Tichys Einblick
SPD unter 10 Prozent

Sachsen: Radikaler Machtwechsel 2019 möglich

In Sachsen zeichnen sich die Konturen eines Drei-Parteiensystems ab, wie es auch für andere Länder in der früheren DDR richtungsgebend werden kann. Die AfD setzt alles auf den Sachsen-Wahlkampf.

© Johann Eisele/AFP/Getty Images

CDU 32 Prozent, AfD 24, Linke 19, SPD 9, Grüne und FDP je 6 Prozent: Das ist das derzeitig prognostizierte INSA-Ergebnis, wenn am Sonntag Wahl wäre. Wenn. Der Landtag wird im Sommer 2019 gewählt. Für wen spielt die Zeit?

Die Sachsen-Schlacht

Das ist lange hin und damit lange genug, um die laufenden Trends noch zu verstärken. In AfD-Zirkeln der Bundesführung wird Sachsen als Ort der Entscheidungsschlacht gesehen. Dort soll der Durchbruch erzielt, ein AfD-Mann erstmals Ministerpräsident werden. Dafür müssten sich allerdings noch die Größenverhältnisse von CDU und AfD umkehren. In Sachsen soll mit allen Mitteln die Entscheidungsschlacht gesucht werden, um die AfD erstmal aus der Opposition an die Macht zu katapultieren.

Das klingt verwegen, ist es aber nicht. Ein Drei-Parteiensystem mit CDU, AfD und Linke ist in allen Ost-Bundesländern möglich; die SPD ist selbst in ihrem Gründungsland dabei, sich zu verdünnisieren. FDP und Grüne haben noch nie einen echten Stich gemacht. Dass dies im Westen so nicht geht, aber im Osten funktionieren könnte, hat einen maßgeblichen strukturellen Grund und einen politisch-kulturellen.

Die Untreue der Ost-Wähler

Die alten Wählerbindungen sind im Westen vor allem bei der Union nach wie vor sehr stark. Das erklärt, weshalb immer noch sehr viele CDU wählen, obwohl sie mit nahezu nichts einverstanden sind, was die Merkel-CDU so treibt. Je älter die Wahlberechtigten, desto mehr trifft das zu. Der mentale Sprung zur AfD ist für diese Leute zu groß. Die aggressiven Höckes und Gaulands halten deutlich mehr CDU-Anhänger von diesem Sprung ab, als dazu zu motivieren. Parteien, deren Zuwachs sich in erster Linie aus dem Protestmotiv nährt, sind am besten öffentlich still. Die Ursache des Protests, hier die CDU, sorgt selbst am besten für den Wähler-Nachschub. Ein Poltergeist wie Gauland verschreckt nur die scheuen Rehlein, die sich zum Kreuzlmachen nähern. Allerdings: Im Osten sind solche Bindungen an die Partei von Opa und Oma weniger ausgeprägt; die Wähler eher an Umstürze gewöhnt. Wer Honecker wegdemonstriert hat, fürchtet das Kreuz an unchristlicher Stelle nicht.

Die SPD ist doppelt gefährdet

Die alten Bindungswirkungen im Westen lösen sich erst auf, wenn eine der alten Parteien wie die SPD ihre einstige Stammwählerschaft schlicht dadurch verliert, dass es Arbeiter kaum mehr gibt und sie das neue Prekariat der Miserabel-Verdiener, Leiharbeiter, Aufstocker, Niedrigrentner und so weiter links liegen lässt. In dem Maß, in dem die in der Bonner Republik Aufgewachsenen ausscheiden, ist es mit den Wählerbindungen auch im Westen vorbei. Im Osten war die SPD ohnehin nie beliebt – zu eng kuschelten einst Oskar Lafontaine und andere mit dem ungeliebten Regime. Die Ossis wissen: Mit der SPD hätte es keine Wiedervereinigung gegeben.

Im Osten hat nur die Linkspartei eine Stammwählerschaft, nämlich die der alten SED-Leute. Diese Wähler werden bis an ihr natürliches Ende nie jemand anderem ihre Stimme geben, es sei denn einer Liste Wagenknecht, die das kommunistische mit dem nationalen Erbe der DDR verbindet.

Der politisch-kulturelle Unterschied zwischen den im Osten und im Westen Sozialisierten ist das mentale Verhältnis zur NS-Zeit. Die Wessis sind mit der Schuld als Teil ihres politischen Bewusstseins aufgewachsen. Die Ossis sind als Bürger der antifaschistischen DDR davon unberührt geblieben. Sie haben die Vergangenheit abgeschüttelt und wollen in der Gegenwart leben; für die meisten ist das schwer genug.

Eine Regierung mit AfD-Ministern oder sogar mehr?

Die AfD im Osten muss gar nichts tun, außer kandidieren. Sie ist dort keine Protestpartei, wie fälschlich behauptet wird, sie wird vielmehr aus Protest gewählt. Das ist semantisch ein kleiner, aber feiner Unterschied. Eine echte Protestpartei wird wegen professionell kommunizierter Alternativen gewählt – an den alten Medien vorbei. Einer Partei, die aus Protest gewählt wird, laufen die Leute zu, weil diese von den herrschen Parteien abgestoßen werden. Da schrecken eigene Vorstellungen nur. Da muss die AfD nur abwarten und Tee trinken; das reicht. Die Unzufriedenheit wächst von selbst.

Es reicht, freundliche Worte über die Ossis mit dem gesunden Menschenverstand zu verlieren, den die Nicht-SED-Ossis aus der DDR gesamtdeutsch eingebracht haben. Das hilft, das geschundene Selbstgefühl aufzubauen. Aus dem Westen sind etliche dazugekommen und weitere werden auf der Flucht vor den tatsächlichen und empfundenen Zuständen im Westen weiter dazustoßen und so das Potential  weiter vergrößern.

Fazit:  Ein AfD-Ministerpräsident ist in Sachsen nicht mehr ganz unvorstellbar. Koalitionen im Osten, denen die AfD angehört, sind in mehreren Ländern wahrscheinlich, vielleicht sogar unausweichlich. Denn auch wenn die LINKE im Osten ihre Stammwählerschaft der alten Kader und Frustrierten sicher hat – sie hat auch Feinde. Die Linke spaltet den Osten – in ihre Anhänger und ebenso entschiedene Gegner, die unter den alten Funktionären und Kadern zu leiden hatten und das nicht vergessen haben. Das wurde deutlich, als die CDU Brandenburg über eine Koalition mit den SED-Nachfolgern zu laut nachdachte – ein Proteststurm erstickte den Gedanken.

Unser Gastautor war Wahlforscher in einem anderen Institut als INSA und sagt, die Auftraggeber der klassischen Institute würden sich wundern, wenn sie wüssten, was die Kollegen dort unter sich an Entwicklungen sehen.