass die SPD die Ereignisse schon wieder aufzukündigen versucht.

Das Echo hört sich im Ausland so an:

AFP bei den „Gulf news“: “Kanzlerin Angela Merkel habe sich auf einen letzten, verzweifelten Versuch in Gespräche mit der zweitgrössten Partei Deutschlands über eine Regierungsbildung eingelassen, was auch als Kampf um die Rettung ihrer politischen Karriere zu sehen sei.“ 

„Der an der Duisburger Essen Universität lehrende Analyst Karl-Rudolf Korte habe dem ZDF gesagt, daß Merkel, Schulz und Seehofer den Erfolg der Gespräche dringend benötigten, da diese sich nicht nur um eine Koalition, sondern um deren politische Schicksale drehten. Es wäre das Ende aller Drei, wenn diese Koalition nicht gebildet würde.“

Nicht um Inhalte geht es, sondern um persönliche Karrieren.

„Im starken Kontrast zu dem sich nur langsam lösenden politischen Krampf in Deutschland stehe dessen wirtschaftliche Gesundheit; und trotzdem hätten immer noch Finanzfragen die Gespräche aufgehalten.“

Das Wochenmagazin „Le Point“ aus Frankreich schreibt:

Endlich hätten sich Angela Merkel und die SPD darauf verständigt, Deutschland eine Regierung zu verschaffen. Fast 24 Stunden nach dem Beginn der Non-Stop-Verhandlungen hätten Kreise aus dem Umfeld der Unterhändler signalisiert, daß man eine gemeinsame Verständigungsgrundlage gefunden habe. Noch niemals habe die Kanzlerin so lange verhandelt, egal worum es sich drehte, habe die „Welt“ enthüllt, selbst die Gespräche, die zum Verbleib Griechenlands in der Eurozone oder zum Minsker Friedensabkommen führten, hätten „nur“ 17 Stunden gedauert. 

Der Kommentar des Senders CNN ist nachdenklich: „Sie habe den Pool der Mitbewerber trocken gelegt und versäumt, einen Nachfolger zu küren“

„Die Eckpfeiler des Stils und der Prinzipien von Merkel —  in Deutschland scherzhaft als Merkelismus bezeichnet—seien so abgeschliffen worden, daß ihre letzte Amtszeit nur ein schwacher Abklatsch der ersten Drei sein werde. Die Kanzlerin sei sehr geschwächt . Es habe bissige Angriffe nicht nur auf ihre Person, ihre Politik und ihre herrische Art nicht nur von der Opposition – nun auf der extremen Rechten verstärkt –  sondern auch aus der Mitte der Regierung und sogar ihrer eigenen Partei heraus gegeben. Das könne einige Deutsche Nerven kosten, die sich an die simple Lebensweise unter dem Merkelismus gewöhnt hätten und könne die Kanzlerin selbst beunruhigen. Mit etwas Zuversicht werde das die Politik in der Republik aber nach einer gewissen Zeit verjüngen.“ Mit Blick auf CSU und SPD sowie deren eigene Ziele und Probleme fährt der Kommentar fort: „Daher würden die Grossen Koalitionen der Vergangenheit, verglichen mit der Nächsten, warm und kuschelig aussehen, vorausgesetzt diese komme überhaupt so weit.“

Um die Sache noch komplizierter zu machen, werde die AfD – die Merkel, die EU, den Euro und die scheinbare politische Korrektheit in Deutschland mit Beschimpfungen überhäufe – die grösste Oppositionspartei im Parlament sein…. was ihr eine wertvolle und günstige Position verleihe, aus der heraus sie Merkel von Rechts Aussen unter Beschuss nehmen könne – eine neue und unkomfortable Situation im Bundestag. All dies werde Merkel’s vierte Amtszeit unangenehmer machen, was sie Energien kosten werde, um deutsche Prioritäten bei der Reform der EU und generell in der Weltpolitik zu setzen – das käme zu einer Zeit, in der Führungsstärke und moderater Konservativismus mehr als bisher Bedeutung zukämen. Ein anderes Element des Merkelismus sei aber nicht aus dem Auge zu verlieren: Sie sei dann am einfallsreichsten, wenn sie unter Druck stehe und unterschätzt würde. Bis jetzt hätte sie, wenn sie die Samthandschuhe einmal ausgezogen hätte, gewonnen.

