Tichys Einblick
Jeder kennt die Polizei, aber was wissen wir über sie?

Polizei – ein Beruf so interessant wie das Leben

Für die Politik hat die Polizei keinen angemessenen Stellenwert. Doch jetzt, wo die Innere Sicherheit Konjunktur hat, kann die Polizei auf die Politiker und vielleicht auch ein wenig auf die Justiz zählen - und hoffentlich nicht wieder nur vorübergehend. Ex-Kommissar Norbert Zerr erzählt über seinen Beruf, was viele nicht wissen.

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Mit diesem Werbeslogan geht die Polizei im „Ländle“, also in Baden-Württemberg, seit Jahren auf Nachwuchsfahndung. In anderen Bundesländern ist es ähnlich, da heißt es zum Beispiel in der länderpolizeilichen Nachbarschaft: Mehr als ein Job!

Bei den meisten Werbebotschaften werden einem Übertreibungen und schwammige Lockrufe regelrecht entgegen geschmettert. Dieser Baden-Württemberg Slogan, das muss ich sagen, ist ziemlich treffend. Es kommt natürlich darauf an, wo man bei der Polizei eingesetzt ist. Überwiegend in Stabs- oder in andere Verwaltungsaufgaben eingebunden können sich Aufgaben  manchmal  langweilig oder trocken gestalten. Im operativen Dienst wie Streifendienst oder in Ermittlungseinheiten hingegen kann man das Leben und die Menschen wahrhaftig in allen Auswüchsen erleben und kennenlernen. Dann gestaltet sich der Beruf tatsächlich so interessant wie das Leben.

Innere Sicherheit und Stellenwert der Polizei

Seitens der Politik wurde die Polizei stets eher stiefmütterlich behandelt. Dass sich dieser Zustand inzwischen geändert haben könnte, erkenne ich persönlich nicht. Bei den Nazis war die Polizei mit bei den Verrichtungs- und Vernichtungsgehilfen, man denke an die SS und Himmler. Diese Vergangenheit hatte nach dem Krieg einen Nachgeruch, der aber mittlerweile verflogen sein sollte. Nichtsdestotrotz unterstelle ich der Politik, dass sie die Polizei als Büttel und eher notwendiges Übel sieht.

Um der Polizei ein angemessenen Stellenwert einzuräumen und folglich in eine höhere Besoldung zu überführen, machen sich zwei Gewerkschaften für die Polizei in Deutschland stark. Dem Beamtenbund angegliedert ist es die Deutsche Polizeigewerkschaft, die Gewerkschaft der Polizei ist dem DGB angeschlossen. Daneben gibt es noch den Bund Deutscher Kriminalbeamter. Natürlich setzten sich die genannten Organisationen hauptsächlich für alle Belange ihrer Mitglieder ein, ob mit viel oder wenig Erfolg will ich hier nicht weiter ausführen.

Bleiben wir noch ein wenig beim Stellenwert der Polizei. Ich denke ich zurück an meine Anfangsjahre und die damaligen staatsfeindlichen Gefahren. Ende der 80er Jahre war ich als junger Polizeimeister mit Abständen für je drei Monate im Personen- und Objektschutz in der Landeshauptstadt eingesetzt. Die Kräfte dafür wurden aus dem ganzen Land zusammengezogen. Damals war noch die dritte Generation der RAF aktiv und wurde als große Gefahr für den Staat und bestimmte Repräsentanten wie Politiker und auch Wirtschaftsbosse angesehen. Auf ihr Konto geht auch die spektakuläre und medienträchtige Ermordung des damaligen Chefs der Deutsche Bank Alfred Herrhausen (auch wenn die Stimmen nie verstummt sind, die sagen, das waren ganz andere).

Es gab für uns zahlreiche Einsatzorte wie das Wohnhaus des damaligen Generalbundesanwalts Kurt Rebmann. Dort war auch ich mehrfach eingesetzt und lernte ihn ein wenig persönlich kennen. Seine Frau und er waren uns gegenüber immer zuvorkommend und höflich. Wenn wir auf unseren Wachposten waren, die wir nicht verlassen sollten, und die Familie Rebmann machte beispielsweise ein kleines Grillfest mit oder ohne Prominenz, dann war es selbstverständlich, dass wir auch dabei auf geeignete Art vom Hausherrn integriert wurden. Rebmann hatte hauptsächlich zum Feierabend nichts gegen einen guten Schluck oder zwei. Mehr bleibt an dieser Stelle mein Geheimnis. Dabei war Rebmann gern in Gesellschaft, die er ja unkomplizierter Weise direkt um sein Haus hatte.

