Tichys Einblick
Der Islam ist mehr Recht als Theologie

Scharia: Arbeit am Endsieg

Der Islam tritt in Europa zu einer historischen Zeit auf den Plan, in der die Idee vom Fortschritt schwach geworden ist.

Sultan Mehmed V. begrüßt Kaiser Wilhelm II. bei seiner Ankunft in Istanbul. Auf der linken Seite des Sultans ist Hakki Pascha, der türkische (osmanische) Botschafter in Berlin

Lange war sich der Westen nicht des neuen Religionskriegs bewusst, in dem er sich befindet. Der global agierende islamische Terrorismus setzt seine Vorstellung von Frieden in der Welt um. Der Islam ist eine Religion des Friedens, wie das Römische Reich ein Friedensreich war und seine Pax Romana mit den Mitteln des Krieges durchsetzte. Die islamistische Friedensbewegung der Gegenwart ist der Terrorismus und der asymmetrische Krieg. Er hat im Nahen Osten eine Ochlokratie errichtet und wendet sich nun dem Westen zu.

Zur Verwirklichung jeder Utopie gehört der Terror als Methode

Wir erleben eine zweite Globalisierung: Die Islamisierung als weltweites Projekt. Die Installierung der primären Staatsangehörigkeit „muslimisch“. Die Proliferation der Scharia. Die Scharia ist die neue Utopie. Zur Verwirklichung dieser wie jeder Utopie gehört der Terror als Methode. Terror ist das irdische Fegefeuer. Er dient der Vervollkommnung der Menschheit und der Welt und ist darum notwendig. Nach islamistischem Verständnis sind Terrorgruppen karitative Einrichtungen, die zakat erhalten (Geld aus dem Almosenaufkommen der Gläubigen.)

Überraschend kommt dies alles nicht. Man wusste oder hätte wissen müssen: Islamismus ist eine gefährliche eliminatorische politische Bewegung. Der Islamismus bekennt sich öffentlich eindeutig zum Völkermord. (Goldhagen, Schlimmer als Krieg, S. 520, 522). Die Islamisten sagten direkt, worum es ihnen geht, und trotzdem wusste der Westen nichts. Wollte nicht wissen, konnt’s nicht glauben?

Der islamische Terrorismus hat und hatte viele Helfer: Die direkten Unterstützer, die Befürworter von Terrorangriffen im allgemeinen, die große Menge der Tatenlosen, in deren Namen gemordet wird und die diese Inanspruchnahme nicht zurückweisen und als „moderat“ gelten, die religiösen Führer, die abwiegeln, die religiösen Führer auf der Opferseite, die Verständnis einfordern, eine Horde von Identitätsfälschern auf der Täterseite, die sich als die wahren Opfer darstellen, und die Eliten in Politik und Medien, die sich als Cheerleader des Islams betätigten und die Zeichen an der Wand leugnen. Der Widerwille zu denken, die Verleugnung der Anzeichen und das Wunschdenken sind die Triade der narzisstischen Illusion.

Islamisten hassen den Westen um seiner selbst willen und nicht, weil er einmal Kolonien hatte und vom Süden unverhältnismäßig profitiert. Islamisten hassen die offene Gesellschaft, die nicht nach den Regeln der Scharia lebt. Das ist der letzte Grund. Islamisten werden erst Ruhe geben, wenn die ganze Welt islamisch ist.

Islamisten verstehen sich als Widerstandskämpfer. Der Westen mit seinen Werten Volkssouveränität, Gleichheit vor dem Gesetz, Gewaltenteilung, Säkularismus, Pluralismus, Religions-, Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit ist der materialistische Aggressor, gegen den der Islam mit seiner vorgeblich überlegenen Spiritualität verteidigt werden muss.

