Tichys Einblick
Fehleranalyse und Handlungsempfehlungen

Quo vadis, Medien?

Zu Zeiten der sehr polarisierten Welt der Weimarer Republik, dem zweiten Weltkrieg sowie dem Kalten Krieg prallten die Systeme aufeinander, gab es Bipolarität und hitzige Diskussionen. Mit dem Fall der Berliner Mauer fiel der Gegenpol weg.

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Ob tatsächlich zunehmend oder nur durch die Echokammern der sozialen Netzwerke so empfunden: Die Medienwahrnehmung in unserer Gesellschaft ist polarisiert, das Vertrauensverhältnis zwischen den Medien und einem nicht unbeachtlichen Teil der Bevölkerung ist mindestens erschüttert. Das kann uns nicht kalt lassen: ein starker Journalismus ist das Lebenselixier einer jeden intakten Demokratie.

Das Medienmisstrauen, ob nun tatsächlich oder nur gefühlt zunehmend, ist ein hochbrisantes Thema. Zeitungen, Fernsehsender und Co. sind Angriffsfläche für einen Richtungskampf zwischen Mainstream-Journalismus und vielseitiger Berichterstattung geworden. Mit Schlagworten wie „Lügenpresse“, „Lückenpresse“ oder „Gleichschaltung“ sehen sich mittlerweile auch renommierte Medien konfrontiert. Meiner Beobachtung nach begründet sich dieses Medienmisstrauen im Wesentlichen durch vier Faktoren:

I. Nachlässigkeit: Wir befinden uns seit etlichen Jahren in einer Bequemlichkeitsphase des Journalismus. Zu Zeiten der sehr polarisierten Welt mit dem Scheitern der Weimarer Republik, dem zweiten Weltkrieg sowie dem Kalten Krieg war dies anders. Da prallten die Systeme aufeinander, da gab es noch Bipolarität und hitzige Diskussionen. Mit dem Fall der Berliner Mauer ist dieses abgeflacht, weil der Gegenpol wegfiel. Das internationale System transformierte sich zu einem unipolaren System dominiert von den USA. Der deutsche Journalismus verlor mit dem Wegfall der Polarität das beherrschende Thema, an dem er sich lange Zeit aufgerieben hatte. Dadurch ist er peu à peu in einen Modus der Bequemlichkeit gefallen. Eines der Symptome dieser Bequemlichkeit war die Nachlässigkeit bei der Ausübung des journalistischen Informations- und Bildungsauftrags. Eine Fehlerkultur konnte sich einschleichen, denn der wachsame Gegenspieler fehlte nun. Fakten und journalistische Methodik wurden nicht mehr in gleichem Maße hinterfragt und gegengeprüft. Inmitten dieser Trägheit verschlief der Journalismus, dass die Welt sich in den letzten 10 Jahren mit dem Aufflammen des Terrorismus, des Islamismus, den großen Migrantenströmen sowie dem rasanten technologischen Fortschritt gewandelt und wieder an Polarität hinzugewonnen hat. Weil es wieder mehr Reibung gibt, ist auch das Erfordernis gründlicher Recherche wieder größer. Statt eine Massenproduktion beliebiger Nachrichtenhülsen anzustreben, sollte der Fokus stärker auf Tiefgründigkeit und Einordnung des Berichts in größere Zusammenhänge gesetzt sein. Gründlichkeit statt Gießkannenprinzip.

II. Vermischung von Meinung und Bericht: Ein Habitus der moralischen Überheblichkeit hat sich breitgemacht, indem alles, wie selbstverständlich, mit einer Wertung versehen und damit die Deutungshoheit beansprucht wird. Prominentes Beispiel ist hier das Etikett „die rechtspopulistische AfD“. Dabei handelt es sich um ein eindeutiges Werturteil. Im Übrigen ist Populismus nicht richtungsgebunden. Wer sich die Wesensmerkmale des Populismus vergegenwärtigt, wird erkennen, dass viele dieser Elemente auch von anderen Parteien des politischen Spektrums eingesetzt werden. An dieser Stelle sind mehr Reflexion sowie eine klare Trennung und Kennzeichnung erforderlich.

