Tichys Einblick
SPD auf historischen Abwegen

Selbstverständlich Antifa? Das war in der DDR Staatsdoktrin

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken und der Parteivorstand bekennen sich offen zur Antifa. Sie treten damit in die Fußstapfen der Kommunisten. Von Peter Hoeres

Parade in der DDR 1986 zum Jahrestag der Errichtung des "Antifaschistischen Schutzwalls"

imago images / Sommer

„58 und Antifa. Selbstverständlich“ hat die SPD-Vorsitzende Saskia Esken getwittert und sich dann von ihrem Bundesvorstand retweeten lassen: „157 und Antifa. Selbstverständlich“. Wobei sich die Altersangabe auf die Gründung der Vorgängerorganisation Allgemeiner Deutsche Arbeiterverein 1863 bezieht. „Wer mit Faschisten paktiert, darf in diesem Land keine Verantwortung tragen“, hatte die SPD schon im Februar ultimativ herausgeschrieen und in ihrer Eigenwerbung stolz kundgetan, sie bekämpfe seit 156 Jahren den Faschismus (also schon lange bevor dieser das Licht der Welt erblickte). Die Hilfstruppen aus den Gewerkschaften sekundieren eilfertig:

Da FDP und CDU bei der Wahl Kemmerichs in Thüringen gemeinsam mit der AfD gestimmt hätten, sei der antifaschistische Konsens zerbrochen, der in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelebt worden sei.

Diesen antifaschistischen Konsens gab es allerdings mitnichten in der Bundesrepublik Deutschland. Sie war von einer antitotalitären Abwehr von Kommunismus und Nationalsozialismus gleichermaßen bestimmt. Der Antifa-Konsens wurde allein in der DDR als Staatsdoktrin ausgegeben und am „antifaschistischen Schutzwall“ mit Schüssen auf Flüchtlinge umgesetzt. Mit den nationalsozialistischen Altlasten nahm man es indes nicht so genau.

Was hat es mit dem Faschismus und dem Antifaschismus nun wirklich historisch auf sich? Der „Faszismus“, wie er zunächst in Deutschland genannt wurde, ist in doppelter Hinsicht ein Kind des Sozialismus. Angefangen bei Benito Mussolini entstammten seine maßgeblichen Gründer der Sozialistischen Partei Italiens oder kamen intellektuell aus dem Syndikalismus. Zum anderen war der Faschismus eine Antwort auf die bolschewistische Bedrohung, die mit der Oktoberrevolution in Russland und den Begeisterungsstürmen in der europäischen linken Szene, die bis zu hartnäckiger Blindheit Linksintellektueller gegenüber den eklatanten Verbrechen sogar bei Russland-Reisenden wie George Bernard Shaw führte, sehr konkret war. Der Faschismus verstand sich als radikale Antwort auf die vielfach kolportierten Schrecken im Gefolge der Oktoberrevolution, die ihrerseits terroristisch geprägt war.

Vom Sozialisten zum Faschisten

„Fascio“ bedeutet zunächst einmal nur Bund, etymologisch schwingt das lateinische „fascis“ für das Rutenbündel mit Beil der antiken römischen Liktoren mit – der Amtsdiener also, die mit den „fasces“, den hohen Staatsbeamten, voranschritten und diese schützten. Die „fascis“ wurden dann zu einem Symbol der Faschisten. Als „fasci“ bezeichneten sich im Italien vor dem Ersten Weltkrieg eher linke oder anarchistische Arbeiterzusammenschlüsse. Der ursprünglich pazifistische Sozialist Mussolini hatte sich bald nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu einem Kriegsinterventionisten gewandelt. 1914/15 gründete er die Fasci d’azione rivoluzionaria.

Dies war eine Sammlung linker Interventionisten. Nach dem Krieg stieg Mussolini zum Führer der Fasci di Combattimento auf, die er zu einer nationalen faschistischen Partei formte. Mit dem „Marsch auf Rom“ 1922, der zur Ernennung Mussolinis zum Minister- präsidenten führte, und dem Aufstieg zum Diktator nach der Matteotti-Krise 1924/25 – Giacomo Matteotti, einen erbitterten parlamentarischen Gegner der Faschisten, hatten Squadristi (Mitglieder der faschistischen Miliz) ermordet – war Mussolini in Europa in aller Munde.