Er erzählte uns einmal beim „Feierabendbier/schnaps“, dass er wie sein Vorgänger auf der Todesliste der RAF stehen würde, wie er betonte auf Platz 1. Doch er lasse sich nicht in die Knie zwingen. Egal was man sonst über Rebmann sagen mag, für mich und die eingesetzten Kollegen war er eine Persönlichkeit und ein beeindruckender Mensch. Solche Persönlichkeiten vermisse ich heute.

Ein Gegenstück zum Generalbundesanwalt war für mich der damalige Ministerpräsident Lothar Späth, genannt das Cleverle. Vor dem Volk ein genialer Rhetoriker, der zudem eine Performance hinlegte, von der seine Nachkommen nur träumen können. Ich war zunächst begeistert vom ehemaligen Innenminister, der zu meiner Zeit schon Ministerpräsident war, bis ich schockiert erlebte, wie er dumme Wachtmeister wie mich behandelte, die seine Dienstvilla und sein Areal beschützten.

Ich erfuhr hautnah, was das für ein Unterschied zum Generalbundesanwalt war und wie sich Politiker in der Öffentlichkeit darstellen. Ich will hier nicht weiter darauf eingehen, sondern nur zum Ausdruck bringen, welchen Stellenwert die Polizei damals schon hatte. Das zieht sich meiner Meinung nach wie ein roter Faden durch alle Länder. Gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass sich nicht viel geändert hat. Sicher, die Polizei hat sich mit entwickelt und es sind auch Verbesserungen eingetreten: Aber ihr Stellenwert oder der der Polizeilobby?

Hochkonjunktur Innere Sicherheit

Nur wenn es nicht mehr anders geht, wie jetzt zum Beispiel, dann wird die Politik großzügiger. Ziemlich schnell habe ich damals verstanden, was ältere Kollegen gemeint haben, wenn sie sagten, die RAF wäre die beste Gewerkschaft für uns. Die Parallele zur aktuellen Situation können Sie nun selbst ziehen.

Als ich 1981 meinen Dienstausweis bekam, wusste ich, dass ich erst Beamter auf Widerruf war. Dann folgte der Status Beamter auf Probe, danach mit 27 Jahren Beamter auf Lebenszeit.  Damit war man, was die Existenz betrifft, auf der sicheren Seite. Als ich meinen Dienstausweis näher betrachtete, war ich erschrocken. Dort stand, ich sei Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft. War ich nun gar kein richtiger Beamter? Das hörte sich schon so abwertend an. Daran störte sich die gesamte Polizei. Inzwischen wurde die Bezeichnung Hilfsbeamte durch Ermittlungsbeamte ersetzt.

Struktur und Aufbau der Polizei

Für den Bürger ist wichtig, dass ihn die Polizei, so gut es geht, in Ruhe lässt und nicht, vor allem im Verkehr, unnötig piesackt. Wichtig ist ihm seine eigene Sicherheit. Wie man so schön sagt, man sollte nachts noch problemlos durch die Straßen gehen können. Die Polizei soll rundherum die Sicherheit im Land gewährleisten können, was natürlich nie ganz geht. Beruhigend ist dabei schon das Sicherheitsgefühl. Dazu gehört, dass Polizeibeamte erkennbar sind. Deshalb Uniform und Streifenwagen.

Die gesamte Polizei in ihre Einzelteile zu zerlegen und hier ins Detail zu gehen, würde den Rahmen sprengen und könnte uninteressant werden. Deshalb will ich mich auf das Wesentliche beschränken und nachfolgend ein wenig die Struktur und das Berufsbild an sich skizzieren.

Die Polizei ist prinzipiell Ländersache. Jedes Bundesland, auch die nach der Wiedervereinigung hinzugekommenen neuen Bundesländern, hat seine eigene Polizei. Das heißt, dass sich die Zuständigkeit in erster Linie ausschließlich auf das jeweilige Bundesland beschränkt.

Früher hatten große Kommunen noch ihre eigene Polizei mit gewissen Kompetenzen und eigener Uniform. Heute haben wir wieder in ähnlicher Weise den Gemeindevollzugsdienst, der polizeiliche Aufgaben, die sich auf das Hoheitsgebiet der Kommune beschränken und nicht so weitgreifend sind, wahrnehmen. Die Polizei ist dem jeweiligen Innenministerium unterstellt.

Im Bund gab es bis 2005 noch den Bundesgrenzschutz, der danach in die Bundespolizei überführt wurde, die man beispielsweise auf Bahnhöfen oder Flughäfen sieht. Die Uniformen und Streifenwagen haben sich im Laufe der Jahre vereinheitlicht und dem EU-Standard, in blau, angepasst.

