Tichys Einblick
Bettina Hagen

#MeToo – Mit mir nicht

Catherine Deneuve und andere Bekanntheiten wenden sich gegen #MeToo- und Sexismus-Debatte. Bettina Hagen, von 1968 bis 1974 in Paris, New York, Mailand und London eines der ersten deutschen Topmodels, fragte ehemalige Kolleginnen.

© Privat

Es geht um Vergewaltigung, brutale Übergriffe, sexuelle Erpressung in der erregten Debatte um #MeToo. Das sind die schlimmsten Auswüchse menschlichen Verhaltens. Aber wir Frauen als wehrlose Opfer? Willenlos auf der Besetzungscouch?

In den späten 60ern schenkte neues Selbstbewusstsein in allen Lebensbereichen uns Frauen die Möglichkeit, sämtliche Freiheiten zu erproben – wir nahmen sie uns einfach. Ich ließ damals mein Studium der Germanistik und Literaturwissenschaft ruhen und ging während der Mai-Unruhen nach Paris, um Model zu werden. Auch als eher unpolitischer Mensch begriff ich damals mein Leben als Möglichkeit, es nach meinem Willen zu gestalten.

Obgleich bis heute von vielen behauptet wird, die radikalen gesellschaftspolitischen Denkmodelle der 68er seien der Ursprung der neuen Freiheit gewesen, teile ich diese Einschätzung nicht. Für mich waren die linken Ideologen höchstens ein Teil des Ganzen. Es waren die Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die sich nach Krieg und Gewalt endlich ein Leben in Frieden und Offenheit schaffen wollten. Auf einmal war alles möglich, vor allem für uns Frauen.

Paris empfing mich mit schweren Krawallen, ich landete direkt aus dem biederen Nachkriegsdeutschland in der aufregenden Metropole eines neuen Zeitgeists. Mode, Musik, Film – alles auf Neustart. Das Privileg, dem damaligen Schönheitsmodell zu entsprechen, machte mich als Model sehr erfolgreich, aber nicht zum Objekt. Weil ich wusste, was ich wollte und was nicht. Meine Entscheidung, nie Nacktaufnahmen zu machen, hatte auch etwas damit zu tun, sich nicht zum Objekt machen zu lassen. Ich wollte als Model den neuen Zeitgeist vermitteln – auch ohne Nacktaufnahmen.

Hamilton wollte mich für seine Filme

Mit den männlichen Fotografen habe ich durch mein sportliches Verhalten immer ein gutes Verhältnis auf Augenhöhe hinbekommen und mich nicht hochgeschlafen. Als Beispiel: Wer wollte mich damals sofort für seine Softporno-Filme haben? Der berühmt-berüchtigte David Hamilton. Ich habe ihm statt der Besetzungscouch ein klares Nein geboten. Dass mich Fotografen flachlegen wollten, kann sein. Dass mich andere nicht wieder gebucht haben, weil ich auf ihre Anmache nicht reagierte, kann auch sein. Es kümmerte mich nicht, weil alle respektvoll mit mir umgingen. Und ich mit ihnen.

Mich hat interessiert, wie meine Freundinnen und Kolleginnen aus jener Zeit die aktuelle #MeToo- und Sexismusdebatte beurteilen. Ob sie im Gegensatz zu mir Probleme mit übergriffigen Männern hatten. Hier ihre Antworten:

„In den 70ern waren wir total frei, ich bin viel angemacht worden von Fotografen und anderen Männern. Aber wenn ich nicht wollte, konnte keiner. Ich war eher selbst wie ein Seemann und hatte in jedem Hafen einen andern. Es hat mir Spaß gemacht, hübsche Jungs zu verführen. Ich selbst habe keine Übergriffe erlebt, aber in meinem späteren PR-Job in Cannes mitbekommen, wie sich junge Models auf Harvey Weinstein gestürzt haben, um eine Rolle in Hollywood zu ergattern.“ Renata Zatsch