Kommunisten wie Liberale beschäftigten sich mit dem neuen Phänomen. Viele Liberale waren zunächst fasziniert von oder indifferent gegenüber der neuen Bewegung, während die Kommunisten besonders dringlich eine Erklärung für und zugleich Strategie gegen ihren neuen Hauptfeind finden mussten. Die Kommunisten sahen in den Faschisten eine große Bedrohung wie auch mächtige Konkurrenz angesichts der sozialistischen Herkunft und der Erfolge der Faschisten unter den Proletariern und Kleinbürgern. Wieder einmal verhielten sich die unterdrückten Klassen nicht so, wie sie es der marxistischen Theorie gemäß hätten tun sollen; schon die bolschewistische Revolution hatte ja im „falschen“ Land, nämlich im rückständigen Russland und nicht im kapitalistischen Westen, stattgefunden.

Auch die Sozialdemokraten verhielten sich nicht programmgemäß, unterstützten sie doch in der Weimarer Republik die liberale Demokratie und erwiesen sich als praktische Verfassungspatrioten. Mit der bis 1935 gültigen Sozialfaschismusthese von Grigori Sinowjew versuchten die Bolschewisten daher, die Sozialdemokratie als linke und damit schlimmste – da den Klassenkampf und die Klassenlage verschleiernde – Vertreter des Faschismus zu denunzieren. Erst danach ging man zur Einheits-, das heißt Volksfrontstrategie über, also zu einem „antifaschistischen“ Bündnis zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten.

Dieses Bündnis sollte allerdings immer unter Führung der Kommunisten stehen, wie man später an der Zwangsvereinigung von KPD und SPD zu den Bedingungen Ersterer und dem folgenden Führungsanspruch der SED sehen konnte. Schon 1923 hatte Clara Zetkin als eine Wurzel des Faschismus den „schleppenden Gang der Weltrevolution infolge des Verrats der reformistischen Führer der Arbeiterbewegung“ erkannt. Die Sozialdemokraten galten aus dieser Perspektive wegen ihrer fehlenden Bereitschaft zur Revolution als mitverantwortlich für den aufkommenden Faschismus, eine Deutung, die immer wieder aktiviert wurde.

Erstarrte Faschismusdeutung

Endgültig erstarrte die kommunistische Faschismusdeutung dann mit der Dimitroff-Formel: Der Faschismus an der Macht, befand der Generalsekretär der Kommunistischen Internationale (Komintern), der Bulgare Georgi Dimitroff, auf deren VII. Weltkongress in Moskau, sei „die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“.

Damit war klar, dass der Faschismus nur ein Exponent des Kapitalismus, mithin des Bürgertums und seiner Ideologie, des Liberalismus, war. Der Faschismus war in dieser Optik „der stärkste, konzentrierteste, er ist der klassische Ausdruck der Generaloffensive der Weltbourgeoisie“ (Zetkin).

Diese Konzeption war nicht nur für die Ostblockländer bestimmend, sie fand im Gefolge von 1968 auch im Westen weite Verbreitung. Der Marburger Politologe Reinhard Kühnl betitelte demzufolge 1971 eine Monografie mit dem sprechenden Titel „Formen bürgerlicher Herrschaft. Liberalismus, Faschismus“. Faschismus und Liberalismus, das waren für Kühnl die zwei Seiten der einen bürgerlichen Herrschaft.
Insofern bedeutete Antifaschismus, diese bürgerliche Herrschaft zu bekämpfen und abzuschaffen, denn, so Kühnl, die „parlamentarisch-rechtsstaatlich verfaßten Industriestaaten der westlichen Welt […] bergen die Möglichkeit eines Übergangs zu faschistischen Herrschaftsformen durchaus noch in sich. Die sozioökonomischen Grundlagen, aus denen der Faschismus entstehen kann, sind immer noch vorhanden, und es hängt ganz von der konkreten Interessenlage der herrschenden Klasse einerseits und von der Stärke und der politischen Strategie der Linken andererseits ab, ob die Möglichkeit des Faschismus zur Wirklichkeit werden kann.“ Die antifaschistische Linke durfte sich demgemäß nicht bloß an den Symptomen wie „Neofaschismus“ abarbeiten, denn die bürgerliche Gesellschaft drohe jederzeit in Faschismus überzugehen.