Die New York Times fragt: Ist Angela Merkel erledigt? „Mitglieder der Jungen Union hätten vor kurzem schon gefordert, daß sie abtreten möge“

Frau Merkel möge ja eine der bewundertsten Führerinnen der Welt und eine Inspiration für eine neue Generation von Politikerinnen sein, aber zu Hause seien ihre Reize eher pragmatischer Natur gewesen:  Ihr politisches Kapital werde davon gespeist, auf Krisen zu reagieren, und nicht die Politische Agenda des Landes zu bestimmen oder Konzepte dafür zu entwickeln. Um es klar zu sagen: Sie habe es nicht so mit den Visionen. Eine Weile habe das funktioniert. Aber nach 3 Amtszeiten an der Spitze von „grossen“ Koalitionen, sei, trotz einer komfortablen Mehrheit, mit der man grosse Reformen hätte durchbringen können, nicht viel herausgekommen. Im Gegenteil: nach 12 Jahren und einer ungelösten Flüchtlingskrise, die die deutsche Öffentlichkeit wahnsinnig gemacht habe, setze nun Merkel-Ermüdung ein.

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Die Korrespondentin der Irish Times schreibt unter dem Titel:“Die CDU und ihre bayerische Alliierte CSU seien seit der Wahlen im September unfähig gewesen, eine Regierung zu bilden“: Die geschäftsführende („acting“) Deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel habe am Freitag morgen unter Qualen einen Schritt in Richtung einer  4. Amtszeit getan..“ Um 9 Uhr früh sei der Kuhhandel zwischen CDU, CSU und SPD dann abgeschlossen gewesen.

Da ihr (der Kanzlerin, Anm.) klar gewesen sei, daß die Welt zuschaue, sei sie nicht Willens gewesen, die Gespräche ohne eine Übereinkunft auseinandergehen zu lassen. Und als die Verhandlungsführer sich um Mitternacht hätten Currywurst und Gulasch servieren lassen, hätten sie ihren Mitarbeitern mitgeteilt, sich auf eine lange Nacht einzustellen. Irish Times zitiert den Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert aus einem Interview im Inforadio mit den Worten : „.daß sich …dieses Land keine weiteren vier Jahre unter dieser Frau leisten könne“ , sowie die Voraussage von Professor Rudolf Hickel von der Universität Bremen: „Sie würden entweder kosmetische Politik oder faule Kompromisse machen, oder aber man werde eine Regierung bekommen,in der sie sich Tag und Nacht über Details stritten.”

Radio France International meldet: „Mit Anbruch des Tages hätten sich Merkel und die SPD auf ein Projekt geeinigt.“  „Die Gespräche seien mühsam gewesen, weil sie fast 24 Stunden gedauert hätten“ weiss deren Berliner Korrespondent zu berichten. „Zu Anfang habe es ja nur Übereinstimmung innerhalb einer geschlossenen Sechsergruppe gegeben“. „Nun sei die grössere Gruppe der 39, die an diesen Verhandlungen oder besser Vorverhandlungen beteiligt gewesen seien, noch dabei, diese Übereinkunfte im Einzelnen zu billigen. Was auffalle, sei die offenbare Abwesenheit eines grossen Sozialprojekts, das es erlaubt hätte, die Parteibasis der SPD zu beschwichtigen – die sehr gegen eine neue Koalition eingestellt sei …kein Projekt der Zusammenführung der zwei Klassen der Sozialversicherung, was ein wichtiger Punkt gewesen wäre, den die SPD in den Vordergrund gestellt habe.“

Der Figaro meint, daß die Kanzlerin der SPD „ein Abkommen zur Regierungsbildung abgerungen habe“  und zieht einen Vergleich: „Die Verhandlungen (der Kanzlerin, Anm.) hätten länger gedauert als die mit Putin.“

Aber für Angela Merkel käme deren Abschluss nun als „Erleichterung“. Sie, die sich nach ihrem schwachen Sieg im September nicht fähig gezeigt habe, eine Jamaika-Koalition mit der FDP und den Grünen zu bilden, sei nach diesem Scheitern gezwungen gewesen, sich der mit 20,5 % der Stimmen böse gebeutelten SPD zuzuwenden, die sich selbst eigentlich eine Oppositions-Kur verordnet gehabt habe. Mit Blick auf die weiter nötigen Abstimmungen im Lager der SPD sehe der Figaro aber noch nicht „daß die Kanzlerin sich ganz aus der Affäre gezogen habe“.