Zu erwähnen sind noch die Sondereinheiten, wie GSG 9 und SEKs, die Spezialeinheiten der Polizei, für Terrorismusbekämpfung oder Geiselbefreiung und ähnlichen Eingriffen mit besonderer Gefährdungslage. Ein Direkteinstieg ist dort nicht möglich. Man muss zunächst den regulären Polizeidienst durchlaufen und kann sich zu einer Spezialeinheit bewerben. Es bedarf besonderer Voraussetzungen wie physische und psychische Belastbarkeit und Sportlichkeit.

Beziehe ich mich auf meine intensiven Erfahrungen, so war der mittlere Dienst das große Heer der Polizei. Ich bleibe beim Beispiel Baden-Württemberg. Ich wurde 1981 eingestellt. Der Prozentanteil des höheren Dienstes lag damals im einstelligen Bereich, der des gehobenen Dienstes im unteren zweistelligen. Gerade im ländlichen Raum blieb man lange in Besoldungsstufe A 8 (Polizeiobermeister) stecken. A 8 erstreckt sich heute von  etwa 2.400 € brutto mit Leistungsendstufe bis ca. 3100 €. Das Eingangsamt war damals nach abgeschlossener Ausbildung (2,5 Jahre) A 6 – Polizeihauptwachtmeister. Heute dauert die Ausbildung gleich lang, wobei man davon 1 Jahr praktische Erfahrung vor Ort sammeln kann. Dies war damals leider noch nicht der Fall.

Grober Überblick

Als ich damals eingestellt wurde, gab es die Möglichkeit, mit 17 und mittlerer Reife einzusteigen. Ein Direkteinstieg in den gehobenen Dienst war nicht vorgesehen. Das ist heute jedoch für Abiturienten und mit Fachhochschulreife möglich. Zu meiner Zeit suchte man noch junge Leute mit Hauptschulabschluss und Beruf. Für den gehobenen Dienst wurden damals pro Studienjahrgang etwa 100 Auserwählte zugelassen. Heute sind es pro Jahrgang um 400 Absolventen.

Ich hatte Hauptschulabschluss und Beruf. Bevor ich die zweieinhalbjährige Ausbildung beginnen konnte, musste ich den ABL machen. Das bedeutete Aufbaulehrgang und war nichts anderes als die Mittlere Reife. Diesen ABL absolvierte man bei der Polizei mit dem entsprechenden Gehalt. Heute hätte ich mit Hauptschule und Beruf die mittlere Reife automatisch (mit entsprechendem Notendurchschnitt). Vorausgegangen ist eine Auswahlprüfung, die heute noch den Entwicklungen angepasst bestanden werden muss.

Wer später von der Schutzpolizei zur Kriminalpolizei wechseln wollte, musste einen halbjährigen Kriminalfachlehrgang machen, den es heute auch nicht mehr gibt, sondern man kann nun direkt wechseln. Seit 1987 bekommen zudem Frauen den Zugang zur Schutzpolizei in Baden-Württemberg. In anderen Bundesländern war dies früher oder später der Fall, heute ist es überall möglich.

Im Laufe der Jahre stellte man fest, dass der Beruf so anspruchsvoll ist und das das Personal anteilig mehr qualifiziert sein müsste, also mehr gehobener und höherer Dienst erforderlich ist. Die Gewerkschaften fordern schon seit Jahrzehnten die zweigeteilte Laufbahn, also nur noch gehobener und höherer Dienst. Der gehobene Dienst ist mittlerweile auf 40 % aufgestockt worden. Der höhere Dienst wurde entsprechend angepasst.

Hauptmeister aus dem mittleren Dienst, die sich besonders mit ihren Leistungen hervorheben, können auch über einen Qualifizierungslehrgang, der damals acht Wochen betrug, das müsste heute auch noch so sein, in den gehobenen Dienst aufsteigen. Allerdings ohne Führungsaufgaben und nur bis A 11.

Sonst geht der Aufstieg nur über das Hochschulstudium, wo man zusätzlich den Hochschulgrad Dipl. Verwaltungswirt (FHPol), heute Bachelor, erworben hat. Das war dann auch der ersehnte Einstieg in die Kommissarlaufbahn, beginnend mit A9. Die Dienstgrade beziehen sich jeweils auf Schutz- und Kriminalpolizei. Bei der Schutzpolizei heißt es dann Polizeikommissar und bei der Kripo Kriminalkommissar. Die nachfolgende Grafik zeigt, wie die Polizei dienstgrad- und besoldungsbezogen aufgestellt ist.

Zum Vergleich: B2/B3 ist ein Bürgermeister einer Stadt/Gemeinde ab 10.000/15.000 Einwohner und die Präsidenten der neuen Präsidien in Baden-Württemberg nach der von der SPD so hochgelobten Polizeireform.