„Ich habe während meiner Model-Jahre keine sexuelle Belästigung erlebt. Aber es ist eine heikle Frage, da sich damals viele Frauen in sexuellen Situationen wiederfanden. Die sexuelle Befreiung war in vollem Gang, und nach Drogen und Drinks wachten einige an fremden Orten neben fremden Männern auf, aber die meisten haben das wohl nicht als sexuellen Missbrauch begriffen. Auch wurden viele Dinge, die heute als sexuelle Belästigung betrachtet werden, wie etwa ein Klaps auf den Po, eher als Scherz gesehen. Natürlich tauchen unter #MeToo täglich Informationen über schreckliche Belästigungen und sexuellen Missbrauch auf, auch durch Fotografen, mit denen ich gearbeitet habe. Ich muss Glück gehabt haben.“ Mick Lindberg

„Ich hatte nie ein Problem. Wahrscheinlich weil ich so streng war und sie Angst vor mir hatten. Ich bin trotzdem nicht überrascht, alle diese schrecklichen Geschichten zu hören. Ich hatte nur einmal ein Problem dieser Art, das war aber vor meiner Zeit als Model.“ Otti Glanzelius

„In Bezug auf sexuelle Belästigung muss ich sagen, dass ich diese Erfahrung nie gemacht habe. Wohlgemerkt war ich beschützt von John, weil ich mit ihm verheiratet war. Ich machte keine Reise ohne ihn, und während sich die anderen auf einen Drink trafen, blieben John und ich in unserem Zimmer, um zu meditieren. Wir haben nicht getrunken, weder geraucht noch Drogen genommen, waren nie draußen und feierten – mit anderen Worten, ich war das langweiligste Model aller Zeiten. Und ich wurde nie belästigt.“ Charly Stember

„Ich hatte viel Glück. Es gab natürlich immer mal Fotografen, die versucht haben, sich an mich ranzumachen, aber ich habe mich da rausgehalten. Ich habe ganz von Anfang an ziemlich klar gemacht, dass ich null Interesse hatte. Ich habe daher einige Jobs verpasst, na und?“ Martina Einstmann

„Nein, ich hatte als Model keine Erfahrungen mit sexueller Belästigung. Aber ich hätte das niemals zugelassen. Ich hatte zwar Sex, aber immer komplett freiwillig.“ Beska Sorensen

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So weit die Antworten souveräner Frauen aus dem Model-Business, das einen ähnlichen Ruf hat wie die Filmbranche. Kein Gejammer, sondern ein eher entspannter Umgang mit der Erkenntnis, dass Männer und Frauen gleichwertig sind, aber nicht gleich. Wobei die Ungleichheit ja auch sehr schön und spannend sein kann. Jede Frau weiß, dass sie – auch ohne es zu wollen – zum Objekt der Begierde eines Mannes werden kann. Aber deswegen wird sie noch lange nicht zum Opfer. Das gilt umgekehrt übrigens auch.

Die 60er- und 70er-Jahre waren eine Zeit des Aufbruchs der Frauen. Damals begann auch der Aufstieg großer Modedesignerinnen wie Miuccia Prada, Sonia Rykiel, Jil Sander, Jacqueline und Elie Jacobson oder der Fendi-Schwestern. Fotografinnen wie Sarah Moon, Annie Leibowitz, Jeanette Leroy haben den Weg für unsere heutige Freiheit geebnet, und das alles ohne Quote.

Heute können Frauen in weiten Teilen der Welt alles erreichen, wenn sie wollen, und wir dürfen nicht in den Rückwärtsgang schalten. Und wenn Models heute von Shows und Modekonzernen wieder wie Objekte vermarktet werden, warum lassen sie und wir das zu? Warum werden Frauen zu Opfern stilisiert? Und alle Männer zu potenziellen Sexualstraftätern?

Bis heute arbeite ich mit vielen Männern zusammen. Es waren eitle Gockel, überhebliche Machos, starke Macher, kluge Intellektuelle, sanftmütige Träumer, lustige Lebenskünstler und richtige Kerle dabei. Aber keiner von ihnen hat mir jemals etwas angetan, was ich nicht wollte.

Gemeinsam mit meinen ehemaligen Kolleginnen kann ich jungen Frauen nur raten: Wehrt euch. Und wenn euch jemand begrapscht, ohne dass ihr es wollt, knallt ihm eine, zeigt eure Wut. Und zwar sofort.


Dieser Beitrag ist in Tichys Einblick Ausgabe 01/2018 erschienen >>