Tichys Einblick
Journalisten schreiben Merkel runter

Saarland-Wahl 2: Merkel und die Blechbüchsenspanner

Nach Saarland-Wahl 1: Merkel - die Kanzlerin der Grünen? von Roland Tichy nun die Sicht von Hans-Erich Bilges: Der PR-Berater kennt und schätzt Merkel seit ihren frühen Jahren. Er beschreibt die Linie des CDU-Wahlkampfs, der allein auf Merkel setzt.

Zu Angela Merkels herausragenden Eigenschaften gehören Sachkompetenz, Gelassenheit und eine kontrollierte Verachtung für Schwätzer.

Die zum Teil skurrilen Kommentare und Reden über Merkel veranlassen die Frage: Wie viel Willensbereitschaft ist vorhanden, sich freiwillig peinlich zu schreiben? Etwa der Text des SPIEGEL-Erben Jakob Augstein. Stilprobe: „Angela Merkel wirkt plötzlich wie eine jene Dinosaurier, die unfähig waren, sich rechtzeitig anzupassen, um dann nur noch ermattet dem eigenen Aussterben entgegen dämmern konnten … Angela Merkel wirkt so müde, man wird selber ganz schlapp, wenn man ihr zuguckt.“

Ja, wer soll bei einem solchen Textniveau nicht schwach werden?

Aber: Da ist das Wort der Merkel-Kritiker gefallen: „Merkel-Müdigkeit.“ Sie hätten es gerne. Ausgerechnet nahezu zeitgleich während Merkels starkem Auftritt in Washington mit einem wie immer erbarmungslosen Terminstress, meldet sich der so ungemein liebenswürdig in die Welt blickende und redende SPD-Vize Stegner zu Wort und entdeckte „Merkel-Müdigkeit.“ Andere kramen ausgerechnet Donald Trump als Kronzeugen aus: Angela Merkel sei „schwach“; und dann geht’s erst richtig los: „Merkel ist über die Wahl Trumps aus dem Frösteln bis heute nicht herausgekommen.“ So oder so ähnlich stolpert es gesinnungsstramm durch Teile der Medien.

„Merkel-Müdigkeit“

Ein besonders schlauer ist der abgesetzte ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender, der exklusiv für sich entdeckte: „Angela Merkel verliert in überraschenden Situationen schnell den Kopf“. Das hat vor ihm noch keiner entdeckt; er hätte es zwar gern, nur ist das Gegenteil richtig (und hundertfach bewiesen). Man merkt die Absicht – und kann nur lachen.

Eitelkeit und Selbstüberschätzung treiben die Geister, die sich auch noch „Verleger und Publizisten“ nennen. Allen Ernstes wurde Anfang des Jahres orakelt: „Fortan wird Theresa May auf der weltpolitischen Bühne ganz oben stehen; die britische Premierministerin löst damit die deutsche Kanzlerin in der Rolle als wichtigste Politikerin ab.“

Eine gewagte, aber begründete Vermutung
Erststimmen-Falle: Merkel kann ihren Bundestagswahlkreis verlieren
 Das ist ernsthaft so formuliert worden. Richtig ist: Theresa May hat nicht einmal im eigenen Land die Geschicke unter Kontrolle; sie hat sich von Trump düpieren lassen – und nirgendwo gilt Großbritannien oder Theresa May als relevanter Faktor des Weltgeschehens; denkbar inzwischen, dass ihr absehbar Schottland und Irland abhandenkommen. Tolle Aussichten auf der Weltbühne.

Natürlich liest Merkel solche und ähnliche gedanklichen Großtaten nicht; sie werden ihr nicht einmal vorgelegt.

Die gleichen Personen, die Merkel mit noch so kruden Argumenten niederschreiben wollen, sorgen sich zugleich darüber, dass die CDU noch nicht in den Wahlkampfmodus verfallen ist. Dabei gibt es nachvollziehbare personelle und politisch-taktische Gründe, die die Kanzlerin dafür hat. Treffend hat es Forsa-Chef Güllner formuliert: „Die Union ist gut beraten, nicht hektisch zu reagieren und erst einmal zu beobachten, wie sich das mit Schulz weiterentwickelt. Wir haben heute keine Wechselstimmung wie 1998. Vielen gilt Merkel weiter als Garant für Sicherheit und Stabilität auch international.“

Auf die Frage, ob Merkel mehr „Menscheln“ und „Schulzen“ solle, antwortete Güllner: „Bloss nicht, wenn sich einer verbiegt, wird das niemals honoriert. Merkel muss so bleiben wie sie ist, alles andere wäre grundverkehrt.“

Womit wir bei Schulz wären. Wer auch nur einigermaßen Ahnung vom Funktionieren der Politik und den politischen Konsequenzen aus dem Handeln hat, wird schnell zu der Feststellung kommen: Die Weigerung von Schulz, am kommenden großen Koalitionsausschuss teilzunehmen und stattdessen auf eine Parteiparty zu gehen, war der erste signifikante Fehler, an dem er noch schwer kauen wird. Das war das Einfallstor für die CDU-Granden, ihm (übrigens zutreffend) „Arbeitsverweigerung“ vorzuwerfen.