Judenfeindschaft gehört zum Kern des Islams

Der Inbegriff des Materialismus ist und war schon immer der Jude. Der Jude im Kollektivsingular. Dies ist auch altes christliches Gedankengut. Der Judenhass ist Teil des christlichen Erbes des Islams, das, wie an anderer Stelle ausgeführt, essentiell für ihn ist. (Köster, Der missverstandene Koran) Judenhass war lange Zeit politisch korrekt, gestützt vor allem von der Kirche, ohne deren Vorarbeit der Holocaust nicht möglich gewesen wäre. Die „Judentracht“ wurde auf dem IV. Laterankonzil (1215) festgelegt: Gelber Fleck im Obergewand und eine gehörnte Kappe. Diese sollte an die Abstammung vom Teufel erinnern. Hitlers Motto lautete: „Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn!“ (Mein Kampf, S. 70, i. O. gesperrt gedruckt) Er sah sich als Weltarzt, dessen Erlösungswerk die Ausrottung der Juden war. Hitler wurde niemals exkommuniziert. Die katholische Kirche war ihm das bewunderte Vorbild für Struktur und Ästhetik von Herrschaft.

Judenfeindschaft gehört zum Kern des Islams. Das Verhältnis zu den Juden zeigt, wie es um die Toleranz im Islam bestellt ist. Obwohl ihnen theoretisch der Status eines Buch-Volkes zusteht, der ihnen zumindest das Recht auf Leben zubilligt, sind sie realiter zur Ausrottung freigegeben. Nach Auffassung von Yussuf al-Qaradawi, einem der wichtigsten und durch seine zahlreichen Fernsehauftritte bis in den letzten Winkel der muslimischen Haushalte einflussreichsten islamischen Rechtsgelehrten der Gegenwart, war Hitler das bisher letzte Werkzeug Gottes, das die Juden ihrer gerechten Bestrafung zugeführt habe. Gemäß einem Diktum des früheren Großscheichs der Al-Azhar-Moschee, Mohammed Sayyid Tantawi, ist Antisemitismus nur eine Erfindung der Juden zu dem Zweck, ihre Pläne besser durchsetzen zu können. Eine solche Beanstandung oder Klassifizierung ist darum unbeachtlich und nicht ernst zu nehmen. (Bostom, Sharia versus Freedom, S. 84f) Auch der Holocaust hat aus islamischer Sicht nicht stattgefunden. Mit den Stellungnahmen al-Qaradawis und Tantawis, die beide auch terroristische Angriffe gegen Zivilisten für zulässig erklärten, ist der Dschihadismus im orthodoxen Mehrheitsislam angekommen.

Die Muslime im Westen sind nicht die neuen Juden, wie sie zuweilen behaupten. Die neuen Juden sind die alten, die sich nicht nur wieder christlich-westlichem Antisemitismus, sondern auch muslimischem Hass ausgesetzt sehen, der sich aus der Tradition speist. Die Judeophobie ist im Islam selbst begründet und nicht erst das Ergebnis nationalsozialistischer Propaganda in arabischen Staaten während des Zweiten Weltkrieges oder eine Folge der Gründung des Staates Israel.

Hitler ist bis heute die Basis des Prestiges des Deutschen in arabischen Ländern

Der Islam ist das falsche Objekt zur Abarbeitung des deutschen Schuldtraumas. Der Mufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, war ein Kumpan Adolf Hitlers. Er war euphorisiert von der Idee der Vernichtung der Juden und enthusiasmiert, dass nun wirklich jemand diese Idee in die Tat umsetzte. Die Allianz der Nazis mit dem Mufti kam nur deshalb zustande, weil ein vorgängiges Einverständnis über die Vernichtung der Juden bestand. Himmler schwärmte von der „weltanschaulichen Verbundenheit“ zwischen dem Nationalsozialismus und dem Islam. Er und der Mufti waren sich einig, dass der Nationalsozialismus als völkisch bedingte deutsche Weltanschauung und der Islam als völkisch bedingte arabische Weltanschauung im Judentum einen gemeinsamen Feind hätten. Judenhass war der Urgrund für die Sympathien der Araber für das Dritte Reich. Die Hochachtung für Hitler ist die Basis des Prestiges, das Deutsche und Deutschland heute noch in arabischen Ländern genießen.