Dass Kühnls Taschenbuch an die 200 000-mal verkauft wurde – heute verkauft sich ein erfolgreiches wissenschaftliches Sachbuch in der Regel rund 5000-mal –, zeigt die Verbreitung der kommunistischen Faschismustheorie und ihrer zahlreichen Abwandlungen und Weiterführungen.

In der DDR war der Antifaschismus Staats- und Geschichtsdoktrin; mit dem Begriff wollte man auch das leidige Wort „Nationalsozialismus“ umgehen. Es war ja kein Zufall gewesen, dass viele Nationalsozialisten von ganz links kamen. Joseph Goebbels wie die Strasser-Brüder gehörten einer dezidiert sozialistischen Richtung der NSDAP an. Goebbels „unterwarf“ sich dann dem „Führer“. Auch Hitler war offenbar eine Zeit lang Anhänger des Linkssozialisten Kurt Eisner gewesen, und es war nicht nur Taktik, dass er auf das Rot der Revolution auf der Parteifahne bestand.

Hitler war anfangs Antikapitalist

Nach dem Weltkrieg gegen die Westmächte und der Schockerfahrung mit dem Versailler Vertrag war Hitler zu einem ausgesprochenen Feind des Kapitalismus geworden. Den Antikapitalismus amalgamierte er ebenso wie den Antibolschewismus mit seinem Antisemitismus. Viele SA-Leute wurden aus dem linken Proletariat rekrutiert oder waren kommunistische Überläufer. Die „Reaktion“, also die Rechte, galt bis ins Horst-Wessel-Lied hinein neben dem Bolschewismus gleichermaßen als Feind, und die ersten Mordopfer des Nationalsozialismus an der Macht waren beim „Röhm-Putsch“ ausgewiesene Rechtskonservative wie Gustav von Kahr oder Edgar Julius Jung.

Für die Wirtschaft sollte das Primat der Politik gelten, was im sogenannten Vierjahresplan mit dem Ziel einer kriegsbereiten Kommandowirtschaft umzusetzen versucht wurde. Der Sozialismus war nicht nur ein zufälliger Namensbestandteil des Nationalsozialismus, die Verbindung von Nationalismus und Sozialismus wurde schon in Kriegszeiten von vielen Intellektuellen als wegweisende Idee debattiert, und die NSDAP mit ihren einerseits vagen, andererseits aber doch spezifischen Ideen konnte sich damit als „Partei der Zukunft“ präsentieren. Diese Nähe zum Feind wollte man im Realsozialismus natürlich verschleiern, und mit dem Begriff „Faschismus“ gelang nicht nur das, man konnte mit ihm auch das gesamte „liberale System“ (Ernst Nolte) delegitimieren, indem man den Faschismus einfach zum Teil des liberalen Systems erklärte.

Antifaschismus als Staatsdoktrin

Im wiedervereinigten Deutschland erlebte der „Antifaschismus“ (wie erstaunlich viele DDR-Relikte) seine Wiederbelebung. Dieses Revival wurde einerseits von der SED/PDS/Linkspartei ermöglicht, die vom gewohnten Sprachgebrauch ebenso wenig wie von ihrem Vermögen lassen wollte, andererseits von linksextremen Gruppen aus Westdeutschland, welche im Osten via „Antifaschismus“ Anschluss an einen zunächst linken Mainstream suchten.

Die ausländerfeindlichen Ausschreitungen während der ersten Asylkrise nach 1992 sorgten dann für die weitere Verbreitung des Antifa-Paradigmas, für dessen Durchbruch der Aufstieg der AfD und vor allem die Wahlkapriole in Thüringen.
Geändert hat sich wenig: Der heutige Antifaschismus mit allseitiger Anwendung des Faschismusbegriffs ist nichts anderes als die alte Volksfrontstrategie, die nicht eint, sondern spaltet: Die zerstrittenen Parteien der Linken können es sich unter diesem Banner gemeinsam bequem machen und die Feinderklärung an „die Rechte“, zu der man Liberale, Konservative, Populisten und Faschisten gleichermaßen zählt, ist total – eine Bürgerkriegserklärung ohne Ausweg. Die Bürgerlichen sollen genötigt werden, sich zu entscheiden, in welches Lager des gespaltenen vormaligen Gemeinwesens sie gehören.