Doch was lesen wir in einer Schulz-kommoden-Publikation: Schulz wird als besonders „pfiffig“ und „clever“ dargestellt, dass er nicht Mitverantwortung übernimmt, obwohl er Parteichef der Koalitionspartei SPD ist. Auch das Schulz konsequent konkrete Aussagen unterlässt, wird als schlau und clever hingestellt.

Schulz als politischer Dampfplauderer

Ein seit Jahren verlässlich parater Merkel-Gegner wird stets in Talkshows eingeladen, wenn es gegen Merkel zu gehen hat. Dann wird dargelegt, dass Schulz über eine besondere Hochqualifizierung verfügt, weil „er reden kann“ und weil er „Geschichten erzählen kann“ – das alles seien „nicht gerade Merkels Stärken.“ Mit anderen Worten: Schulz als politischer Dampfplauderer sagt nichts Konkretes – und das ist Stärke. Merkels Sachkompetenz, extreme Reputation im In- und Ausland und demonstrativer Verzicht auf Gaukelei ist nicht Stärke, sondern es ist Merkels Schwäche.

Chapeau für diese Deutung (!) und Publikationen drucken das auch noch als Beleg.

Jedoch: Die Stunde der Wahrheit kommt – und zwar sehr bald. Kein Wähler lässt es auf Dauer zu, wenn er Fragen hat, aber keine oder schwammige Antworten bekommt.

Grün verwelkt, Schwarz verdorrt
Warum Merkel verliert
 In einem sehr lesenswerten Artikel der FAZ stand kürzlich: „Schulz argumentiert nicht mit Fakten. Er stützt seine Analysen nicht auf konkrete Zahlen, und er sagt zunächst auch nicht im Einzelnen, was er gegen die beklagten Missstände unternehmen will.“ Die Schulz-Analyse in der FAZ endet mit dem Absatz: „In der einzigen Biographie, die bisher über Martin Schulz geschrieben wurde, sagt er einen erstaunlichen Satz, wenn auch nur über seine Schulzeit: ‚Überall, wo man konkret werden musste, war ich schlecht.’“

Merkel denkt immer langfristig und nicht sprunghaft. Ein wesentlicher Grund für sie, die Atomkatastrophe von Fukushima als willkommenen Anlass zum Atomausstieg zu nehmen, war ihre kühl kalkulierte Absicht, den Grünen damit das politische Rückgrat zu brechen. Denn ihr war klar, dass die Grünen keine nennenswerte politische Kernbotschaft mehr haben, wenn das Atomthema weg ist. Genauso ist es gekommen, die Umfragen gehen abwärts.

Ähnlich die Bewegung bei der AfD. Im November 2015 (!) auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise mit immer bissigeren Positionen gegen Merkel auch in den eigenen Reihen (CSU) sagte Merkel in einem kleinen vertrauten Kreis u. a.: Wenn wir bis zum Frühjahr 2017 das Flüchtlingsthema im Griff haben, und die Zahlen signifikant runtergehen, wird die AfD ihr Kernthema verlieren und an Bedeutung verlieren. Genau dieser Prozess ist ebenso im Gang.

Für jene Spitzenkräfte mit Merkel-Phobie eine Hilfestellung: Hinter den Kulissen arbeitet die Wahlkampfmaschine von Angela Merkel längst auf Hochtouren; sorgfältig wird registriert, was Schulz und die SPD sagen oder nicht sagen; welche ganz konkreten Fragen und Sachkonstellationen können zum Wahlkampfthema gemacht werden, wenn die Zeit dafür reif ist.

Über allem steht im Augenblick: Je mehr Schulz sagt (oder auch nicht), umso mehr findet die Selbstenthüllung statt: Niemand kann die (gefühlten) tausendmal gleichen Reden halten, ohne dass dann irgendwann gefragt wird: „Gibt’s was Neues – und bitteschön konkret.“

Ein zentrales Wahlkampfthema wird die Rolle der SPD in der Flüchtlingsfrage sein; dazu ist inzwischen eine Menge gesammelt worden – und Schulz wird gefragt werden – vor allem zu seiner Rolle und seinen Aussagen früher.

Er wird „hart arbeitende Berater“ brauchen.

Saarland-Wahl 1: Merkel – die Kanzlerin der Grünen?