Judenhass gehört zur islamischen Folklore. Im Christentum stammen die Juden vom Teufel ab (Joh. 8:44), im Islam sind sie Nachkommen des Daddschal, dem islamischen Anti-Christ, oder sind sogar mit ihm identisch. Sie sind das Böse schlechthin. Sie korrumpieren Gesellschaften. Sie sind ewige Verbrecher kosmischen Ausmaßes. Gemäß islamischer Geschichtsschreibung hatte sich vor Hitler schon eine andere Person das Ziel gesetzt, die Juden auszurotten: Mohammed. Die Sira, die Lebensbeschreibung Mohammeds, erzählt von der Auslöschung des jüdischen Qurayza-Clans in Medina. Die Menschen wurden in kleinen Gruppen ins Stadtzentrum gebracht, wo Gräben ausgehoben waren, in denen sie enthauptet wurden. Da dieses Ereignis in keiner jüdischen Schrift verzeichnet ist, was aber gemäß seiner Bedeutung der Fall sein müsste, wenn es tatsächlich stattgefunden hätte, ist davon auszugehen, dass es nicht historisch ist. Für gläubige Muslime ist es aber geschichtliche Wahrheit, für die man sich keineswegs zu schämen hat, sondern die im Gegenteil rühmenswert ist. Diese Geschichte legitimiert Gewalt gegen Juden bis heute. Sie ist der Keim eines islamisch geführten Holocaust.

In der Besorgnis, nicht denselben Fehler noch einmal zu machen, macht man ihn wieder. Um sich keinen Rassismus nachsagen zu lassen, wird der Islam ohne klare Grenzen toleriert und das darin verborgene Potential an Judenhass ignoriert. Interessierte Kreise erkennen allerdings die Möglichkeiten und begrüßen Muslime als Stellvertreter-Antisemiten.

Der Islam ist der Zunder für das Feuer des Islamismus. Islam hat soviel mit Islamismus zu tun wie der Katholizismus mit der Inquisition. Wenn der Islamismus nur eine „Abirrung“ ist, so war auch die Inquisition nur eine Abirrung, bedauerlicherweise gerade der Kirchenführer, vom wahren Glauben. Diese „Abirrung“ hat viele Opfer gefordert, die Kirche hat heute noch an ihrer historischen Schuld zu tragen, aber wir haben immer noch nicht gelernt, dass ein Glaube Verbrechen bewirken kann.

Es geht gegen die Moderne, gegen Säkularismus

Westliche Gesellschaftstheoretiker (z. B. Gray: Die Geburt al-Qaidas aus dem Geist der Moderne) gefallen sich darin, die Verantwortung für den Totalitarismus islamischer Prägung den modernen Vorbildern Faschismus und Marxismus anzulasten. Darin steckt einerseits subtile Polemik: Liebe Moderne, selbst schuld, aber zugleich ein unangebrachtes Maß an Selbstüberschätzung. Nicht auf alles auf der Welt hat die westliche Moderne ein Copyright. Eine Linie vom Faschismus zum Islamismus zu ziehen, ist nicht falsch, aber diese Verbindung ist zu kurz. Der Faschismus mit seinen Fantasien vom Tausendjährigen Reich und der Marxismus mit dem Ziel der Weltrevolution, der profanen Variante des Paradieses, sind ebenfalls Knoten in einer langen Schnur, die bis zu den Apokalypsen der Offenbarungsreligionen zurückreicht. All diesen Lehren gemeinsam ist die Arbeit am Endsieg. Nachdem die profanierten Ideologien versagt haben, ist nun wieder das Original am Zuge: die apokalyptische Religion. Die säkularisierten Varianten mit ihrer Diesseits-Heilserwartung werden nun wieder um die Jenseitskomponente erweitert und damit der Kreis geschlossen. Tatsächlich nichts Neues unter der Sonne, natürlich abgesehen von den verfügbaren Waffen.

Das zentrale Schlagwort der Islamisten lautet: „Al-islam huwa-l-hall“: „Der Islam ist die Lösung“. Gemeint ist damit die Lösung aller politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Probleme durch Schleier, Bart und Gebetsschwiele. Das Wort hall (Lösung) hat aber noch andere Bedeutungen. Es heißt auch Lossprechung, Absolution. Wie so viele angeblich echt islamische Begriffe stammt er ursprünglich aus der christlichen Tradition. Die Bedeutung „Endlösung“ schwingt darin mit. Hall hat eine apokalyptische Dimension. Vor dem Islam war schon das Christentum apokalyptisch und hat apokalyptisch in der Geschichte gewirkt. Die Offenbarung des Johannes, eine Hasspredigt, war ein Schlüsseltext des Nationalsozialismus. (Bärsch, Die politische Religion des Nationalsozialismus, S. 315) Der halluzinierte Endzweck, die vollkommene, harmonische, ewig geeinte Gesellschaft, ist ohne das Schwert nicht zu bekommen. Der Dschihad ist ein erneuter Versuch, die Geschichte in einem Gottesreich an ihr Ende zu bringen.