Damit werden sie ihrerseits gespalten. Viel schlimmer allerdings ist, dass
die für die moderne Demokratie konstitutive Rechts-links-Ausdifferenzierung damit sistiert und die Demokratie selbst angegriffen wird, was übrigens entgegen mancher rechter Behauptungen auch den sogenannten „Mainstream“-Journalisten auffällt.

Tatsächlich finden sich für diese Strategie sofort nützliche Idioten wie der Großdenker und ehemalige Kurzzeitgeneralsekretär der CDU Ruprecht Polenz, die umstandslos den undifferenzierten Faschismusbegriff übernehmen und implizit für eine innerparteiliche Feinderklärung gegen die Werteunion adaptieren. Andere, wie FDP-Chef Christian Lindner, unterziehen sich in Anverwandlung sozialistischer Schauprozesse einer Selbstbezichtigung im deutschen Parlament, nachdem einer der ihren das Ergebnis einer demokratischen geheimen Wahl respektiert hatte.

„Faschist“ intellektueller als „Nazi“

Während etwas feinfühligere Gemüter bei der Verwendung des Etiketts „Nazi“ für den politischen Gegner zusammenzucken – schließlich werden damit mehr oder weniger ausgeprägte Verbalrowdys der Gruppe derjenigen zugeschlagen, die ein Menschheitsverbrechen begangen haben, was Letztere in obszöner Weise verharmlost und die Frage aufwirft, warum dann nicht umgehend ein Verbotsantrag auf den Weg gebracht wird –, während also der Gebrauch von „Nazi“ doch arg primitiv wirkt, ist der Faschismusbegriff unbestimmter und klingt zudem intellektueller. Schließlich hatten seit den 1960er-Jahren auch bürgerliche Historiker wie Ernst Nolte diesen Begriff als Gattungsbezeichnung für verschiedene Strömungen der Zwischenkriegszeit etabliert.

Die Unterschiede zwischen dem historischen Faschismus und dem heutigen Nationalismus in der AfD sind freilich evident: Während Ersterer offensiv, auf Expansion und nach außen gerichtet war, ist Letzterer defensiv motiviert, durch die Bewahrung des eigenen Volkes und Staates in Abwehr von Massenimmigration, kultureller Umgestaltung und demografischer Transformation. Und während dem Ersteren die Gewalt von Anbeginn an als zentrale Praxis des Politischen eingeschrieben war, verzichtet Letzterer bei allem dort anzutreffenden kritikwürdigen Geraune auf gewalttätige Methoden oder auch nur den Aufruf dazu – das übrigens ganz im Gegensatz zur Antifa, die wiederum in der Linkspartei und darüber hinaus über parlamentarische Arme verfügt.

Wie der Historiker Heinrich August Winkler konstatiert, führt der „inflationäre Gebrauch des Begriffs ‚Faschismus‘ […] letztlich zu einer Verharmlosung des Faschismus“. Der Gebrauch der Faschismuskeule ist zudem keinesfalls unschuldig. Denn im Namen der Faschismusbekämpfung wurden Hunderttausende Menschen massakriert, verschleppt und gedemütigt.

Dass ausgerechnet Bodo Ramelow für seine gescheiterte Wiederwahl in Thüringen Buchenwald als Menetekel bemühte, war deswegen so zynisch, weil das Konzentrationslager von der sowjetischen Schutzmacht seiner Partei zwischen 1945 bis 1950 als „Speziallager Nr. 2“ einfach weitergeführt wurde – teilweise mit denselben Insassen, teilweise mit Häftlingen, die als Faschisten zu denunzieren opportun war. Tausende kamen dort unter elenden Bedingungen und Folter nach 1945 zu Tode, genauso wie in weiteren von den Nazis übernommenen Lagern in der Sowjetischen Besatzungszone wie Sachsenhausen oder Jamlitz.

Wer heute dieses denunziatorische Legitimationsinstrument noch benutzt, richtet sich selbst.


Peter Hoeres ist Professor für Neueste Geschichte in Würzburg, daneben Sektionsleiter für Geschichte der Görres-Gesellschaft, Mitglied der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und Leiter der NDB online.