III. Mangelnde Meinungsbreite im Programm: Das journalistische Milieu ist weitestgehend homogen. Daraus resultiert eine Konformität in der Themensetzung, die zwangsläufig eine Verengung des Mediendiskurses zur Folge hat. Zu beobachten ist eine Selbstbespiegelung eines Teils der Gesellschaft, der mit sich selbst weitestgehend im Reinen ist. Doch es tun sich Gräben zwischen den von Journalisten behandelten Themen und dem Weltbild der Bevölkerung auf. Das Vertrauensverhältnis ist empfindlich gestört, weswegen ein Kampf für mehr Meinungsvielfalt unerlässlich ist. Die Medien sind dazu da, den Brennstoff zu liefern, damit die Menschen sich ein Urteil bilden können. Ob dem Sender eine Position gefällt oder nicht, darf kein Maßstab sein. Sie muss gezeigt werden und dann ist es Aufgabe des demokratisch-gesellschaftlichen Diskurses, damit umzugehen. Die Meinung muss auch dann gezeigt werden, wenn man sie selbst nicht teilt, vielleicht nicht einmal respektiert, solange sie aber rechtlich zulässig ist. Eine virtuelle Plattform für Meinungsbildung zur Verfügung zu stellen, wäre außerdem zu überlegen.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Zeit der alleinigen Deutungshoheit über gesellschaftspolitische Themen spätestens seit der Verbreitung des Internets passé ist. Im Netz gehen Menschen sehr ausdifferenziert ihren Interessen nach. Daher sollten auch verschiedene Zielgruppen im Fernsehen angesprochen werden.

IV. Fehlende Diversität auch in der Personalstruktur: Der Nachwuchs wird fast ausschließlich von Universitäten und Journalistenschulen rekrutiert. Dieser Homogenität des Journalistenmilieus sowie der damit einhergehenden Verengung des Mediendiskurses ließe sich entgegenwirken, indem etwa nicht nur Akademiker, sondern auch Personen mit anderem Bildungshintergrund engagiert würden. Man kann diesen Personen nicht pauschal in Abrede stellen, dass sie tauglich sind, mit entsprechendem Arbeitseifer in diesen Beruf hineinzufinden und ihn getreu dem journalistischen Auftrag verantwortungsvoll auszuüben. Das jedenfalls wäre ein geeigneter Weg, um Meinungsvielfalt bereits über redaktionelle Abläufe herzustellen. Das Anforderungsprofil an Journalisten sollte von Grund auf neu gedacht werden.

In diesen vier Punkten könnte der Schlüssel zur Akzeptanz in der Bevölkerung liegen. Die Chefetagen der Verlage und Fernsehsender täten gut daran, die Medien zu einem Ort des Dissens zu machen, wo Aspekte wie Verhandlung, Ablehnung und Protest bereits in das Programm selber implementiert sind, ohne dass ein Anspruch auf gültige Wahrheit erhoben wird. Überhaupt sollte die Kategorie der Glaubwürdigkeit keine Rolle spielen. Statt Richter über Wahrheitsgehalt und Wert einer Meinung zu sein, sollten die Medien stärker in eine moderative Rolle hineinkommen und verschiedene, auch gegensätzliche, Ideen an die Hand geben. Indem der Dissens ausgetragen und eine Perspektivenvielfalt präsentiert wird, können die Bürger sich schließlich ihre eigene, für glaubwürdig befundene Meinung bilden.

Ließe sich nun noch ein Finanzierungsmodell finden, das Verlage und nicht GEZ-gepolsterte Sender aus ihrer ökonomischen Krise holte, wäre ein großer Dienst an der Demokratie getan. Zu überlegen wäre ein Bezahlsystem nach dem „Pay what you want“-Prinzip oder eine Kulturförderungsabgabe, die allen Medienschaffenden, nicht nur den öffentlich-rechtlichen, zu Gute käme. So stünden Zeitungen und private Sender ökonomisch auf tragfähigen Füßen und es könnten Rahmenbedingungen geschaffen werden, die journalistische Qualität wie auch redaktionelle Unabhängigkeit langfristig gewährleisten. Dann wären nicht mehr Quoten das Maß aller Dinge, sondern der journalistische Auftrag, eine umfassend aufgeklärte, selbst denkende Öffentlichkeit herzustellen. Dies ist unerlässlich für eine Demokratie, die auf der Kräfteverteilung zwischen politischen Akteuren, unabhängigen Journalisten und informierten Bürgern beruht.

Wie der amerikanische Journalist Bill Moyers, einst Pressesprecher Johnsons im Weißen Haus, sagte: „Die Qualität der Demokratie und die Qualität des Journalismus sind eng verschlungen.“ Das Medienmisstrauen zu verdrängen oder dessen Verfechter pauschal als Abgehängte zu deklassieren, darf keine Option sein. Eine kritische Bürgerschaft ist wünschenswert und deren Stimmungen müssen ernst genommen werden. Denn was ist besser: Ein Hirte, der viele Schafe anführt oder ein großer Hirte, der viele kleine Hirten anführt, von denen jeder eigenständig hinterfragt, und in deren Herde ein ständiges Ringen um die beste Lösung sicherstellt, dass nur die fähigsten Hirten vorangehen?