Der islamistische Terror ist Fortsetzung von Kulturkritik mit anderen Mitteln. Der Westen hat bisher nicht verstanden, dass ein großer Teil der Menschheit seine Werte ablehnt und schon immer abgelehnt hat. Der Westen glaubt seit der Aufklärung an eine universale Rationalität. Er pflegt eine liberale Naivität, einen einfältigen Optimismus. (Berman, Terror und Liberalismus, S. 163f) Nun ist er enttäuscht.

Muslime dürfen nach islamischer Lehre keine Säkularisten sein. Das Volk kann nicht Souverän sein, weil nur Gott der Souverän ist. Der Primat der menschlichen Vernunft wird abgelehnt. Absolutes kosmologisches Wissen steht gegen relatives menschliches Wissen. Unveräußerliche und ewige Rechte, die dem Menschen allein aufgrund seines Menschseins außerhalb des Raumes der Religion, ja sogar gegen religiöse Autoritäten zukommen, kann es ebenfalls nicht geben, sonst wäre der Tatbestand der Vielgötterei erfüllt, schirk, die größte Sünde im Islam. Demokratie ist Atheismus. Individualismus ist unislamisch. Die ummah, die Gemeinschaft der Muslime, steht über dem Individuum. Frauen und Nichtmuslime sind nicht gleichberechtigt.

Die Scharia macht den Islam aus, nicht der Glaube

Dies sind die Grundlinien der Scharia. Die Scharia, das Gesetz, macht den Islam aus. Dem Islam kommt es auf Glauben nicht an, es geht um die Scharia, notiert der islamistische Vordenker Sayyed Qutb in seiner programmatischen Schrift Milestones. Die Theologie ist zweitrangig. „Theologie, wie sie im Westen verstanden wird, ist im Christentum zentral, im Gegensatz zum Islam, wo Theologie nicht so wichtig ist wie das islamische Recht,“ schreibt einer der bedeutendsten muslimischen Denker der Gegenwart, Seyyed Hossein Nasr. Derselbe Gelehrte fügt hinzu: „Islam ist eine Nomokratie, das heißt ein System, das vom Gottesrecht regiert wird.“ (Nasr, A Young Muslim’s Guide to the Modern World, Kindle Pos. 1244-1245: „Islam is a nomocracy, that is a system of rule by Divine Law.“) Dieser Satz kann gar nicht oft genug wiederholt werden. Der Islam ist in erster Linie Nomos. Religion im islamischen Sinne ist nicht nur Kultus und Bekenntnis, sondern beinhaltet verbindliche Regeln für alle, Gläubige und Ungläubige.

Im Westen wird Religion als Überbauphänomen betrachtet, das nie „wirklich“ der Grund für irgendetwas sein kann. „Wirkliche“ Gründe im Sinne einer wissenschaftlichen Analyse sind immer ökonomischer, sozialer, politischer Art. Der Punkt ist nur: Islam ist ökonomisch, politisch und sozial. Mit Islam ist auch eine bestimmte Form des menschlichen Zusammenlebens gemeint. Dazu gehören die Geschlechtertrennung und die Zuweisung bestimmter Räume und Aufgaben an die Frauen, genannt „Schutz durch das Gesetz“, dessen Frauen besonders bedürften. Dazu gehören das Zinsverbot, was einen weit reichenden Eingriff in die wirtschaftliche Verfassung westlicher Gesellschaften bedeuten würde, und die Alkoholprohibition, was nicht nur individuell zu bewältigende Unbequemlichkeiten, sondern auch umfassende Berufs- und Gewerbeverbote mit sich bringen würde. Der Islam lässt es nicht bei Gebeten bewenden.

Der Islam ist selbst Rechtsordnung und lässt sich in keine andere einordnen

Europäische Politiker erwarten, dass der Islam Teil des Nationalstaats wird. Der Islam will sich dagegen die Staaten unterordnen. „Der Islam“ ist nicht nur ein privater Glaube, sondern einer, der Allmacht und Vorherrschaft für sich beansprucht, und er ist zudem ein Rechtssystem, dessen Kompatibilität mit autochthonem Recht zumindest geprüft werden müsste. Der Westen hat nicht nur eine andere Religion, sondern auch ein anderes Recht importiert. Noch einmal: Islam ist nicht in erster Linie Theologie, sondern Jus.