Damit hatten einige Wenige die Chance von A 16 nach B3 aufzusteigen. Der Rest ist, wie ich übereinstimmend höre, nicht so begeistert. Das hängt aber mit mehreren Faktoren zusammen, also nicht nur mit der Besoldung. A 16 hat ein Bürgermeister in Baden-Württemberg mit einer Gemeinde über 2.000 Einwohnern. Das Grundgehalt brutto in A 16 beträgt ca. 5.500 € und kann sich bis knapp 7.000 € erstrecken. Bei A 13 wären dies 3900 € bis 5100 €. Der Streifenbeamte findet sich im Durchschnitt bei A 10, ca. 2.700 € bis ca. 3.800 €. Die Besoldungszahlen sind öffentlich, Besoldungstabellen übers Internet problemlos abrufbar, wer dazu noch genauere Informationen wünscht.

So viel ist uns der Sicherheitsbeamte wert, der auch noch die Nächte für eine geringfügige finanzielle Aufbesserung von ca. 100-150 € um die Ohren schlagen darf. Neben den dienstlichen Belastungen kommen noch die unregelmäßigen Dienstzeiten, vor allem im Streifendienst oder entsprechenden Einsatz- und Ermittlungseinheiten, hinzu. Dies dürfte auch mit ein ausschlaggebender Grund dafür sein, warum so viele Ehen von Polzisten kaputt gehen oder sie dem Alkohol anheim fallen.

Lassen wir noch ein paar Zahlen sprechen 

Fragen Sie einmal im Bekanntenkreis, wie viel Polizeibeamte wir in Deutschland haben, die für unsere Sicherheit sorgen sollen und was uns das kostet. Dabei verschätzt man sich gern. In der Welt vom 05.02.2015 heißt es: „Das hoch verschuldete Italien hat 277.000, davon sind 8.500 Waldpolizisten – damit leistet sich das Land 33.000 Beamte mehr als das größere potentere Deutschland.“

Im Schnitt liegt die Polizeidichte bei 300 Beamten pro 100.000 Einwohner. Dem Behördenspiegel vom Februar 2016 war zu entnehmen, dass Bund, Länder und Kommunen für die öffentliche Ordnung und Sicherheit 50 Mrd. Euro ausgeben. Relativ zur Wirtschaftsleistung sei dies weniger, als die Mehrheit der anderen europäischen Länder im Durchschnitt ausgeben. Da fällt einem sofort wieder der Stellenwert ein.

Wahlhelfer Polizei und ein abschließende Anmerkung

Dort wo Wahlen sind, wird die Polizei gern als Wahlhelfer herangezogen. Wie ich beschrieben habe, hat die Polizei – bei der Einschätzung bin ich ganz sicher in guter Gesellschaft – für die Politik keinen angemessenen Stellenwert. Doch jetzt, wo die Innere Sicherheit wieder an größter Bedeutung gewinnt, kann die Polizei auf die Politiker und vielleicht auch ein wenig auf die Justiz zählen; ja, vielleicht.

Meist hält der Zustand der großen Versprechungen nur bis nach den Wahlen an. Voran die Sicherheitspartei, die gern wieder im Ländle regieren würde. Sie wissen wer damit gemeint ist. Jetzt stellt die Politik fest, dass ein Mehrbedarf an Polizei erforderlich ist. Nach aktuellen Zahlen, die auch von den Gewerkschaften genannt werden, fehlen bundesweit 20.000 Stellen.

Es ist etwas Besserung in Sicht. Im Ländle sollen 1.100 Stellen mittlerer Dienst und 300 gehobener Dienst hinzukommen. Bewerber scheinen genügend vorhanden zu sein. Es kommt nur noch auf die Qualität an. Im Großen und Ganzen sind die Einstellungs-Voraussetzungen noch ähnlich wie damals. Natürlich sind sie an die modernen Möglichkeiten eines Auswahlverfahrens angepasst. Nicht mehr möglich ist der Erwerb der mittleren Reife oder der Fachhochschulreife bei der Polizei; zumindest in Baden-Württemberg. Anscheinend gibt es genügend Bewerber mit Abitur, so dass dies gar kein Problem mehr darstellt.

Geändert hat sich auch noch, dass bestimmte Nationalitäten wie zum Beispiel Bewerber mit türkischer Staatsangehörigkeit oder Abstammung eingestellt werden, da sie Leute aus andere Kulturen besser verstehen. Voraussetzung ist, dass Bewerber auch das Türkische beherrschen. Hoffen wir, dass der Stellenwert der Polizei nicht nur vorübergehend besser erkannt wird.

Norbert Zerr, Hauptkommissar a.D., war 22 Jahre bei der Polizei, engagierte sich in der CDU, war Bürgermeister und gab 2000 zusammen mit Professor Adolf Gallwitz das Buch Horrorkids? heraus.