Bei einer Prüfung würde sich herausstellen, dass islamisches Recht in großem Umfang mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist. Es ist kaum zu glauben, dass die Außerkraftsetzung von Grundrechten wirklich gewollt wird, aber dies wird eintreffen, wenn der Islam weiterhin auf dieselbe Weise rezipiert wird wie bisher. Wenn die Inschutznahme von Minderheiten gegen eine Minderheit, die gegen Rechte anderer Minderheiten agitiert und Meinungs- und Religionsfreiheit ablehnt, diffamiert wird. Wenn Wiedergutmachung sich das falsche Objekt wählt und unbedacht (?) eine feindselige und potentiell zerstörerische Lehre päppelt.

Wie kann das sein? Einiges liegt an den Politikern, Eliten, Entscheidern und ganz normalen Menschen, die über kein historisches Tiefengedächtnis mehr verfügen. Sie wissen schlicht nicht mehr, dass Freiheit und Gleichheit schwer errungen wurden. Es sind tatsächlich „Errungenschaften der Moderne“. Erinnert sich noch jemand an dieses Schlagwort, das oft gedankenlos nachgeplappert wurde? Es hat Bedeutung! Die berühmte „Aufklärung“ kam nicht einfach vom Himmel. Sie war kein Wetterphänomen, das plötzlich das „dunkle Mittelalter“ ablöste. Deutschland hat lange gekämpft, um ein säkularer Staat zu werden. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass heute Linke und Liberale der Religion wieder eine prägende Kraft und Rolle zubilligen wollen. Wenn das Christentum, speziell der Katholizismus, heute noch im Westen herrschte, dann lebten wir in einem Kirchenstaat nach dem Modell des Vatikans, dem einzig verbliebenen absolutistischen System in Europa. Es gäbe keine Demokratie, denn das kanonische Recht kennt wie die Scharia nur die Souveranität Gottes. Frauen und Männer wären nicht gleichberechtigt, Ehescheidung wäre verboten, ebenfalls Abtreibung unter allen Bedingungen, auch bei akuter Gefahr für das Leben der Mutter. Frauen würden das Kopftuch tragen, so wie es heute bei einer Papst-Audienz vorgeschrieben ist.

Aufklärung und Reformation waren keine rein geistigen Prozesse. Es gab Gewalt und Krieg in Europa. Die alten religiösen Mächte gaben nicht klein bei, weil eine schöne, neue, überzeugende Idee auf den Plan trat und sie von ihr bezaubert waren, sondern sie wurden in die Knie gezwungen.

Dem Islam, der die katholische Kirche als Speerspitze der Gegenaufklärung in Europa abgelöst hat, bzw. ihren konservativen Kräften zur Seite steht, widerfährt heute das Gegenteil. Er tritt in Europa zu einer historischen Zeit auf den Plan, in der die Idee vom Fortschritt schwach geworden ist. Dass der Islam bisher nichts zum Fortschritt beigetragen hat, spricht darum nicht gegen ihn. Es lässt ihn sogar irgendwie sauber und unschuldig aussehen. Er wird behütet und beschützt von toleranten Christen und multikulturellen Agnostikern. Man wartet darauf, dass er sich von innen heraus selbst reformiert und modernisiert – aber warum sollte er?

Bärsch, Claus-Ekkehard.: Die politische Religion des Nationalsozialismus, München 2002
Berman, Paul: Terror und Liberalismus, Hamburg 2004
Bostom, Andrew: Sharia versus Freedom, Amherst 2012
Goldhagen, Daniel: Schlimmer als Krieg. Wie Völkermord entsteht und wie er zu verhindern ist, München 2009
Gray, John: Die Geburt al-Qaidas aus dem Geist der Moderne, München 2004
Köster, Barbara: Der missverstandene Koran. Warum der Islam neu begründet werden muss, Berlin 2015
Nasr, Seyyid Hossein: A Young Muslim’s Guide to the Modern World, Kindle-Edition
Qutb, Sayyid: Milestones, New Delhi 2006

Gastautorin Barbara Köster hat Soziologie und Politikwissenschaften studiert.